Dieses Dokument ist Teil des Buches Wie geschmiert - Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg, 1998
22041 Hamburg (Wandsbek), Wandsbeker Königstrasse 62
Stammkapital: 6 Mio. DM
Beschäftigte: ca. 150 (1982), 175
(1990), ca. 110 (1994)
Umsatz: 27 Mio. DM (1983)
Geschäftsführer: Franz-Josef Görgen (1978-96),
Werner Kurz (seit 1997)
Die MTG Marinetechnik GmbH ist das zentrale Entwurfs- und Planungsbüro für Überwasserkriegsschiffe in Deutschland. Die Firma wurde 1966 auf Initiative des Verteidigungsministeriums gegründet.13 Die Marinetechnik Planungsgesellschaft mbH, so der anfängliche Name, hatte zunächst nur die Funktion einer zusammenfassenden Klammer für drei Einzelfirmen: die MSG Marine-Schiffstechnik Planungsgesellschaft mbH, die MEG Marine-Elektronik Planungsgesellschaft mbH sowie die 1972 hinzugekommene MUG Marine-Unterwasserregelanlagen Planungsgesellschaft mbH. 1982 wurden die drei Firmen MSG, MEG und MUG zu der MTG Marinetechnik GmbH verschmolzen.
An der MTG sind die führenden am Kriegsschiffbau interessierten Unternehmen beteiligt. Die Beteiligungsverhältnisse haben sich seit 1985 erheblich verändert (vgl. Schaubilder). AEG (bzw. TST) und MBB mussten ihre MTG-Anteile 1990 aufgrund ministerieller Auflagen veräussern, die Daimler-Benz bei der Übernahme von MBB zu erfüllen hatte.14 Mit dem lange Zeit doppelt beteiligten Krupp-Konzern und der Philips-Tochter Hollandse Signaalapparaten stiegen 1989-92 zwei weitere wichtige Gesellschafter aus der MTG aus. Demgegenüber haben die verbliebenen Gesellschafter Blohm + Voss, Bremer Vulkan, HDW, Lürssen und Siemens ihre Anteile deutlich erhöht, wobei allerdings der Bremer Vulkan aufgrund des Konkurses aus diesem Kreis bald ausscheiden wird. Statt der Standard Elektrik AG (SEL, jetzt Alcatel SEL AG) ist nun die -> Rohde & Schwarz GmbH & Co KG an der MTG beteiligt.
Im Jahr 1982 wurde eine Übersicht über die 43 wichtigsten bis dahin von der MTG bearbeiteten Rüstungsprojekte veröffentlicht.15 Nachdem die MTG in den 70er Jahren die Fregatte F 122 entworfen und geplant hatte, wurde sie in den 80er Jahren an den Planungen für die NATO-Fregatte 90 beteiligt. In der Konzeptphase 1984-86 vertrat sie die deutsche Seite als nationale Führungsfirma in der neugegründeten -> Internationalen Schiffs-Studien-Gesellschaft mbH (ISS). Zusammen mit Unternehmen aus sieben anderen NATO-Staaten erarbeitete die MTG 1984/85 eine Durchführbarkeitsstudie für das Fregattenprojekt. Zwar scheiterte 1989/90 das NATO-Vorhaben, doch flossen die bisherigen Planungsarbeiten teilweise in die Fregattenprojekte F 123 und F 124 (-> Blohm + Voss) ein.
Seit vielen Jahren befasst sich die MTG mit dem Entwurf neuartiger, "unkonventioneller" Marineschiffe. War sie schon in den 70er Jahren im Rahmen des NATO-Projekts PHM an der Entwicklung eines Tragflügelboots (S-Boot 162, in den USA unter dem Namen "Pegasus" realisiert) beteiligt gewesen, hat sie in neuerer Zeit umfangreiche Studien zu zwei anderen Konzepten des Kriegsschiffdesigns ausgeführt. Die in diesem Zusammenhang relevanten Abkürzungen lauten SES und SWATH.16
SES steht für surface effect ship; im Deutschen wird von Seitenwand-Luftkissenfahrzeugen gesprochen. Bei der "Flugfahrt" eines SES wird der grösste Teil des Schiffsgewichts von einem durch Gebläse erzeugtes Luftkissen getragen, wodurch hohe Geschwindigkeiten ermöglicht werden. Die vom Bundesverteidigungsministerium finanzierten SES-Studien laufen seit 1984. Die MTG erarbeitete 1984-88 die Entwurfsstudie für das schnelle Erprobungsboot SES 700; dabei kam es zu einer engen Zusammenarbeit mit dem US Naval Sea System Command. Ein nach Plänen der MTG gebautes Experimentalmodell mit dem Namen "MOSES" kam ab 1991 bei der Wehrtechnische Dienststelle 71 in Eckernförde zum Testeinsatz. Die MTG hat darüber hinaus die Einsatzmöglichkeiten von SES-Fahrzeugen als Schnellboot, für die U-Boot-Jagd und für die Minenbekämpfung untersucht.
SWATH ist die Abkürzung für Small Waterplane Area Twin Hull. Beim SWATH handelt es sich um einen Katamaran, dessen zwei Rümpfe Uboot-ähnliche Tauchkörper sind, die über Wasser mit einer Plattform verbunden sind. Auf der SWATH-Technologie basiert der MTG-Entwurf für das geplante neue Wehrforschungsschiff (Klasse 752), um dessen Bau sich inzwischen mehrere Werften beworben haben. Die SWATH-Bauweise könnte künftig auch für grosse Kriegsschiffe gewählt werden; dies zeigt der von MTG erarbeitete Entwurf für einen Hubschrauberträger mit einem Deplacement von ca. 5.000 Tonnen.
Aufsehen erregte 1995 der Plan der Bundeswehr, sich für Auslandseinsätze ein grosses "Mehrzweckschiff" zuzulegen.17 Mit dem Entwurf war 1994 die MTG betraut worden. Für dieses kombinierte Führungs-, Transport- und Lazarettschiff, das nicht allein von der Marine, sondern auch von den anderen Teilstreitkräften der Bundeswehr zum weltweiten Einsatz genutzt werden sollte, wurde eine Länge von 196 Metern und eine Verdrängung von fast 20.000 Tonnen angepeilt.
Konkreter Anlass für die Initiierung des Vorhabens waren angebliche Defizite, die 1994 beim Rücktransport der Bundeswehrkontingente aus Somalia aufgetreten sein sollen. Generalinspekteur Naumann wies den Inspekteur der Marine am 6. Februar 1994 an, "vertiefte Überlegungen zur Beschaffung eines Führungsschiffes anzustellen", und machte die hohe Priorität deutlich, mit der das Projekt vorangetrieben werden sollte; noch vor dem Jahr 2000 sollte das Schiff einsatzbereit sein. In wenigen Wochen wurde ein taktisches Konzept geschrieben, wobei ungewöhnlicherweise - um Zeit zu sparen - die MTG bereits in dieser Phase an den Überlegungen beteiligt wurde. Der sich anschliessende Auftrag zur Ausarbeitung eines Schiffsentwurfs kam der MTG angesichts des zu diesem Zeitpunkt eher dünnen Auftragspolsters "wie gerufen".18
Bereits im Frühjahr 1995 veröffentlichten Fachblätter der Rüstungslobby Einzelheiten aus der ca. 10 Millionen DM teuren MTG-Studie.19 Danach sollte das geplante Schiff eine Reichweite von 7500 Seemeilen erhalten, ein Heereskontingent von ca. 700 Mann aufnehmen und dank seiner Roll-on-Roll-off-Fähigkeit auch ca. 271 Rad- und Panzerfahrzeuge transportieren können. Darüber hinaus sollte es mit acht Hubschraubern, zwei eigenen Landungsbooten sowie einem 70-Betten-Lazarett mit zwei Operationsräumen ausgestattet werden. Die Kosten des Schiffs wurden mit 500 Millionen, an anderer Stelle sogar mit mindestens 620 Millionen DM angegeben.20
Die immensen Kosten waren es dann auch, die das Projekt vorerst wieder in die Schubladen versenkte. Bei diesem Vorgang spielten ganz offenkundig auch konkurrierende Rüstungsinteressen eine Rolle, d.h. die Befürchtung, die Aufwendungen für das Riesenschiff würden die Finanzierung anderer Rüstungsprojekte blockieren. Es fiel jedenfalls auf, dass der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, der CSU-Abgeordnete Dr. Klaus Rose, Anfang März 1995 in einem "Welt"-Artikel öffentlich gegen das Mehrzweckschiff Stellung bezog.21 Roses Aufsatz wurde in der "Wehrtechnik" mit deutlicher Irritation registriert und der Verdacht angesprochen, der CSU-Abgeordnete vertrete "regionale Industrieinteressen"22 - mit anderen Worten: die Interessen der bayerischen Rüstungsindustrie, die vom Bau eines Mehrzweckschiffs wenig profitieren würde. Aber auch der niedersächsische CDU-Abgeordnete Thomas Kossendey sprach sich wegen der "Verdrängungseffekte" im Militäretat gegen das Grossvorhaben aus.23 Selbst Marineinspekteur Hans-Rudolf Böhmer machte deutlich, dass er lieber mehrere andere Kriegsschiffe als ein grosses Mehrzweckschiff anschaffen würde.
Hatte das Projekt bis dahin "Rühes allerhöchste Protektion" genossen,24 liess der Verteidigungsminister angesichts der deutlich werdenden Widerstände Anfang Mai 1995 erklären, es gebe zur Zeit "keinen politischen Handlungsbedarf für eine Entscheidung".
Ob die "Arche Naumann", wie das Schiff im Hinblick auf den Hauptinitiator des Vorhabens tituliert wurde, damit endgültig vom Tisch ist, ist allerdings fraglich. Mit Sicherheit wird von militärischer Seite weiter versucht werden, den von ihr behaupteten "Bedarf an Kapazität für Transport, Sanitätsunterstützung sowie Führungsfähigkeit" zu decken - Beobachter gehen davon aus, dass das Vorhaben in abgespeckter Form irgendwann wieder aufgenommen wird.25
Unabhängig hiervon ist interessant, dass sich der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete (Ex-Oberst und Ex-Senator) Peter Zumkley in der Debatte von 1995 auf die Seite Naumanns geschlagen hat. Rühe, so kritisierte Zumkley, habe alle konzeptionellen Überlegungen für das Schiff einstellen lassen, obwohl Bundeswehr-Generalinspekteur Naumann weiterhin Bedarf sehe.26 Zumkley vertritt den Wahlkreis Hamburg-Wandsbek, in dem die MTG ihren Sitz hat. Und sicherlich sind die Äusserungen Zumkleys auch in dem Licht des grossen Interesses zu sehen, das Blohm + Voss am Bau des Mehrzweckschiffs geäussert hat.
Zu den neuesten und wichtigsten Marineprojekten, mit deren planerischer Vorbereitung die MTG befasst ist, gehört das Korvettenprogramm. Militärischer Hintergrund: die Bundesmarine will sich ein neues Seekriegsmittel "zum Randmeereinsatz in einem erweiterten Aufgabenspektrum" anschaffen. Die MTG hat vergleichende Untersuchungen in bezug auf drei verschiedene Korvettentypen angestellt; dabei ist es um die Frage gegangen, ob die Korvette eine konventionelle Schiffsform erhalten oder als SWATH- oder SES-Fahrzeug realisiert werden soll.27 Weitere Informationen zur Korvettenplanung finden sich im Teil über Blohm + Voss (Abschnitt "Kriegsschiffe für Deutschland").
Seit 1972 hat die MTG auch Entwurfs- und Planungsarbeiten für ausländische Seestreitkräfte ausgeführt. So hat die MTG folgende Kriegsschiffe entworfen oder war an ihrer Konzeption beteiligt:
zwei Landungsschiffe für Nigeria, gebaut bei bei HDW Hamburg 1978/79,
vier grosse Korvetten FS 1500 für Kolumbien, gebaut bei HDW Kiel 1981-84,
zwei grosse Korvetten FS 1500 für Malaysia, gebaut bei HDW Kiel 1983/84,
vier kleine Fregatten der Inhauma-Klasse für Brasilien, gebaut auf zwei brasilianischen Werften 1983-94 (mit dem Bau einer fünften Fregatte wurde 1995 begonnen).28
In den letzten Jahren ist nichts neues über Auslandsaufträge der MTG bekannt geworden. Dass sie weiterhin an Exportgeschäften interessiert ist, belegt eine für die "Wehrtechnik" verfasste Firmenstellungnahme von 1993, mit der die MTG sich den Forderungen nach Verbesserung der Exportrahmenbedingungen anschloss.29
In Wilhemshaven besitzt die MTG eine militärische Tochterfirma: die Materialinformationszentrum Gesellschaft für Logistik mbH, kurz MIZ. Das 1968/69 von MTG und MBB gegründete Unternehmen ist als Partner von Streitkräften und Rüstungsproduzenten spezialisiert auf Fragen der Nutzungs- und Produktionslogistik, auf die Konzeption von Informationssystemen und technische Dokumentationsaufgaben.30 1990 gab der Gesellschafter MBB seinen 50-Prozent-Anteil an der MIZ ab; seitdem befindet sich die Wilhelmshavener Firma zu 100 Prozent im Besitz der MTG. Ihr Know-how stellt die MIZ gerne auch ausländischen Militärs zur Verfügung.31 Sie kümmerte sich z.B. um die Ausbildung von Besatzungen für die vier Minensuchboote, die 1990/91 illegal nach Taiwan exportiert wurden.32
Im Jahr 1990 hiess es, durch die Kürzungen im deutschen Militäretat habe die MTG "über Nacht 41 Prozent ihres Auftragsvolumens" eingebüsst.33 Die Firma wandte sich in dieser Situation an Senator Horst Gobrecht (SPD) und an die Bundestagsabgeordneten Klaus Francke (CDU Wandsbek), Michael von Schmude (CDU Stormarn Süd) sowie Peter Zumkley (SPD Wandsbek), um von diesen Unterstützung zu erhalten. Senator Gobrecht wollte allerdings nicht zusagen, dass die Stadt dem Unternehmen beim "Grundproblem Konversion" helfen würde.
Die Bereitschaft zur Konversion war damals in der MTG anscheinend vorhanden. Im Hamburger Abendblatt war zu lesen:34
"Die MTG hat inzwischen begonnen, sich nach anderen Betätigungsfeldern umzusehen. Die hochqualifizierten MTG-Mitarbeiter (Ingenieure, Mathematiker, Informatiker, Physiker) können sich vorstellen, sich vor allem auf den Gebieten Energie-,Umwelt- und Transporttechnik zu engagieren. So denkt man an Windkraftanlagen auf See. Die im Marineschiffbau entwickelte `Halbtauchertechnik' wurde im Entwurf eines kleinen Luxus- und Kreuzfahrtschiffes umgesetzt, gleichzeitig entwickelte MTG auf der Bais der SES-Technologie eine schnelle Passagier- und Autofähre."
Von Aktivitäten der MTG auf dem zivilen Sektor hat man seitdem allerdings nichts mehr gehört. Nach erfolgter deutlicher Reduzierung des Personals 1990/91 erklärte die Firma 1993, sie bleibe "der Verteidigungstechnik auf dem Gebiet der Marine/See verpflichtet".35 Die Rüstungsplaner wollen keinesfalls auf sie verzichten: "Ein Verlust der noch bestehenden Fähigkeiten der MTG ... würde sich mittelfristig verheerend auf die Realisierung von Marineschiffen und andere Bereiche der Wehrtechnik See auswirken."36
Um 1984 brachte eine Gruppe, die anonym blieb, ein Flugblatt gegen die MTG heraus (Titel: "Kriegsplanung in Wandsbek").
Anmerkungen: