Nachdem am Sonnabend die Mehrheit der Hamburger Brokdorffahrer von der Polizei schon auf der Hinfahrt blockiert worden war, sollte am Sonntag eine spontan angesetzte Protestdemonstration gegen diese Einschränkung des Demonstrationsrechtes stattfinden. Sammelpunkt war an der Feldstrasse / Heiligengeistfeld, ab 12 Uhr.
Als sich gerade einige hundert Demonstranten eingefunden hatten, zogen plötzlich von drei Seiten Polizeiketten auf und schlossen innerhalb von fünf Minuten einen dichten Einkreisungsring um rund 800 Menschen, die am Fuss des Bunkers an der Feldstrasse standen. Ohne eine einzige Aufforderung, die Versammlung aufzulösen, wurde der Kessel geschlossen, den Festgesetzten wurde trotz Nachfrage nicht begründet, weshalb sie festgehalten wurden. Eine Betroffene beschreibt die Verwirrung zu diesem Zeitpunkt folgendermassen (sozusagen stellvertretend für alle anderen soll sie hier zu Wort kommen): "Ich war völlig verwirrt und konnte das alles nicht fassen, weil wir ja überhaupt nichts gemacht hatten, wir standen ja grade mal 10 Minuten versammelt. "
Laut Innensenator Lange waren die Eingeschlossenen "Gewalttäter", "polizeibekannte Sympathisanten der RAF", "Leute aus der Hafenstrasse und sogenannte Autonome". In Wirklichkeit handelte es sich um einen völlig wahllos herausgegriffenen Querschnitt durch die politische Landschaft, überwiegend aus dem "gemässigten" Spektrum-nichts anderes als ein kleines Abbild der Brokdorffahrer vom Vortag. Die nachgeschobene Begründung, von den Eingeschlossenen seien Gewalttaten ausgegangen, ist eindeutig unwahr. Es gab am Sammelplatz der Demonstranten (Heiligengeistfeld)
Auch rein gar nichts, gegen das Gewalt sich hätte richten können. Fast alle Augenzeugen betonen ausdrücklich, dass es absolut keine Gewalt oder sonstige Straftaten gegeben hat.
Bereits nach etwa zehn Minuten wurde von einigen der Eingeschlossenen mit dem Versuch begonnen, in Verhandlungen mit der Polizeiführung einen freien Abzug zu erreichen. Gegen 14 Uhr war Einsatzleiter Kelling endlich bereit, mit Sprechern der Eingeschlossenen zu reden. Er wiederholte allerdings nur die offizielle Begründung des Polizeieinsatzes und wollte die Forderung nach freiem Abzug lediglich "zur Kenntnis nehmen". Kurz nach diesem Gespräch wurde der Kessel durch eine weitere Polizeikette noch enger gezogen. Ausserdem rückte eine BGS-Einheit in voller Montur als "Verstärkung" an.
Innensenator Lange und Staatsrat Rabels liessen sich verleugnen, als von GAL-Abgeordneten und einem Rechtsanwalt versucht wurde, sie zu erreichen. Es folgte später die Aufforderung der Polizei an die Eingeschlossenen, das Gelände einzeln zur Personalienfeststellung zu verlassen. Etwa 40 Menschen folgten dieser Aufforderung. Gegen 16 Uhr begann die Polizei damit, jeweils kleine Gruppen von Eingeschlossenen zu greifen und in BGS-Mannschaftswagen zu über 20 verschiedenen Polizeiwachen in und um Hamburg zu verfrachten. Aus sachlich nicht erklärbaren Gründen ging das jedoch so langsam und stockend, dass gegen 20 Uhr immer noch gut die Hälfte der Demonstranten im Kessel waren und die letzten erst gegen zwei Uhr nachts abtransportiert wurden.
Die Enge des Kessels zwang die Demonstranten, stundenlang dicht gedrängt zu stehen. Erst ab etwa 17 Uhr war es wenigstens erlaubt, eine Toilette aufzusuchen-nach Durchsuchung und unter Bewachung, also auch dementsprechend schleppend. Es sind nur die wenigsten, die mussten, auch drangekommen.
Dies brachte die Eingeschlossenen in absolut menschenunwürdige Situationen, da sie teilweise in aller Öffentlichkeit und vor den Augen der blöde feixenden Polizisten ihre Notdurft verrichten mussten. Ganz besonders ekelhaft waren diese Situationen für die Frauen, die sich ja bekanntlich nicht einfach nur den Hosenschlitz aufmachen können, um dann lospinkele zu können. "Die Gefangenen wurden gezwungen, vor den Augen ihrer Wärter im Gefangenenlager unter freiem Himmel ihre Notdurft zu verrichten, gezwungen, stundenlang, im eigenen Dreck' auszuharren und sich dann noch höhnische Rufe anzuhören wie: ,Das stinkt hier!'
Verpflegung durch die Polizei gab es während der ganzen Zeit nicht. Am Abend wurde immerhin unter dümmlichen Polizeisprüchen (" Warum haben die sich denn ihre Verpflegung nicht gleich mitgebracht?") das Hineinbringen von Essen und Getränken zugelassen. Dies auch erst nach langen Verhandlungen, unter aktiver Beteiligung des GAL-Abgeordneten Hermann. Zumindest bis 23 Uhr weigerte sich die Polizei, zu den noch Eingeschlossenen wärmere Kleidungsstücke und Decken durchzulassen. Begründung: Die "Gewalttäter" könnten damit ihr Aussehen verändern!
Wer endlich aus der Einkesselung abgefahren worden war, hatte immer noch mehrere Stunden auf irgendeiner Polizeiwache vor sich. Leute, die vor der Fahrt zu den Wachen fragten, wohin sie gebracht würden, bekamen teilweise Antworten wie: " Von mir aus am liebsten gleich nach Neuengamme oder Dachau. "
Auf den verschiedenen Wachen selbst war die Behandlung unterschiedlich. Langte auf der einen Wache eine einfache Leibesvisitation, mussten sich die Frauen auf anderen Wachen splitternackt ausziehen.
Auf den meisten Wachen konnten die Leute nur unter starken Behinderungen telefonieren, teilweise auch erst sehr, sehr spät und immer nur einer zur Zeit. Wenn besetzt war, kam der nächste dran, ein zweites Mal gab es meist nicht. Auf anderen Wachen-den wenigsten allerdings-durften die Leute umsonst mehrere Gespräche führen. Auf einer Wache gab eine Polizistin den Gefangenen sogar die Ermittlungsausschussnummer bekannt, in vielen Fällen durfte dieser allerdings überhaupt nicht angewählt werden. Die Beamten wählten in vielen Fällen für die Betroffenen. In mindestens einer Wache durfte überhaupt nicht telefoniert werden. Die Aussage eines Mitgefangenen-er machte auch eine Dienstaufsichtsbeschwerde - macht das Prekäre dieser Situation besonders deutlich: Nach anderthalbstündigem Verlangen, telefonieren zu dürfen, verlangte er, den Revierführer zu sprechen, "der angeblich das Telefonierverbot verhängt hatte. Der Mann stellte sich mit dem Namen Wagner vor und blieb dabei, dass ich nicht telefonieren dürfe. Zur Begründung sagte er, man wisse noch nicht, was gegen mich vorliege (das weiss ich selbst auch nicht) und wie lange man mich festhalten wolle. Diese zwei Begründungen stellen eine Verhöhnung jeder Rechtsstaatlichkeit dar. Da auch am Nachmittag keine Telefoniermöglichkeit gegeben war, bin ich auf diese Weise insgesamt 15 Stunden lang spurlos von der Bildfläche verschwunden ohne meiner hochschwangeren Freundin Nachricht geben zu können und ohne mit einem Anwalt Kontakt aufnehmen zu dürfen. "
Nicht viel anders sah es beim sonstigen Verhalten der Polizisten aus. Gab es einzelne korrekte Polizisten, so waren die in der Minderheit und die üblen eher die Regel. In der Landespolizeischule Hamburg- Alsterdorf z.B. wurde eine Frau blutig geschlagen, weil sie sich von einem Polizisten nicht anfassen lassen wollte.
Wozu dieses Vorgehen der Polizei und letztlich der politischen Führung? Alle vorgetragenen Begründungen sind selbst als Lügen ungewöhnlich schwach. Es hätten "Erkenntnisse vorgelegen", dass ein grosser Teil der eingeschlossenen Demonstranten "militante Gewalttäter" oder gar "terroristisches Umfeld" seien, behauptet Innensenator Lange. Falls das jemals wirklich geglaubt worden war, hätte maximal eine Stunde ausgereicht, um sich vom Gegenteil zu überzeugen. Letztlich hat es selbst die Polizei bei keinem einzigen der rund 800 Eingekesselten für machbar gehalten, ihn vor den Haftrichter zu bringen.
Weitere Begründung, ebenfalls von Senator Lange: Man habe "Erkenntnisse" gehabt, dass die geplante Demonstration gewalttätig werden würde und habe die Demonstranten an der Durchführung dieser Absicht hindern müssen. Also Vorbeugehaft von 9 bis 15 Stunden aufgrund von Spekulationen über den möglichen Demonstrationsverlauf. Angesichts der Tatsache, dass bis in die Nacht hinein mehr Demonstranten ausserhalb der Polizeiabsperrungen standen als im Polizeikessel, und dass gerade durch das brutale Vorgehen der Polizei militanter Widerstand vor den Absperrungen hervorgerufen wurde, ist diese Begründung mehr als seltsam. Im übrigen vermag keine der offiziellen Begründungen zu erklären, warum zur Erreichung des angeblich polizeitaktischen Zwecks Hunderte von Menschen eng gedrängt im Freien stehend unter unwürdigen Bedingungen 6, 8, 10 und mehr Stunden festgehalten werden mussten.
Fototermin am Heiligengeistfeld
Dies stellt sich somit als reine Racheaktion dar, von Innensenator Lange und Bürgermeister Dohnanyi gebilligt und politisch gewollt wohlgemerkt. Einige der Polizisten kamen denn auch mit Sprüchen wie "Das ist die Rache für Brokdorf" und "Heute wollen wir Blut sehen", " Wir waren gestern 60 Verletzte, ihr werdet heute mindestens das doppelte ... und darauf freuen wir uns". Und es ist bezeichnend für die Lage an diesem Tag, dass nach einem Knüppeleinsatz durch die Polizei gegen den Kessel mindestens sieben Leute ins Krankenhaus oder in ambulante Behandlung mussten: zwei Männer wegen schweren Verletzungen an den Händen (möglicherweise Brüche), zwei Männer und eine Frau wegen Kopfverletzungen (Platzwunden), eine weitere trug eine Verletzung über dem Auge davon, jeweils durch Knüppelschläge. Eine Frau, die durch die chemische Keule starke Augenverätzungen erlitt, wurde zunächst nicht aus dem Kessel gelassen. Vorausgegangen waren ständiges Zusammenziehen der Polizeikette und gegen 17 Uhr der recht mutige Versuch der Eingeschlossenen, durch Gegenandrängeln wenigstens das bisschen Platz zu erhalten, das sie brauchten, um nicht vollkommen verkrampft stehen zu müssen.
Der Anti-AKW-Bewegung sollte hier ausserhalb der Legalität eine Lektion erteilt werden. Zugleich war dies ein Test, was in diesem Land "geht". Nach der Presseberichterstattung vom Montag danach hatten denn auch viele die Befürchtung, es sei dem Hamburger Senat mit der sonntäglichen Aktion gelungen, den Spaltpilz und die Frustration schon in den Ansätzen einer wiedererstarkenden Anti-AKW-Bewegung zu verankern.
Im Laufe der nächsten Tage zeigte sich jedoch eine- wenn auch oft lauwarme-Kritik in Teilen der Presse und in der Öffentlichkeit mehrten sich ablehnende Stimmen.
Vor allem die Demonstration am 12.6. gegen die Polizeieinsätze des Wochenendes zeigte: Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren!
Ein Teil der Demonstranten war rechtzeitig aus den zur Einkesselung anrückenden Polizeiketten entkommen oder traf erst später in der Feldstrasse ein. Es entwickelten sich kleinere Auseinandersetzungen an den äusseren Polizeiabsperrungen. Ab etwa 14.30 Uhr ging die Polizei zum offensiven Einsatz auf der Feldstrasse über, der später auf das gesamte Karolinenviertel ausgedehnt wurde. Zeitweise wurde dieses regelrecht von der Polizei besetzt und abgeriegelt.
Immer wieder führte die Polizei wilde Knüppeleinsätze in die angrenzenden Strassen bis zum Schulterblatt durch, auch Zuschauer wurden bis in Hauseingänge verfolgt und zusammengeschlagen. Auch hier-wie bei den Eingekesselten-entluden sich Aggressionen und Sadismus der Bullen auffallend häufig gegen Frauen. Auch für Pressewirksamkeit wurde von der Polizei gesorgt: Zwei Scheiben der Haspa am Schulterblatt, in denen etwa fussballgrosse Löcher prangten, schlugen Beamte ganz ein, um sie dann fotografieren zu lassen.
Bis gegen 18 Uhr bestand immer noch Blick- und (per Megaphon) Rufkontakt zu den Eingeschlossenen. Nach einem kleinen Versuch gegen 18 Uhr, die Polizeiketten von innen und aussen zu durchbrechen, trieb die Polizei die Demonstranten ausserhalb des Kessels zurück und rückte auf der Feldstrasse vor. Es folgten weitere Knüppeleinsätze gegen Demonstranten, die aus Solidarität mit den Eingekesselten um die Polizeiabsperrungen ausharrten sowie gegen Zuschauer. Das Karolinenviertel war zeitweise von der Polizei völlig abgesperrt, selbst für Krankenwagen zur Versorgung von Verletzten. Gegen Mitternacht kam es zu härteren Auseinandersetzungen. Anlass war eine Demonstration von etwa 30 Taxifahrern, die mit ihren Autos in der Feldstrasse aufgefahren waren und lautstark die Freilassung der letzten noch Festgehaltenen forderten. Bei einem heftigen Knüppeleinsatz der Polizei wurden bei mehreren Autos (mindestens 3) die Scheiben eingeschlagen, anderen wurden Türen und Motorhauben zerbeult. Erstmals griff zu diesem Zeitpunkt auch das MEK ein und rückte bis auf den Neuen Pferdemarkt vor. Kurz nach Mitternacht wurde ein Demonstrant festgenommen, der angeblich einen Molli auf Polizisten geworfen haben soll. Kurz darauf wurde mit eben diesem Molli eine Hausdurchsuchung begründet. Noch um 1.30 Uhr am Montag früh stürmten 2 Züge der Polizei prügelnd in die Schanzenstrasse und ins Schulterblatt, wo sich etwa 80 Zuschauer/Demonstranten gesammelt hatten. Neben dem Knüppel wurde auch Chemical Mace aus nächster Nähe eingesetzt.
Bei diesen Einsätzen rund um das Heiligengeistfeld wurden mindesten 22 Menschen festgenommen und eine unbekannte Zahl von Leuten verletzt.
Aus dem Bericht der Polizeipressestelle geht hervor, dass insgesamt am Sonntag in Hamburg 1.855 Polizeibeamte im Einsatz waren, davon 600 aus anderen Bundesländern. Beobachtet wurden rund um die Feldstrasse Einheiten aus Unna, Bochum, Bremen, Uelzen, Braunschweig und vom BGS. 1.200 Polizisten waren nach Presseberichten allein im Bereich des Kessels Feldstrasse / Heiligengeistfeld eingesetzt. Zehn Polizisten sollen verletzt worden sein. Der Polizeibericht meldet insgesamt 838 Ingewahrsamnahmen und 22 Festnahmen, allerdings nur 15 eingeleitete Ermittlungsverfahren. Davon 7 lediglich wegen Verstosses gegen das Versammlungsgesetz. Eine magere Ausbeute! (Zu Frank siehe S. 47) Bemerkenswert ist auch, dass der Polizeibericht unter den "zahlreichen gefährlichen Gegenständen und Waffen", die im Kessel auf dem Heiligengeistfeld "sichergestellt" wurden, ganze 11 Helme nennt. Bei rund 800 Eingeschlossenen "militanten Gewalttätern"!
Kommentar überflüssig
Ähnlich verhält es sich mit anderen "gefährlichen Waffen", die von der Polizei vorgeführt wurden. Beispielsweise 12 Tränengassprühflaschen, alle gefunden bei Frauen, die sie als Selbstschutz gegen Männergewalt mit sich führen (was ja unter anderen Umständen sogar von der Kripo empfohlen wird!). Ebenso werden 6 Messer aufgeführt, die wiederum ausschliesslich bei Frauen gefunden wurden.
Einige Journalisten, die sich vermutlich selbst für liberal halten, beklagten in den ersten Tagen, dass das Vorgehen der Polizei am Bunker "unverhältnismässig" gewesen sei, da die Trennung von friedlichen Demonstranten und "kriminellen Gewalttätern" nicht sauber genug gelungen sei. Indirekte Schlussfolgerung: mit den "Gewalttätern" hätte die Polizei ruhig so menschenverachtend umspringen dürfen, nur "Unschuldige" hätte es nicht treffen dürfen. Die Kritik dieser Leute ging aber völlig daneben, wenn sie der Einsatzleitung der Polizei und der politischen Führung Hamburgs einen taktischen Fehler unterstellt. Dass völlig wahllos ein beliebiger Querschnitt von Demonstranten eingekesselt und stundenlang interniert wurde, entsprach politischer Absicht. Dahinter stand offenbar folgende Einschätzung des Senats und der Polizeiführung: Die Tschernobyl- Demonstration in Hamburg vor wenigen Wochen habe gezeigt, dass auch bei grossen Teilen der friedlich agierenden Demonstranten eine erhebliche Akzeptanz gegenüber den "militanten Gewalttätern" vorhanden sei. Daher wird dem seit Jahren als nonplus-ultra einer intelligenten Polizeitaktik gepriesenen Versuch, die "Gemässigten" von den "Radikalen" zu trennen, derzeit keine grosse Chance eingeräumt.
Schlussfolgerung: Durch unterschiedsloses Draufschlagen auf alle Teile des demonstrierenden Spektrums sollte vor allem bei den "Friedlichen" Panik erzeugt werden, um sie entweder von künftigen Demonstrationen fernzuhalten, oder sie wieder auf Distanzierungskurs gegenüber den "Militanten" zu zwingen. In diesem Zusammenhang verdient die Tatsache Erwähnung, dass bereits im Einsatzbefehl der Polizei für diesen Tag um 11.30 Uhr angeordnet war, die Demonstranten auf dem Heiligengeistfeld einzuschliessen. Politisch verantwortlich für den Gesamteinsatz der Polizei am Sonntag war, wie schon erwähnt, Langes direkter Stellvertreter, Staatsrat Rabels. Es haben also an diesem Tag nicht ein paar mittlere Polizeifunktionäre verrückt gespielt, sondern es wurde ein politischer Auftrag ausgeführt, dessen letzte Verantwortlichkeit bei Dohnanyi zu suchen ist. Ob ihre Rechnung allerdings aufgegangen ist, bleibt zu bezweifeln. In einem Rechtsstaat mit funktionsfähiger und selbstbewusster demokratischer Presse wäre jetzt jedenfalls mindestens ein Rücktritt fällig.
"Ich war auf dem Heiligengeistfeld eingeschlossen. Da ich abends um 8 Uhr meine 10jährige Tochter von Freunden abholen musste und nicht abzusehen war wann wir abgeholt wurden, fing ich gegen 15.15 Uhr an, mich um meine ,Befreiung' zu kümmern. Ich schaltete einen Vermittler mit 'nem Button von der GAL ein der mit einem höheren Polizisten verhandelte.
Dieser lehnte es ab, sich dafür einzusetzen, dass ich in eine nähergelegene Wache komme. Mit dem nächsten Transport wurde ich nach Alsterdorf verfrachtet, wo mir, einer anderen Mutter und einer 17jährigen Frau die ihre Mutter anrufen wollte, stundenlang ein Telefonat verweigert wurde.
Um 21.30 Uhr endlich wurden wir zu zweit zu einer Telefonzelle geleitet, wo man der anderen Frau (bei ihren Kindern war besetzt) einen nochmaligen Anruf verweigern wollte. Da bin ich ganz energisch geworden und es klappte. Gegen 23 Uhr bin ich nach Leibesvisitation (splitternackt ausziehen) in die Turnhalle zu den Männern Entlassen' worden, da meine Personalien noch nachgeprüft wurden (hatte Perso nicht dabei). Inzwischen kam der nächste Transport incl. Frauen noch dazu. Wir beschlossen, den Ermittlungsausschuss anzurufen, was uns auch wieder erst nach zähen Verhandlungen gestattet wurde. Ein Typ von uns und ich wollten zusammen gehen, das wurde verboten und so ging nur ich mit zwei Polizisten-einer um 20, einer um 30 -zur Zelle. Der ältere pöbelte ständig, sagte, ich könne sicher nicht mal ,Politik' schreiben, ausserdem würde er gern mit uns machen, was wir mit ihnen machen, ,Mollies schmeissen, Steine schmeissen'. Im übrigen sei er sauer, dass er noch Dienst tun müsse, aber jetzt kriege er erst die richtige Power, wenn wir müde würden, würden sie-die Bullen-munter. Als Frau sähe ich ja schon reichlich verbraucht aus, ich solle doch mal in den Spiegel gucken (ich bin Jahrgang 33 und habe einen Sohn in seinem Alter). Auf dem Rückweg zog mich der jüngere Bulle plötzlich unsanft an der Schulter und sagte: ,Hier gehts lang. ' Ich sagte: Fassen Sie mich nicht an!' und schüttelte ihn ab. Das war das Stichwort für den Älteren: Er schlug im wahrsten Sinne des Wortes seine Pranke auf meine Schulter, ich versuchte, mich loszureissen, er drückte mich gegen einen Maschendraht, ich schrie um Hilfe. Lauter Bullen kamen angerannt, es griff natürlich keiner ein. Im Flur verlangte ich-völlig ausser Atem-Namen und Dienstnummer des Beamten. Seine Antwort: Er zerrte mich wutschnaubend in die Turnhalle, wo alle ca. 30 Demonstranten das Gerangel und seine Brutalität also mitkriegten. Sein Vorgesetzter, den ich sprechen wollte, kam nicht. Mein Mund war blutverschmiert.
... beim Hungern und beim Essen ...
Auch als ich Entlassen' wurde, verweigerte man mir Namen und Dienstnr. des Beamten. Sein Vorgesetzter, den ich schliesslich zu fassen kriegte, gab mir stellvertretend seine Nummer und Namen und sagte, falls ich Anzeige erstatten wolle, solle mein Anwalt sich an ihn wenden und erführe dann dem Namen des Beamten. Als ich diese Zusage schriftlich haben wollte, wurde mir das natürlich verweigert."
"... Insgesamt waren die Bullen total prügelgeil. Ein Mann setzte sich z.B. demonstrativ vor unsere erste Kette, genau vor die Bullen, um seine Gewaltfreiheit zu demonstrieren. Er wurde nur mit den Füssen weggetreten. Ich bin ein paarmal an das Ende gegangen, wo die Bullen Leute rausgriffen. Wie ich das gemerkt habe, hab' ich einen eingehakt, der geholt werden sollte und nicht raus wollte. Wir halpen uns ganz doll festgehalten, aber irgendwann musste ich ihn loslassen, da auch niemand andres mehr mit festhielt und ich sonst mit rausgezogen worden wäre. Was ich beobachten konnte, da war es so, dass die Bullen die Leute völlig willkürlich rausgriffen. Ganz im Gegenteil zu ihrer Drohung wussten sie überhaupt nicht, wen sie holen wollten.
Gegen 19 Uhr konnten wir Frauen das erste Mal auf die Toilette. Ich wäre als siebte drangewesen. Zwei Buletten führten immer eine Frau zur Zeit auf Clo, deshalb dauerte es sehr lange. Mein Problem war, dass ich, von dem Moment an, wo ich wusste, ich könnte auf Clo, es kaum noch aushalten konnte. Als ich an der Reihe war und rauswollte, sagten die Frauen ,Nein' und gingen ohne Erklärung weg. Keine von uns wusste warum, die Schlange hinter mir war mittlerweile sehr lang geworden. Die Bullen lästerten aufgrund unserer Beschwerde nur dumm rum. Da ja einige von uns ziemlich doll verletzt waren, lagen blutige Verbandsbinden auf dem Boden rum. Während wir nun warteten, dass wir endlich auf Clo können, kamen von den Bullen solche Sprüche wie, Oh, guck mal, da liegt eine Binde', dann guckten sie uns hämisch an und lachten. Ich fand das sehr erniedrigend, zumal ich wusste, dass etliche Frauen aufgrund ihrer Regel sehr dringend auf Clo mussten. Nach einiger Zeit hat es eine Frau hinter mir nicht mehr ausgehalten. Sie wollte von den Bullen, dass sie die Frauen holen, und die Bullen meinten nur, die hätten jetzt Feierabend (Grinsen). Die Frau fragte, ob sie die Bullen anpissen sollte, wobei nur der Spruch kam ,Mach doch' (Grinsen). Sie zog ihre Hose runter, die Bullen wichen zurück und lachten sie aus. Sie hat sich wieder angezogen, und durch die Bullenkette in Richtung Clo gedrängt, wurde aber ,draussen' von etlichen Bullen aufgehalten. Nach einigen Debatten führte sie dann ein Bulle zum Clo. Weinend kam sie in unseren ,Kessel' zurück. Ich bin dann zu einem Bullen hin und habe ihn aufgefordert, dass er jetzt ganz im Ernst und ohne irgendwelche dummen Sprüche sich darum kümmern soll, dass wir jetzt endlich auf Clo können. Er wollte sich wieder rausreden. Nach einiger Zeit hat sich dann ein Zugführer eingeschaltet und über Funk zwei neue Frauen angefordert. Ich weiss nicht, wie lange dieses Theater gedauert hat, auf jeden Fall ist etliche Zeit vergangen, bis endlich die zwei neuen Buletten da waren. Ich bin dann aus dem Kessel raus und zwischen zwei Buletten auf Clo gebracht worden, dort wurde ich von oben bis unten abgetastet und konnte endlich auf Clo. Kurz darauf kamen die ersten beiden Buletten aus dem HHA-Gebäude raus, sie hatten Pause gemacht (nach sechsmal Frauen zum Clo bringen!).
Ca. eine halbe Stunde später habe ich mitbekommen, wie die Männer versuchten, auf Clo zu ,dürfen', denn bisher durften nur wir Frauen. Die Bullen ignorierten das Anliegen der Männer total. Ich gab dem Mann den Rat, die Bullenschilder anzupinkeln, so hätten wir Frauen das Recht auf Clogang durchgesetzt. Wie der Mann seinen Reissverschluss öffnen wollte, zog der Bulle vor ihm sofort seinen Knüppel."
An den
Ersten Bürgermeister
der Freien und Hansestadt
Hamburg Rathaus
"Sehr geehrter Herr Bürgermeister!
Mit Abscheu und Empörung habe ich zu Beginn dieser Woche in den Medien Bilder gesehen, die zeigten, wie Menschen von der Polizei zusammengetrieben und bewacht wurden. Den dazugehörigen Berichten war zu entnehmen, dass diese Menschen zwölf Stunden und länger wie Vieh in einem Pferch gehalten wurden, bevor man sie zu einer Revierwache der Polizei abtransportierte. Sie wurden gezwungen zu stehen, erhielten keinerlei Verpflegung, konnten ihre Notdurft nicht verrichten und waren schutzlos Wind und Wetter ausgesetzt.
Als siebzehnjähriger Schüler habe ich 1942 erleben müssen, wie vor meiner Schule, dem WilhelmGymnasium, der heutigen Staatsbibliothek und dem danebenliegenden Logenhaus in der Moorweidenstrasse jüdische Mitbürger von der Polizei zusammengetrieben wurden. Auch sie mussten stundenlang stehen, erhielten keine Verpflegung, konnten ihre Notdurft nicht verrichten und waren schutzlos Wind und Wetter ausgesetzt. Auch dieser Platz war von Polizei (und einigen wenigen SS-Männern) umstellt. Nach stundenlangem Warten wurden diese jüdischen Mitbürger dann in die Vernichtungslager abtransportiert.
Als Rektor einer Haupt- und Realschule schäme ich mich, Beamter eines Senats zu sein, dessen eines Mitglied, dazu noch als Sozialdemokrat, durch sein Verhalten Erinnerungen an Deutschlands schwärzeste Zeit wachwerden lässt.
Hochachtungsvoll ..."
"Gegen 14.15 Uhr waren wir am U-Bahnhof Feldstrasse. Zu diesem Zeitpunkt flogen keine Steine usw., die Lage erschien ruhig. Steine flogen erst, nachdem die Polizisten ohne Vorwarnung auf Gruppen von Demonstranten losliefen und dabei auch Demonstranten wahllos verprügelten. Sie holten auch Unbeteiligte aus Hauseingängen (Feldstrasse) und verprügelten diese. Erst dann, provoziert durch unbegründet harte Polizeieinsätze, flogen Steine.
Gegen 16 Uhr standen wir vor der Toilette der U-Bahn Feldstrasse. Aus dem Kessel kam ein Polizeijeep. Fünf Leute setzten sich vor ihn. Sofort, ohne Vorwarnung, stürmten aus der äusseren Polizeikette etwa 10 bis 15 Polizisten raus. Sie schlugen und traten die fünf Leute, welche vor dem Wagen sassen. Bei diesem Einsatz wurde ich geschlagen und zu Boden geworfen. Von dem Polizisten, welcher mich schlug, versuchte ich die Dienstnummer zu erfragen. Er schlug sein Schild gegen mich, so dass ich bald wieder hinfiel, und er schrie, ich solle verschwinden. Dann versuchte ich die Dienstnummer des Polizisten von dem Einsatzleiter dieser Aktion zu erfahren. Dieser schlug mich auch mit seinem Schild zur Seite. Er sagte zu mir: ,Hau ab, sonst bekommst du auch von mir ein paar in die Schnauze!' Ich war vorher keineswegs aggressiv, ich stand den Polizisten beim Prügeln nur im Weg.
Gegen 22 Uhr war wieder solch ein Prügeleinsatz de' Polizei! Diesmal wurden etwa 40 Demonstranten etwa vor der Tankstelle (Shell) von etwa 50 Polizisten prügelnd über das Heiligengeistfeld gehetzt. Die Demonstranten hatten lediglich 2 Transparente (,Seit 8 Stunden gefangen, lasst die Leute frei'). Ausserdem riefen sie: ,Eins, zwei, drei, lass die Leute frei.'
Die Demonstranten waren vollkommen friedlich. Der Einsatz erfolgte ohne Warnung, ohne Aufforderung, auseinander zu gehen. Diesmal schlugen die Polizisten aus Niedersachsen. Die Hamburger Polizisten, mit denen wir schon eine Zeitlang diskutierten, fanden diesen Einsatz zum grossen Teil auch bedeutend zu brutal.
Resultat der vielen Diskussionen war, dass die Polizisten sich wieder nur auf Befehle zurückziehen. ,Wer nichts abbekommen will, soll nicht auf Demos.' Sie wären ja auch beworfen worden und geben nur die Steine in Form von Prügeln zurück. Sogar ein 3-SternePolizist vertrat die Meinung, wenn man ihn in Brokdorf bewirft, darf er in Hamburg schlagen. ,Auf Demos kommen sowieso nur Chaoten hin, da trifft man mit dem Knüppel immer den Richtigen. '
Erschreckend waren auch die Räumungsaktionen im Karolinenviertel. Polizisten stürmten in Eingänge und schlugen sich durch ganze Strassenzüge.
Am Freitag habe ich per Anwalt Strafanzeige gegen Polizei und Senator Lange gestellt."
"Wieso wurde meine 22jährigeTochter gegen 0.30 Uhr in einem fremden Stadtteil, in dem in letzter Zeit morgens zwei junge Frauen ermordet worden waren, auf die Strasse gesetzt, ohne ihr ein Telefongespräch mit ihren Eltern zu ermöglichen?"
(Aus der Eingabe einer Mutter an die Hamburger Bürgerschaft vom 9.6.1986)
"... Die folgenden Ereignisse irritierten mich derart, dass ich im nachhinein nicht in der Lage bin, die Vorkommnisse exakt zu beschreiben. Nur bruchstückhaft sind mir einige Szenen besonders deutlich in Erinnerung geblieben.
Während ich noch zwischen Polizeisperre zwischen Hochbunker und U-Bahn stand, ging die Polizeikette aus für mich völlig unerfindlichen Gründen gegen auf der Strasse stehende Menschen mit Schlagstöcken vors Die Art der Vorgehensweise der Polizei schien mir, als würden im Zaum gehaltene Hunde auf ihre Opfer losgelassen: Die Polizisten schienen bereits nervös, als sie in der Kette standen; als der Befehl zum Einsatz kam, trommelten sie rhythmisch zum Laufschritt mit den Knüppeln auf ihre Schilder und prügelten dann wahllos auf Menschen, die in der entstehenden Panik nicht so schnell laufen konnten wie die anderen-sie trafen vor allem Frauen und ältere Menschen.
"Um 0.30 Uhr wurde ich von Polizeibeamten zu einem Fahrzeug und damit nach Alsterdorf gebracht. Dort warteten wir mit 6 Frauen und 3 Männern eine dreiviertel Stunde im Wagen. Ein Kommentar eines Polizisten war:, Wie seid ihr bloss als Kinder noch aus den Mülltonnen entwischt.' "
Es wurde, aus für mich verständlicher Angst, eine Barrikade quer über die Feldstrasse zwischen U-Bahnhof und Jet-Tankstelle gebaut, die später von der Polizei geräumt wurde. Als die Polizei die Barrikade stürmen wollte, sah ich etwa 5 bis 10 Personen, die Steine gegen heranstürmende Polizisten warfen-angesichts der vorherigen Polizeieinsätze eine für mich verständliche Reaktion der Verzweiflung und Ohnmacht. Die steinewerfenden Personen begannen jedoch erst, nachdem die Polizei zum wiederholten Mal gegen die auf der Strasse stehenden Menschen vorgegangen war. Es war eindeutig, dass die Polizeibeamten hierzu provoziert hatten. Die Steine selbst flogen bereits, als die heranstürmenden Polizisten noch weit ausserhalb der Wurfreichweite waren, dieser oder jener Stein, der traf, prallte an den Schilden der Polizisten ab - angesichts der Entfernung wäre wahrscheinlich auch ohne Schutzschilde kein Personenschaden angerichtet worden. Die steinewerfenden Personen flohen frühzeitig.
Während der Erstürmung der Barrikade durch die Polizei hielt ich mich im Bereich der Jet-Tankstelle auf, um nicht auch unter die Schlagstöcke zu fallen. Während ich mich dort aufhielt, beobachtete ich einen Angestellten der Jet-Tankstelle, der mit einem Holzknüppel Personen bedrohte. Als ich ihn daraufhin bat, er möge doch die Gewalt nicht noch forcieren, bedrohte er mich ebenfalls mit dem Holzknüppel und meinte, er habe ein Recht dazu. Ich entfernte mich von ihm.
"Während der mehr als 3 Stunden im Polizeitransporter (und 7 Stunden im Kessel) bestand für uns immer noch keine Möglichkeit, eine Toilette zu benutzen. Als der Wagen bereits vor der Revierwache stand, dauerte es ca. 30 Minuten, in denen uns dies mit Sprüchen wie ,Das interessiert mich überhaupt nicht'; ,Ich muss gar nichts!', ,Piss doch auf den Boden und leck es selbst wieder auf' verweigert wurde. "
Kurz danach rannten vier Polizeibeamte an mir vorbei. Offenbar verfolgten sie jemanden. Als sie zurück kamen, sprach ich sie an, indem ich sie bat, sich doch zu beherrschen und die Gewalt nicht zu eskalieren. Daraufhin beschimpften sie mich, bedrängten und bedrohten mich mit ihren Knüppeln, einer von ihnen schlug zu, aber ich konnte rechtzeitig zur Seite springen, so dass mich der Hieb nicht mit voller Wucht traf. Ich lief weg und wurde nicht weiter verfolgt. Als die Barrikaden abgeräumt wurden, beteiligte sich auch der oben genannte Jet-Angestellte am Abbau. Er fuhr mit einem Gabelstapler auf der Strasse herum.
In der Polizeischule Alsterdorf betonte ein Polizist gegenüber Demonstrantinnen, solche Aktionen würden sie noch öfter wiederholen. Darauf eine Frau zu diesem Polizisten: "Ihr könnt dann noch mehr Frauen in den Bauch treten. " Antwort: "Leute wie ihr dürften sowieso keine Kinder bekommen."
Plötzlich sprang er vor meinen Augen aus dem Gabelstapler und nahm einen Mann, der in der Nähe stand, in den ,Schwitzkasten'. Während er ihn zu den nächststehenden Polizisten schleppte, rief er immer wieder: ,Der ist jetzt dran.' Als dieser Mann dann verhaftet wurde, drängte ich mich durch die Beamten, um ihm meine Visitenkarte zuzustecken, falls er bei einer späteren Gerichtsverhandlung einen Zeugen brauchen sollte. Wenig später wurde ich selbst von Polizeibeamten festgehalten, die mich aber freiliessen, nachdem sie meine Personalien notiert hatten.
Kurz nach diesen Ereignissen traf ich einen ehemaligen Arbeitskollegen und ging mit ihm in ein Schnellrestaurant in der Marktstrasse essen. Dort konnte ich die Terrorisierung der Bewohner des Karolinenviertels miterleben. Wieder und wieder rannten Polizeiketten
schlagstockschwingend durch die Marktstrasse. Einige der zum grossen Teil ausländischen Anwohner konnten sich ebenfalls in das Schnellrestaurant retten. Nach einiger Zeit der Ruhe wollten wir so schnell wie möglich das Karolinenviertel verlassen, um nicht auch verprügelt zu werden. Wir wurden jedoch an drei Strassen nicht wieder hinaus gelassen, obwohl wir beteuerten, wir wollten uns aus dem unmittelbaren Bereich der Polizeieinsätze entfernen. Erst am Ausgang in Richtung Messegelände gelang uns ein Entkommen.
Auf der Feldstrasse hatten sich noch weit mehr Menschen eingefunden, als zu der Zeit, in der wir zum Essen gingen. Um uns zu informieren, was aus den Menschen im Polizeikessel geworden ist, gingen wir zu der Polizeikette zwischen Hochbunker und U-Bahn. Die Demonstranten standen noch immer dicht zusammengepfercht in dem Kessel. Zwei Männer, die den eingeschlossenen Menschen Essen und Trinken bringen wollten, wurden nicht durchgelassen. Dem einen von ihnen wurden von einem Polizisten die Brote aus der Hand geschlagen.
Plötzlich prügelte, für mich völlig unverhofft, eine Polizeikette, die sich inzwischen längs des U-Bahnhofs aufgestellt hatte, auf die Menschen, die mit mir vor der Kette standen, ein. Die Beamten waren, im Gegensatz zu den anderen Polizisten, nur mit Kampfanzügen wie Soldaten gekleidet. Ihr Vorgehen war noch brutaler als ich es vorher bei den anderen Einsätzen erlebt hatte. Auf der Flucht suchte ich Schutz zwischen zwei parkenden Autos, wurde aber dort von vorn und hinten bedroht, so dass ich zunächst keine Möglichkeit hatte, mich der Polizeigewalt zu entziehen. Derart in die Enge getrieben, sah ich keine andere Möglichkeit als einen der beiden auf mich einprügelnden Polizisten mit Gewalt zur Seite zu drängen, um zu entkommen. Da die Polizeibeamten blindwütig auf mich einschlugen, trafen sie nur die Autos mit ihren Schlägen. Ich erhielt erst einen Schlag, als ich mich an dem einen der Beamten zur Flucht vorbeidrängte.
Hierauf verliess ich den Ort der Demonstration um 18.30 Uhr."
Hamburgs Polizisten - "engagierte Demokraten" (Innensenator Lange am 20.6.1986)
(...) Die eingekesselten Demonstranten starteten einen Sprechchor mit der Parole: "Strasse frei!". Vereinzelt stimmten Personen auf dem Hügel mit mir ein. Nach den ersten Rufen lösten sich ungefähr 20 Polizisten aus dem äusseren Ring des Kessels und liefen drohend auf den Hügel und auf uns zu. Einige schlugen provozierend mit ihren Schlagstöcken auf ihre Schilde. Ein Polizist sagte mir, ich solle abhauen.
Ich blieb stehen, schrie immer lauter die Parole "Strasse frei!". Unmittelbar vor mir standen drei Polizisten mit hochgehaltenen Schilden. Ein Polizist schubste mich mit seinem Schild zurück. Sein Kollege rief ihm zu: "Hau ihr eins in die Fresse". Ich versuchte mich zu schützen, indem ich meinen Helm in beiden Händen festhielt und als Puffer zwischen meinem Bauch und dem Schild hielt. Dabei ging ich langsam rückwärts und schrie weiter die Parole. Der Polizist vor mir hob seinen Schlagstock und schlug mir fest übers Gesicht, wobei der Schlag meine Brille traf. Der Schlag ging über das rechte Auge, von der rechten Stirn runter zum rechten Wangenknochen. Die Brille, die mit Sportbügeln versehen ist, war stark verbogen, hielt aber den Hauptschlag vom Auge ab.
Mit Aktionen autonomer Gruppen ist am 08.06.86 zu rechnen. Eventuell treffen sie sich in der Mittagszeit auf dem Heiligengeistfeld.
In dieser Phase ist die Abt. PD Mitte unterstellt.
Mit Aktionen am Flughafen ist zu rechnen. Dort wird die
Abt. PD Ost unterstellt.
Die Abteilung
- schliesst die Versammlung auf dem Heiligengeistfeld ein
und
- gewährleistet nach Auflösungsverfügung kontrollierten Einzelabmarsch der Teilnehmer.
Absperrung gemäss Skizze
-Absperrung erfolgt schlagartig auf Stichwort.
-Bereitstellungsräume: FD 91 Helgoländer Allee, FD 92 Budapester-/Paulinenstr., FD 93 Holstenglacis, FD 94 Ost-West-Strasse
Bereitstellungsräume werden nach "flüchtiger" Bereitstellung
verlassen. Kräfte haben sich auf sofortiges Absitzen vorzubereiten.
- Lagebedingt wird entschieden, ob die Hundertschaften mit 1, 2, 3 oder
4 Zügen vorgehen.
FD 9012 klärt auf. Insbesondere ist festzustellen:
-wo genau findet die Versammlung statt
-Zusammensetzung, Anzahl, Ausrüstung
verbleibt in der FD 9
4-m-Kanal 425 (Mitte) 4-m-Kanal 435 (Ost)
FD 91/94 über Mundsburg, An der Alster, Glockengiesser Wall, Ost-West-Strasse, dort im Bereich Domstrasse warten! FD 92/93 Rothenbaumchaussee, dort im Bereich Johnsallee warten.
Sonntag, spät abends, noch eine Stunde bis Mitternacht: die jetzt noch Eingekesselten stehen beinahe 12 Stunden. Sie, wie auch alle umstehenden Beobachter sind nervlich ziemlich am Ende. Die Polizei feiert nach ihren Brokdorferfolgen erneut einen Sieg gegen die Grundrechte und Menschenwürde. Dass auf der Feldstrasse und dem Heiligengeistfeld "etwas los ist" kann Taxifahrer/inne/n nicht verborgen bleiben. Kolleginnen oder Funkerinnen geben über Funk durch, dass die Feldstrasse immer noch gesperrt ist. Die Kampfmontur der Polizei oder auch die Barrikadenreste machen zweifelsfrei klar, dass die Sperrung was mit einer Demonstration zu tun haben muss. Einige Fahrerinnen und Fahrer waren am Samstag in Brokdorf oder eben nur in Kleve, Polizeieinsätze und Polizeisperren sind noch frisch in Erinnerung.
Anstatt wie üblich sich zur Kaffeepause zu verabreden, bittet ein Fahrer, schlicht entsetzt von der Einkesselung, ohne genau den Demo-Anlass zu kennen, interessierte Kollegen, sich in der Feldstrasse zu treffen.
Ohne Vorbereitung und Absprache sammeln sich etwa 20 Fahrzeuge. Viele interessierte Fahrer/innen sind am Stadtrand unterwegs und bekommen nicht rechtzeitig mit, was wir tun. Nach einigen Minuten tauchen die ersten neugierigen Polizeifahrzeuge auf. Davon beunruhigt, fahren die ersten Taxen los Richtung Feldstrasse.
"Ein Zeichen wollten wir setzen. Ein blecherner Konvoi, der symbolisieren wollte: Lasst die Menschen dort frei, wir sind bereit sie abzuholen. " So einer der "Urheber" der Aktion. Auf dem Weg von der Weidenallee zur Feldstrasse schliessen sich weitere Wagen an. Am Pferdemarkt angekommen, schalten die ersten ihre Alarmanlagen ein. Dröhnendes Hupen in Intervallen, Aufblinken von Scheinwerfern und Blinkleuchten dutzendfach. Damit hatte niemand gerechnet. Auch wir nicht. Zwei Fahrzeuge anderer Funkgesellschaften schliessen sich an, auch zwei Privatfahrzeuge. Es dauert einige Minuten, bis die Umstehenden begreifen, was hier abgeht. Dann nur noch Erleichterung, Jubel und einige Freudentränen.
Mindestens 100 m entfernt von den Eingekesselten, erreichen unsere akustischen und optischen Signale die Polizeiopfer. Deren positive Reaktion bekommen wir erst hinterher vermittelt.
Lange reagiert die Polizei gar nicht. Circa 40 Taxen stehen im Block auf dem Neuen Kamp. Die Fahrer/innen stehen neben ihren Fahrzeugen. Wären wir "nackt", also nur als Menschen erschienen, wären wir ebenfalls hilflos im Polizeigriff gewesen.
Nach zwanzig Minuten erschien dann die uns zugedachte Hundertschaft, wir erklären gerade den für diese Hundertschaft verantwortlich aussehenden Polizisten, dass wir jetzt abziehen werden. In den Wagen sitzend, die ersten beiden Wagen wollen gerade in die Sternstrasse abbiegen, erleben wir, wie mit Stiefeltritten, Knüppelprasseln und Schutzschildern die Polizei -ihre kurze Ohnmacht rächend-durch die Wagenreihen läuft. Nur: Auch hierdurch verstummen unsere Alarmanlagen nicht. Die Einschüchterung jedoch wirkt. Mit drei zerstörten Frontscheiben, einer eindrucksvoll zerstörten Heckscheibe und etlichen Beulen versehen, löst sich der Konvoi auf.
Wie schon vor der Aktion fahren einige Taxen auch den Rest der Nacht zu den Polizeiwachen, um dort die Freigelassenen abzuholen und kostenlos nach Hause zu bringen.
Unerwartet und einmütig vereinbaren am nächsten Nachmittag circa 25 der Fahrer/innen, einen Taxenkonvoi zur Demonstration am 12.6. zu organisieren.
Unter hohem Zeitdruck und in Erwartung von Repressionen seitens der Wirtschaftsbehörde und der Standesorganisationen der Taxenunternehmer (Verband und Union) verfassen wir unsere Erklärung und einen Aufruf zum Konvoi.
Unkommentiert im folgenden der Wortlaut des Flugzettels, den Verband und Union ab Mittwoch 11.6. an Fahrgäste verteilen liess:
Lieber Fahrgast!
Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass das Hamburger Taxigewerbe sich schärfstens davon distanziert, dass zu den Zwecken der politischen Demonstration Taxifahrzeuge eingesetzt werden.
Wir wissen, dass dadurch grosser Schaden angerichtet werden kann. Unsere schlechte Situation ist allen bekannt. Bitte glauben Sie uns, dass nur ein Bruchteil der Fahrer der 3.600 Hamburger Taxis seine Fahrzeuge für politische Demonstrationen missbraucht.
Wir brauchen Sie, die Fahrgäste.! Und wir stehen zur Polizei als Partner im Verkehr. "
Ca. 100 Taxen nehmen am Donnerstag am der Demonstration teil. Aus einer Ecke, aus der es niemand erwartet hatte, kommt Solidarität von "Berufstätigen", die ansonsten eher für die Wiedereinführung der Todesstrafe demonstrieren. Taxen fielen bislang auf Demos nur dann auf, wenn sie, in ihrer Unternehmerfreiheit vorübergehend eingeschränkt, auf Demonstranten losfuhren. So wie ein Soldat in Uniform auf einer Abrüstungsdemo auffällt, so wie Müllfuhrleute in ihren Orangen Lastern auf einer Demonstration gegen Betriebsstillegung eindrucksvoller sind, denn als eingereihte Personen, so auch die Taxen in Hamburg. Was kommt danach?
Im sogenannten "Turnschuhfunk" oder unter Taxifahrer/innen auch "die Grünen" genannten Blitzfunk werden Strafen verhängt. Weil der Aufruf zum Taxenkonvoi einen Satz enthielt, der einen Zusammenhang zwischen unserem Handeln und dem Blitzfunk durchscheinen liess, wurden drei Kollegen willkürlich rausgegriffen und mit Vertragsstrafen belegt. Vermutungen, es gäbe in Hamburg eine Funktaxizentrale, die derartige Aktionen unterstützt oder gar organisiert, sind also unzutreffend.
Vielleicht finden sich in Hamburg einige Taxifahrerinnen und Taxifahrer, die in Zukunft Aktionen gegen Ausländerdiskriminierung bei der Funktourenvergabe oder Initiativen für Frauen-Nacht-Taxen zum HVV-Tarif starten. Oder vielleicht- eine Schicht für ein Busprojekt in Nicaragua fahren.
Ulf
Als wir aus Brokdorf zurückkamen, hörten wir, dass über die Demonstrationsbehinderungen und das Stoppen des Hamburger Konvois bei Kleve berichtet werden sollte am Sonntag um 12 Uhr auf dem Heiligengeistfeld. Ich verabredete mich mit einigen Leuten, dass wir uns dort treffen. Ich wollte deutlich machen, dass ich diese Behinderung und Verhinderung der Demonstration als Bruch, als Verletzung des Demonstrationsrechts sehe.
Wir hatten uns vorgenommen, weil wir ein Gemeindefest hatten, für eine halbe bis Stunde dazubleiben und dann wieder nach Hause zu gehen. Ich kam kurz nach 12 auf dem Heiligengeistfeld an, suchte noch Bekannte, hörte plötzlich den entsetzten Schrei "Polizei -lauft weg", und sah eine massive Polizeifront auf uns loslaufen von der Seite Holstenglacis.
Eher stolpernd, laufend habe ich immer wieder versucht zu sagen "Keine Panik". Wir sind dann in Richtung Feldstrasse zwischen den Bunker und die Sportanlagen gegangen. Kaum kamen wir um die Ecke, sahen wir, wie auch dort uns der Weg abgeschnitten wurde von, einer Polizeikette. Wir waren innerhalb von Minuten eingekesselt.
Verwirrt, entsetzt auch und voller Angst stand ich da in meiner Ohnmacht, war ich nicht fähig, den Rufen anderer zu folgen, eine Kette zu bilden und hielt meine Hände hoch-andere taten das auch-um zu zeigen, dass von uns keine Gewalt ausgeht, dass wir nicht gewalttätig sind. Wir wurden immer enger eingeschlossen. Erst nach langer Zeit erfuhr ich über andere, dass uns vorgeworfen wird, dass von uns Straftaten ausgegangen seien. Tatsächlich geschah alles im Stadtteil und in der Feldstrasse, als wir eingeschlossen waren, und ist für mich die Folge unserer Einkesselung.
Wir standen stundenlang dort. Wir hörten, dass es Verhandlungen gegeben hat, die aber von selten der Behörde und der Polizeiführung abgebrochen wurden. Wir waren bereit abzuziehen, sagten auch deutlich, dass wir keine Gewalt ausüben wollten, aber es wurde uns mitgeteilt, dass ... jetzt kommt's mir wieder hoch ... jeder von uns festgehalten wird, um die Personalien aufzunehmen.
Ich stand direkt vor einer Polizeikette, dies stundenlange Warten war für mich entsetzlich. Ich konnte die Beamten nicht mehr angucken. Sie hatten ihre Visiere runtergezogen, ich sah nur so eine grüne Masse vor mir, ohne dass ich irgendeine menschliche Regung oder irgendetwas bemerken konnte, was Ausdruck dafür war, dass da Menschen in diesen Schutzanzügen stecken. Wenn ich mich hinkniete, um eine andere Haltung einnehmen zu können, guckte ich gegen Polizeistiefel.
Ein Mann neben mir versuchte, auf die Toilette zu kommen, die Toiletten waren ungefähr 30 m entfernt. Auf sein drängendes Bitten hin kam nur höhnisches Lachen von selten der Polizeikette. Er setzte sich dann hin und verrichtete seine Notdurft dort und deckte es mit Zeitungspapier zu. Frauen setzten sich hin, weil sie nicht durchgelassen wurden-alles wurde begleitet von höhnischen, widerlichen Bemerkungen von selten der Polizei.
Unser gelegentliches Lachen war mehr Ausdruck unserer psychischen Erschöpfung.
Ich erlebte dies fast wie eine Foltersituation. Das nahe Stadion liess solche Gedanken aufkommen, nicht nur bei mir, wir sprachen auch über Chile, wobei uns klau war, dass so etwas, was 73 in Chile passierte so hier nicht passieren wird, aber die Gedanken waren einfach nicht wegzuwischen.
Als versucht wurde, uns Essen und Trinken zu geben -wir standen ja schon viele Stunden dort-wurde dies behindert. Aber hier und dort war es dann doch möglich, durch die Polizeikette uns etwas zu geben. Gegen 18 Uhr-ich kann das nicht mehr genau sagen- wurde Frauen die Möglichkeit gegeben, unter Begleitung von zwei Beamtinnen auf die öffentliche Toilette zu gehen. Eine Frau kam wieder und erzählte ganz entsetzt, dass sie sich hätte fast ausziehen müssen, dass alle Sachen von ihr kontrolliert wurden und sie dann erst auf Toilette gehen durfte. Andere Frauen haben sich dann geweigert, auf Toilette zu gehen. Sie haben sich dann dort hingesetzt von vielen Pöbeleien der Beamten begleitet.
Ich wurde dann gegen 20.15 Uhr aus dem Kessel geholt und an den Polizeimannschaftswagen gebracht. Neben mir wurde ein junger Mann auf den Boden geworfen, ich sah überhaupt keinen Anlass dafür. Er stand zunächst ruhig da. Auf den Boden geworfen wurde er dann und mit diesem Plastikfesseln gefesselt. Frauen sah ich, die ihre Schuhe ausziehen mussten, ihre Strümpfe, sie wurden von oben bis unten gefilzt, abgetastet, so ging es auch Männern.
Nach längerer Zeit des Wartens wurden wir, das sind drei Frauen und ich, drei von ihnen sind Schülerinnen, die am Montag das mündliche Abitur machen sollten, in die Polizeischule nach Alsterdorf gebracht. Dort mussten wir noch eine lange Zeit warten, weil-wie uns gesagt wurde-die Abfertigung so schleppend ist. Ein Beamter kam zu mir-er hatte erfahren, dass ich Pastor bin-und fragte mich, ob das nicht Verletzung der Menschenwürde ist, wenn es Menschen nicht gestattet ist, zur Toilette zu gehen. Ein anderer sagte zu mir, dass er eigentlich gar nicht verstehen kann, warum wir so ruhig geblieben sind. Er selbst hätte sich sicher in dieser Situation der Ohnmacht anders verhalten.
Im Nachhinein kann ich das auch nicht verstehen, wieso ich nicht einmal verbal meine elementarsten Rechte wie Bewegungsfreiheit, auf Toilette zu gehen, zu essen, versuchte durchzusetzen. Ich kann das nur verstehen aus dieser psychischen Belastung. So etwas ist mir noch nie passiert und ich kann es auch nur begreifen als folterähnliche Methoden, wie wir behandelt wurden. Ich hatte den Eindruck, dass ganz bewusst versucht wurde uns im Kessel so lange zu behalten-manche mussten ja bis zu 13 Stunden dort stehen-um uns psychisch kaputt zu machen.
In der Alsterdorfer Polizeikaserne wurde ich dann in einen Umkleideraum gebracht, ich musste meine Sachen abgeben, meine Taschen entleeren, ich bin nicht wie andere gefilzt worden und musste mich auch nicht bis auf die Unterhose - wie andere - ausziehen. In Alsterdorf in der Turnhalle war ein Viereck durch Bänke abgetrennt. Ich hatte die Nummer 66 bekommen, und dort sassen schon Bekannte, Freunde, die vorher dorthin gebracht wurden auf dem Fussboden. Das Sitzen auf den Bänken, die uns umgaben, war verboten - wir wurden angepöbelt, wenn wir das versuchten. Erst nach langer Zeit wurde uns etwas Knäckebrot gegeben, dann war auch die Einsatzleitung bereit, uns die Turnmatten im kleinen Kessel zu geben, wir bekamen auch etwas zu trinken. Auf unsere Fragen, was mit uns passieren würde, habe ich niemals eine Antwort bekommen, wie ich auch niemals eine Antwort auf meine Fragen an Beamte bekam, als ich im Kessel war.
Gegen 3 Uhr wurden die ersten drei aufgerufen, die dann nach Hause gehen durften. Das lief so ab: Ein Beamter kam mit drei Plastikbeuteln, in denen die Sachen waren, herein, verlas die Namen und dann durften sie unter Begleitung der Polizei hinausgehen. Nach 20 Minuten wurden wieder drei freigelassen. Nach 10 Minuten kam der Beamte wieder mit drei Beuteln, hielt sie hoch in der Hand und liess sie auf den Boden fallen. Dort lagen sie dann. Als wir fragten, ob wir nicht raus könnten, sagte er: "Wenn ihr so häufig auf Toilette geht, habe ich keine Beamten mehr, die euch dann hinausbegleiten. " Das mit dem Hochhalten und Fallenlassen der Beutel geschah häufig.
Ich wurde gegen 4 Uhr aufgerufen und durfte dann raus begleitet von Bemerkungen wie "Euch Gesocks werden wir bald wiederkriegen, aber dann seht ihr anders aus", "Euch werden wir fertigmachen, so werden wir uns nie wieder begegnen, so wie ihr jetzt ausseht".
Als wir dann freigelassen wurden, als keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr fuhren, war das so ein Gefühl von Solidarität und Geborgenheit, als die Taxifahrer, die auf der Feldstrasse bei ihrer Solidaritätsfahrt ja auch zusammengeschlagen worden waren, dass die dann einen Abholdienst organisiert hatten und uns bis vor die Haustür brachten. Das war eine wichtige, gute Erfahrung.
In den Tagen nach der Einkesselung - bis Donnerstag - wenn ich zurückdachte oder wenn ich erzählte, was ich erlebt hatte, bekam ich Weinanfälle. Ich weiss, dass es nicht nur mir so ging. Fast alle, mit denen ich gesprochen habe, haben solche oder ähnliche psychischen Erschöpfungszustände bekommen.
Die Demo am Donnerstag war eigentlich die Umkehr von dem, was in mir vorging. Zum erstenmal konnte ich danach wieder ruhig schlafen, ich war vollkommen fröhlich, zuversichtlich, mir ging es wahnsinnig gut, diese Fröhlichkeit, diese Entschiedenheit zu erleben und vor allem diese Massen, die ich überhaupt nicht erwartet habe. Es war fast so etwas wie eine Aufbruchsstimmung zu etwas Neuem, und ich denke, dass von dieser Demo viel Kraft ausgegangen ist, um diese Erlebnisse, die viele in Brokdorf und den umliegenden Orten gemacht haben, zu überwinden und sich nicht resignierend irgendwo zurückzuziehen, sondern weiterzumachen.
Für mich ist ganz wichtig zu erzählen und überall zu berichten, was mit Menschen geschieht, die sich gegen die Atomtechnologie äussern und auch zu versuchen, dass ein Druck entsteht, dass die Atomanlagen hier und in möglichst vielen Ländern abgeschaltet werden.
Wir wollen versuchen öffentlich zu machen, dass uns eine Debatte aufgezwungen wird, die Debatte über Gewalt, in der wir uns kaputt machen, das ist das Ziel der Politiker und der Industrie. Wichtig ist, dass wir uns davon nicht irritieren lassen. Diese Distanzierungskrankheit darf uns eben nicht ergreifen. Ich kann mich nur von Sachen distanzieren, mit denen ich mich vorher identifiziert habe.
Im kirchlichen Bereich diskutieren wir, was wir tun, wenn das KKW Brokdorf angeschlossen wird. Für uns ist ganz eindeutig: dieses Kernkraftwerk darf niemals ans Netz geschlossen werden und die anderen müssen abgeschaltet werden.
Wir erklären uns solidarisch mit den Demonstranten, die heute zu uns ins Theater gekommen sind, weil auch wir es für problematisch halten, die Freiheit der Kunst zu behaupten, wenn die Freiheit, das Recht auf Demonstration wahrzunehmen, die das Grundgesetz garantiert, zur selben Zeit mit Polizeigewalt vehindert wird. Denn die Unruhe, die uns alle umtreibt, ist nichts anderes als das Bewusstsein, dass nach einem-von keinem Wissenschaftler oder Politiker auszuschliessenden - AKW-Unfall NICHTS mehr sein wird. Kein Theater, kein Streit mehr über Wann und Wie einer Demonstration.
Und auch keine Polizei.
Christoph Bantzer
Ulrich Pleitgen
Dominique Horwitz
Kai Maertens
Peter Maertens
Lena Stolze
Hans Kremer
Stefan Kurt
Circe
Heike Falkenberg
Peter Danzeisen
Hans Schlicht
Angela Schemelec
Wir, 40 Hamburger Anwälte, die mit Mandanten aufgrund der Demonstration in Brokdorf am 7.6.1986 und in Hamburg am 8.6.1986 befasst sind, erheben schwere Vorwürfe gegen die Polizei in Schleswig-Holstein und in Hamburg.
Die Polizei hat die Ausübung des Demonstrationsrechts verhindert, indem sie
Die am darauffolgenden Tag in Hamburg stattfindende Demonstration wurde von der Polizei komplett eingekesselt (838 in Gewahrsam Genommene). Die Gefangenen wurden gezwungen, bis zu 13 Stunden ohne Verpflegung auszukommen, nur in Ausnahmefällen wurde die Benutzung von Toiletten gestattet.
Wir haben uns entschieden, für unsere Mandanten bei den Verwaltungsgerichten Klagen mit dem Ziel einzureichen, feststellen zu lassen, dass das Demonstrationsrecht durch die Polizei fundamental verletzt wurde und dass das Vorgehen der Polizei rechtswidrig war.
Weiterhin werden wir für unsere Mandanten Strafanzeigen gegen die für die Einsätze und Übergriffe Verantwortlichen und gegen die einzelnen Beamten erstatten.
Für unsere Mandanten ist es eine wertvolle Hilfe, wenn möglichst zahlreich Augenzeugenberichte, sowie Bild- und Tondokumentationen zur Verfügung gestellt werden. Wir rufen daher dazu auf. Beweismaterial an den Ermittlungsausschuss der BUU, Hamburg, Weidenstieg 17, Telefon 400 423, zu schicken.
Rechtsanwalt Hartmut Scharmer i.V. der 40 Rechtsanwälte Laufgraben 37, 2000 Hamburg 13, Tel. 44 44 74/75
Rechtsanwalt Eckhard Klitzung Hamburger Strafverteidigervereinigung e.V.
Rechtsanwältin Juliane Huth Republikanischer Anwaltsverein
Hamburg, den II. Juni 1986
Es sind Arbeitsgruppen gebildet worden, die folgende Punkte bearbeiten:
Unser Freund Frank Stülcken wurde am 9. Juni kurz nach Mitternacht verhaftet. Bei der Verhaftung wurde er, obwohl er sich nicht wehrte, so schwer verletzt, dass er in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste. Frank ist inzwischen in die Jugendstrafanstalt Neuengamme gebracht worden und sitzt dort in Untersuchungshaft. Man wirft ihm vor, einen Molotowcocktail in eine Gruppe von Polizeibeamten geworfen zu haben. Obwohl bei dem Wurf des Molotowcocktails kein Beamter verletzt wurde, wurde der Haftbefehl wegen des Vorwurfs der versuchten Tötung ausgestellt. Eine Haftverschonung bis zum Beginn der Hauptverhandlung ist somit aufgrund der Schwere des Schuldvorwurfes ausgeschlossen.
Wir, die Initiatoren der Unterschriftensammlung, sind davon überzeugt, dass Frank die ihm zur Last gelegte Tat nicht begangen hat und wir werden alles tun dies zu beweisen, dies kann langwierig und ggf. erfolglos sein.
Daher ist für uns z.Zt. am wichtigsten, Frank aus der Haft zu bekommen. Aus diesem Grund machen wir unsere Einschätzung von Franks Unschuld nicht zur Grundlage des zu unterschreibenden Textes und begnügen uns damit, die offensichtliche Absurdität des Vorwurfs des versuchten Totschlags in den Vordergrund zu stellen!
Wir, die Unterzeichnenden, sind empört über den Frank Stülcken gegenüber erhobenen Vorwurf des "versuchten Totschlags zum Nachteil eines Polizeibeamten". Selbst wenn man einmal annimmt, Frank hätte wirklich einen Molotowcocktail geworfen, so kann hieraus keinesfalls eine Tötungsabsicht abgeleitet werden. Wir fordern daher die Selbstverständlichkeit einer sachlichen Bewertung der unterstellten Tat und die Aussetzung des Haftbefehls bis zum Abschluss der Hauptverhandlung.
Lasst Frank Stülcken frei!
Erstunterzeichner:
Christian Arndt - Pastor, Gerald Pump-Berthe - Schulleiter, Elke Droscher
- Galeristin, Eifi Gehrt - Verlegerin, Thomas Ebermann - Landesvorstand/DIE
GRÜNEN, Jörg Grasshof - Karosseriebauer/Betriebsrat, Thomas Frahm
- Musiker, Axel Gerntke u. Jörn Riedel - AStA-Vorstand/Uni-HH, Jens
Flegel - DKP Bezirksvorstand Hamburg, Wolfgang Grell'- Pastor, GAL-Fraktion
der Hamburgischen Bürgerschaft, Didaktisches Zentrum Hamburg, Dr.
Rudolf Führer - wissenschaftlicher Angestellter, Christina Kukielka
- Spitzenkandidatin der GAL-Liste zur nächsten Bürgerschaftswahl,
August Moritz - Rentner, Karin Meier - Dozentin, Rainer Trampert - Bundesvorsitzender
der GRÜNEN, Dr. Franzjosef Schuh - Dozent, Dr. Martin Schmidt - wissensch.
Ang,, Claudia Neumann - Elternratsvorsitzende Gym. Altona, Dorothee Sölle
- Theologin u. Publizistin, Prof. Dr. Steffensky