Gebirgsjäger und die Vernichtung der Athener Juden

Die „Endlösung“ der Judenfrage in Griechenland trat mit der Ankunft von Dieter Wisliceny am 20. September 1943 in Athen in ihre letzte Phase. In Thessaloniki hatte er die Vernichtung von rund 56.000 Juden und Jüdinnen organisiert. Wisliceny war Bevollmächtigter Adolf Eichmanns für die Slowakei, Griechenland und Ungarn. Als Angehöriger des „Judenreferats” im SD-Hauptamt und Chef des Sonderkommandos für „Judenangelegenheiten” in Griechenland trug er einen großen Teil der Verantwortung für die Vernichtung der griechischen Juden.1 Innerhalb von 24 Stunden nach seinem Eintreffen in Athen ordnete Wisliceny an, dass ein Judenrat gebildet werde und forderte präzise Informationen über die jüdische Gemeinde Athens. Letzteres scheiterte daran, dass Athener Juden das Personenarchiv der jüdischen Gemeinde bei einem Einbruch in das Gemeindebüro entwenden und zerstören konnten, um zu verhindern, dass die Unterlagen den Nazis in die Hände fielen.2 Am 8. Oktober 1943, Yom Kippur, befahl der HSSPF in Griechenland, SS-Gruppenführer Jürgen Stroop, dass sich alle Athener Juden registrieren lassen mussten. Bis Februar 1944 folgten dem aber lediglich etwa 1.500 Menschen, weil sie sonst keine Arbeitserlaubnis erhalten hätten.3 Nicht registrierte Juden, die den Nazis während dieser Monate in die Hände fielen, wurden in das Durchgangshaftlager Chaidari gebracht, wo sie Schwerstarbeit leisten mussten.4

Die registrierten Athener Juden mussten sich jeden Freitag Morgen in der Synagoge melden, so auch am 24. März 1944. SS-Obersturmführer Anton Burger erklärte an diesem Tag dem Vorsteher der Jüdischen Gemeinde von Athen, die Juden würden wegen ihrer anglophilen Einstellung zum Arbeitseinsatz nach Deutschland gebracht werden. Unter dem Oberkommando der deutschen Polizei – Befehlshaber der Ordnungspolizei war SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Hermann Franz, zuvor Kommandeur des Polizei-Gebirgsjäger-Regiments 18 - holten deutsche5 und griechische Polizisten an Hand der Kartei, in der die Juden registriert waren, Gemeindemitglieder aus ihren Wohnungen und brachten sie zur Synagoge.6 Zu den eingesetzten Polizeieinheiten gehörten die dritte und vierte Kompanie des I. Bataillons des Polizei-Gebirgsjäger-Regiments 18 unter ihren Kompaniechefs Hauptmann Baier (3. Kompanie) und Hauptmann Reischl (4. Kompanie).7 Sie waren seit dem 20. September 1943 in festen Quartieren in Athen und Piräus stationiert.8 Viele Juden glaubten aber auch, in der Synagoge würde eine Ration Mehl zur Herstellung von matsoth, ungesäuertem Brot, ausgegeben. Den auf dem Appellplatz vor der Synagoge Wartenden wurde von den Wächtern befohlen, in die Synagoge zu gehen. Als alle drinnen waren, wurden ihre Tore geschlossen. Niemand wusste, was geschah. Es wurden weitere Juden in die Synagoge gebracht. Gegen 13 Uhr wurden die inzwischen etwa 700 Menschen auf die Straße heraus gelassen. Sie war auf beiden Seiten von mit MGs bewaffneten Soldaten, bei denen es sich höchstwahrscheinlich um Angehörige des Polizei-Gebirgsjäger-Regiments 18 handelte,9 abgesperrt. Die Gebirgsjäger bewachten die Juden in der Synagoge und auf dem Platz davor und sperrten die Straßen ab. Die Jüdinnen und Juden wurden auf LKWs nach Chaidari gefahren. Dort wurden sie nach Geschlechtern getrennt in leer stehende Blöcke eingesperrt. Sie erhielten weder Nahrung noch Betten oder Decken. Am folgenden Tag wurden rund 1.000 weitere Menschen, die u. a. von Angehörigen des Polizei-Gebirgsjäger-Regiments 18 überwiegend in ihren Wohnungen verhaftet worden waren, eingeliefert, so dass am Abend des 25. März 1944 insgesamt etwa 1.700 Athener Jüdinnen und Juden in Chaidari inhaftiert waren. Nach neun Tagen, am 2. April 1944, wurden sie gruppenweise auf LKWs zur zentralen Athener Bahnstation Rouf gefahren und von dort aus in Viehwaggons nach Auschwitz und Dachau deportiert.10 Viele Athener Juden wurden von Chaidari aus in das Sonderkommando in Auschwitz-Birkenau kommandiert, wie Marcel Nadjari11 und Leon Cohen, der Auschwitz überlebte. Angehörige der 3. und 4. Kompanie des I. Bataillons des Polizei-Gebirgsjäger-Regiments 18 sowie der Polizei-Gebirgs-Artillerie-Abteilung begleiteten die Deportationszüge nach Auschwitz und Dachau.12

1 Artikel „Wisliceny“, in: Jäckel, Eberhard, Longerich, Peter, Schoeps, Julius H. (Hg.): Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Bd. 3, 2. Aufl., München 1998, S. 1608.2 Sevillias, Errikos: Athens-Auschwitz, Athens 1983, zit. als: Sevillias, Athens; hier: S. XX.3 Ebd., S. XXII.4 Ebd., S. 6.5 Bislang konnte noch kein Einsatzbefehl o.Ä. für deutsche Polizisten gefunden werden. Die Schlussfolgerung, dass deutsche Polizisten beteiligt waren, beruht auf der Analyse der Dienststelle des BdO und des BdS. Die Aussage Mazower’s ( Mazower, Mark: Inside Hitler’s Greece. The Experience of Occupation 1941-44, New Haven, London 1995, zit. als: Mazower, Greece, hier: S. 256ff.), in Athen habe die SS die Deportation ohne Wehrmacht bewerkstelligt, spricht ebenfalls hierfür. Griechische Quellen sind nicht exakt in Bezug auf die Waffengattungen, lediglich die Waffen-SS wird wegen ihres Totenkopfes immer sicher erkannt.6 Beschluss LG Bremen in der Voruntersuchung gegen Blume u.a. vom 29.1.1971 (StA Bremen 4,89/3-858, S. 6). Deutsche Polizisten werden dort nicht erwähnt, lediglich die SS wird genannt. Das Erkenntnisinteresse der Staatsanwaltschaft richtete sich jedoch ausschließlich auf die Frage, welche Rolle die Beschuldigten aus der Dienststelle des BdS gespielt haben, nicht darauf, welche Einheiten faktisch an den Deportationen beteiligt waren (vgl. Anm. 5)7 Franz, Herrmann: Gebirgsjäger der Polizei. Polizei-Gebirgsjäger-Regiment 18 und Polizei-Gebirgs-Artillerieabteilung 1942-1945, Bad Nauheim 1963, zit. als: Franz, Gebirgsjäger; hier: Anlage 3. Andere Polizeieinheiten „aus dem Reich“ unterstanden dem BdO in Athen nicht (s. Aufstellungen in Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde R19/322 sowie Neufeldt, H.-J.; Huck, J.; Tessin, G.: Zur Geschichte der Ordnungspolizei 1936-1945, Koblenz 1957, Teil II, S. 72).8 Franz, Gebirgsjäger, S. 107.9 Sevillias spricht von mit MGs bewaffneten Soldaten. Polizei-Gebirgsjäger hatten MGs, waren in Athen stationiert und wurden von Nichtmilitärs leicht für Wehrmachtsangehörige gehalten. Außerdem schließt Mazower eine Zusammenarbeit mit Wehrmacht ausschließt (s. Anm. 5).10 Sevillias, Athens, S. 7 ff. S. a. Mazower, Greece, S. 256.11 Mitglied des jüdischen Sonderkommandos in Auschwitz und dort ermordet. Nadjari schrieb seine Erlebnisse nieder. Sie wurden 1980 gefunden (Nadjari, Marcel: Chroniko 1941-1945, Thessaloniki 1991). 12 Staatsanwaltschaftliche Vernehmung Hermann Franz, 14.9.1967 (StA Bremen 4,89/3-852, Bl. 2611). Franz’ Aussage wird durch das Ermittlungsergebnis im Verfahren gegen Blume und Linnemann bestätigt, wonach reichsdeutsche Polizeikräfte die Deportationszüge begleiteten (Ltd. Oberstaatsanwalt beim LG Bremen, 2.9.1964, StA Bremen 4,89/3-844, Bl. 540f.). Die einzigen reichsdeutschen Polizeikräfte in Athen waren die Polizei-Gebirgsjäger, und zwar während des gesamten Jahres 1944 bis zum Abzug aus Athen im September des Jahres, wie aus den Aufstellungen im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde R19/322 hervorgeht.