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Duesseldorf: Sechs Monate Beugehaft im AIZ-Prozess

Sechs Monate Beugehaft gegen Zeugen
im "AIZ-Prozeß" verhängt

Über die ZeugInnenvorladungen im "AIZ-Prozeß" und auch über die Beantwortung
"unverfänglicher Fragen"

Seit November 1997 sind Bernhard Falk und Michael Steinau vor dem
Oberlandesgericht Düsseldorf angeklagt nach §129a Strafgesetzbuch wegen der
angeblichen Mitgliedschaft in der "terroristischen Vereinigung
Antiimperialistische Zelle" (AIZ) sowie der angeblichen Beteiligung an
mehreren Sprengstoffanschlägen. Ein Zeuge des nordrhein-westfälischen
Verfassungsschutzes, Düren, präsentierte dem Gericht seine Geschichte, in
der die ehemalige Aachener Antirepressionsgruppe ein Forum der AIZ gewesen
sein solle. Drei Frauen wird die Mitgliedschaft in der AIZ vorgeworfen,
andere Personen der Antirepressionsgruppe hätten nach Düren sicherlich etwas
gewußt, andere etwas geahnt. Aber auch Menschen aus anderen Städten wirft er
vor, angebliche "Kontaktpersonen" der beiden Angeklagten zu sein. Seine
Anschuldigungen beziehe er aus sogenannten Quellen aus dritter Hand, die aus
"Gründen der Geheimhaltung nachrichtendienstlicher Mittel" und aus
"Quellenschutz" nicht bekanntgegeben werden könnten, ansonsten beruft er
sich bei seiner Konstruktebastelei auf seine "nachrichtendienstliche
Überzeugung".
Anfang März diesen Jahres ließ der Vorsitzende Richter Ottmar Breidling
sieben Leute als ZeugInnen vorladen, u.a. den von Hamburg nach Berlin
umgezogenen Frank Ament. Er legte jedoch eine Krankmeldung vor und wurde
daraufhin für den 23. März erneut vorgeladen. Frank ging nicht hin und das
Gericht verurteilte ihn zu 400,- Mark bzw. 4 Tagen "Erzwingungshaft". Am
Sonntag Abend, den 11.4.1999 wurde er dann in seiner Berliner Wohnung
festgenommen und am nächsten Morgen in Düsseldorf zwangsvorgeführt. Im
Gerichtssaal blieb er dann mit dem Rücken zur Richterbank stehen und
reagierte auf keine der ihm gestellten Fragen. Der Strafsenat fand dies ein
"ungebührliches Verhalten" und verurteilte ihn zunächst zu einer Woche
Ordnungshaft und wünschte gleich seine nächste Vorführung für Dienstag, den
20. April. Der Vorsitzende Richter befürchtete jedoch, daß Frank sich nach
seiner Freilassung aus der Ordnungshaft am Montag absetzen könnte, und weil
Frank "aus politischen Gründen" sämtliche Aussagen verweigere, verhängte der
Senat daraufhin gegen Frank sechs Monate Beugehaft sowie 800.- Mark
Zwangsgeld. In der Begründung nahmen Strafsenats und Bundesanwaltschaft
(BAW) dabei auch Bezug auf einen Artikel in der Interim (Nr. 473 von
8.4.1999), den Frank angeblich geschrieben haben solle. Richter Breidling
gab den beiden Angeklagten zu verstehen, daß er die Beugehaft gegen Frank
aufheben könne, insofern sie sich bereit erklärten, Aussagen zu machen "zu
den Dingen, die der Zeuge weiß". Somit hätten diese es zu verantworten, daß
Frank nun im Knast sitzt. Beide Angeklagten ließen sich darauf nicht ein.
Frank "verweigert aus grundsätzlichen politischen Erwägungen, die nichts mit
dem konkreten Strafverfahren zu tun haben, die Aussage vor dem
Staatsschutz-Senat" (aus der Presseerklärung der Roten Hilfe vom 12.4.99).
Er läßt sich folglich nicht auf die miesen Spielregeln der Justiz ein, die
z.B. vorgaukeln, es bestünde die Möglichkeit, ein von Staatsschutzorganen
konstruiertes Bild "gerade zu rücken". Auch die kleinste Bemerkung wird von
eben diesen Behörden nicht nur registriert, sondern auch entsprechend
interpretiert und als Mosaiksteinchen in ihr Konstrukt eingefügt. Dies
trifft auch auf die Beantwortung sogenannter "harmloser Fragen" zu, denn was
sind schon harmlose und unverfängliche Fragen, wie harm- und konsequenzlos
die Antworten? Das Interpretationsmonopol dessen liegt immer beim Staat;
sich also auf solche justiziellen Spielchen einzulassen, ist naiv und
gefährlich für sich selbst wie für andere - auch wenn's eineR auf den ersten
Blick nicht so wahrhaben will!
Eine weitere Variante der Justiz ist auch die Möglichkeit der Anwendung des
§ 55 StPO (Auskunftsver-weigerungsrecht wegen möglicher Selbstbelastung).
Die Spielregeln bestimmt einzig und allein die Justiz: zu welchen
Fragen/Fragenkomplexen gnädigerweise die/der ZeugIn nichts sagen braucht,
wobei sie/er auch in Erklärungszwang gelangen kann, warum denn gerade die
eine Frage belastend sein könne; der kleine Schritt von ZeugIn zu
BeschuldigteR. Hier mitzuspielen heißt dann auch, die staatlichen
Spielregeln zu akzeptieren. Die Entscheidung, sich auf den § 55 zu berufen,
ist nicht einfach zu treffen. Die/der ZeugIn riskiert bei konsequenter
Aussageverweigerung Beugehaft. Dazu kommt dann die Frage, ob das finanziell
getragen werden kann (40.- Mark pro Tag Beugehaft, Wohnungsmiete, laufende
Kosten, AnwältInnenkosten, etc.), und noch viel wichtiger: wird die/der
ZeugIn in Beugehaft die Kraft haben, diese Zeit psychisch und physisch
"durchzustehen", die nötige Unterstützung "von außen" bekommen und nicht
alleine gelassen? "Voraussetzung für solch eine Auseinandersetzung sind
Gruppenstrukturen, in denen persönliche Grenzen und Schwierigkeiten
bezüglich der Verhältnismäßigkeit zwischen Aussageverweigerung und den
Konsequenzen besprechbar sind. Dabei sind mit Konsequenzen nicht nur die
persönlichen Folgen durch Aussageverweigerung, sondern auch die politischen
bei dem Einlassen auf Fragen gemeint." (aus: "aufruhr. widerstand gegen
repression und § 129a", ID-Archiv 1991). Was ist, wenn solche
Gruppenstrukturen fehlen oder eine entsprechende ehrliche Diskussion nicht
stattfindet? Nicht jedeR ist gleich stark und mutig oder schüttelt sich die
Entscheidung so mal aus dem Ärmel.
Gerade bei diesem sogenannten "AIZ-Prozeß" werden (nicht nur) die ZeugInnen
mit weiteren Schwierigkeiten konfrontiert: Es geht hier um einen Prozeß
gegen zwei Menschen, die seit nunmehr mehr als drei Jahren in
Untersuchungshaft sitzen und deren Äußerungen zu Reaktionen von
Kopfschütteln bis hin "zum Gruseln" Anlaß geben; zwei Menschen, die die
(pauschal mal so zu bezeichnete) linke Scene nicht zu ebensolcher zählt
(dazu nur als Stichworte "fundamentalistischer Islamismus", "die Berufung
auf reaktionäre Gruppen und Systeme", "die Bemerkung Michael Steinaus, daß
der Neonazi Kai Diesner sein bester Freund im Lübecker Knast sei" usw.).
Darüberhinaus kommt der Anklagevorwurf der BAW: Mitgliedschaft in der AIZ.
Auch wenn es größtenteils bei oberflächlichen Diskussionen geblieben ist,
wurde im Laufe der Jahre die Kritik an politischer Theorie und Praxis der
AIZ immer größer. Nur die Staatsschutzorgane verorten diese Gruppierung in
linken Strukturen.
Dieser Absurdität noch eins draufgesetzt, finden sich die linken Menschen,
die jahrelang beschnüffelt und ausspioniert, mit wahnwitzigen
Anschuldigungen und Bedrohungen überhäuft wurden und werden, in der
Situation wieder, fast völlig auf sich selbst zurückgeworfen zu sein. Manche
Leute der linken Scene befürchten wohl, daß sie sich bei einer solidarischen
Haltung gegenüber diesen "Betroffenen", die vom Staatsschutz die AIZ ans
Bein geflickt kriegen, mit sowas wie einer ansteckenden Krankheit infizieren
könnten. Also lieber Augen, Ohren, Mund zu und auch nicht mehr dran denken?!
Andere scheinen vielleicht gar nicht um eine Auseinandersetzung verlegen,
nur müsse da - unausgesprochen - erstmal eine Distanzierung (von der AIZ,
von den Angeklagten, von ...?) her, vielleicht soll's sogar öffentlich sein,
namentlich? Die linke Geschichte, das politische Denken und Handeln der nun
"Betroffenen" verkommt zum Nebenschauplatz, eine mögliche Solidarität würde
dann nur noch von der "richtigen" Distanzierung abhängig gemacht. Fatale
Auswirkungen kann so eine Einstellung haben, würde sie (in-)direkt im
Gerichtssaal "eingefordert". Die Konsequenz eines "Negativraster" (wer
distanziert sich, wer nicht) ist nur ein Punkt. "(E)gal ob jemand der
angeklagten Politik nah oder fern steht: der Gerichtssaal ist nicht der Ort,
wo Linke über richtige Politik diskutieren können und sollen!" (aus der
Presseerklärung der Roten Hilfe vom 12.4.99).
Mittlerweile sind fast anderthalb Monate vergangen, nachdem am 2./3. März 99
sieben Leute als ZeugInnen vorgeladen wurden. Vor den Prozeßterminen
versuchten Gericht und/oder Bundeskriminalamt, telefonisch mit zwei im
Ausland lebenden Frauen Kontakt aufzunehmen. Die in Belgien wohnende Frau
erschien nicht zu ihrer Vernehmung, eine in den Niederlanden lebenden Frau
kam ebenfalls nicht (vor Gericht wurde bekanntgegeben, daß die
ZeugInnenvorladung an sie nicht abgeholt worden ist). Laut Schengener
Abkommen können die beiden Frauen nicht mit Zwangsmaßnahmen wie Androhung
von Geldbußen, Beugehaft belegt werden, solange sie sich nicht in
Deutschland blicken lassen...
Da Frank auch nicht kam, standen schließlich vier ZeugInnen vor Gericht.
Alle vier beriefen sich bei ihrer Vernehmung auf den § 55. Die vom Rechter
gestellten Fragen gingen u.a. über einen möglichen persönlichen Kontakt zu
Bernhard und/oder Michael, Bernhards und Michaels mögliche Kontakte in
andere Städte, ob Bernhard gelegentlich in die Niederlande gereist sei und
ob er dort Papiere bei einer oder beiden Frauen hinterlassen hätte, die dort
wohnen, Fragen, ob Bernhard, Michael und der/des ZeugIn selbst Mitglied in
der AIZ gewesen seien, über die mutmaßliche Teilnahme der/des ZeugIn an der
Aachener Antirepressionsgruppe, über Reaktionen in der Aachener Scene auf
die Festnahme der beiden Angeklagten.
In der "jungle World" vom 17.3.99 ist in dem Artikel "Anna und Arthur
schweigen" zu lesen: "Unverfängliche Fragen wurden beantwortet, alles was
konkret die Szene betraf, mit Aussageverweigerung quittiert. Nicht ganz so,
wie es 'Anna und Arthur' gehalten hätten, urteilt eine Prozeßbeobachterin,
aber 'für die AIZ geht wirklich niemand wegen Aussageverweigerung in den
Knast'."
Wie schon beschrieben, ist eine Einschätzung, was denn da der
Staatsschutz-Senat für verfänglich oder unverfänglich halten könnte, sehr
gewagt! In einer Erklärung der "ProzeßbeobachterInnen und ZeugInnen im
'AIZ-Prozeß'" (Angehörigen-Info 218, 19.3.99) heißt es: "Insgesamt ist von
den ZeugInnen der Großteil der Aussagen verweigert worden (eine Zeugin
verweigerte jegliche Aussage). Die gemachten Aussagen lauteten in der Regel:
'Weiß ich nicht' oder 'Nein' - letztere z.B. auf die Frage: 'Waren Sie
Mitglied der AIZ?' ". Also wenn das keine verfängliche Frage (und Antwort!)
ist! Ebenso unverständlich ist es, wenn eine von dem Richter präsentierte
Aussage einer "Kronzeugin" vor Gericht nicht nur bestätigt, sondern auch
noch erläutert wird. Das sind nur zwei Beispiele! Inwiefern es
"unverfänglich" ist, auf einige Fragen keine Aussagen zu machen, dann aber
etliche Fragen mit "ich weiß nicht" zu antworten, wird Interpretationssache
des Gerichtes und der BAW sein. Vielleicht war das mit den "unverfänglichen
Fragen", die beantwortet wurden, auch nur eine Interpretation des "jungle
World"-Autors gewesen, wer weiß? Dasselbe gilt dann auch für das völlig
unsägliche Statement "für die AIZ geht wirklich niemand wegen
Aussageverweigerung in den Knast". Und nun sitzt Frank in Beugehaft. "Für
die AIZ?" - So' n Quatsch!
Im "interim"-Artikel vom 8.4.99 heißt es (zurecht!) vorwurfsvoll: "vorher
politisch sich zu aussagever-weigerung erklären + dann verkommt ein
prozeßbunker zur gemeinsamen schwatzbude". Denn noch in dem
Mobilisierungsflugi zu den ZeugInnenvorladungen am 2. und 3. März "weigern
sich (die ZeugInnen aus dem sogenannten Umfeld) sich in das AIZ-Konstrukt
einzufügen, Ermittlungsverfahren gegen sich oder FreundInnen und GenossInnen
durch Aussagen auf die Sprünge zu helfen, sich dem Interesse von VS und
Gericht zu unterwerfen". Aussagen wurden gemacht! Es stellen sich ein ganzer
Haufen Fragen, wie es soweit kommen konnte, wie damit nun umgehen, was und
wie weiter?
Frank muß raus! Sofort!
Liebe und kämpferische Grüße von Tom & Jerry!

Frank' s Adresse ist: Frank Ament, z.Zt. JVA Düsseldorf, Ulmenstraße 95,
40476 Düsseldorf

Das Spendenkonto der Roten Hilfe (Kohle für laufende Kosten, anwaltliche
Unterstützung usw.):
Rote Hilfe (Beugehaft), Nr. 775280107, bei Postbank Berlin, BLZ 10010010.


 

29.04.1999
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