nadir start
 
initiativ periodika archiv adressbuch kampagnen aktuell

Bonn: Prozess gegen Antifaschisten geht weiter

Der Prozess gegen Antifaschisten geht weiter,
Kommt am 30. August nach Bonn!

Gerichtstermin: Montag, 30.08.99, 9.00 Uhr, Amtsgericht Bonn,
Wilhelmstr.23, Raum 36

Am Mittwoch, 25.08.99 fand vor dem Bonner Amtsgericht der erste Termin
im Verfahren gegen Martin aus Wuppertal statt, der beschuldigt wird, am
24.10.98 bei einer antifaschistischen Gegendemonstration gegen den
NPD-Aufmarsch in Bonn einen Polizeibeamten schwer verletzt zu haben
(siehe auch Erklaerung des Angeklagten, die er bei seiner Einlassung vor
Gericht vortrug). Von Beginn an wurde deutlich, daß Richter Broeder es
auf eine schnelle Verurteilung angelegt hatte. Obwohl der
Hauptbelastungszeuge, ein Bereitschaftspolizist aus Bochum, nur sehr
vage Kriterien zur Identifikation des Angeklagten als angeblichen Taeter
angeben konnte (Kapuzenshirt, Sonnenbrille, „hervorstechende Nase") und
darueber hinaus wesentliches Material zur Entlasstung des Angeklagten
bereits in der Akte offensichtlich nicht mit berücksichtigt wurde,
reichte die Aussage des Zeugen bereits aus, um ins Detail gehende
Fragen der Anwaeltin des Angeklagten bezueglich der Guete der
angegebenen „Taetermerkmale" zur zweifelsfreien Identifikation
abzuwürgen und auf ein schnelles Ende des Verfahrens zu draengen. Ein
Antrag auf Sichtung bisher unberuecksichtigt gebliebenen
Polizeivideomaterials zur Entlasstung des Angeklagten wurde abgelehnt.
Daraufhin wurde von der Verteidigung die Anhoerung mehrerer ZeugInnen
beantragt, darunter eine Polizeibeamtin der Wuppertaler
Einsatzhundertschaft, die bezeugen koennen, dass der Angeklagte
mitnichten der Taeter gewesen sein kann. Der Prozess wird nun am
kommenden Montag fortgesetzt.

Im folgenden dokumentieren wir die Erklaerung des Angeklagten, die er
bei seiner Einlassung vor Gericht vortrug:

Erklaerung des Angeklagten vor Gericht

Am 24.10.98 bin ich gemeinsam mit anderen AntifaschistInnen nach Bonn
gefahren, um mich dem von NPD-Faschisten geplanten Naziaufmarsch in den
Weg zu stellen. In Bonn gastierte zu diesem Zeitpunkt die Ausstellung
„Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" des Hamburger Instituts für
Sozialforschung. Sie belegt, dass entgegen anderslautener
Geschichtsmythen, die Wehrmacht maßgeblich an der systematischen
Ermordung von Juden, WiderstandskaempferInnen sowie an Verbrechen gegen
Teile der jeweiligen Bevoelkerungen wie beispielsweise in Serbien und
Weißrußland beteiligt war. Dies mußte für viele heute noch lebender
Generationen, die als einfache Soldaten in diese Verbrechen verstrickt
waren sowie solche, die sich auf ihre Identitaet als Deutsche etwas
einbilden, als Provokation gelten. Bis in buergerliche Kreise hinein
fuehlte man sich gekraenkt, zu sehr standen Institutionen wie
Gerichtsbarkeit oder die Bundeswehr personell und ideologisch in der
Kontinuitaet des deutschen Faschismus. Daneben mobilisierten die Nazis
der NPD, die in den letzen Jahren zu einem Sammelbecken militanter
Neonazis wurde, zu fast jedem Ausstellungsort, um mit an die Tradition
faschistischer Aufmaersche der 20er und 30er Jahre anknuepfenden
Aufmaerschen, gegen die - wie sie meinen - Verunglimpfung ihrer
Großvaeter respektive der damaligen Wehrmachtsoldaten zu protestieren.
Massenaufmaersche an den Orten, in denen die Ausstellung gezeigt wurde,
sollten die Vormachtstellung der NPD in der deutschen Neonaziszene
festigen. Idee ist nicht zuletzt, faschistische Inhalte und die sehr
handgreifliche Bedrohung faschistischen Strassenterrors an allen Orten
der Republik oeffentlich zu etablieren. In Bonn erschienen dann auch
etwa 800 militante Nazis aus dem gesamten Bundesgebiet auf dem von NPD
und JN organisierten Naziaufmarsch, darunter zahlreiche der sogenannten
„freien Kameradschaften", die vor allem in Nord- und Ostdeutschland die
militanten Naziszene organisieren und für Überfälle und Mordanschlaege
auf Nichtdeutsche, Punks und Linke verantwortlich sind. In Saarbruecken
gab es bereits einen Sprengstoffanschlag auf die Ausstellung, viele der
NPD-Kader sind nachweislich an faschistischen Uebergriffen und
Anschlaegen beteiligt. Als wir hoerten, dass der Aufmarsch gerichtlich
erlaubt wuerde und zu erwarten war, dass die Polizei diesen in seinem
Ablauf wird durchsetzen wollen, waren wir sehr empoert und fuhren nach
Bonn, um uns der antifaschistischen Gegendemonstration anzuschließen.
Nachdem die geplante Route der Nazis bekannt wurde folgte ich der
Gegendemonstration zum Augustusring an der Roemerstrasse, um mich mit
mehreren GefaehrtInnen an der Blockade des Naziaufmarsches zu
beteiligen. Noch bevor die Nazis sich naeherten, zogen an der
noerdlichen Kreuzungseinmuendung, wo auch wir standen, massiv Einheiten
der Wuppertaler Bereitschaftspolizei auf, denen wir etwa eine Stunde
lang gegenueberstanden. Obwohl der Naziaufmarsch noch vor dem
Augustusring zum Rhein umgeleitet wurde, versuchte die Polizei, die
Kreuzung zu raeumen. Ich stand zu diesem Zeitpunkt etwa in der dritten
Reihe, vor und neben mir standen Leute, die ich kenne. Als die Polizei
anfing, uns zu bedraengen, wurde ich von hinten nach vorne gedrueckt und
konnte mich nicht bewegen. Nach einiger Zeit fing die Polizei an, trotz
ruhigen Verhaltens unsererseits, mit Knueppeln und Tonfas in die Menge
zu schlagen. Wir wichen zum Teil zurueck und ploetzlich sah ich, wie
eine Freundin nach links fluechtete, bei ihr waren zwei Frauen von der
ich eine kenne. Die Fluechtende hatte versucht, nachdem ihr ein Polizist
gezielt aber ohne jeden aeußeren Anlaß Traenengas ins Gesicht gesprueht
hatte, seitlich dem Getuemmel zu entkommen und wurde dabei hinterruecks
mit einem Polizeiknueppel am Ruecken schwer verletzt. Sie brach kurz vor
der westlichen Polizeikette zusammen, wo ihr minutenlang von
gewissenhaft ihren Dienst vollziehenden Polizeibeamten verweigert wurde,
den Kessel mit der schweren Rueckenverletzung zu verlassen. Außerdem
bekam sie durch die durch das Traenengas verursachte Schwellung kein
Luft mehr und drohte zu ersticken. Erst nach massiver
Ueberzeugungsarbeit wurde sie zum Sanitaetsdienst durchgelassen, sie
verbrachte eine halbe Woche im Krankenhaus. Ich wurde nicht mit
durchgelassen und blieb mit den anderen im Kessel, bis ich rauskam. Ein
weiterer Antifaschist, der mit mir nach Bonn gefahren war, wurde durch
die Polizei ebenfalls schwer verletzt, er musste eine halbe Woche lang
eine schwere Gehirnerschütterung in einem Bonner Krankenhaus behandeln
lassen.
Der Vorwurf gegen mich ist ganz offensichtlich ein Konstrukt, basierend
auf der - psychologisch durchaus verstaendlichen - Projektion eines
Polizeibeamten, der angesichts seines verletzten Kollegen im Gefuehl der
Ohnmacht, da er die Urheberschaft des angeblichen Flaschenwurfs nicht
hat identifizieren koennen, diese auf irgendeinen Antifaschisten
projeziert, um an ihm seinen Wunsch nach Vergeltung zu vollziehen. Dabei
muß nicht einmal bewusste Absicht hinter dieser Selbstmanipulation
stecken. Nicht ganz unwichtig jedoch ist, daß AntifaschistInnen - wie
sich empirisch unschwer nachvollziehen läßt - pinzipiell den
Institutionen staatlicher Repression als Gefahr für Recht und Ordnung
gelten und damit - im Gegensatz zu faschistischen Umtrieben - als
substantielle Bedrohung halluziniert werden. Während die Naziaufmaersche
der NPD gegen die Wehrmachtsaustellung wie in Muenchen, Muenster, Bonn,
Saarbruecken und Kiel durch Gerichte genehmigt und von Polizei notfalls
versucht mit brutaler Gewalt durchgeknueppelt zu werden, sind
antifaschistische Demonstrationen ueberhaupt mit systematischer
Repression und Polizeiübergriffen konfrontiert. So auch in Rostock, wo
1992 die Polizei zuschaute, wie ein faschistischer Mob aus organisierten
Nazis und rassistischen Bürgern sich gegen Nichtdeutsche im Progrom
uebte. Dort wurde im vergangen Jahr eine antifaschistische
Gegendemonstration von Bereitschaftspolizei und Sondereinheiten durch
die Stadt gehetzt und zerschlagen, während 3000 durch die NPD
mobilisierte Nazis durch die Polizei geschuetzt aufmarschieren konnten.
In Bonn wurden am 24.10.98 die antifaschistischen BlockiererInnen nach
dem Raeumungsversuch, der selbst aus polizeitaktischen Gruenden voellig
ueberfluessig war, bis zum Abend eingekesselt und festgehalten. Deswegen
gibt es übrigens eine im Moment anhaengige Klage bei der
Staatsanwaltschaft Koeln, in der gegen die Einsatzleitung der Polizei
wegen Freiheitsberaubung geklagt wird.
Wie auch immer derartige Klagen ausgehen, so belegt die aktuelle Praxis
- - man ist versucht zu sagen: eindrucksvoll - die Kontinuität staatlicher
Verfolgung von AntifaschistInnen in Deutschland, die bis in die Weimarer
Zeit zurueckreicht: schon damals wurden antifaschistisch und
kommunistisch intendierte Rechtsverstoesse systematisch intensiver und
haerter geahndet als solche von Faschisten. Es ist dies die Fortsetzung
paranoider Reaktion seitens der Repressionsorgane und weiten Teilen der
Gesellschaft auf den Versuch, durch Selbstorganisierung faschistischer
Unterdrückung entgegenzutreten und im Verein freier Menschen
Alternativen zum herrschenden kapitalistischen System durch
reflektierte, ihrer selbst bewußte Individuen zu entwickeln.


Unterstützt den Angeklagten mit Prozeßkohle:
Spendenkonto Freie Medien e.V., Konto-Nr.:470834-437, Postbank Essen,
BLZ 36010043 Stichwort: Prozeß Bonn

Kontakt: Infoladen Wuppertal, Brunnenstr. 41, 42105 Wuppertal, Tel/Fax:
0202/311790

 

26.08.1999
  [Aktuelles zum Thema: Repression]  Zurück zur Übersicht

Zurück zur Übersicht