Wien: operation spring
GEMMI
Gesellschaft fuer menschenrechte von Marginalisierten und
ImmigrantInnen
C/o Stiftgasse 8
A-1070 wien
Fon 523 64 75
Fax 523 40 09
Presseerklaerung20
Ergeht an Presse, PolitikerInnen, soziale Einrichtungen, u.ae.
Betreff: Operation Spring
a.. Prozesse gegen AfrikanerInnen
b.. Besuchsverbote fuer Menschenrechtsgruppe
Operation Spring
Am Morgen des 27. Mai wurden an die hundert Menschen afrikanischer
Herkunft in einer grossangelegten Razzia durch ein Wega-Einsatzkommando
inhaftiert.
Medien und Polizei haben diesen Einsatz als groessten Erfolg gegen
eine internationale nigerianische Drogenmafia hochstilisiert.
Diese Aktion war nur der spektakulaerste Einsatz, bereits von 1997 an
bis jetzt werden laufend Menschen dunkler Hautfarbe belaestigt,
perlustriert und verhaftet. Im September fand wieder eine groessere
Aktion im 10. Bezirk statt, bei der an die 40 Menschen verhaftet wurden
- - unter dem Verdacht auf organisierte Drogenkriminalitaet.20
Laut Akten sind viele der inhaftierten Personen, die bei Demonstrationen
gegen rassistische Staatsgewalt aktiv waren und dort gefilmt wurden.
Eine ganze Bevoelkerungsgruppe wird pauschal verdaechtig und
kriminalisiert.
Zur Zeit finden Schlag auf Schlag Prozesse gegen die Inhaftierten der
Operation Spring statt. Diese Prozesse werden ohne grosses
oeffentliches Aufsehen mehr oder weniger im Stillen abgehandelt.20
Der Menschenrechtsgruppe GEMMI, die sich seit Monaten dieser Problematik
annimmt, die die Inhaftierten besucht, versorgt, die Prozesse
beobachtet, mit PolitikerInnen und JournalistInnen Kontakte unterhaelt,
werden seit Mitte November die Besuchsgenehmigungen verweigert. Mit der
Begruendung dass sie den passiven Widerstand der Gefangenen
koordinieren wuerde und damit ein Sicherheitsrisiko darstellt.20
Wir fordern Sie auf, die Oeffentlichkeit darueber zu informieren,
dass
a.. Die Operation Spring und andere Einsaetze gegen Menschen dunkler
Hautfarbe strategische Schachzuege rassistischer Politik sind.
b.. Die Operation Spring ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einem
Polizeistaat ist, der buergerliche Grundrechte missachtet.
c.. Die Verhandlungen gegen die Inhaftierten der Operation Spring ein
Justizskandal sind.
d.. Trotz gegenteiliger Behauptungen von verantwortlichen Politikern
in Oesterreich staatlicher Polizeiterror und rassistische Hetzte
weitergehen und Menschenrechte mit Fuessen getreten werden.
e.. Fuer Polizei und Justiz prinzipiell alle verdaechtig sind,
solange sie nicht ihre Unschuld beweisen.
f.. Die Arbeit von Menschenrechtsgruppen, die auf grundlegenden
buergerlichen Rechte beruht, behindert und damit humanitaere und
politische Arbeit kriminalisiert und zensuriert wird.
Die Prozesse
Seit Ende September werden Verhandlungen gegen die im Zuge der Operation
Spring Inhaftierten und andere gefuehrt und zwar gegen Einzelne oder
kleine Gruppen von zwei bis drei. Bei den bisherigen Prozessen wurden
uebermaessig hohe Strafen verhaengt, wie zum Beispiel einmal 7 und
einmal 10 Jahre. Im Falle des Verurteilten mit 10 Jahren wurde auf Grund
von Vermutungen geurteilt. Kein einziger stichhaltiger Beweis wurde
vorgelegt. Die Strafe soll das Konstrukt der Anklage rechtfertigen. Das
Konstrukt ist das einer grossen kriminellen Organisation mit einem
Strafrahmen bis zu 15 Jahren, wobei nach diesem Konstrukt jede beliebige
Gruppe als kriminelle Organisation angesehen werden kann, wenn es gerade
politisch opportun ist.20
Die GEMMI beobachtet:
a.. Die Inhaftierten sitzen seit nunmehr 6 Monaten in Haft teilweise
ohne jegliche Kontakte, ohne Geld, mit der Kleidung, die sie anhatten
bei ihrer Inhaftierung, Anklageschriften gibt es noch gar nicht oder
erst nach Monaten.
b.. Ueber tausend Stunden an Telefonueberwachungsprotokollen liegen
vor. Das Beweisaufnahmeverfahren wird vermutlich im November erst
abgeschlossen, das Originalmaterial liegt zur Zeit angeblich bei der
Polizei und nicht bei der Untersuchungsrichterin, die den Anwaelten
eben dieses Material vorenthaelt.20
c.. Es bestehen Zweifel an der Qualitaet der Uebersetzungen. Die
Telefonprotokolle wurden vermutlich von einem nicht beeideten
Hobbydolmetscher uebersetzt, der selbst gleichzeitig auch als Kronzeuge
in Erscheinung tritt, das noch dazu vermummt, um seine Identitaet zu
verbergen. Er kann auf keinen Fall als unvoreingenommener Dolmetscher
angesehen werden und belastet als Zeuge die Inhaftierten.20
d.. Bei den Prozessen werden Zeugenaussagen und Telefonprotokolle
lediglich verlesen und waehrend der Verhandlungen nicht persoenlich
vorgeladen oder abgespielt.
e.. Gaengige Praxis ist, dass Anwaelte versuchen ihre Mandaten dazu
zu ueberreden, sich schuldig zu bekennen, auch wenn diese selbst sich
nicht fuer schuldig im Sinne der Anklage halten, die desperate Lage der
Inhaftierten wird ausgenuetzt, sie werden unter Druck gesetzt unter der
Vorspiegelung, dass durch ein Schuldbekenntnis ihre Strafe milder
ausfallen wuerde. Durch diese Schuldbekenntnis verzichten die Anwaelte
auf stichhaltige Beweisfuehrung, es gibt mehr und schneller Urteile als
den Fakten gerecht wird. Durch die Urteile wird die Anklage
gerechtfertigt.
a.. Anwaelte verzichten auf ihr Recht auf Haftpruefungen, ruegen
keine Verfahrensmaengel, stellen kaum Beweisantraege, die
Verhandlungen werden nicht vollstaendig uebersetzt. Verwehren sich
auch nicht gegen Angriffe gegen sie selbst.
b.. Richter und Staatsanwaelte schieben zynische Bemerkungen, die
Dolmetscher lassen die Angeklagten nicht aussprechen, die Urteile stehen
in Absprache von Richtern und Anwaelten von vornherein fest.
c.. Beweislastumkehr ist die allgemeine Praxis, das heisst, dass
nicht dem Angeklagten seine Schuld bewiesen werden muss, sondern der
Angeklagte seine Unschuld. Aufgrund von Indizien, oder meistens Annahmen
oder Vermutungen werden Schuldsprueche gefaellt.20
d.. Die Inhaftierten werden unter Druck gesetzt, Aussagen zu
unterschreiben, die weder vollstaendig uebersetzt werden, noch den
Angaben der Mandanten entsprechen.
e.. Die Urteile werden gefaellt nach dem Strafrahmen fuer
organisierte Kriminalitaet (15 Jahre Strafrahmen), wobei keine
kriminelle Organisation nachgewiesen werden kann, beziehungsweise wobei
dieser Vorwurf in Ermangelung anderer stringenterer Beweise beliebig
herangezogen werden kann und die Richtlinien, wann und wer und was eine
kriminelle Organisation ist auf jede kleine Gruppe angewandt werden
kann, wenn dies politisch opportun ist.
f.. Jugendliche werden mit nicht anerkannten Methoden wie
Handwurzelknochentest, an Hand von Achselhoehlenhaaren zu Erwachsenen
erklaert und dementsprechend abgeurteilt
Es stellt sich im Laufe der Beweisverfahren und Verhandlungen heraus,
dass20
a.. Der in den Medien als Drogenboss eingeschaetzte auf Antrag der
Staatsanwaltschaft aus Mangel an Beweisen aus der Untersuchungshaft
entlassene Charles O. niemals etwas mit Drogenhandel zu tun hatte.
b.. Die gleichen Menschen inhaftiert wurden, die bei den
antirassistischen Demonstrationen in Aktion traten.
c.. Insgesamt bei an die hundert Inhaftierten nicht mehr als drei Kilo
Suchtmittel gefunden wurden, wahrend bei einzelnen anderen
Polizeiaktionen, die keine AfrikanerInnen betrafen, 10 Kilo
sichergestellt wurden; einmal sogar Tonnen.20
d.. Sparbuecher mit ein paar Tausend Schillingen sichergestellt
wurden, aber keinerlei andere Transaktionen nachgewiesen werden konnten.
Das ist das grosse Drogengeld?
Rechtfertigt ein beliebiges Polizeikonstrukt eine Aktion wie den
Lauschangriff - wochenlange Ueberwachung von Telefonanschluessen,
Videoueberwachung (wobei bereits vor der offiziellen Genehmigung des
Lauschangriffs am 21. Mai kraeftig beobachtet, gelauscht und gefilmt
wurde)? Dass die Polizei der Justiz das Vorgehen vorgibt und
vorschreibt? Kann nicht jede beliebige Gruppe zu jeder beliebigen
(politisch opportunen) Zeit mit einem beliebigen Konstrukt ueberwacht
werden? Wie laesst sich das mit grundlegenden buergerlichen Rechten
vereinbaren?
Geschichte20
Im Fruehjahr 1999 formierte sich Widerstand gegen polizeiliche
Uebergriffe auf Menschen dunkler Hautfarbe. Nach dem Tod von Ahmed F.,
dem Angriff auf Doktor C. und vielen aehnlichen Faellen, bei denen
Menschen dunkler Hautfarbe allein aus dem Grund, dunkle Hautfarbe zu
haben, beschimpft, attackiert, perlustriert und verhaftet wurden fanden
Demonstrationen statt, die von den Black Communities mitorganisiert
wurden und sich explizit gegen rassistischen Polizeiterror richteten.
Bei diesen Demonstrationen filmte die Polizei die VeranstalterInnen, wie
zum Beispiel bei der Demonstration am 19.Maerz, zu der tausende
Menschen kamen.
Am 1. Mai wurde Marcus Omofuma bei seiner Deportation getoetet. Die
zustaendigen Politiker - Schloegl & Co - uebernahmen nicht die
Verantwortung, so etwas koenne bei Abschiebungen eben passieren. Die
Abschiebepraktiken FB Mundzukleben, Fesseln, Helme FB waren den
Verantwortlichen lange bekannt und wurden akzeptiert. Buergerlichen
Medien applaudierten. Die buergerliche Oeffentlichkeit akzeptiert die
ersten Toten der rassistischen Staatsgewalt.20
Der Widerstand und der Protest der Communities und fortschrittlicher
Kraefte nimmt zu. Kritik an Polizeipraktiken und Politik waechst.
Am 27. Mai wird die Operation Spring durchgefuehrt und als groesster
Erfolg gegen ein internationale Drogenmafia bejubelt. Perfekt: die
antirassistische Bewegung wird in der buergerlichen Oeffentlichkeit
mit Drogenhandel in Verbindung gebracht und pauschal kriminalisiert.
Die Polizei observierte die Inhaftierten schon lange. Warum schlaegt
sie ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt zu?
Warum wurden hauptsaechlich Menschen dunkler Hautfarbe inhaftiert?
Warum wurden hauptsaechlich FB wie aus den Akten ersichtlich ist FB
die selben Menschen inhaftiert, die auch schon bei den Demonstrationen
gefilmt wurden?
Ergebnis: in der buergerlichen Oeffentlichkeit sind nunmehr alle
SchwarzafrikanerInnen als Drogendealer abgestempelt, Perlustrierungen
und Verhaftungen von Menschen dunkler Hautfarbe gehen weiter, Protest
und Widerstand der Communities kaltgestellt und kriminalisiert.
Im September 99 wurden im 10. Bezirk weitere Videoueberwachungen und
darauf folgende Verhaftungen durchgefuehrt. 4 Tage vor den
oesterreichischen Nationalratswahlen wurde noch ein grosser Einsatz
gegen zwei Heime durchgefuehrt. Bei dieser Aktion waehrend des
rassistischsten Wahlkampfs der zweiten Republik wurden 36 zum Grossteil
minderjaehrige AfrikanerInnen verhaftet. Damit wurden nicht nur wieder
einmal AfrikanerInnen kriminalisiert, sondern es genuegt auch, in der
Zohmanngasse (eines der ueberfallenen Heime) gemeldet zu sein, um in
Verdacht zu geraten einer kriminellen Organisation anzugehoeren und
damit Freiwild fuer oesterreichische Polizei und Justiz zu sein. Die
Leiterin des Heimes, das in der Gemeinde Wien als Aufnahmestelle fuer
Jugendliche diente, die durch die restriktive Asylpolitik sonst keine
anderen Moeglichkeiten des Unterschlupfes mehr hatten, und diese
Jugendlichen ungeachtet ihres Staus immer noch wie Menschen behandelte,
wurde wie eine Kriminelle behandelt.20
Die GEMMI erhaelt keine Besuchsgenehmigungen mehr.20
Wird Zivilcourage und politische Vielfalt bestraft in Oesterreich? Soll
man von humanitaeren Massnahmen nur sprechen oder sie praktizieren?
Ist passiver Widerstand allein schon ein Delikt?20
Ist die "Unterstuetzung" von Asylanten, Illegalen, Marginalisierten nur
mehr Aufgabe der Exekutive, des Strafvollzuges und der Legislative? Gibt
es nicht mehr die Moeglichkeit eines "legalen" Umgangs mit
MigrantInnen? Wie eng wird Legalitaet im Rahmen einer angeblich
demokratischen Gesellschaft definiert?
Exkurs Polizeistaat
Lauschangriff - der erste genehmigte Lauschangriff in Oesterreich -
wurde auf Grund eines Konstrukts einer nigerianischen Drogenmafia gegen
Teilnehmer an oeffentlich genehmigten Demonstrationen durchgefuehrt.
Werden beim naechsten Lauschangriff wieder Polizei, Politik und Medien
zusammen arbeiten, um die Genehmigung im Rahmen einer Hetzkampagne zu
rechtfertigen und auszuschlachten und gegen wen wird er sich richten?
DNA-Analyse bei den meisten Inhaftierten der Operation Spring wurde
sofort nach der Inhaftierung ein Mundhoehlenabstrich durchgefuehrt zu
einem Zeitpunkt, wo dieser in Oesterreich noch nicht offiziell
genehmigt war.
Es steht noch immer eine kritische Diskussion ueber
Handwurzelknochentests, Sicherheitspolizeigesetz,
Landessicherheitsgesetz, Reformen des StGB, ... und ihrer Vereinbarkeit
mit grundlegenden buergerlichen Freiheiten aus.
Exkurs Drogen
Die Drogenszene in Wien ist der Polizei gut bekannt. Ist ein Schlag
gegen Strassenhaendler ein effektiver Schlag gegen internationale
Drogengeschaefte?
Sind Drogen (z.B. Alkohol) nicht eine akzeptierte gesellschaftliche
Realitaet, um Unzufriedene ruhig zu stellen?
Wer sind die wirklichen Verdiener im internationalen Drogengeschaeft?
Eine effektive Politik gegen Drogen darf keine Politik gegen Menschen
auf der Strasse sein, sondern muss sich mit dem Anbau, Vermarktung und
der Frage, warum haben manche Trikont-Laender gar keine andere Chance
in der Wirtschaftspolitik der reichen Industrielaender als Produktion
von Suchtmitteln haben, auseinandersetzen.
Exkurs Asylpolitik
Bei Polizeieinsaetzen werden angeblich pro Mann Praemien bis zu
dreihunderttausend Schillingen pro Einsatz vergeben, wie zum Beispiel
beim Ueberfall auf das Gesellenheim in der Zohmanngasse, bei dem 36
jugendliche AfrikanerInnen inhaftiert wurden, aber fuer die
AsylwerberInnen oder abgelehnte und damit Illegalisierte ist im 8
reichsten Land der Welt kein Geld vorhanden. Es wird Mensen aus
Trikont-Laendern, deren Armut auf globaler profitorientierter von den
reichsten Laendern kontrollierter Wirtschaft basiert, vorgeworfen,
dass sie hierher kaemen, nur um Geld zu verdienen. AsylwerberInnen
haben kein Recht auf Arbeit. Ihre Existenz ist unerwuenscht. Ins Eck
gedraengt und diskriminiert, geht man davon aus, dass sie auf nicht
ganz legale Art ihren Unterhalt bestreiten.20
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