Frankfurt: Vernichtung des Projektgelaendes Michael Barrax nimmt ihren Lauf
Am Morgen des 29.02.00 um 630 Uhr nimmt eine Hundertschaft aus etwa 120
Bullen der Bereitschafts- und Einsatzpolizei den Hof der Michael Barrax in
Frankfurt am Main ein. In ihrer Begleitung befinden sich die
Verantwortlichen aus KEG, NH und BSMF, als auch die vollstreckende
Gerichtsvollzieherin Kirchner. Nach den letzten gescheiterten
Zwangsräumungen vom 10.12.99, 17.01. und 31.01.00 kündigen sich die
destruktiven Kräfte diesmal nicht vorher an.
Nachdem ein Räumfahrzeug der Barrikade ihre Funktion nimmt und die
anwesenden Bauarbeiter der Firma Seipl sowie die Möbelpacker des
Transportunternehmens Kümmel freien Zutritt haben, beginnen diese damit, mit
ihren Lastfahrzeugen das Gelände zu befahren. Parallel dazu werden die
beiden Zufahrtsstraßen Josef- Fenzl und Windhorststr. abgesperrt,während ein
Bagger beginnt, unsere Ostmauer einzureißen. Um den ummauerten
Eingangsbereich tummeln sich an die 70 Schergen, die Ausweiskontrollen
durchführen und niemandem Zutritt gewähren, der nicht bei uns gemeldet ist.
Mindestens 30 Einsatzwagen, einige Hafttransporter (prophylaktisch für die
potentiell Kriminellen) und ein Sanitätsfahrzeug parken rund um´s Gelände,
ein Wasserwerfer steht direkt vor dem Tor und zielt auf die BewohnerInnen.
Als erstes beginnen die Bauarbeiter damit, den zentralen Hof, der von unter
Naturschutz stehenden, alten Platanen bestanden ist, einzuzäunen und den
Spielplatz der Kinder ohne ersichtlichen Grund zu zerstören. Die erste
Festnahme erfolgt, als ein Bewohner über den Zaun steigt, um zu seinem Bus
zu gelangen, in dem er lebt. Weil er nicht sofort auf den ausgesprochenen
Platzverweis reagiert, wird er mehrere Stunden in Verwahrung genommen, ohne
ein Anwaltstelefonat durchführen zu dürfen. Er muss eine ED
(erkennungsdienstliche) Behandlung sich ergehen lassen, obwohl es sich nur
um eine Ordnungswidrigkeit handelt. Zu den beiden akut betroffenen Häusern
gibt es kein Durchkommen mehr, uns wird untersagt, nach der hochschwangeren
Bewohnerin zu sehen, keiner darf den abgesperrten Raum betreten,
Platzverbote werden ausgesprochen.
Bauarbeiter montieren unsere Briefkästen ab und tragen sie weg, während die
BewohnerInnen der Häuser 826 und 827 aufgefordert werden, zügig ihre
Habseligkeiten in die bereitstehenden LKW´s zu räumen. Den von uns
angerufenen SympathisantInnen und UnterstützerInnen wird unterdessen von den
draußen abgestellten Beamten der Zutritt zum Hof verwehrt, viele gehen
wieder heim, ohne uns helfen zu können.
Wir bemerken um etwa 830 Uhr, dass die Strom- und Wasserversorgung des
gesamten Geländes unterbrochen ist, dieser Zustand hält bis in die frühen
Nachmittagsstunden an, in einigen Häusern auch länger.
VertreterInnen der Presse, drei Fernsehteams und ca. 30 SympathisantInnen,
die sich durch diverse Tricks auf den Hof begeben konnten, finden sich auf
dem wieder eröffneten militärischen Stützpunkt Michael Barrax ein. Unser
Anwalt, der gegen 1000 Uhr eintrifft, versucht, die Gerichtsvollzieherin
davon zu überzeugen, dass der angedrohte Abriss des Hauses 827 wegen der
noch aushängigen Verhandlung um die Gemeinschaftsräume des WAL (Verein
Wohnen Arbeiten Leben e.V., über den sich die BewohnerInnen selbst
verwalten) womöglich rechtswidrig ist. Bis etwa 1400 Uhr werden wir in dem
Glauben gelassen, Frau Kirchner sehe dies ein, die angestrengten
Verhandlungen um die 827 erstrecken sich über mehrere Stunden.
Als der Rechtsanwalt der Gegenseite, Herr Arnoul, um 1400 Uhr auf der
bereits im regen Betrieb florierenden Baustelle eintrifft, zeigt er ein
Urteil des Landgerichts vom 19.02.00 vor, welches bis heute, 10 Tage später,
weder uns noch unserem Anwalt zugestellt worden ist. Daraufhin versucht die
Vollstreckerin Kirchner vergeblich, den Wisch einem „Organwalter“ des WAL zu
überreichen und wählt dann den Weg in die Offensive, als sie den Titel in
Vereinsräumlichkeiten niederlegen will. Dabei praktizieren sie und die
beteiligten Bullen Sachbeschädigung, bei der vor dem Eingang deponierter
Hausrat zu Bruch geht. Auch vor Hausfriedensbruch schrecken die gut
gelaunten Einsatzkräfte nicht zurück, denn gegen das gestürmte Haus 829
besteht kein Vollstreckungstitel, es wird legal bewohnt und gemietet. Die
BewohnerInnen nutzen ihr Hausrecht und versuchen, den Zutritt zu verweigern,
indem sie sich vor den Eingang stellen, wobei sie maximal zu viert sind,
weil die Exekutive mit mindestens 20 !
!
Mann sofort interveniert. Bei dem entstehenden Angriff auf die BewohnerInnen
wird eine Frau zu Boden geworfen, geschlagen und am Kopf getreten. Ein Mann,
der ihr zu Hilfe kommen will, wird verhaftet, weil der Prügelknabe
simuliert, er habe ihn mit seinem Funkgerät auf den Kopf geschlagen. Der
Helfer wird über acht Stunden festgehalten, auch er wird Opfer einer ED
Maßnahme, darüber hinaus wird ihm sogar Blut abgenommen!
Weitere Schikanen erfolgen durch einen Menschen, der sich als Mitarbeiter
des Amtes für Staatsschutz vorstellt und Fotos macht, Leute anquatscht und
ausfragt. Einem Bewohner des Hauses 834 wird eine Summe in Höhe von DM 500,-
sowie sofortiger Ersatzwohnraum angeboten, wenn dieser seine Wohnung räumt.
Die 834 ist das nächste Haus auf der schwarzen Liste der NH respektive des
Projektleiters Kaleve, der offensichtlich keine Mittel scheut.
Während all dies passiert, decken Arbeiter mit weißen Schutzanzügen und
Mundschutz das angeblich asbestverseuchte Dach des Hauses 826 ab. Weder die
Sicherheitsvorkehrungen noch der Umgang mit den vorgeblich asbesthaltigen
Schindeln entspricht den gesetzlichen Richtlinien. Die BewohnerInnen des
Hauses haben –wenn das Argument Asbestverseuchung faktisch richtig ist-
jahrelang in kontaminierten Räumlichkeiten gelebt, was keinen der
Entscheidungsträger je interessiert hätte. Jetzt, wo ein schneller Abriss
wegen „Gesundheitsgefährdung“ gerechtfertigt werden soll, sind diejenigen
sehr besorgt um uns, die jahrelang Miete für die verseuchten Räume kassiert
haben und denen es nichts ausmacht, eine Hochschwangere und eine Mutter mit
Kleinkind aus ihren Wohnungen zu vertreiben und durch den Abriss zweier
Häuser fast zehn Menschen obdachlos zu machen.
Nachdem die Dachschindeln dilettantisch entfernt worden sind, erscheint eine
Sondereinheit aus etwa 20 Bullen im Kampfanzug, die sich demonstrativ in einer
Kette um den Bauzaun postieren. Trotzdem wir der Räumungsfetischistin Kirchner
einen schriftlichen Einspruch unseres RA gegen das Urteil des LG vorlegen,
ignoriert diese die Tatsache und schafft Fakten, indem sie den Abriss beider
Häuser genehmigt. Um ca. 1700 Uhr beginnen die Bauarbeiter, die Häuser zu
zerstören, die Bagger fressen sich durch die über 70 Jahre alten Gemäuer, die
nach einem Gutachten von 1993 als „denkmalschutzwürdig“ erachtet wurden.
U N S E R E B I L A N Z:
Das brutale Vorgehen der Entscheidungsträger aus KEG und NH und deren
Vollstrecker am 29.02.00 hat uns und der Stadt Frankfurt folgende Konsequenzen
gebracht:
- - durch den Abriss zweier Häuser haben acht Erwachsene und zwei Kinder
(eines noch ungeboren )ihre Wohnungen verloren und sind vorerst
obdachlos,
- - den Verlust der Gemeinschaft, zu der die BewohnerInnen der beiden Häuser
- - zusammengewachsen sind, die Zerstörung eines selbstbestimmten
- - Lebensraumes, in dem in den letzten Jahren Lernprozesse stattfinden
konnten, die in der anonymisierten Mainstream-Gesellschaft unmöglich
wären und in die auch die BewohnerInnen der Nachbarschaft involviert
sind,
- - die Zerschlagung einer Gemeinschaft, die sich momentan aus Menschen
zusammensetzt, die durch ihre existentielle Bedrohung extremen
psychischen Belastungen ausgesetzt sind,
- - eine katastrophale Wohn-, Lebens- und Arbeitssituation, die von der
permanenten Präsenz der Bauarbeiter und ihrer Gerätschaften auf unserem
Hof, der jetzt zur Dauerbaustelle mutiert
- - ist, geprägt ist, eine erhebliche Beschränkung der freien Entfaltung und
- - der Entwicklung der Kinder und Erwachsenen, die u. a. durch den
Geräuschpegel der Baustelle, die von den frühen Morgen- bis in die späten
Nachtstunden in Betrieb ist, die Einzäunung unseres Hofes und die
mutwillige Zerstörung des Kinderspielplatzes ausgelöst wird,
- - die Vernichtung unserer Perspektiven, in deren Umsetzung wir viel Zeit
und Geld investiert haben und die wir nun teilweise aufgeben müssen, die
Gefährdung der unter Naturschutz
- - stehenden, sehr alten Platanen, über deren Wurzeln jetzt die Bagger
- - rollen, zwei Anzeigen und zwei Festnahmen,
- - Sachbeschädigung am Eigentum der BewohnerInnen,
- - die Reduktion kultureller, integrativer und sozialer Initiativen und
Angebote für die Stadt Frankfurt,
- - und viele persönliche Konsequenzen mehr.
...trotz alledem...
- -wir machen weiter!!!
Wir sehen nicht ein, dass unsere Häuser zerstört und unser soziales und
kulturelles Leben reduziert und vernichtet wird, während die NH offen
zugibt, dass mit den Neubauten erst im Sommer 2000 begonnen wird. Nach
Aussagen des Projektleiters Kaleve wurden die Häuser bereits jetzt
abgerissen, „um zu verhindern, dass es wieder zu einer Besetzung kommt“ (und
somit der zivile Ungehorsam ein Ende hat!). Um uns klar zu positionieren und
unsere Empörung und unseren Protest zu bekunden, planen wir für die nächsten
Tage und Wochen einige Aktionen in Frankfurt.
Am Mi., den 01.03.00 haben wir einen spontanen Demonstrationszug durch die
Innenstadt Frankfurts initiiert, unser Ziel war das Stadtparlament, vor dem
sich die etwa 20 DemonstrantInnen versammelt haben. Dabei wurden Flugblätter
verteilt, Musik gehört und Unterschriftenlisten herumgereicht.
Am Do., den 02.03.00 ab 2100 Uhr: Filmvorführung in der Galerie auf Zeit,
die auch vom Abriss bedroht ist.
Am Fr., 03.03.00 veranstalten wir einen Session- und Partyabend.
Am Sa., 04.03.00 um 1400 Uhr findet das dritte Projektverbindungstreffen
statt, diesmal bei ProWoKultA, Am Ulmenrück 7, Frankfurter Berg. Eingeladen
sind alle, die sich nicht weiterhin nur auf ihr Projekt und ihre Gruppe
beschränken wollen und den Austausch mit VertreterInnen anderer Projekte
suchen. Abends knüpfen wir mit einer After Hour in den Barrax an die Party
in Wetzlar an.
Am So., 05.03.00 ab 1400 Uhr weihen wir unsere Internationale
- -Begegnungsstätte für kulturellen Austausch und Völkerverständigung
- -offiziell ein und veranstalten einen Tag der offenen Tür. Involvierte (und
- -bedrohte) Projekte: Internet-Cafe, welches im Haus 827 eingerichtet wurde
- -und das nun in Trümmern liegt. Wir versuchen, Ausweichmöglichkeiten zu
- -finden. -Musikkindergarten für Groß & Klein
Am Fr., 17.03.00 ab 2000 Uhr gibt´s bei uns ein Soli Konzert zur
Unterstützung des Häuserkampfes mit 6 Punkbands: UNTERGANGSKOMMANDO, PMS,
NAFI, JUDÄISCHE VOLKSFRONT, BUBONIX UND BLUTSÄGE DES TODES. Pogo gegen den
Abriss in der Monsterbar, Michael Barrax, Josef-Fenzl oder Elsenborner Str.
2, 65929 Frankfurt-Höchst, Tel: 069/34058484.
Am Sa., 25.03.00 ab 2000 Uhr großes Festival in den Michael Barrax
Es wurden schon genug selbstbestimmte Lebensräume, AZ´s und alternative
(Kultur)Projekte zerstört und zerschlagen, wir wollen nicht weiterhin
ohnmächtig und tatenlos zusehen, wie nun auch die MBX einem
Spekulationsobjekt zum Opfer fallen! Wir streben ein Bündnis zwischen den,
von dieser Entwicklung betroffenen, Projekten an und bitten alle Menschen,
die ebenfalls denken, dass hier Kultur zum Wohle wirtschaftlicher Interessen
vernichtet wird (bedenke des Infoladens/der Südanlage 20 in Gießen, der Köpi
in Berlin, des AZ Heidelberg, des Wagenplatzes K18 in Kassel u. v. a. m.) um
Unterstützung in Form von Solidaritätskundgebungen, Aktionen oder indem ihr
uns besucht, unsere Infoblätter weiterleitet und verteilt, unsere
Unterschriftenlisten unterschreibt, über die Situation sprecht etc. pp.
ZUSAMMEN KÄMPFEN GEGEN DIE REDUKTION AUTONOMER SOZIALER UND KULTURELLER
ORGANISATIONSFORMEN und FÜR DEN ERHALT SELBSTBESTIMMTER LEBENSRÄUME !!
eMail: MBarrax@aol.com, MBX@freenet.de oder
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