Berlin: Prozess um den Tod Farid Guendouls dauert mehr als ein Jahr an
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* anlaufstelle für opfer rechtsextremer gewalt *
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Berlin/Guben/Potsdam/Cottbus, den 09. Juni 2000
Presseinformation
Gemeinsame Erklärung von
Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, Antifa Guben,
Opferperspektive und Anlaufstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt
*Prozess um den Tod Farid Guendouls dauert mehr als ein Jahr an*
*Kritik am Vorgehen der Staatsanwaltschaft*
Über ein Jahr dauert nun das Gerichtsverfahren um den Tod Farid
Guendouls an. Der algerische Asylsuchende starb am 13. Februar
1999 in Guben, weil er von einer Gruppe rechter Jugendlicher
bedroht und verfolgt wurde. Der Prozess gegen 11 Angeklagte
begann am 3. Juni 1999 am Landgericht Cottbus.
Falls jemals jemand geglaubt haben sollte, dieser Prozess könnte
eine "erzieherische Wirkung" auf die Täter haben, sollte er oder
sie inzwischen etliche Male eines Besseren belehrt worden sein.
Nicht nur, daß sich die Angeklagten und einige Verteidiger
zuweilen herzlich amüsieren, z.T. geben Angeklagte ihre Gesinnung
ganz offen zu erkennen. Da trägt die Bomberjacke schon mal einen
"Nationaler Widerstand"-Aufnäher. Drei der Angeklagten waren in
Guben an den rechtsextremen Ausschreitungen zu Silvester
beteiligt, zwei wurden im März bei der Schändung des Gedenksteins
für Farid Guendoul gestellt.
Farid Guendoul ist tot, die beiden Überlebenden der Hetzjagd sind
durch die traumatischen Erlebnisse in ihrem Leben sehr
eingeschränkt. Im Leben der Täter hat sich bis auf ein paar
lästige Gerichtstermine nicht viel geändert. Ihr soziales Umfeld
gibt ihnen Unterstützung und im Einzelfall dürfte die
Verteidigung durch Wolfram Nahrath, einen exponierten Vertreter
der rechtsextremen NPD, für den Täter sogar eine Aufwertung, eine
positive Bestätigung seiner Tat bedeuten. Es war für die 11
Angeklagten normal, einen Menschen zu jagen. Und diese Normalität
wurde nicht gebrochen.
Wir stellen uns nicht in die Reihe derer, die angesichts der Art
und Weise dieses Gerichtsverfahrens einen kurzen Prozess, eine
Verschärfung des Strafrechts fordern. Beschuldigte haben in einem
Strafprozess Rechte und die sollen sie ausüben - auch wenn das
Auftreten der Angeklagten und eines Teils ihrer Verteidiger nicht
hinzunehmen ist. Durch diesen Prozess wird nur einmal mehr
deutlich, daß sich die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus
und Rassismus nicht an die Justiz delegieren läßt. Der Tod Farid
Guendouls kann nur schwerlich im Gerichtssaal aufgearbeitet
werden.
Es gibt nicht wenige, die sich von einem Urteil erhoffen, einen
Schlußstrich ziehen, wieder zur Tagesordnung übergehen zu können.
Doch damit würden die Probleme verdrängt. Farid Guendoul war auf
der Flucht. In Deutschland wurde er per Gesetz dazu bestimmt,
unter erniedrigenden Umständen zu leben. Er wurde - wie viele
andere - ausgegrenzt, bedroht, verfolgt. Das ist Normalität und
es wird von einer Mehrheit als normal empfunden, so können sich
die Täter als Vollstrecker dieses Denkens fühlen. Die 11
Angeklagten kommen keineswegs aus dem Nichts. Jemand hat ihren
Äußerungen nicht widersprochen, jemand hat sie ihre rechte Musik
hören lassen, jemand hat ihr offensichtliches Bekenntnis zu einer
rechten Szene geduldet oder unterstützt. Die Fragen, die sich aus
all dem ergeben, werden nicht im Gerichtssaal behandelt. Das muß
eine gesellschaftliche Aufarbeitung des Todes von Farid Guendoul
leisten.
Diese Art der Aufarbeitung findet derzeit keinen Konsens. In
Städten wie Guben ist man um sein Image bemüht und versucht
Positives herauszustellen. Staatlicherseits setzt man in der
Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus (nicht Rassismus) auf
Schnellverfahren und verstärkte polizeiliche Repression. Eine
nachhaltige Beeinträchtigung der rassistischen Bewegung in
Deutschland dadurch ist nicht zu verzeichnen. Stattdessen führt
die Ausweitung polizeilicher Kompetenzen zu einer Stärkung
autoritärer Strukturen und zu einem Zurückdrängen ziviler
Elemente aus dem gesellschaftlichen Leben.
*Kritik am Vorgehen der Staatsanwaltschaft*
Nach einem Jahr Verhandlungsdauer ließe sich auf etliche Details
des Prozesses eingehen, wir beschränken uns auf eins.
In einem Strafverfahren haben die Beschuldigten das Recht auf
Verteidigung, dazu haben die Angeklagten Verteidiger. Die
Staatsanwaltschaft tritt für gewöhnlich nicht zur weiteren
Verteidigung der Angeklagten an, sondern hat die Aufgabe, zur
umfassenden Aufklärung des Sachverhaltes beizutragen. Dies
scheint im Cottbusser Verfahren anders zu sein. Insbesondere in
Person des - die Anklage vertretenden - Staatsanwaltes Günter
Oehme, des Leiters der politischen Abteilung der
Staatsanwaltschaft Cottbus, scheinen die Angeklagten einen
weiteren Verteidiger zur Seite gestellt bekommen zu haben.
Schon vor der Aufnahme der Beweise war Oehme bemüht, den
rassistischen Hintergrund der Tat auszuschließen. Kurz nach dem
Verlesen der Anklage (8. Juni 1999) verwies er nachdrücklich
darauf, daß die Staatsanwaltschaft nicht von "tödlicher Hetzjagd"
und "rechtsextremistischen Straftätern" spricht. Daran
anschließend kritisierte er wenig später einen Medienvertreter
äußerst scharf, für die nicht staatsanwaltschaftskonforme
Darstellung der Tat in Medienberichten.
Fragen und in dem Prozeß auftretenden Möglichkeiten, den
rassistischen Hintergrund der Tat zu beleuchten, versucht der
Staatsanwalt abzuwehren. Beispielsweise wollte Oehme nicht
bekannt geben, welche der 11 Angeklagten bei der Schändung des
Gedenksteins für Farid Guendoul gestellt wurden und welche
Angeklagten an der Silversterrandale beteiligt waren. Am
Hintergrund der Tat scheint allein die Nebenklage interessiert zu
sein.
Entsprechend tritt die Staatsanwaltschaft, insbesondere Oehme,
allen Anträgen der Nebenklage entgegen. Zum Beispiel äußerte sich
die Staatsanwaltschaft am zweiten Verhandlungstag in einer
Stellungnahme ablehnend zum Antrag auf Zulassung der Nebenklage
für Issaka K., einen der Überlebenden der Hetzjagd (- wurde
später vom Gericht zugelassen).
Erst jüngst erklärte sich die Staatsanwaltschaft - beispielsweise
- - ablehnend zum Antrag der Nebenklage, den Videofilm "Romper
Stomper" sowie eine CD der Musikgruppe "Landser" als Beweismittel
einzuführen und die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften dazu zu hören. - Video und CD wurden in der Tatnacht
von Angeklagten konsumiert. ("Romper Stomper" wird als Kultfilm
der Neonazi-Szene bezeichnet, die Veröffentlichungen der
rechtsextremen Gruppe "Landser" sind in der Regel indiziert.)
Video und CD könnten dazu beitragen die Motivation der
Angeklagten zur Tat zu beleuchten, sie wurden nach der Tat von
der Staatsanwaltschaft nicht beschlagnahmt.
Zum Antrag der Nebenklage, einen Zeugen zu hören, der in der
Tatnacht die Gruppe der Angeklagten gesehen hat, die aufgeheizte
Stimmung wahrgenommen hat und die Gruppe der Angeklagten
eindeutig als rechtsextreme Gruppe eingeordnet hat, äußerte
Oehme, daß er "selbstverständlich" Ablehnung beantrage, da dies
für die Tat unwichtig sei. Das ist insofern beachtlich, als daß
Oehme selbst vorher immer betonte, es gäbe keine Hinweise darauf,
daß die Angeklagten rechtsextrem orientiert seien.
Seit einiger Zeit ist gegen Staatsanwalt Oehme eine
Dienstaufsichtsbeschwerde der Nebenklage anhängig. In der
Verhandlung am 13. März 2000 verlas Christina Clemm, Anwältin der
Nebenklage, eine Erklärung, in der das Gericht aufgefordert
wurde, dafür Sorge zu tragen, daß sich Oehme "einer
Gerichtsverhandlung angemessen " verhalte. Dies bezog sich neben
dem oben genannten Verhalten des Staatsanwaltes auch auf
Störungen des Verhandlungsablaufes durch das Auftreten Oehmes,
der bei Äußerungen der Nebenklage dazwischenredete, versuchte
ihnen Anweisungen und Befehle zu geben, eine Anwältin duzte,
während einer Zeugenvernehmung verkündete, der Zeuge wäre "ja
völlig unglaubwürdig".
Dennoch hat sich das Verhalten des Staatsanwaltes nicht geändert.
Weiterhin bemüht er sich, jeden politischen Hintergrund der Tat
zu negieren, die Nebenklage anzugreifen und der Verteidigung zur
Seite zu springen.
Der Schluß liegt nahe, daß Oehme Probleme hat, zum einen die Tat
politisch einzuordnen, zum anderen die Bewertung des
rassistischen Hintergrunds der Tat zuzulassen. Das
korrespondierte dann auch mit Aussagen des Chefs der
Verfassungsschutzabteilung im brandenburgischen Innenministerium,
Heiner Wegesin. Auf die Frage, warum der Tod Farid Guendouls in
der 99er VS-Statistik rechtsextremistisch motivierter Straftaten
nicht registriert wurde, erklärte er fadenscheinig, man könne die
Tat erst einordnen, wenn in der Sache ein Urteil ergangen sei.
Das Abstreiten der rassistischen Motivation der Täter birgt nicht
nur die Gefahr einer inhaltlichen Nähe zu Äußerungen
Rechtsextremer, die seit der tödlichen Hetzjagd nicht müde
werden, von einem "Unfall" zu sprechen, es hat eine verheerende
Wirkung. Zum einen politisch, weil es neben der Tat auch eine
Situation verharmlost, in der Menschen wegen rassistischer
Überfälle um ihre Gesundheit und ihr Leben fürchten müssen. Zum
anderen für das Gerichtsverfahren selbst, weil es eine umfassende
Aufklärung der Tat behindert. So scheint eine Ablösung des
Staatsanwaltes Oehme im Prozess um den Tod Farid Guendouls
unumgänglich.
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