Forst / Brandenburg: Aufruf zum 3. antirassitischen Grenzcamp
in Forst/Brandenburg
29.7 - 6.8. 2000
Das Camp planen wir als Schauplatz politischer und
kultureller Intervention an einer Grenze, die in Europa die
Teilhabe am Wohlstand oder die Verurteilung zur Armut markiert.
Beim ersten Mal - 1998 - fand das Camp noch unter dem Kohl-Kabinett statt.
Etwaige Hoffnungen auf Verän-derungen in der Flüchtlings- und
Einwanderungspolitik durch den Regierungswechsel wurden jedoch umgehend
enttäuscht
Die rotgrüne Koalition hat in Sachen Abschiebung und
Internierung die Linie
der CDU/CSU-Innenminister fortgeführt.
Die grundlegende Änderung des Staatsbürgerschaftsrechtes wurde unter dem
Druck der rassistischen Unterschriftenkampagne der CDU
kampflos ad acta
gelegt. Übrig blieb eine windelweiche Modernisierung.
Die gegenwärtige
greencard-Debatte lässt keine prinzipiel-len Änderungen
im Verhältnis zu
EinwanderInnen und Flüchtlingen erwarten. Als Menschen
und PartnerInnen
werden sie in dieser Diskussion nicht respektiert, sondern nach ihrer
Nützlichkeit für die bundesrepublikanische Wirtschaft begutachtet.
Das Land Brandenburg ist Ziel, weil dort sowohl die
Brutalität
rassistischen Alltags als auch das Kalkül der Eliten so
charakteristisch
für die Situation in Deutschland ist. Die Stadt Forst
hat 1994 traurige
Bekanntheit erlangt, als dort mehrere Flüchtlinge in
der Neiße ertranken.
Aufschlussreich ist das Handlungskonzept "Tolerantes
Brandenburg" der
Landesregierung. Sie besitzt die Unverfrorenheit über
Rechtsextremismus
sowie Fremdenfeindlichkeit in der Gesellschaft zu
sprechen und von der
staatlichen Verantwortung für rassistische Diskurse,
autoritäre
Sicherheitsfantasien, Abschiebungen, Internierungen
und polizeiliche
Aufrüstung zu schweigen.
Des Weiteren kreuzen Einwanderungsrouten nach wie vor
die polnisch-deutsche
Grenze. Sie kennzeichnet das Gebiet eines Grenzregimes,
in dem oben und
unten in der Regel einträchtig kollaborieren. Zum
Beispiel rot-teten sich
vor einigen Jahren in Forst EinwohnerInnen zu einer
Bürgerwehr zusammen,
unterstützt und ge-billigt vom Bundesgrenzschutz (BGS).
Überdies ist die
personelle und finanzielle Kooperation des BGS mit der
polnischen
Grenzpolizei ein Exempel für die Abschottungspolitik
der Europäischen Union
(EU) ab-seits einer öffentlichen Diskussion und
Einflussnahme.
Das Camp stellt die öffentliche Ordnung des
Grenzregimes grundsätzlich in
Frage. Es ist damit schnell ein politisches Spektakel
mit Unterhaltungswert
geworden. Ebenso schnell sind dabei die gegenwärti-gen
Beschränktheiten
linker Gesellschaftskritik offen-kundig geworden. Ein
Merkmal davon ist die
überwiegende deutsche Nationalität der
TeilnehmerInnen. Die Ablehnung des
Rassismus in seiner gesellschaftlichen wie staatlichen
Ausprägung tragen
wir zwar mit großer Verve vor, jedoch ist der
politische Wille zur
Veränderung - und wenn welcher - nur als Aufblitzen
sichtbar. Bei unseren
beiden Camps haben wir feststellen kön-nen, dass nicht
viele Menschen
Flüchtlingen und EinwanderInnen Hilfe gewähren oder
ihnen beistehen. Ebenso
wenig gibt es die Bereitschaft, die Befugnisse des BGS
zu kritisieren.
Selten gibt es Menschen, die Menschen anderer Herkunft
und Hautfarbe die
glei-chen Rechte zugestehen, wie sie sie selbst in
Anspruch nehmen.
Wir sagen, Rassismus ist ein Problem von uns - der deutschen
Mehrheitsgesellschaft. In ihr sind wir Opposition und
unsere krasse
Minderheitenposition ist ein Motiv für den Wunsch und
die Suche nach
Verbündeten. Einerseits sind wir geprägt von rassistischen Stereotypen
aus Erziehung und Alltag sowie Profiteure dieser Ordnung. Andererseits
sind wir entschlossen, Rassismus weder als naturgegeben
noch
gesellschaftlich unveränderlich hinzunehmen.
Die Fluchten in diverse gesellschaftliche Nischen -
egal ob subkulturell,
feministisch, autonom begründet - sind keine politische
Antwort auf den
rassistischen Angriff der Mehrheitsgesellschaft. Sie
sind ebenso kaum Hilfe
zum Überleben für die Angegriffenen. Diese Hilfe zu
organisieren, eine
Gegenöffentlichkeit zu verstärken, braucht die
Zusammenarbeit der
verschiedensten An-strengungen für offene Grenzen und
gleiche politische
und soziale Rechte. Dafür soll das Camp ein Forum sein
und
Kräfteverhältnisse ändern.
In diesem Rahmen muten wir den lokalen Autoritäten,
der Bevölkerung, dem
BGS und den Institutionen von Wirtschaft und Politik
erneut freches
Auftreten, fantastische Forderungen und utopische
Vorstellungen zu.
Die heimeligen Natur- und KleinbürgerInnenidyllen
werden wir auf ihren
barbarischen Gehalt samt der stillschweigenden Duldung
und Verharmlosung
abklopfen. Wir warten fieberhaft auf die Erklärung,
warum in Gegenden, in
denen kaum Menschen anderer Natio-nalität oder
Hautfarbe leben, diese
schuld sein sollen an Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit.
Wir werden klarstellen, dass auch in den Gegenden, wo sie leben,
die Verantwortung
bei anderen liegt.
Unser Kapital werden harte Fakten und der Fundus des
linken
Anti-Establishment sein. Sachliche Aufklärung
korrespondiert mit
hinterhältigem Schabernack. Die Campzeitung wird per
Webjournal aller Weit
zugänglich sein und dort ist auch das Geschehen vor
Ort zu verfolgen.
Video- und FotokünstlerInnen dokumentieren Szenen, die
jeder Beschreibung
spotten. RadiopiratInnen attackieren die Lufthoheit des
öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunks im
Äther. Menschenaufläufe
blockieren Straßen, definieren den öffentlichen Verkehr
neu und enthüllen
den ganz eigenen Charme absurder Begegnungen.
AktivistInnen schrecken vor
keinem Experiment zurück, Vorurteile bloßzustellen.
PolitstrategInnen
nutzen jede Taktik, um dem BGS das Leben schwer zu
machen. Und zu guter
Letzt sind wir uns nicht zu schade, unseren eigenen
Müll wegzuräumen, um
einen guten Eindruck zu hinterlassen.
die camporganisation
Kontakt: c/o ffm
Stichwort: grenzcamp2000, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin
ernail: FFM@snafu.de
http://www.nadir.org/camp00
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