Guben: Gegen Antisemitismus - auf den Staetten der Taeter den Opfern gedenken
In der Nacht
vom 17. auf den 18. März dieses Jahres sorgten zunächst Unbekannte
dafür, dass die Mauer des jüdischen Friedhofes in Guben mit Schriftzügen
wie ”Juden raus” und ”Jude verrecke” versehen wurde. Darüber
hinaus sprühten sie Hakenkreuze und SS-Runen an das Eingangsportal der
Kirche sowie auf mehrere Grabsteine.
Angriffe wie
der auf den jüdischen Friedhof in Guben sind keine Spezialität von
Nazis aus Brandenburg. Seit der Vereinigung der Deutschländer ist die Verwüstung
jüdischer Friedhöfe in der ganzen BRD ”normal” geworden.
Die Totenruhe, die in jeder zivilisierten Gesellschaft ein hohes Gut ist, ist
für eine Bevölkerungsgruppe, die Juden, schon lange suspendiert. Ein
großer Teil der hier Lebenden glauben, durch die Verwüstung jüdischer
Friedhöfe nicht eigentlich gemeint, geschweige denn bedroht zu sein. Folgerichtig
bestehen auch die Reaktionen aus einer eigentümlichen Mischung aus Ignoranz,
peinlich berührtem wie gezieltem politischem Schweigen. Und wenn das nicht
mehr hilft werden geschäftig schnell formulierte Verurteilungen via Presseerlärungen
herum geschickt, in der wir etwas über ”verirrte Einzeltäter”
und ”barbarische Akte” lesen müssen. Und die Forderung nach einer
intensiveren Polizeibeobachtung der von den Nazimördern klug ausgewählten
Anschlagsobjekte ist immer wohlfeil zu erheben. Viel zu selten finden sich vorbildliche
Ausnahmen, wie die Tätigkeit von 28 Gubener evangelischen Gemeindemitgliedern,
die sofort nach dem letzten Anschlag daran gingen, dessen Spuren zu beseitigen.
Auch für
Autonome, AntirassistInnen und Antifas ist es bislang nicht einfach gewesen,
zu einer handlungsleitenden Praxis gegen das schleichende Gift des Antisemitismus
zu gelangen. Wird noch bei jeder Manifestation der Nazis versucht, eine Gegenkundgebung
zu organisieren, wird noch bei manchen Abschiebungen versucht, Öffentlichkeit
herzustellen, so stehen auch für die meisten von uns die Angriffe auf die
jüdischen Friedhöfe in eigentümlicher Weise quer zu unserem sonstigen
politischen Alltag. Natürlich wird der Antisemitismus bei dieser oder jener
Antifademo ”miterwähnt”, doch ein systematisch überlegter
Stellenwert kommt ihm in unseren öffentlichen Manifestationen nicht zu.
Dabei ist natürlich nicht jedes Schweigen zum Antisemitismus von vornherein
als eine Zustimmung dazu mißzuverstehen. Es umfaßt auch stilles
Entsetzen. Und allemal kann es auch eine bessere Form des Eingedenkens sein,
zur Shoah dann den Mund zu halten, bevor man anfängt Unfug darüber
zu erzählen. Doch für eine bestimmte Form unseres Schweigens gibt
es Gründe, über die sich auseinandergestzt werden muß. Schließlich
sind wir in einem Land aufgewachsen, dem zur Shoah entweder gar nichts oder
nur obskure bis widerwärtige Dinge einfallen: Dazu gehört das Holocaustdenkmal-Business
der Medienindustrie genauso, wie die Praktizierung einer philosemitischen Staatsräson
der ”Freundschaft der BRD mit dem Staat Israel”. Und nicht ganz vergessen
werden sollten die Worte und Taten des Bundesaußenministers J. Fischer,
der ausgerechnet die Bombardierung der BR Jugoslawien im Kosovo-Krieg mit dem
”Stichwort Auschwitz” meinte durchführen zu können. Das
ist die "große Politik", unterhalb derer sich die Antisemiten
dieses Landes politisch weitgehend ungestört über die jüdischen
Friedhöfe hermachen können.
Es ist an der
Zeit, eine bestimmte Form unserer Sprachlosigkeit über den alltäglichen
Antisemitismus in einem kollektiven Sinne nach vorne zu wenden. Es ist unsere
Aufgabe, dagegen solange Unruhe zu stiften, bis er endgültig beseitigt
ist. Es sind die Nazis, die mit ihren wohlkalkulierten Angriffen auf jüdische
Friedhöfe in diesem Land den Zusammenhang herstellen, dem wir politisch
nicht länger ausweichen sollten. Jeder Angriff auf einen jüdischen
Friedhof ist ein direkter Ausdruck ihres Wunsches, wieder die Verhältnisse
herzustellen, in denen sie Millionen von Menschen umbringen konnten. Jedes Schweigen
aller anderen darüber nährt die Illusion, daß ”ginge uns
gar nichts an.” Das nehmen wir nicht mehr hin, indem wir genau diesen Zusammenhang
annehmen.
Knapp 1.000 Meter
Luftlinie vom jüdischen Friedhof in Guben entfernt existiert eine sogenannte
”Kriegsgräberstätte”. Auf einem eigens dafür hergerichteten
Areal des evangelischen Westfriedhofes befinden sich die Grabsteine der 1945
an der Ostfront gefallenen Wehrmachtssoldaten. Der Tod dieser deutschen Soldaten
war sinnlos, aber ihr Leben mußte doch von der Roten Armee beendet werden,
um die Insassen der Konzentrationslager zu befreien. Der Tod dieser Soldaten
hat sogar dafür gesorgt, auch der deutschen Bevölkerung wieder ein
besseres Leben zu ermöglichen.
Wir finden, daß
das demonstrativ um ein großes Holzkreuz zentrierte Areal der Kriegsgräberstätte
deutscher Wehrmachtssoldaten in Guben ein idealer Ort dafür ist, ein Teach-In
gegen den heutigen Antisemitismus durchzuführen. Auch wenn dieses Teach-In
noch keine politische Kundgebung ist, so wird sie doch die Totenruhe dieser
Soldaten an diesem Ort für eine gewisse Zeit einschränken. Wir wissen
nicht, wieviele der dort begrabenen Wehrmachtssoldaten in einem direkten Sinne
an der Ermordung der jüdischen Bevölkerung beteiligt waren. Manche
waren dafür vermutlich noch zu jung, als sie von der damals herrschenden
Nazimörderclique in den sicheren Tod gehetzt wurden. Aber auch sie trugen
im Sinne der Aussage Norbert Blüms, daß die Konzentrationslager nur
solange arbeiten konnten, wie die Front hielt, das ihre zur Aufrechterhaltung
eines Systems bei, welches zu diesem Zeitpunkt offenkundig Unglück und
Verderben über die ganze Welt gebracht hatte. Die toten Wehrmachtssoldaten
in Guben müssen jetzt, zwei Generationen später, auf ihrer letzten
Ruhestätte eine Auseinandersetzung über Antisemitismus ertragen, die
sie in ihren Leben nicht mehr führen konnten oder wollten. Als Forum trägt
ihre Kriegsgräberstätte wenigstens in diesem Sinne dazu bei, eine
politische Praxis gegen den Antisemitismus zu begründen.
TEACH-IN GEGEN ANTISEMITISMUS
in Guben auf der "Kriegsgräberstätte"
Treffpunkt: Sonntag, den 30. Juli, Westfriedhof, Eingang Flemmingstraße,
13 Uhr
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