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Amsterdam: Was tun wenn´s brennt in den Niederlanden?


Was tun wenn's brennt…
… in den Niederlanden?
Vorab:

Wenn du an einer Demo, Aktionen, Räumungen etc. in den Niederlanden
teilnimmst, solltest du dir vorab gut überlegen, was du mitnimmst - das
gilt natürlich auch für jedes andere Land! Adreßlisten, Kalender etc.
kannst du besser zuhause bzw. an einen Ort bewahren, der relativ 'sicher'
ist. Hast du spezielle Medikamente nötig, dann ist es ratsam, die bei dir
zu haben.
In den Niederlanden bist du NICHT verpflichtet, deinen Namen zu nennen!
Deshalb überleg dir vorab gut, ob du bei einer Festnahme deine Identät
offenlegen oder anonym bleiben willst. Dies hat z.B. Konsequenzen bezüglich
der Dauer deines Aufenthalts bei den Bullen/im Knast, deiner Registrierung
bei Bullen und Justiz, und kann auch bei einer möglichen Ausweisung aus den
Niederlanden eine Rolle spielen (siehe dazu weiter unten).

Willst du anonym bleiben, dann nimm NICHT deinen Paß/Ausweis, aber auch
KEINE anderen Papiere (z.B. Krankenkassenausweis etc.) mit! Nimm in diesem
Fall auch nichts mit, was darauf hinweisen könnte, daß du aus einem anderen
Land kommst. Denk z.B. an Zugfahrkarten, Geld, Schrift auf Verpackungen!
Wirst du festgenommen, ist es immer gut und vernünftig, deine Klappe zu
halten, also KEINE Aussagen zu machen! Aber wie kannst du dich mit
Mitgefangenen unterhalten? (Aber plauder nicht über Aktionen, Namen!) Wie
kannst du ein Telefongespräch einfordern, um deineN AnwältIn zu sprechen,
eventuell benötigte Medikamente verlangen, ganz allgemein, Forderungen
stellen, ohne daß du durch deine eigene (nicht-niederländische) Sprache
Hinweise gibst? Eine optimale Lösung gibt es nicht, aber doch zumindest die
Möglichkeit, sozusagen als ‚kleinster gemeinsamer Nenner' Englisch zu
sprechen. Machen das alle und natürlich auch die Leute, die sich kennen,
dann haben die Bullen zumindest mehr Schwierigkeiten herauszufinden, aus
welchem Land du kommst.

Weiterhin ist es vor ner Demo sinnvoll, eine ‚Person deines Vertrauens'
darüber in Kenntnis zu setzen. Diese Person kann dann Kontakt mit dem
Ermittlungsausschuß (EA bzw. dem niederländischen Äquivalent
arrestantengroep) aufnehmen; durchgeben, wer deinE AnwältIn ist und sich
gegebenfalls um deine Kinder kümmern, Termine absagen, deine Pflanzen und
Haustiere versorgen etc. Das kann dir im Knast ne Menge Kopfzerbrechen
ersparen. Willst du anonym bleiben, dann teil das dieser ‚Person deines
Vertrauens' auch mit, damit sie nicht deinen Namen nennt.

Ein zweites ‚Vorab' (Begriffserläuterungen):

Für einige niederländische (Un-)Rechtsbegriffe und auch Bezeichnungen von
Gesetzen, ‚Amtspersonen' etc. gibt's keine entsprechenden Varianten,
weshalb eine eindeutige Übersetzung ins Deutsche nicht möglich ist. Auch im
Fall vergleichbarer Begriffe wurde zur Vermeidung von Undeutlichkeiten im
weiteren Text die niederländische Bezeichnung kursiv hinzugefügt.

NN = Nomen Nescio = ohne Namen. Willst du anonym bleiben, erhälst du eine
sogenannte ‚NN-nummer', die du dir gut merken solltest.

Hulpofficier van Justitie ist der Staatsanwaltschaft (Openbaar Ministerie)
unterstellt. Hierbei handelt es sich um eine/n Polizeibeamten/in mit einer
extra Ausbildung, die einige einfache Aufgaben von der/m Staatsanwält/in
übernehmen darf wie z.B. dich ‚in verzekering stellen'.

Officier van Justitie ist ein Staatsanwalt/eine Staatsanwältin. Sie sind
verantwortlich für die Ermittlungen, die gegen dich laufen, also auch für
das (ZeugInnen-)Verhör, Hausdurchsuchungen usw.

Rechter-Commisaris ist eine Art UntersuchungsrichterIn. Kontrolliert, ob
die Staatsanwaltschaft sich während der Ermittlungen gegen dich an
bestimmte Regeln hält, die im ‚Wetboek van Strafvordering' stehen. Ist z.B.
anwesend bei Hausdurchsuchungen und entscheidet, ob du 'in bewaring'
gestellt wirst.

Politierechter ist einE EinzelrichterIn am Amtsgericht
(Arrondissementsrechtbank). Zuständig für ‚einfache' Straftaten mit der
Höchststrafe von 6 Monaten.

Wetboek van Strafvordering ist vergleichbar mit der Strafprozeßordnung.

Wetboek van Strafrecht entspricht dem Strafgesetzbuch.

‚staande houden' bedeutet das ‚Anhalten' auf der Straße, wenn ein Bulle
einen ‚berechtigten Verdacht' hat, daß du eine Straftat begangen haben
könntest. Du bist nicht verpflichtet, deine Personalien zu nennen!

‚aanhouden' ist das wortwörtliche Ergreifen, um dich auf eine Wache zu
bringen. Oft wirst du auch auf der Stelle durchsucht.

‚in verzekering stellen' ist so etwas wie ‚in Gewahrsam nehmen'. Dies
kriegst du schriftlich mitgeteilt. Auf dem Papier steht auch, von welchen
Straftaten du beschuldigt wirst; unterschrieben ist der Wisch von einer/m
(hulp-)officier van Justitie. ‚In verzekering stellen' dauert maximal 3
Tage plus 3 Tage Verlängerung. Diese Zeit verbringst du meistens auf der
Wache.

‚voorlopige hechtenis' entspricht der Untersuchungshaft (U-Haft), siehe
auch ‚in bewaring stellen'. Das ist ein Sammelbegriff für die Periode, die
du festsitzt, bevor du einer/m Richter/in vorgeführt wirst. Das Gesetz gibt
genau an, in welchen Fällen du in U-Haft genommen werden darfst:
- - wenn du keinen festen Wohn- oder Aufenthaltsort hast; also auch wenn du
‚NN' bist;
- - wenn Wiederholungsgefahr besteht. Dabei muß du allerdings einer Straftat
verdächtigt sein, auf der eine Strafe von mehr als 6 Jahren steht;
- - wenn du einer Straftat verdächtigt bist, auf der eine Strafe von mehr als
12 Jahren steht;
- - wenn dies im Interesse des Ermittlungsverfahrens steht. Z.B. wenn sie
denken, daß du eventuelle Spuren verwischen könntest.

‚voorarrest' entspricht ebenfalls der U-Haft.

‚in bewaring stellen' entspricht einem ‚in U-Haft bringen', dauert
allerdings maximal 10 Tage plus 3 mal 30 Tage. Die Zeit verbringst du in
einem ‚huis van bewaring'. Sind alle Zellen voll, können sie dich (in
Amsterdam) dann noch maximal 6 bis 10 Tage auf einer Polizeiwache festsetzen.

‚gevangenhouding' bedeutet soviel wie Haft.

‚huis van bewaring' ist ein Knast. Im Fall ‚voorlopige hechtenis' ist es
ein Untersuchungsknast.

‚snelrecht' ist ein Schnellverfahren. Es gibt verschiedene Formen des
Schnellverfahrens. Eine davon ist, daß du während deiner
‚inverzekeringstelling' oder nach der Vorführung bei einer/m
‚rechter-commisaris' direkt eine Vorladung mitkriegst. Erscheinst du nicht
zu diesem Termin, kannst du in Abwesenheit verurteilt werden. Du hast dann
2 Wochen Zeit, um gegen das Urteil in Berufung zu gehen (als NN kannst du
dazu deine/n Anwält/in bevollmächtigen). Eine drastischere Form ist, daß du
während des ‚voorarrest' (meistens innerhalb 10 Tage) dem ‚politierechter'
vorgeführt und direkt verurteilt wirst.


Nun konkret:

Die ersten 6 (oder 12) Stunden;
die Stunden zwischen 24 Uhr und 9 Uhr morgens zählen dabei nicht mit:

Du bist auf ner Demo festgehalten worden. Wahrscheinlich wirst du direkt
danach durchsucht. Weibliche Gefangene dürfen NICHT von Polizeibeamten
durchsucht werden! Danach wirst du auf eine Bullenwache gebracht oder auf
einen Gefängnishof oder einer Sporthalle. Dort wirst du nochmals durchsucht
und deine persönlichen Sachen wie Schnürsenkel, Gürtel, aber auch Geld und
Schmuck, Tabak usw. werden dir abgenommen. Manchmal wird auch direkt ein
Polaroid-Foto von dir gemacht.
Anschließend fragen sie dich nach deinen Namen und deinem Aufenthaltsort.
Machst du keine Angaben, dann bist sozusagen anonym und du bekommst eine
NN-Nummer. Du kannst dann 6 Stunden länger festgehalten werden, angeblich,
um deine Identität herauskriegen zu können.
Sie werden dich in eine Zelle bringen und wahrscheinlich kurze Zeit später
zum Verhör wieder herausholen. In den Nachtstunden darf (offiziell) nicht
verhört werden. Sie werden dir einen Haufen Fragen stellen und dich
auffordern, Aussagen zu machen. SAG NICHTS! Die Bulllen werden sich nicht
immer an ihre Regeln halten. Auch werden sie alles mögliche versuchen, um
dich zum Reden zu bringen. Bereite dich so gut wie's nur geht, darauf vor
und versuch', dich nicht einschüchtern zu lassen!
Während der ersten 6 bzw. 12 Stunden werden sie von dir wahrscheinlich
Fingerabdrücke und Fotos nehmen.

Frag jederzeit nach deiner/m eigenen Rechtanwält/in! Die Bullen müssen dies
der Bereitschaftszentrale (‚piketcentrale') melden; diese leiten das dann
an deine/n Anwält/in weiter. Hast du keine/n eigene Rechtanwält/in, dann
frage nach der Amsterdamer Anwältin Margreet Breukelaar. Laß dir keine/n
Pflichtverteidiger/in (‚piketadvocaat') andrehen! Rede nicht mit dieser
Person und frage um eine/n Anwält/in deiner Wahl! Du kriegst deine/n
Anwält/in erst zu sehen, wenn du ‚in verzekering' kommst.

Denk daran: Du bist NICHT verpflichtet:
- - deinen Namen zu nennen. Tust du das doch, dann bist du zukünftig sofort
zu ermittlen durch das Koppeln deines Namens mit deinen Fingerabdrücken!
- - eine Erklärung abzugeben. Denk daran, daß eine Erklärung immer gegen dich
und andere benutzt werden kann!
- - etwas zu unterschreiben!

Sie sind verpflichtet, dir zu erzählen, wessen du verdächtigt wirst.

Sie dürfen:
- - Fotos und Fingerabdrücke nehmen (falls du ‚NN' bist oder ‚in verzekering'
genommen wirst);
- - dich verhören (nicht nachts);
- - dich einer Leibesvisitation unterziehen;
- - dich vor eine Spiegelwand setzen, hinter der dann „ZeugInnen' stehen, die
den Bullen sagen, ob sie dich erkennen oder nicht;
- - dich auf eine andere Wache bringen.

Wirst du beschuldigt, eine Ordnungwidrigkeit (‚overtreding') begangen zu
haben (erkennbar an den Artikeln 424 bis 476 des ‚Wetboek voor
strafrecht'), müssen sie dich nach diesen 6 bzw. 12 Stunden freilassen.

Im Fall einer vorgeblichen Straftat (‚misdrijf') (erkennbar an den Artikeln
92 bis 423 des ‚Wetboek voor strafrecht'), können sie dich ‚in verzekering'
nehmen.

‚In verzekering': maximal 3 (+3) Tage

Dies kriegst du schriftlich mitgeteilt. (s. ‚in verzekering stellen'). Du
kannst um ein Telefongespräch fragen; auch hast du nun noch kein Recht
dazu. Lassen sie dich dennoch telefonieren, dann bedenke, daß du kein
Privatgespräch führst! Wollen sie dich verhören, hast du Recht auf eine/n
Anwält/in.
Nach den ersten 3 Tagen (plus 15 Stunden) mußt du einer/m
Untersuchungsrichter/in (‚rechter-commisaris') vorgeführt werden. Beantragt
die Staatsanwaltschaft eine Verlängerung, dann prüft der/die
Untersuchungsrichter/in nur formell nach, d.h., ob die
‚inverzekeringstelling' rechtmäßig ist. Nach einer eventuellen Verlängerung
wirst du wiederum vorgeführt, wobei dann in jedem Fall dein/e Anwält/in
dabei ist. Die/der Untersuchungsrichter/in beschließt, ob du freigelassen
oder ‚in bewaring' kommst.

‚In bewaring'/ ‚voorlopige hechtenis': maximal 10 Tage + 3 mal 30 Tage

Du wirst hierbei in ein ‚huis van bewaring' übergeführt. Das beratende
Gericht (‚raadkamer') kann nach den ersten 10 Tagen entscheiden, ob du 30
Tage länger eingesperrt bleibst. Das Prozedere können sie noch zweimal
wiederholen. Gegen diese Entscheidung zur Verlängerung kannst du ein
einziges Mal in Berufung gehen; überleg' das am besten zusammen mit
deiner/m Anwält/in.
Nach dieser maximal gestatteten Untersuchungshaft (‚voorarrest') muß der
Prozeß anfangen. Oft will die Staatsanwaltschaft den noch hinausschieben
und bittet um Aufschub. Dann gibt's nur eine pro forma-Sitzung und das
Gericht bestimmt, wann der Prozeß fortgesetzt wird und ob du das drinnen
oder draußen abwarten mußt.

Ausweisung/Abschiebung:

Leute aus einem anderen Land als den Niederlanden bzw. Leute, von denen sie
das vermuten, werden oft länger als offiziell erlaubt ist auf der Wache
festgehalten. Im schlimmsten Fall wirst du der AusländerInnenpolizei
(‚vreemdelingenpolitie') übergeben. Zwei Varianten spielen nun eine Rolle:

a) Du hast den Bullen deinen Namen genannt.
Sei haben nun die Möglichkeit, dich aus den Niederlanden auszuweisen. Dies
unter der Bedingung, daß das Land, in das du abgeschoben werden sollst,
dich annimmt. Es kann auch sein, daß du nur aus den Niederlanden
ausgewiesen wirst. Sie setzen dich dann auf der anderen Seite der Grenze
ab, bei der du in die Niederlande hereingekommen bist.
Sei dir darüber klar, daß du zukünftig registriert bist, und daß dies
Schwierigkeiten bei weiteren ‚Grenzübertritten' in Westeuropa nach sich
ziehen kann! Manchmal machen die Bullen auch einen Stempel in deinen Paß.
Auch solltest du beim Nennen deines Namens deine eventuellen
Schwierigkeiten mit Bullen und Justiz in dem Land, wo du herkommst,
berücksichtigen.

b) Du hast den Bullen deinen Namen und deine Nationalität nicht genannt:
Gib ihnen keine Hinweise auf das Land, woher du kommst. Vielleicht
versuchen sie dich in mehreren Sprachen anzusprechen, und warten dann auf
Reaktionen von dir, verbal wie non-verbal. Laß dich nicht einschüchtern und
provozieren und halt den Mund! Wenn sie vermuten, daß du aus einem Land
kommst, daß nicht Mitglied der Europäischen Union ist, können sie dich auf
unbestimmte Zeit festhalten! Dies unter der Voraussetzung, daß sie
monatlich dem Gericht glaubhaft machen, daß sie immer noch an deinem Fall
arbeiten mit dem Ziel deiner Abschiebung.
Du kannst für Monate in einen Abschiebeknast kommen. Willst du das nicht,
kannst du nach ner Zeit immer noch deinen Namen sagen; aber überleg dir
dies auch gut zusammen mit deiner/m Anwält/in!
Es kann aber auch sein, daß du von einem Abschiebeknast aus auf die Straße
gesetzt wirst. Du kriegst dann wahrscheinlich ein Papier mit, in dem dir
mitgeteilt wird, daß du die Niederlande innerhalb kurzer Zeit (24 Stunden,
ein paar Tage) verlassen sollst.


Wenn du freigelassen wirst, melde dich dann beim
EA (‚arrestantengroep') Amsterdam,
coffieshop Bollox, Eerste Schinkelstraat 14-16;
Tel. 020-6790712.
Schreib ein Gedächtnisprotokoll und gebe es beim EA ab!

AnwältInnen: L. Miedema und M. Breukelaar,
Tel. 020-6935544

Wenn du eine Festnahme beobachtet hast, melde auch dies dem EA! Wenn du
anrufst, nenne dann KEINE Namen! Mach ein Gedächtnisprotokoll und versuche,
die festgenommene Person zu beschreiben, notiere Ort und Zeit der
Festnahme. Bringe auch dieses Gedächtnisprotokoll zum EA!


 

27.09.2000
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