Wien: Rassismus in Österreich
Rassismus in Österreich: Operation Spring - Verurteilung von Charles O.
Prozeßbericht vom 13.10.2000
Staatsanwaltschaft akzeptiert kein Unentschieden
Noch kein Ende des Prozesses gegen Charles O.?
(Charles O., Operation Spring, Prozeß)
Der Freitag der 13te beginnt gut. Wiedereinmal muss die
Staatsanwaltschaft
unter Grinsen der Verteidigung den Strafantrag gegen Charles
O.
einschränken. Die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation gemäß
§ 278a StGB wird ihm nicht mehr vorgeworfen. Die Gelder, die Charles für
andere überwiesen hat, seien als Privatvermögen der Dealer zu
betrachten.
Sie waren quasi deren Erlöse und seien somit aus dem Machtbereich der
> kriminellen Organisation ausgeschieden. So irgendwie. Denn
> selbstverständlich gebe es diese kriminelle Organsiation, meint die
> Staatsanwältin mit Nachdruck.
> Aufgrund dieses offensichtlichen Beweisbarkeitsmangels bleiben gegen
> Charles
> nur der Vorwurf der (wissentlichen) Geldwäscherei gemäß § 165 (2) und
> (3)
> StGB sowie der Vorwurf der falschen Zeugenaussage in einem
> ausgeschiedenen
> Parallelverfahren übrig.
> Die ZeugInneneinvernahme beginnt angenehm. Frau P. erklärt dem Gericht,
> woher ein großer Teil des Geldes auf dem Sparbuch von Charles stammt,
> nämlich von ihr, um das nächste Buchprojekt von Charles zu unterstützen.
> Außerdem habe er Subventionen von Kulturamt und Integrationsfonds
> bekommen.
> Die Staatsanwältin ist sich nicht zu blöd, Frau P. nach einem sexuellen
> Verhältnis zu Charles zu fragen. Frau P. gibt weiters an, Charles habe
> ihr
> auch von den Überweisungen erzählt, was er wohl ihrer Meinung nach kaum
> getan hätte, wenn er gewußt hätte, dass es sich dabei um Drogengelder
> handelt. Als er dann einmal zu einem Kranken wegen einer Überweisung
> gerufen
> worden sei und sich der Mann als gar nicht krank herausstellte, da habe
> Charles sein Vertrauen mißbraucht gefühlt und seitdem nichts mehr
> überwiesen.
> Der Bericht über die Lebensumstände von Charles wurde ebenfalls von Frau
> P.
> eingeleitet. Charles habe bis zu seiner Verhaftung ein kleines und
> völlig
> überfülltes Untermietzimmer bei einem Medizinstudenten über einer
> Tischlerei
> im 20sten Bezirk bewohnt. Über größere Geldbeträge habe er nie verfügt.
> Er habe immer für seine
> künstlerischen Projekte gespart. Auch die anderen ZeugInnen, die mit ihm
> Kulturprojekte begonnen haben, können sich v.a. an Charles´
> Hilfsbereitschaft - die ihm von einer Zeugin regelrecht als übertrieben
> vorgeworfen wird - sowie daran erinnern, dass er nie Geld hatte und sie
> ihm nach den Treffen immer das Bier und manchmal auch das Essen bezahlt
> haben.
> Sehr viele AfrikanerInnen seien ständig wegen irgendwelcher
> Behördenprobleme an ihn herangetreten.Das psychiatrische Gutachten, mit dem die
> Verteidigung
> zu beweisen versuchte, dass Charles in Stress-Situationen dazu neige,
> unkontrolliert Unsinn zu reden, erbrachte nichts dergleichen. Auf dieser
> Ebene waren die Vernehmungsprotokolle von Polizei und
> Untersuchungsrichterin nicht in Zweifel zu ziehen.
> Anschließend berichtet Inspektor F. von der erstaunlich entspannten
> Atmosphäre, in der das mehr als fünfstündige zweite Verhör von Charles
> noch
> innerhalb von 48 Stunden nach seiner Verhaftung bei der Polizei
> stattgefunden hat. Angeblich habe Charles selbst auf einer Vernehmung in
> Deutsch bestanden. Dies wurde seltsamerweise nicht im Protokoll
> vermerkt. In
> etwas breiterem wiener Dialekt betont der Inspektor, dass Charles
> perfekt deutsch spreche und eigentlich eh alles verstanden habe. Ca. zur
> Halbzeit -
> also nach zweieinhalb Stunden - sei aber dann doch eine Dolmetscherin
> aus
> dem Nebenraum zugezogen worden, weil das den Beamten plötzlich wichtig
> erschien. Auch dazu ist nichts im Protokoll vermerkt. Inspektor F. gibt
> an, dass eigentlich sein Kollege das bessere Englisch spreche.
> Logischerweise
> (?) sei deshalb dieser an der Schreibmaschine gesessen, während es die
> Aufgabe des weniger Sprachbegabten Inspektor F. war, die Fragen zu
> formulieren. Dabei habe er das Protokoll von der ersten Einvernahme
> hergenommen und die "Widersprüche abgeklopft". Bezüglich der fehlenden
> Brille meint Inspektor F. nur, dass Charles
> sich das Protokoll sehr wohl durchgelesen habe. Er habe es sich einfach
> in der richtigen Distanz hingelegt und es so "fokussiert". Rechtsanwalt
> Fehringer verzichtet auf den Vorhalt des Augennervenleidens (Starkast?)
> von
> Charles, das nichts mit Kurz- oder Weitsichtigkeit zu tun hat.
> Jedenfalls
> habe die Dolmetscherin das Protokoll zum Schluss Wort für Wort
> übersetzt.
> Dass Charles angibt, er habe das Geld für die anderen Leute überwiesen,
> weil
> diese teilweise keine entsprechenden Papiere gehabt hätten, bezeichnet
> Inspektor F. als Schutzbehauptung. Es sei nämlich laut seinen eigenen
> Erhebungen bei Western Union bis zu einem Betrag von 200.000.- ATS
> gar nicht notwendig, einen Ausweis zu zeigen. (Der höchste von Charles
> überwiesene Einzelbetrag beläuft sich auf 96.000.- ATS). Leider wird
> hier
> die Frage nicht gestellt, warum Charles dann überhaupt seinen Ausweis
> bei
> jeder Überweisung hergezeigt hat, da er doch gewußt haben soll, dass es
> Drogengelder waren. Naja. Inspektor B, der das Protokoll getippt hat,
> antwortet auf die Fragen des Richters mit genau den gleichen Worten wie
> sein
> Kollege vor ihm. Diesmal bohrt Rechtsanwalt Fehringer etwas stärker
> nach. Es
> geht darum, ob Charles damals ausgesagt hat, dass er zum Zeitpunkt der
> Überweisung davon wußte, dass es sich um Drogengeld handelt, oder ob
> z.B.
> durch eine unsaubere Übersetzung das Protokoll seine Worte falsch
> wiedergebe, weil er zwar zum Zeitpunkt der Einvernahme wußte, dass es
> sich
> um Drogengeld gehandelt hat, nicht jedoch zum Zeitpunkt der Überweisung.
> Diese juristisch entscheidende Feinheit scheint Inspektor B nicht
> beizubringen zu sein, weshalb er drei mal seine
> Version wiederholt (die Interpretationen in beide Richtungen
> offenlässt),
> bis es dem Richter zu blöd wird und er den Zeugen so interpretiert, dass
> Charles es zum Zeitpunkt der Überweisung gewußt hat. Damit war der
> Schuldspruch bezüglich der Geldwäscherei quasi vorweggenommen. Einzig
> die
> Einvernahme der damals zu spät
> hinzugezogenen Dolmetscherin hätte hier noch was ändern können, aber das
> war
> nicht zu erwarten.
> Zunächst war mal Pause und der Richter kündigte an, dass er nun den
> anonymisierten Zeugen (AZ1) vernehmen wolle, natürlich unter Ausschluss
> der
> Öffentlichkeit. Der Verhandlungssaal wurde großräumig abgeschirmt. Das
> Publikum musste sich am Gang hinter eine Glastüre zurückziehen und
> ausserdem
> wurde gefinkelterweise in einem anderen Stockwerk weiterverhandelt. Nach
> ca.
> 45 Minuten versammelten sich alle wieder im Saal 106. Nun wurden Charles
> die
> Aussagen des AZ1 vorgehalten. Charles habe im China-Restaurant
> Willkommen
> immer an einem Cheftisch gesessen und Instruktionen erteilt, zum
> Beispiel die Omofuma-Demonstration organisiert. Er sei meistens den ganzen Tag
> dort
> gewesen. Mit Drogen habe er ihn nie gesehen und er sei auch nie mit
> einem
> der Dealer aufs WC gegangen. Aber er habe Gelder übernommen
> und unter dem Tisch gezählt, sodass niemand sehen konnte, wieviel es
> war.
> Jedenfalls habe er eine führende Rolle in der Organisation gespielt.
> Offenbar ist diese Aussage selbst der Staatsanwältin zu dünn, weil sie
> es
> nicht auf sich nimmt, den Strafantrag wieder auf organisierte
> Kriminalität
> auszudehnen.
> Charles reagiert auf Vorhalt dieser Aussagen etwas ungehalten, beschwert
> sich darüber, dass er den AZ1 nicht sehen durfte. Dies sei einer
> zivilisierten Gesellschaft nicht würdig. Er beschwert sich außerdem über
> den
> Umstand, dass ihm der eine Inspektor mit dem Dialekt nicht übersetzt
> worden
> sei. Rechtsanwalt Fehringer geht mit
> Verweis auf die Videoüberwachungen des Chinarestaurants kurz auf die
> Aussagen des AZ1 ein: Erstens hätte Charles dann öfter auf den
> Videoaufzeichnungen zu sehen sein müssen und auch die Geldübergaben
> wären zu
> sehen gewesen.
> Nach einer weiteren Pause wird die Dolmetscherin vernommen, die bei der
> Übersetzung des entscheidenden zweiten Vernehmungsprotokolls bei der
> Polizei
> mitgewirkt hat. Sie ist eigentlich gerichtlich beeidete Dolmetscherin
> für
> die türktische Sprache, hat aber auch eine akademische Englischprüfung
> vorzuweisen. Sie gibt an, dass sie prinzipiell wortwörtlich übersetzt
> und
> reagiert ziemlich sauer, als der Rechtsanwalt sie fragt, wie sie die
> entscheidende Passage mit der Wissentlichkeit übersetzt hat. Sie sei
> nicht
> hier, um sich nochmal in Englisch prüfen zu lassen. Dann versucht sie
> ihre
> in Zweifel gezogene Kompetenz dadurch zu demonstrieren, indem sie die
> neben
> dem Richter sitzende Dolmetscherin der Hauptverhandlung korrigiert.
> Diese
> wiederum lässt sich das nicht gefallen, was zu einem heftigen Streit
> über
> die Übersetzung von "quite sure" ausartet; zweifelsfrei der komische
> Höhepunkt der Hauptverhandlung. Die Polizeidolmetscherin ist ganz
> offensichtlich mit gewissen Feinheiten der englischen Sprache nicht
> vertraut. Anstatt aber das von seiner Dolmetscherin geworfene Hölzchen
> aufzugreifen, beendet der Richter nur das Geplänkel und signalisiert
> damit,
> dass ihn auch eine schlechte Übersetzung nicht von seiner Meinung
> abbringen
> wird, dass Charles zum Zeitpunkt der Überweisungen gewußt hat, dass es
> sich
> um Drogengelder handelt.
> Im Schlussplädoyer der Staatsanwaltschaft wird dann noch auf den Vorwurf
> einer falschen Beweisaussage im Parallelverfahren gegen Robinson E.
> eingegangen. Der Verteidiger plädiert diesbezüglich auf Aussagenotstand.
> Dann folgt das Urteil: Schuldspruch bezüglich der Geldwäscherei: 10
> Monate
> bedingt auf 3 Jahre zur Bewährung ausgesetzt. 10.000.- ATS werden von
> Charles Sparbuch einbehalten, da
> über den Damuen geschätzt wird, dass er in dieser Höhe Zuwendungen für
> die
> Überweisungen erhalten hat. Freispruch bezüglich Falschaussage wegen
> "faktischem Aussagenotstand entgegen dem Buchstaben des Gesetzes". Hier
> leistet sich der Richter ein erfreuliches Gustostückerl. Er kritisiert
> die
> Technik der Ausscheidung von Verfahren und die darauffolgende
> Einvernahme
> der Beschuldigten als ZeugInnen. Er verteidigt das Recht der
> Beschuldigten,
> sich zu verantworten, wie sie wollen, auch wenn sie im technischen Sinne
> ZeugInnen sind. Ebenfalls Freispruch bezüglich der
> verwahrten Sparbücher. Charles bekommt 3 Tage Bedenkzeit, ob er das
> Urteil
> annehmen will. Bei einem Strafrahmen von 6 Monaten bis zu 5 Jahren
> bewegt
> sich das Urteil am unteren Limit. Was besseres würde auch in der Instanz
> nicht herausschauen, zumal die Beweiswürdigung des Erstrichters dort
> nicht
> umzustossen sein wird.
> Leider hat das Urteil die Konsequenz, dass die Aufenthaltsberechtigung
> von
> Charles nicht verlängert werden wird. Die Sorge vonwegen einer
> sofortigen
> Abschiebung wird uns jedoch von der Staatsanwältin abgenommen, die
> sofort
> volle Berufung und
> Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil ankündigt. Wenn dies von der
> Oberinstanz nicht als unbegründet abgewiesen wird, dann wird es in 4 bis
> 6
> Monaten die nächste Runde geben.
> Und die Moral von der Geschicht: Bei der Polizei nix unterschreiben und
> nie
> mehr sagen als Name, Geburtsdatum, Meldeadresse. Zu mehr gibts keine
> Verpflichtung, basta!
>
> * * * * * * *
> Weitere Informationen zur Operation spring und zu den rassistischen
> Prozessen findet ihr unter:
>
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