Potsdam: Stellungnahme zu geplanten Polizeibefugnisse
Runder Tisch Polizeirecht
Lindenstraße 53
14467 Potsdam 05.12.2000
Presseerklärung
Stellungnahme zu geplanten Polizeibefugnissen
In seiner Sitzung am gestrigen 04.12.00 im Stadthaus Potsdam befaßte sich
der Runde Tisch Polizeirecht mit den vorgesehenen Änderungen des
brandenburgischen Polizeigesetzes, die vom Landtag in der kommenden Woche in
zweiter Lesung behandelt und voraussichtlich beschlossen werden sollen.
Zu den einzelnen Befugnissen nimmt der Runde Tisch wie folgt Stellung:
Aufenthaltsverbot:
Der Runde Tisch lehnt die Einführung von Aufenthaltsverboten mehrheitlich
ab:
Der Gesetzentwurf sieht mit dem Aufenthaltsverbot die Möglichkeit vor,
Personen das Betreten ganzer Gemeinden bis zu drei Monaten zu untersagen
(auch mehrfach hintereinander). Ausnahmegenehmigungen müssen im Einzelfall
bei der Polizei beantragt werden. Das Aufenthaltsverbot soll durch alle
Polizist/innen ausgesprochen werden können. Einen Richtervorbehalt oder eine
Beschränkung der Anordnungsbefugnis z.B. auf den/die Behördenleiter/in
sieht der Gesetzentwurf nicht vor. Die Straftaten, die mutmaßlich durch das
Aufenthaltsverbot verhindert werden sollen, sind nicht z.B. durch einen
abschließenden Katalog konkretisiert oder auf Verbrechen beschränkt.
Das Aufenthaltsverbot stellt hinsichtlich der Zahl und Intensität der
Grundrechtseingriffe eine Norm dar, die einer besonderen Rechtfertigung
bedürfte.
Der Runde Tisch kann nicht erkennen, welche Situationen eine solch
drastische Maßnahme unabdingbar machen. Zur Abwendung von Gefahren, die vom
Aufenthalt von Personen an bestimmten Orten ausgehen, genügt der bereits
jetzt zulässige Platzverweis.
Es besteht keine Notwendigkeit dafür, der Exekutive eine Befugnis zu
verleihen, die über die Abwehr konkreter Gefahren hinaus nachhaltig in den
Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung eingreift.
Einheitlich geht der Runde Tisch davon aus, daß einfache Streifenbeamte mit
der Vornahme komplizierter Grundrechtsabwägungen zumal in Streßsituationen
in der Regel überfordert sind.
Der Runde Tisch Polizeirecht hat Zweifel daran, daß der Landesgesetzgeber
überhaupt befugt ist, eine Norm zu schaffen, die in die Grundrechte auf
Freizügigkeit oder Versammlungsfreiheit eingreift (siehe Art.73 u. 74 GG).
Es ist zu befürchten, daß die Befugnis vor allem gesellschaftliche
Randgruppen treffen und zur Durchsetzung der herrschenden
ordnungspolitischen Vorstellungen im öffentlichen Raum genutzt wird.
Videoüberwachung
Der Runde Tisch lehnt die Einführung der Videoüberwachung öffentlicher
Plätze mehrheitlich ab.
Der Gesetzentwurf sieht die Videoüberwachung öffentlicher Plätze vor. Die
betroffenen Plätze müssen deutlich ausgeschildert sein. Es genügt, daß
Lageerkenntnisse dafür vorliegen, daß an diesen Orten (irgend) eine Straftat
droht. Unter den gleichen Voraussetzungen sind auch Bildaufzeichnungen und
die Erhebung persönlicher Daten zulässig.
Die Videoüberwachung bricht mit dem Rechtsstaatsprinzip der
Unschuldsvermutung.
Sie erzeugt Anpassungsdruck und verdrängt bestimmte Personengruppen an
andere Orte.
Videoüberwachung greift unverhältnismäßig in die Persönlichkeitsrechte
vieler ein, ohne Straftaten verhindern zu können.
Internationale Erfahrungen belegen, daß Videoüberwachung die Verlagerung von
Kriminalitätsschwerpunkten und dadurch wiederum die ständige Ausweitung
videoüberwachter Zonen bis hin zur totalen Überwachung (wie z.B. in Central
London New Castle) nach sich zieht.
Ein dieses Szenario rechtfertigender Rückgang von Straftaten ist nicht
nachweisbar.
Welche Gefahren durch die Möglichkeiten biometrischer Scannung,
automatisierten Datenabgleichs, der Erstellung von Bewegungsprofilen und die
Verknüpfung mit privater Überwachung z.B. in Verkehrsmitteln oder
Einkaufszentren zusätzlich entstehen, können bislang weder
Datenschützer/innen noch der Runde Tisch abschließend überblicken.
Todesschuß:
Der Runde Tisch lehnt die Einführung des Todesschusses mehrheitlich ab:
Der Gesetzentwurf sieht die Einführung des Todesschusses als polizeiliche
Standardmaßnahme vor, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer Gefahr für
das Leben oder eine schwere Gesundheitsschädigung darstellt.
Mit dem Todesschuß soll erstmals eine Befugnis geschaffen werden, die die
Tötung eines Menschen durch die Staatsgewalt legalisiert. Das widerspricht
der Wertentscheidung, die durch die Abschaffung der Todesstrafe getroffen
wurde.
Der Runde Tisch kann keinerlei über die bestehenden Möglichkeiten von
Notwehr/Nothilfe hinausgehenden Regelungsbedarf erkennen.
Die Rechtssicherheit der Todesschützen dürfte sogar abnehmen, da der Schuß
von einem (nicht einmal anwesenden) Vorgesetzten angeordnet werden kann und
eine Weigerung die (Unterlassungs-)Strafbarkeit und dienstrechtliche
Konsequenzen zur Folge haben kann.
Außerdem werden die Ermittlungen auf den Weisungsgeber ausgedehnt.
Die Todesschußregelung führt zu weiteren Unklarheiten in den häufigen Fällen
vorgetäuschter Geiselnahmen oder der Verwendung von Scheinwaffen.
Der mögliche Todesschuß macht die Geisel für den Straftäter zur Gefahr. Erst
nach dem Tod der Geisel wird der Todesschuß unzulässig. Eine solche
Interessenkonstellation dient ganz sicher nicht der Sicherheit der Geisel.
Der Runde Tisch Polizeirecht wurde 1995 als interessenübergreifendes
Fachgremium gegründet. Er arbeitet in wechselnder Besetzung zu Themen des
Polizeirechtes.
Bislang nahmen an Sitzungen des Runden Tisches teil: Flüchtlingsrat, GdP,
Kampagne gegen Wehrpflicht, Jusos, PULK, ai, Bund Deutscher Kriminalbeamter,
Innenministerium, PDS, SPD, Datenschutzbeauftragter, JungdemokratInnen,
Bündnis 90/Die Grünen, Rote Hilfe, DKP, FriKo, OLL, TiP, Komitee für
Gerechtigkeit.(Die kursiv gedruckten Gruppen nahmen an der letzten Sitzung
teil.)
Wegen der großen Bedeutung des Polizeirechtes und der Intensität der mit ihm
verbundenen Grundrechtseingriffe möchten wir Sie dringend bitten, eine in
Gründlichkeit, Ausgewogenheit und Umfang der Problematik angemessene
Berichterstattung sicherzustellen.
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