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Potsdam: Kein Anstand - Kein Aufstand!

AG Antirassismus und Antifa Aktion Potsdam
unterstützt vom AStA der Universität Potsdam

Kein Anstand - Kein Aufstand!
Rechtsextremismusdebatte und Folgerungen für die Linke

Eine Diskussionsveranstaltung mit
Rainer Bohn (Publizist und Verleger) und
Alfred Schobert (Publizist und Mitarbeiter des DISS)

Mo 11.12.00, 20 Uhr
FH Potsdam (Hörsaal I), Am Alten Markt

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Kein Anstand - Kein Aufstand!

Rechtsextremismusdebatte und Folgerungen für die Linke


Fast könnten selbst geneigte LeserInnen glauben, die vormals doch
recht lautstark rumlärmende, antifaschistische/antirassistische Linke
bekommt vor Staunen den Mund nicht mehr zu bzw. auf. Bis auf ein paar
lokale Antifagruppen, welche den Medienhype für sich auszunutzen
suchten und auch bereitwillig öffentlichen Raum geboten bekamen,
tönten jetzt Leute über das Problem Rechtsextremismus, die vorher eher

auf der anderen Seite des Frontverlaufs verortet wurden.

Auftakt dafür war das Sprengstoff-Attentat auf russische JüdInnen in
Düsseldorf, bei dem am 27. Juli mittels einer präparierten Handgranate

aus dem Zweiten Weltkrieg 12 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden.

Verebbte jedoch bei früheren Anschlägen das Medieninteresse relativ
schnell, hält die Debatte trotz des inzwischen schon recht
fortgeschrittenen Sommers immer noch an. Und nicht nur in dem
zeitlichen Rahmen der Auseinandersetzung, sondern auch in den
zentralen Prämissen und Forderungen lassen sich deutliche Unterschiede

zu den Reaktionen auf Rostock, Solingen und Mölln erkennen: Statt
ausschließlich von verirrten, arbeits- und perspektivlosen
Modernisierungsverlierern zu schwallen, analysieren die Zentralorgane
der Berliner Republik einen aus der Mitte der Gesellschaft stammenden
Rassismus. Statt von Einzeltätern ohne ideologischen Hintergrund ist
von "national befreiten Zonen", ja selbst von einem rechten
Terrorismus á la RAF die Rede. Die hochgelobte Akzeptierende
Sozialarbeit mit rechten Jugendlichen wird als "Glatzenpflege auf
Staatskosten" diskreditiert. In einer nie gekannten Sensibilität
gelangen selbst die kleinsten Schmierereien in die überregionale
Presse und nötigen PolitikerInnen zu symbolischen Akten der
Anteilnahme und Solidarität. Banken kündigen rechten Vereinigungen die

Konten, und GewerkschaftlerInnen fordern Arbeitsverbote und
Auflockerungen des Postgeheimnisses gegen Rechts. Fast erweckt es den
Anschein, dass die Antifa in der Mitte der Gesellschaft angelangt ist,

was nicht zuletzt auf deren theoretische Schwächen und Versäumnisse in

den letzten 2-3 Jahren zurückzuführen ist.

Um das Ausmaß der angestrebten gesellschaftlichen Veränderungen
erkennen zu können, ist es notwendig, den öffentlichen Diskurs auch
vor dem Anschlag in Düsseldorf näher zu beleuchten. Der im Frühjahr
dieses Jahres erfolgte Ruf der deutschen Industrie nach mehr
qualifizierten ArbeitnehmerInnen im Bereich Informatik/Neue Medien und

die entsprechenden Gesetzesnovellen zur Einrichtung beschränkter
Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen führten nach dem
old-school-rechtspopulistischen CDU-Wahlkampf zur Landtagswahl in
Hessen zur Green-Card-Debatte. Allerdings verstummten diese von
Überfremdungsangst und Xenophobie geprägten Stimmen vorerst, als am
19. Juli der Präsident des Statistischen Bundesamtes Halen
nachträglich eine UNO-Studie bestätigte. Diese besagt, dass zur
langfristigen Haltung des Rentenniveaus das Renteneintrittsalter auf
77 Jahre angehoben oder aber jährlich eine halbe Million
EinwanderInnen zugelassen werden müssen. Spätestens nachdem sich
herausstellte, dass das Angebot, in Deutschland arbeiten und leben zu
dürfen, für die benötigten ComputerspezialistInnen ob der Gefahr für
Leib und Leben nicht allzu verlockend schien, war klar, dass sich
etwas ändern musste. Der Standort Deutschland ist in Gefahr. Und
jeder, so die Standortlogik, der ihm weiter schadet, ist ein
Volksfeind.

Als Schröder dann anlässlich des Mordes an Alberto Adrianos nach
Dessau reiste, um als erster deutscher Hauptrepräsentant
öffentlichkeitswirksam eines der zahlreichen Opfer faschistoider
Straßengewalt zu bedauern, war ein neues Strategiepaket zum Umgang mit

rechtsextremer Gewalt bereits fest gezurrt. Am 7. Juni verabschiedete
der Bundestag einen Maßnahmenkatalog "Gegen Rechtsextremismus,
Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt" (Drucksache 14/3516).

Neben zahlreichen repressiven Schritten wie konsequenter
Strafverfolgung und Bekämpfung des organisierten Rechtsextremismus mit

allen rechtstaatlichen Mitteln zur kurzfristigen Eindämmung des
Problems enthält das Papier auch noch einen Appell an die
Zivilgesellschaft. Und da es diese nur mangelhaft bis gar nicht gibt,
folgen sofort die Rezepte: Integration der hier lebenden MigrantInnen,

mehr Arbeit, Finanzspritzen für "demokratisch orientierte
Jugendliche", Aufklärung überall. Und Zusammenarbeit mit den
Medienverbänden, denn: Eine öffentliche Auseinandersetzung mit
Rechtsextremismus muss her.

In Kenntnis dieser Vorgeschichte vermag es dann auch niemanden mehr
verwundern, wie sich in Reaktion auf den Anschlag in Düsseldorf ein
pompöses mediales Szenario in Bewegung setzte. Obwohl der/die Täter
bis heute nicht ermittelt sind, fand und findet seit diesem Zeitpunkt
eine breite Auseinandersetzung statt, und fast jeder durfte und darf
dazu was sagen. Passiert sind ein mehr oder weniger angebahntes
NPD-Verbot, ein wenig Repression gegen Nazis und innenpolitische
Aufrüstung. Und Händchenhalten beim Demonstrieren am vor Bedeutung
platzenden 9. November, für "Frieden, Toleranz und Menschenwürde". War

das dann eigentlich die Zivilgesellschaft?


Konzept Zivilgesellschaft

Leider ist der Begriff Zivilgesellschaft ziemlich unscharf und wird je

nach Gutdünken verwandt. Bei der Zivilgesellschaft handelt es sich
nicht um eine gesellschaftliche Utopie, sondern um Formen von
politischer und sozialer Selbstorganisation, die sich vorrangig für
die Entwicklung einer demokratischen Kultur einsetzen. Entstanden im
Kontext des Kommunitarismus in den USA, beschrieb Jürgen Habermas die
Zivilgesellschaft als Kontrapunkt zum Staatssystem. Davon ist in
Deutschland nicht viel zu spüren. Hier ist die aktive StaatsbürgerIn
verlängerter Arm der Polizei, läuft Zivilstreife oder meldet
Flüchtlinge beim BGS.

Das denkt sich Rot/Grün in Zukunft anders: Ihr Inbegriff der
Zivilgesellschaft ist der ehrenamtlich arbeitende, progressive und
manchmal auch gewaltfrei ungehorsame Mensch, der sich für die Belange
der "Gesellschaft" einsetzt, da wo es der Staat nicht tut, bzw. wo der

Staat dem historischen Wandel noch etwas hinterherhinkt. Angesagt ist
also: Am Stammtisch "Vorurteilen und rechtsextremer Propaganda ...
widersprechen"(1), denn da kommt die Polizei so selten vorbei und ist
auch noch keine Videokamera installiert. "Sich in Vereinen und
Initiativen und Initiativen zu engagieren, die Integrationsarbeit oder

Aufklärungsarbeit über Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit,
Antisemitismus oder Gewalt leisten."(2) Und das alles für Deutschland.

Dafür bekommt dieser Mensch viel Lob bei offiziellen Anlässen und
legitimiert dabei (fast) immer die herrschende Politik. Später gibt es

auch noch die Option der völligen Integration, sehr offensichtlich bei

einigen NGO's aus dem Umweltbereich zu beobachten.

Es gibt da aber ein Problem: Die NormalverbraucherIn ist zwar für
Deutschland, hat aber was gegen Andersaussehende und sich anders
Verhaltene. Natürlich gehört das staatliche Gewaltmonopol für die
meisten gewahrt. Es ist aber zu befürchten, das eine weitverbreitete
Vorstellung von aktiver Integration eher anmutet wie Dolgenbrodt. Und
auch, wenn jetzt welche, die aussehen und sich benehmen wie die Nazis
im Fernsehen, mit zu den Volksfeinden zählen, ist dem Problem damit
wenig abgeholfen. Denn solange z.B. MigrantInnen als belastend und
unbrauchbar eingestuft werden, um die Abschiebepraxis zu legitimieren,

sind rassistischen Ressentiments der Boden bereitet. Und dass endlich
Schlussstrich unter der deutschen Geschichte sein soll, um wieder
Krieg führen zu dürfen, ist Revanchismus á la carte, und da sind
JüdInnen in ihrer Existenz schon im Wege. Keine Aufklärung kann
leisten, dass Menschen mit Opfern rassistischer und antisemitischer
Vorurteile solidarisch denken und handeln, ohne dass sie in
Widerspruch mit dem "deutschen Leitbild" geraten. Daher wird die
neoliberale Idee des Einspringens der vergesellschafteten Subjekte für

die wegfallenden Zuständigkeitsbereiche des Staates, zumindest was
antirassistische/antifaschistische Arbeit betrifft, bisher fast
ausschließlich von der marginalisierten Linken und deren Veteranen mit

Leben erfüllt. Dass solche Initiativen und Projekte nun vereinnahmt
werden, wie bei "Aktion Noteingang" mit einer bereitwilligen,
öffentlichen Präsentation und der Verleihung des Aachener
Friedenspreises geschehen, ist folgerichtig. Militante oder schon von
ihrer Öffentlichkeitswirkung her nicht integrierbare Aktionen gibt es
kaum noch. Abgesehen von ein paar Zweckzusammenhängen von Industrie
und Lokalpolitik zur Imagepflege am Standort sieht es also mau aus mit

Zivilgesellschaft.


Konzept Wehrhafte Demokratie

Das erfolgreichere Konzept gegen rechte Straßengewalt ist
wahrscheinlich das des Hardliners Schönbohm: Wenn störende Neonazis
nicht schon durch Videoüberwachung festgestellt wurden, ruft die
aufgeklärte BürgerIn nach der Polizei, die das Problem dann beseitigt.

So ist die Optik wieder o.k., und außerdem bleibt die staatliche
Hoheit erhalten. Um Zeichen zu setzen, die Bevölkerung zu beruhigen
und die Debatte zu einem glimpflichen Ende zu bringen, wird zudem noch

die NPD verboten. Dass dieses Vorgehen dem spezifisch deutschen,
autoritären Charakter nur zu gut in dem Kram passt, wurde nicht
übersehen, sondern ist beabsichtigt. Der gehorsame Bürger, der die
Bestrafung alles Abweichenden der exekutiven Gewalt überlässt,
stabilisiert das System.

Festzustellen ist, dass die "demokratische Rechte" sowie die
Bundesregierung und große Teile von Rot/Grün das NPD-Verbot aufgrund
der Verletzung des staatlichen Gewaltmonopols und als Folge der
Erkenntnis, das mit "pädagogischen" Maßnahmen der Situation nicht
beizukommen ist, fordern. Wobei niemand davon ausgeht, dass das
NPD-Verbot eine nachhaltige Lösung darstellt, wird es als wichtiges
Symbol angesehen. Ein Rückzug des organisierten Rechtsextremismus in
autonome Strukturen ist dabei nicht nur anzunehmen, sondern aufgrund
der engen Verquickung von NPD und Kameradschaften sehr wahrscheinlich.

Sollte der Repressionsdruck aber konsequent aufrechterhalten werden,
könnten große Teile der rechten Jugendkultur gesellschaftlich
assimiliert werden, da rechter Lifestyle an Dominanz und Attraktivität

verliert. Selbst in den Brennpunktregionen wäre dann das Problem aus
der öffentlichen Wahrnehmung gerückt. Das Anfang und Mitte der 90er
Jahre noch präsente Argument, dass die Demokratie sich im Kampf gegen
Rechts nicht selbst demontieren darf, wird nur noch als
Minderheitenposition vertreten. Ablehnung, oder - falls vorhanden -
Opposition gegen das NPD-Verbot beruft sich eher darauf, dass es
nichts bringt oder dass es nicht genug beweisbare Verbotsgründe gibt.

Die mit der Existenz von Nazis begründeten, repressiven Maßnahmen, wie

z.B. Videoüberwachung und Einschränkung des Demonstrationsrechts,
bieten - dies sollte trotz mangelnder Relevanz nicht unerwähnt bleiben

- alle Anschlussmöglichkeiten für einen Kampf gegen "linken
Extremismus" bzw. sind teilweise übertragbar. Dass die Maßnahmen schon

vorher geplant waren, darf jedoch nicht dazu führen, von Seiten der
Linken die Debatte als pure Legitimationsgrundlage für den
"Überwachungsstaat" zu thematisieren. Vielmehr zeigt sich hier die
Unfähigkeit der kapitalistischen Gesellschaft, dem durch sie erzeugtem

Unglück der Individuen anders als mit Sanktionen zu begegnen.


Folgerungen für die antirassistische/antifaschistische Praxis

Es ist leicht zu erkennen, dass sich nicht die politischen Ziele in
der Berliner Republik geändert haben, sondern die politische
Situation. Und auch wenn es nun einer Standortlogik aus ökonomischen
und demografischen Gründen entsprechen sollte, Zuwanderung im
erheblichen Maße zuzulassen, heißt das nicht, dass damit die in der
kapitalistischen Verwertungslogik, im Ringen um nationale und
völkisch-kulturelle Identität und einer autoritären Gesellschaft
begründete Verhaltens- und Denkmuster verschwinden. Auch in dem Fall
einer jährlichen Migration von einer halben Million verwertbarer
Nichtdeutscher werden sich diese und vor allem die Nicht-Verwertbaren
mit Rassismus und Wohlstandschauvinismus konfrontiert sehen,
geschweige denn, dass sich antisemitische und strukturell
antisemitische Vorurteile einfach so in Luft auflösen. Im Kontext der
Walserdebatte und der Einrichtung eines UN-Eingreifkontingents
beeinträchtigt eine hegemonielle rechtsextremistische Jugendkultur die

Glaubwürdigkeit der Propaganda von einem Demokratisierungsprozess.
Diese ist aber notwendig für die endgültige nationale Restauration.
Die Zivilisierung des Rassismus erscheint somit nicht als Mittel zur
Gewährleistung von Grund- und Menschenrechten, sondern als Weg
Deutschlands zu einem modernen Kooperations- und Wettbewerbsstaat im
internationalem Maßstab. Die Notwendigkeit vom Kampf gegen Rassismus,
Nation und Kapitalismus ist somit weiter gegeben, auch wenn
Ansatzpunkte und Mittel einer der veränderten Situation gerechten,
kritischen Prüfung unterzogen und der eigene Standpunkt neu verortet
werden müssen.

Während sich die Intentionen der an der Rechtsextremismusdebatte
maßgeblich Beteiligten von denen einer radikalen Linken deutlich
unterscheiden, sieht das bei der Abgrenzung einer
antifaschistischen/antirassistischen Praxis von der von der Neuen
Mitte protegierten Zivilgesellschaft schon schwieriger aus. Sind das
Einfordern von Solidarität und die Gewährleistung von Schutz für Opfer

rechtsextremistischer Übergriffe genauso wie das Erzeugen von
Aufmerksamkeit und die Mobilisierung von Gegenwehr bei Naziaktivitäten

wichtig und richtig, so hat diese Praxis wenig bis gar nichts mit dem
Kampf für eine bessere Gesellschaft zu tun. Auch wenn die Autonomen
eine der wenigen gesellschaftlichen Kräfte in Deutschland waren, die
sich gegen die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl
einsetzten, so haben sie trotzdem Bestandserhaltung von Grundrechten
in der deutschen bürgerlichen Gesellschaft betrieben. Diesem Zustand,
dass die Falschen das Richtige tun, sollte weitestgehend abgeholfen
werden. Statt in den Wettstreit zu treten, was und wer denn nun die
bessere Zivilgesellschaft sei, und weiter die "Guten Deutschen" zu
simulieren, sollte sich die Linke besser auf eine radikale
Gesellschaftskritik besinnen. Sie kann damit nicht nur ihr eigenes
Profil schärfen, sondern setzt außerdem dem volkstümlichen Diskurs
darüber, ob "deutsche Leitkultur" gesagt werden darf oder nicht, etwas

entgegen. Die bisher praktizierte, unkritische Bündnispolitik ist zu
hinterfragen. Natürlich ist es sinnvoll, nun mögliche Verbesserungen
für die Situation von MigrantInnen durchzusetzen und möglichst viel
Förderknete abzufassen. Aber erst mit einer neuen Schwerpunktsetzung
der praktischen Arbeit, mit besserer Vernetzung über
Nationalstaatsgrenzen hinaus und einer größeren Distanz zur Neuen
Mitte wird die Linke als solche wieder zu erkennen sein und gestärkt
aus der Rechtsextremismusdebatte hervortreten.

(1) Bundestags-Drucksache 14/3216
(2) ebenda

 

06.12.2000
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