Bremen: Offener Brief zum Fall Akubuo!
Offener Brief an den Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern
Sehr geehrter Herr Dr. Ringstorff.
Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, haben sich Ihre Kollegen der SPD- und
PDS- Landtagsfraktionen in ihren offiziellen Erklärungen vom 21.
November dafür ausgesprochen, dass dem nigerianischen Flüchtling, Akubuo
Anunsonwu Chukwudi, ein Aufenthaltsrecht in Deutschland gewährt wird, um
ihm eine faire und umfassende Hauptverhandlung im Asylverfahren zu
ermöglichen. Sie befürworteten seine sofortige Freilassung aus der
Abschiebehaft und äußerten ihre tiefe Sorge darüber, dass angesichts der
kritischen Menschenrechtssituation in Nigeria sein Abschiebeschutz
aufgehoben wurde. Wir begrüßen den Einsatz politischer Courage, indem
sich die Abgeordneten verpflichteten, die Menschenrechte eines
politischen Aktivisten zu garantieren, dessen siebenjähriger Aufenthalt
in Deutschland von einem unaufhörlichen Ringen um Gerechtigkeit
gekennzeichnet ist. Gekennzeichnet nicht allein durch seine
oppositionellen Aktivitäten gegen das nigerianische Regime, sondern
ebenso durch sein unermüdliches Engagement gegen die sich zunehmend
verschlechternde Menschenrechtssituation von Flüchtlingen, die er
wiederholt an die Öffentlichkeit trug.
Nach 24 Tagen Hungerstreik befindet er sich trotz seines
besorgniserregenden körperlichen und seelischen Zustandes noch immer in
Haft. Mehr noch; nachdem die Gerichte ihm seinen Abschiebeschutz
entzogen haben, hat das Amtsgericht Güstrow einer Verlängerung der
Abschiebehaft um weitere zwei Monate zugestimmt - ein Zeitraum, in dem
Akubuo aufgrund seines Hungerstreiks sterben würde.
Gegenwärtig stellen wir uns immer wieder folgende Frage: Wenn sich der
Großteil der höchsten gewählten politischen Repräsentanten des Landes
für die Freilassung Akubuos ausgesprochen haben, wie kann es sein, dass
er noch immer von Abschiebung bedroht ist? Kurz gefragt, wer will Akubuo
abschieben?
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge? In der Tat
hat das Bundesamt seinen Antrag auf politisches Asyl wiederholt
zurückgewiesen, ihn als politischen Aktivisten nicht anerkannt und ihm
vorgeworfen, er würde sich in seiner diesbezüglichen Beweisführung
widersprechen. Dies ungeachtet der Tatsache, dass Akubuo sein
politisches Engagement gegen das diktatorische Regime in Nigeria sogar
in Deutschland durch seine aktive Rolle in politischen Organisationen
wie der ?United Democratic Front of Nigeria?, der ?Free Beko Kuti
Campaign?, dem ?The Voice Africa Forum? und der ?Karawane für die Rechte
der Flüchtlinge und Migrant/innen? ständig bewiesen hatte. Ihnen selbst,
Herr Dr. Ringstorff, dürfte Akubuo aufgrund der zahllosen Petitionen und
Briefe bekannt sein, mit denen er sich bezüglich seiner Kampagnen für
die Rechte von Flüchtlingen an Sie wandte.
Die ?Zweifel? über seine politischen Aktivitäten und die angeblichen
Widersprüche in seinen Aussagen wurden jedenfalls in einem Eilverfahren
vor dem Schweriner Verwaltungsgericht im Herbst 1998 insofern
ausgeräumt, als dass es eine Gefährdung Akubuos in Nigeria nicht
ausschließen konnte und ihm daraufhin einen Abschiebeschutz bis zum
Abschluss des Hauptverfahrens gewährte (während unzählige nigerianische
Flüchtlinge bis zum heutigen Zeitpunkt weiterhin aus Deutschland nach
Nigeria abgeschoben wurden). Nun, da das Verwaltungsgericht in seiner
jüngsten Entscheidung den Abschiebeschutz trotz der andauernden
unsicheren Lage in Nigeria aufhob, erhielt die umstrittene Entscheidung
des Bundesamtes wieder Gültigkeit. Akubuos Anwalt hat gegen diese
Entscheidung unmittelbar Widerspruch eingelegt und umfassende Beweise
für die sich verschärfende Menschenrechtssituation in Nigeria angeführt.
Die Beweislage war zumindest für das Hannoveraner Verwaltungsgericht im
Fall eines langjährigen Mitstreiters von Akubuo, dem nigerianischen
Menschenrechtler und Vetreter der ?Karawane für die Rechte der
Flüchtlinge und Migrant/innen?, Sunny Omwenyeke, ausreichend, vor einer
abschließenden Entscheidung neue Berichte über Nigeria einzuholen.
Aufgrund der sich überschlagenden Ereignisse in Nigeria sah das Gericht
die vorliegenden Unterlagen als überholt und nicht mehr aussagekräftig
an. Einzelrichter Wessel in Schwerin hingegen wies Akubuos Antrag
bereits innerhalb von zwei Tagen mit nahezu unverschämter Eile ab. Er
fällte sein Urteil, ohne überhaupt die angekündigten Beweismittel
einzusehen, die sich noch fristgerecht auf dem Postweg zu ihm befanden.
Aufgrund dessen hat Akubuos Anwalt, der im übrigen auch Sunny Omwenyeke
vertritt, Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in
Karlsruhe eingelegt.
Offensichtlich sind die Gerichte derzeit nicht in der Lage, die
momentane Situation in Nigeria eindeutig zu beurteilen. Es bleibt daher
fragwürdig, mit welcher Sicherheit das Schweriner Gericht den
Abschiebeschutz für Akubuo aufgehoben hat und darüber hinaus den Antrag
ablehnen konnte, ohne überhaupt das Eintreffen der Beweise abzuwarten.
Es wäre naiv davon auszugehen, der Unterschied zwischen den
Entscheidungen des Hannoveraner bzw. des Schweriner Gerichts sei eine
bloße Frage von Glück oder Unglück gewesen. Noch naiver wäre es zu
glauben, die Schweriner Richter seien über äußere Einflüsse erhaben, die
die Abschiebung von Akubuo forcieren möchten. Doch woher kommt dieser
Druck?
Könnte er von der Ausländerbehörde kommen? Tatsächlich haben wir gute
Gründe davon auszugehen, dass der Leiter der Parchimer Ausländerbehörde,
Heiko Lohrenz, Akubuo abgeschoben sehen möchte. In einem kürzlich in der
Lokalpresse erschienenen Artikel diffamierte Herr Lohrenz Akubuo mit der
Behauptung, Akubuo sei unpolitisch und versuchte damit, indirekt die
Abschiebung zu rechtfertigen (Bützower Zeitung vom 28.11.2000). Wir sind
überzeugt, Herr Dr. Ringstorff, dass Sie mit unserer Meinung
übereinstimmen, dass es für einen Verwaltungsbeamten in höchstem Maße
unüblich ist, sich in dieser Form zu einer solchen Angelegenheit zu
äußern. Wir wissen, dass Akubuo Herrn Lohrenz persönlich bekannt ist, da
er dem Asylbewerberheim `In den Peeschen` bei Sternberg zugewiesen
wurde, welches der Parchimer Ausländerbehörde untersteht. Während seines
dortigen Aufenthalts hat Akubuo beständig die entsetzlichen
Lebensbedingungen und die bevormundende wie auch repressive Leitung, der
die dortigen Flüchtlinge ausgesetzt sind, an die Öffentlichkeit
gebracht. Es ist interessant wie eine angeblich unpolitische Person eine
so starke und kraftvolle Kampagne initiieren konnte, die das Sternberger
Asylbewerberheim, Herrn Lohrenz und die Ausländerbehörde Parchim
öffentlich kritisierte. So stark und kraftvoll, dass sogar die
Bildzeitung breit über die skandalösen Zustände berichtete. Ja, wir sind
uns sicher, dass Herr Lohrenz eine tiefsitzende Feindseligkeit gegen
Akubuo hegt.
Tag und Nacht kämpfte Akubuo darum, die menschenunwürdigen Zustände in
dem der Ausländerbehörde unterstellten Flüchtlingsheim an die
Öffentlichkeit zu bringen. Zur gleichen Zeit versuchten die zuständigen
Beamten und auch Rechtsextreme seinen Protest zum Schweigen zu bringen -
sie versuchten ihn zu bestechen, sie versuchten ihn zu verprügeln, sie
verübten gezielt einen Brandanschlag auf sein Zimmer in der
Asylunterkunft. Doch da man feststellte, daß man ihn damit nicht brechen
konnte, bediente man sich der Abschiebemaschinerie, um ihn aus dem Land
zu entfernen. Vielleicht sind es die Sympathisanten ?rechter? Ideen
innerhalb des Verwaltungssystems im östlichen Teil Deutschlands, die ihn
jenseits der Grenzen sehen wollen.
Den Einfluss des Rechtsextremismus kann man daran ermessen, dass es in
Ostdeutschland mittlerweile Gegenden gibt, die von Flüchtlingen nicht
betreten werden können. Es gibt eine beachtliche Anzahl von Menschen,
die sich wünschen, dass dies in ganz Deutschland der Fall sein möge. Der
effektivste Weg, dies zu erreichen, ist die Stigmatisierung aller
Flüchtlinge als unverbesserliche Kriminelle, die man so schnell wie
möglich loswerden müsse.
Wie es scheint, sind heute in Mecklenburg-Vorpommern diese Kräfte
zusammengekommen, um das unheilige Elixier des Rassismus in der
kaltherzigsten und bürokratischsten Manier zu brauen, mit dem Ziel,
Akubuo loszuwerden. Der minimale Schutz, der ihm unter dem wenigen, was
von dem Asylrecht in Deutschland übriggeblieben ist, gewährt wurde, ist
ihm durch die gemeinsamen Anstrengungen dieser Kräfte entrissen worden.
Aber kann diese unheilige Allianz im Namen einer liberalen Demokratie
agieren? Wie wir alle wissen, ist es eine der grundsätzlichen Prämissen
liberaler Demokratien, dass eine gerechte und unparteiische Verwaltung
Beschlüsse auf Grundlage von Gesetzen ausführt, die von einer
unabhängigen Justiz kontrolliert werden können. Eine eben solche
Prämisse jeder liberalen Demokratie ist es, dass gewählte politische
Vertreter eingreifen können, wenn eine offensichtlich ungerechte
Entscheidung getroffen wurde. Dies bringt uns zu unserer Ausgangsfrage
zurück. Wer möchte Akubuo abschieben? Will die Regierungskoalition die
Abschiebung durchsetzen, obwohl sie öffentlich das Gegenteil verkündet?
Setzen sich hochrangige Vertreter der Kirche und all die Menschen, die
Petitionen unterschrieben haben, dafür ein, dass Akubuo abgeschoben
wird? Das Gegenteil ist der Fall.
Und dennoch: krank, nach 24 Tagen Hungerstreik, im Rollstuhl sitzend,
wartet Akubuo in einer Gefängniszelle auf seine Abschiebung. Werden die
Forderungen von demokratisch gewählten Institutionen in
Mecklenburg-Vorpommern, der Kirche und Tausenden von Menschen, die sich
für Akubuos Recht, in diesem Land zu bleiben, eingesetzt haben, durch
den Druck rassistischer Kräfte hinweg gewischt? Die Frage bleibt offen.
Die Härtefallkommission hat empfohlen, Akubuo unverzüglich aus der Haft
zu entlassen. Sie, Herr Dr. Ringstorff, werden uns Recht geben, dass,
obgleich die Empfehlungen der Härtefallkommission nicht bindend sind,
die fortdauernde Inhaftierung moralisch nicht länger zu rechtfertigen
ist - insbesondere da die Einrichtung der Härtefallkommission einen
Eckpfeiler der Flüchtlingspolitik Ihrer Koalition darstellt. Darüber
hinaus hat die leitende Anstaltsärztin, unterstützt durch einen
Psychiater, erklärt, dass Akubuos Verfassung eine fortdauernde
Inhaftierung nicht zuläßt. Jeder weitere Hafttag gefährdet seine
Gesundheit und sein Leben und ist aus Gründen medizinischer Ethik nicht
zu verantworten. Interessanter Weise hat das Gericht, das über die
Verlängerung seiner Haft zu entscheiden hatte, die Beurteilungen der
Experten nicht nur willentlich ignoriert, sondern zudem dem
Rechtsbeistand von Akubuo bewußt diese ärztlichen Stellungnahmen
unterschlagen. So versuchte er entgegen grundlegender ethischer
Auffassung zu rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen ist und
verlängerte die Abschiebehaft auf Antrag der Ausländerbehörde um zwei
weitere Monate.
Die Antwort des Innenministers auf die Empfehlung der
Härtefallkommission, obwohl nicht ganz eindeutig, scheint in dieselbe
Richtung zu weisen. Auch wenn er die Empfehlung begrüßt, hat er die
endgültige Entscheidung in die Hände der Ausländerbehörde übergeben, die
keinen Hehl aus ihrer Sicht der Dinge macht. Der Innenminister hat
ebenfalls erklärt, dass er keinen Grund zum Eingreifen sieht, solange
keine Verfahrensfehler im rechtlichen Prozess zu erkennen sind.
Mittlerweile sollte klar geworden sein, dass das rechtliche Verfahren
weit entfernt davon ist, fehlerlos zu sein - und in Wirklichkeit ein
einziger langer Skandal gewesen ist.
Aber das ist noch nicht alles. Als die Kampagne für das Bleiberecht
Akubuos an Dynamik gewann, gingen die rechtsextremen Kräfte in der
Gesellschaft zu ihrer Tagesordnung über. Eine Mahnwache gegen die
Abschiebung wurden von Rechtsextremen angegriffen, ein jugendlicher
deutscher Unterstützer wurde mit den Worten, ?wenn der Nigger
hierbleibt, bist du dran? bedroht. Der jüngste Bild-Artikel zu dem Thema
(11.12.00) zeigt eindeutig die Strategie, Akubuo zum Kriminellen
abzustempeln. Besagter Artikel war ausgestattet mit den widerlichen und
vernichtenden Behauptungen, die von einigen Vertretern der involvierten
Behörden, insbesondere der Ausländerbehörde, über ihn gemacht wurden und
den Schluss nahelegen, Akubuo sei einVerbrecher. Dass diese Behauptungen
leicht zu widerlegen sind, ist dabei nicht von Bedeutung. Wichtig ist,
dass dadurch Parolen und Forderungen der Rechtsextremen an Kraft
gewinnen.
Was wird als nächstes kommen? Hat diese Verleumdungskampagne gegen
Akubuo möglicherweise für die Behörden den Boden bereitet, in naher
Zukunft bei Akubuo eine Zwangsernährung durchführen und legitimieren zu
können? Oder werden die Behörden so lange warten bis Akubuo im
Hungerstreik stirbt? Der Amtsrichter hat mit seinem Beschluß auf zwei
Monate Haftverlängerung - begünstigend - die Möglichkeit für diese
schmerzvolle Alternative offengehalten.
Im Herbst 1998 wurde Akubuo unmittelbar nach seiner engagierten
Teilnahme an dem Protestzug der ?Karawane für die Rechte der Flüchtlinge
und MigrantInnen? durch 44 Städte Deutschlands, bei dem er die
unmenschlichen Lebensbedingungen von Flüchtlingen ans Tageslicht
beförderte, in Abschiebehaft genommen. Obwohl es der ?Karawane? gelang,
seine Abschiebung in letzter Minute zu verhindern, überschattete ein
trauriges Ereignis diesen Erfolg. Einige seiner nigerianischen Freunde
in Deutschland, die in höchster Sorge um sein Leben waren, informierten
alte Bekannte von Akubuo in Lagos über die drohende Abschiebung. Die
unheilvolle Nachricht drang auch zu Akubuos Mutter durch. Sie erlitt
einen Herzinfarkt und verstarb. Der tiefe Kummer und Schrecken, an denen
Akubuo als Folge seines Engagements in der ?Karawane? litt, konnten ihn
nicht brechen.
Diesmal jedoch bewirken die Rache, der Haß und die Unmenschlichkeit, die
ihm entgegengebracht werden, langsam seine physische und psychische
Zerstörung. Schon vor dem Beginn seines Hungerstreiks war Akubuo
erkrankt. Heute, am 13. Dezember 2000 befindet er sich im 24. Tag im
Hungerstreik und wird voraussichtlich bleibende körperliche Schäden zu
erleiden haben.
In der jüngsten Vergangenheit haben wir angesichts der rechtsextremen
Bestrebungen aus vielen Ecken den Ruf nach Zivilcourage gehört. Tausende
haben auf diesen Ruf geantwortet, indem sie sich für ein Bleiberecht für
Akubuo einsetzen. Sogar wenn sie von jenen, die sich von den Werten der
Freiheit und Menschenwürde abgewandt haben, angegriffen und verleumdet
werden.
Als Ministerpräsident fragen wir Sie, werden Sie diesen Menschen zur
Seite stehen, oder werden Sie zulassen, dass das Schlimmste passiert?
Die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrant/innen
Bremen, den 13. Dezember 2000
Wir bitten all diejenigen, die diesen Offenen Brief mit ihrer
Unterschrift unterstützen möchten, Kontakt mit dem Internationalen
Menschenrechtsverein Bremen aufzunehmen.
Internationaler Menschenrechtsverein Bremen e.V.
(Koordinationsbüro der ?Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und
Migrant/innen?)
Wachmannstr. 81, 28209 Bremen
Tel. 0421-5577093, Fax 0421-5577094 oder 0421-3466068
mail@humanrights.de http://www.humanrights.de/
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