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Spain: "illegale" im Hungerstreik

Hier ein paar aktuelle Information zur Situation von illegalisierten
MigrantInnen in Spanien/Barcelona.
Weitere Infos (auf Spanisch) unter: http:// www.transit-lounge.com/papeles

Barcelona, 8. Tag des Hungerstreiks der “sin papeles”
(27.o1.o1.)

“¡La Ley de Extranjería- es una tontería!” Das AusländerInnen-Gesetz ist eine Dummheit! Einer der wohlgereimten Slogans, gerufen aus 5ooo Mündern, auf der lauten und fröhlichen Demonstration am gestrigen Abend,
dem bisher letzten Höhepunkt des engagierten Kampfes von illegalisierten
MigrantInnen in Barcelona, die sich mittlerweile in 5 Kirchen in der
Innenstadt “eingeschlossen” haben (“encierro”, etwas zwischen
Kirchen-Asyl und Besetzung). Davon und von der Entwicklung dorthin
möchte ich im Folgenden berichten.
Die spanische Regierung hatte unter Federführung der amtierenden PP (
Partido Popular, noch mieseres Pack als die CDU) ein AusländerInnen-Gesetz beschlossen, das in der Illegalität lebenden Menschen eine Aufenthaltserlaubnis bescheren sollte, wenn sie
nachweislich länger als ein Jahr “straffrei” in Spanien gelebt und gearbeitet hatten. Als integrationsfreundliche Massnahme angepriesen,
führte es bei vielen MigrantInnen
zu grosser Verunsichrung, denn die “Reform” war zwar in aller Munde,
ihre konkreten Bedingungen wurden jedoch im Dunklen verhandelt.
Nicht zuletzt durch die Progrome in El Ejido Anfang des Jahres 2ooo und
die ausführliche Berichterstattung darüber in den Medien, war der
Rassismus in Spanien ins Blickfeld geraten. Immer wieder fanden sich auch Artikel über Tote
und Verhaftete an der Meerenge von Gibraltar; von reinen Auflistungen über
Schlepper-Banden-Hetze, bis zu guten Hintergrund-Reportagen, oder z.B. dem
3-seitigen Exclusiv-Bericht in der El País: ”Wie ich die Meerenge kreutzte”. Auch war immer häufiger von MigrantInnen-Protesten überall in
Spanien zu hören, die ihre üblen Arbeitsbedingungen in Gewächshäusern
und auf Plantagen anprangerten, oder ihren (nicht vorhandenen) Status
insgesamt. Zwar meist nicht direkt von Abschiebungen bedroht, existiert
allerdings in Spanien auch keinerlei Anspruch auf Unterkunft oder
finanzielle Unterstützung.
Am 31.Juli 2ooo lief schliesslich die Meldefrist für eine Legalisierung
aus. Auch in Barcelona fingen die ersten Illegalisierten, die nie eine
Chance auf Papiere hatten, an, sich zu organisieren. Ende September fand
sich eine Gruppe von ca. 7o Schwarz- afrikaner (“subsaharianos”)
und ungefähr ebensovielen Bulgaren zu einer Plattform der “sin papeles”
zusammen, die schon vorher durch Kampieren auf zwei zentralen Plätzen
der Stadt auf sich aufmerksam machten. Unterstützt wurden sie dabei u.a.
von dem seit langem aktiven Kollektiv der “papeles para todos y todas”
und z.B. von Hausbe- setzerInnen, die sie zeitweilig aufnahmen. Mit
ihrer “Acampada de la Vergüenza” (Skandal-Camp), mit Kundgebungen und
Demonstrationen und mit einer 9-tägigen “encierro” (s.o.) in der
Universität von Barcelona Mitte November, machten sie unablässig auf sich aufmerksam. Eine grosse Gruppe von Illegalisierten aus Pakistan,
Indien und Bangla Desh, sowie weitere MigrantInnen-Gruppen und spanische
UnterstützerInnen schlossen sich der Plattform an, die Zahl der organisierten
Papierlosen war Ende November auf ca. 3oo Personen angewachsen.
Am 23.12.2ooo wurden in der Presse die Zahlen des
Anerkennungs-Prozederes bekanntgegeben und selbst die El País kam nicht
umhin, von Diskriminierung zu sprechen, denn je nach Aufenthaltsort
schwankten die Anerkennungszahlen enorm:
In Barcelona wurden von fast 5o.ooo Anträgen 7o,9 % abgelehnt, während
im benachbarten Girona lediglich 17,8 % dieses Schiksal erleiden
mussten. Und viele andere Unregelmässigkeiten wurden bekannt: Einige
wagten eine Doppel-Einschreibung und hatten Erfolg: in der einen Stadt
abgelehnt, wurden sie in der Anderen mit den gleichen Daten anerkannt!
Oder aus einer Stadt wurde beispiels-
weise bekannt, dass sie mit steigender Melderate die Anerkennungsquote
senkte. Wieder andere Rechenbeispiele zeigten, dass MarokkanerInnen nur
zu 52 % einen positiven Bescheid erhielten, während (spanischsprechende)
LateinamerikanerInnen auf über 8o % kamen. Mit Abschluss des Verfahrens
wurden den abgelehnten Personen Aufforderungen zugestellt, innerhalb von
15 Tagen das Land zu verlassen, bei einer Strafandrohung von 5o.ooo
Peseten (ca. 6oo,- DM). Während seit 1985 (letzte “Reform” des
AusländerInnen-Rechts) pro Jahr ca. 5.ooo Abschiebungen vollzogen
wurden, standen jetzt auf einen Schlag 27.ooo an, Tendenz steigend.
All dies thematisierte auch die Plattform, zumal die ganze Zeit absehbar
war, dass sich der Status der Abgelehnten bzw. der erst gar nicht zum
Verfahren Zugelassenen, verschlechtern würde. Am 23.o1.2oo1 trat
schliesslich jener “Reform-Teil” des “Ley de Extranjería” in Kraft, der
sich genau mit jenen Illegalisierten beschäftigt. Dort steht nun
festgeschrieben, wie mit Rechtlosen umzugehen sei: Eine zuvor noch
mögliche ärztliche Behandlung, ausser für Kinder und in Notfällen –
gestrichen. Versammlungs-, Gewerk- schafts-, Streik-Recht – gestrichen.
Die Möglichkeiten zur Abschiebehaft – erleichtert
und ausgeweitet, ebenso die der Abschiebungen, die jetzt innerhalb von
48 Stunden vollzogen werden können. Und neben weiteren
Verschlechterungen wie die der Familienzusammenführung, noch ein wie ich
finde besonders perfider Punkt: Zu einer Strafe bis zu 1o Mio. Pesetas
(ca.12o.ooo,- DM) können von nun an Transport- unternehmen verknackt
werden, wenn sie Personen ohne gültige Reisedokumente befördern.
Dies vor Augen, beschlossen die “sin papeles” in Barcelona bei einer
gutbesuchten, vielsprachigen Kundgebung auf dem zentralen Plaza
Cataluña am 2o.Januar den Hungerstreik und schlossen sich in der Kirche
Sta. Maria del Pi ein. 328 der in- zwischen 36o Organisierten fingen an
zu hungern, einige begannen sogar mit einem Durststreik. Dieser wurde
zunächst beendet, um den Kampf länger führen zu können, dann von Anderen
wieder aufgenommen, um den Druck abermals zu erhöhen. Mit jedem Tag
wurden es mehr, die sich zusammentaten, in einer weiteren nahegelegenen
Kirche gab es ein “encierro”, über 4oo Personen beteiligen sich
inzwischen an dem Kampf, die meisten im Hungerstreik!
Sehr erfreulich ist die grosse Unterstützung von AnwohnerInnen (bis hin
zu Geschäf-ten), immer wieder bringen Leute Wasser, Zucker, Decken und
mehr vorbei, fragen, reden und die Unterschriften-Liste wächst und
wächst minütlich. Vielleicht liegt das daran, dass in Barcelona auch
viele innerspanische MigrantInnen aus dem “armen” Süden leben, bzw.
viele selbst vor Jahren (z.B. nach Deutschland) migriert waren.
Das Medieninteresse ist bisher auch sehr gross, Presse,
Funk und Fernsehen sind zu Hauf vor Ort; wenngleich ich die
Sensationsgeilheit immer wieder abstossend finde, wie wenn sich z.B.
eine Meute von Fotografen über eine Trage hermacht, auf der einer der
Streikenden, offensichtlich am Ende seiner Kräfte, zum Krankenwagen
gebracht wird. Thema der Berichterstattung sind eben jene
“besorgniserregenden Fälle”, die anstehenden zig-tausenden Abschiebungen
im ganzen Land und Berichte von ähnlichen Kämpfen in anderen Städten. In
Murcia gab es z.B. in Folge eines tödlichen Verkehrsunfalls mit 12 Toten
EcuadorianerInnen vielfältige Aktionen bis hin zu wilden Streiks, was
das Medieninteresse steigerte und die Herrschenden zu ersten Angeboten
zwang: Erhöhung der Quoten, je nach Bedarf an Arbeitsplätzen (ein
UNO-Ableger fordert 1oo.ooo Regulationen pro Jahr bis ins Jahr 2o2o, so
hoch sei der Bedarf); ein bilaterales Abkommen, wie es z.B. bereits mit
Marokko existiert, zur zeitlich begrenzten Arbeitsausbeutung auf Feldern
und in Gewächshäusern, ist Anfang Februar mit Ecuador geplant; und
kapitalogischer Lauf der Dinge: Landwirte wollen den Staat verklagen,
weil ihnen aufgrund von ersten “freiwilligen” Ausreisen
(billige,illegale) Arbeitskräfte fehlen, die Angst vor Ernteausfällen
und erhöhten Strafen wegen Beschäftigung von “Illegalen” wächst.
Die Plattform lehnt dies alles als völlig unzureichend und “ungehörig”
ab, fordert eine Lösung für alle, d.h. “papeles para todos y todas”!
Mehr als 4o Gruppen bis ins reformistische Gewerkschafts-Spektrum hinein
unterstützen inzwischen ihre Forderungen, die da wären:

* Garantie, dass weder Abschiebungen realisiert werden, noch dass die InmigrantInnen und die Organisationen, die sie unterstützen,
Sanktionen erleiden weden
* Ende der polizeilichen Hetze, der wir ausgesetzt sind, als wenn wir Kriminelle wären
* Regulierung aller InmigrantInnen, die im Staate Spanien leben
* Papiere für Alle
* Wir fordern ein dringendes Gespräch mit der Delegation der spanischen
Zentral- Regierung in Katalonien zur Durchsetzung unserer Forderungen “Wenn sie heute unsere Rechte mit Füssen treten, geschieht das Morgen mit denen Aller”


 

29.01.2001
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Antirassismus]  Zurück zur Übersicht

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