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Graz/ Austria: Polizeieinsatz in Graz - Prozessbericht

Polizeieinsatz in Graz - Prozessbericht


Am 12. und 13.3. fand vor dem Unabhaengigen Verwaltungssenat die erste Verhandlung wegen eines Polizeieinsatzes am 6.10. am Grazer Hauptplatz
statt: Damals war die Sondereinheit "Taurus" mit brutalen Methoden gegen eine Gruppe von jungen AktivistInnen vorgegangen, die versucht hatte, waehrend der Rede des bayrischen Rechtsaussen-Politkers E. Stoiber ein Transparent hochzuhalten und einige Zwischenrufe zu
machen. Die Leute wurden eingekesselt, in eine Nische gedraengt und attackiert, noch bevor sie die Gelegenheit hatten, ihre Ausweise zu
zeigen. Sieben vom Polizeieinsatz Betroffene hatten Beschwerde wegen Ausuebung von Befehls-und Zwangsgewalt erhoben, wegen Verletzung ihrer
Rechte und erniedrigender und entwuerdigender Behandlung.

Zwei volle Tage wurde verhandelt, danach auf 3. April vertagt, da sich einige Zeugen der Polizei entschuldigt hatten. Das groesste Problem,
das die Beschwerdefuehrer haben, ist sicherlich, dass sie ueber keine sog. objektiven Beweismittel verfuegen: Erfolgreich hatte es die
Polizei am 6.10. geschafft, Dokumentationen ihres Einsatzes gewaltsam
zu verhindern.

Gleich der erste Beschwerdefuehrer berichtete, wie er versucht hatte, Fotos zu machen, als die Gruppe von Polizisten in eine Nische am
Hauptplatz gedraengt und auseinandergerissen wurde. Beamte der Staatspolizei rissen ihm die Kamera aus der Hand, suchten nach dem
Film, beschimpften ihn und schoben ihn weg, so dass er nicht mehr sehen konnte, was weiter passierte. Eine Wegweisung sollte auch
nachher noch verhindern, dass Fotodokumentationen zustande kamen.

Ein anderer Beschwerdefuehrer, der nicht einmal bei der harmlosen Transparentaktion dabei gewesen war, erzaehlte, wie er auf die Gruppe
zulief, gegen das Vorgehen der Polizei protestierte, und dann selbst
weggezogen wurde: Als er das Gleichgewicht verlor, wurde er am Boden liegend durchsucht und zur Ausweisleitung aufgefordert, schliesslich
fesselten ihn die Polizisten mit Handschellen und zerrten ihn in eine Seitengasse Er habe fliehen wollen, so rechtfertigten der Beamten vor
dem UVS, dass sie trotz der Handfesseln noch seine Arme nach oben verdreht und den Beschwerdefuehrer in dieser extrem gebueckten Haltung
weggebracht hatten. Wie man gemerkt habe, dass er versucht hatte wegzulaufen, lautete die Frage. Er habe sich noch in Handschellen
gewunden, erklaerten die Polizisten, natuerlich nur um zu fluechten und nicht etwa vor Schmerzen.

Ein 18-Jaehriger wurde von "Taurus"-Beamten zu Boden geworfen, niedergedrueckt, noch in dieser Haltung hielt er der Polizei seinen
Ausweis hin, er wurde wieder hochgerissen und gegen eine Wand gestossen. Nein, natuerlich sei er nicht gegen die Wand gestossen wurden, beteuerten die Beamten, es sei vielmehr so gewesen, dass der
Jugendliche trotz auf den Ruecken gedrehter Arme zwei durchtrainierte Polizisten einer Sondereinheit zum Stolpern, ja beinahe zu Fall
gebracht habe. Danach haette er sich freiwillig mit erhobenen Haenden an die Wand gestellt.

Der naechste Beschwerdefuehrer hatte ein kleines Aufnahmegeraet dabei, das waehrend des ganzes Polizeieinsatzes lief: Als er am Boden lag,
nahmen es ihm Polizisten gewaltsam ab, indem sie seine Finger zurueckbogen, bevor sie ihn mit nach oben schmerzhaft verdrehten Armen in eine Seitengasse wegbrachten. Von diesem Aufnahmegeraet wussten die Beamten vor dem UVS natuerlich nichts, sie hatten das Diktaphon nie
gesehen, geschweige denn ihm entrissen. Dafuer schilderte ein "Taurus"-Angehoeriger und Vertreter der freiheitlichen Gewerkschaft
detailliert, wie er bei dem Aktivisten zuerst den "Daumenhebel" (weites Zurueckbiegen des Daumens) angewendet hatte, um seinen Ausweis
zu bekommen und dann die "Nervenpresse" (Druecken auf spezielle Stellen am Hals und hinter den Ohren, so dass ein sehr heftiger Schmerz entsteht):"Ich versuchte es mit einem Daumenhebel...Danach habe ich eine beidseitige Nervenpresse hinter den Ohren durchgefuehrt,
wobei kurzzeitig ein hoher Schmerz fuer den Betroffenen zu erwarten ist, jedoch keine Verletzungsfolgen..." Er habe sich schulungsgemaess verhalten, versicherte der AUF-Funktionaer.

Auch das Aufnahmegeraet ist wieder aufgetaucht: Beim Fundamt der Polizei, wo es ein Einsatzpolizist abgegeben hatte, der bei der
Verhandlung erzaehlte, ein "anonymer Passant" habe es am Hauptlatz gefunden und ihm uebergeben. Sogar die Kassette befand sich noch im Diktaphon, nur - das Band, das das Vorgehen der Polizei aufgezeichnet hatte, war geloescht worden. Als die Beschwerdefuehrer ein Foto vorlegten, auf dem der Beamte, der so vorbildlich schulungsgemaess
gehandelt hatte, ein Geraet in der Hand haelt, das zumindest starke Ähnlichkeiten mit diesem Diktaphon aufweist, sprangen die Vertreter
der Polizei fast gleichzeitig von ihren Sitzen auf. Das sei ein Funkgeraet, toente es nach vorne, und zufaellig gab es dann auch den Kollegen, der "spontan" erzaehlte, dass er sein Funkgeraet genau
diesem Beamten geliehen hatte.

Ein Mitarbeiter von "Radio Helsinki" war am 6.10. eigentlich am Hauptplatz gewesen, um die Rede von Stoiber aufzunehmen. Als es nach der Veranstaltung zu den Festnahmen kam, wollte er den Polizeieinsatz
dokumentieren. Vor dem UVS berichtete er, wie er immer wieder von den Beamten daran gehindert worden war. Zuerst schlug ihm ein unbekannter
Mann des Aufnahmegeraet aus der Hand, danach draengten ihn Polizisten weg, obwohl er sich als Radiomitarbeiter auswies, und schliesslich
nahm ein Staatspolizist seine Personalien auf. Dieser Staatspolizist konnte sich bei seiner Aussage an kaum mehr etwas erinnern, aber er
wusste zumindest noch, dass Dokumentationen mit einem Aufnahmegeraet Amtshandlungen stoeren.

Ein weiterer Beschwerdefuehrer berichtete, wie ihn Polizisten weggezerrt und niedergedrueckt hatten, noch bevor sie ein einziges Wort mit ihm redeten: Als er schilderte, wie die Beamten seine
gewaltsam nach oben und aussen verdrehten Haende mit Handschellen gefesselt hatten, kam von den Vertretern der Polizei die zynische Frage, warum er denn nicht vor Schmerzen geschrieen habe. Er
antwortete, das haette er gar nicht koennen, da er gerade genug Luft zum Atmen bekam: Zu diesem Zeitpunkt presste ein Beamter den Arm um
seinen Hals. Er wurde in eine Seitengasse gebracht, und dort gut 10
Minuten stehen gelassen, waehrend denen ein Polizist hinter ihm stand
und an den Handfesseln zog, um sie noch enger zusammenzupressen. Keine Frage, dass bei den Polizisten vor dem UVS erstaunliche
Erinnerungsluecken zu Tage kamen, und natuerlich hatten sie auch nicht gesehen, dass eine OEVP-Symphatisantin den Aktivisten attackiert
hatte, waehrend ihm gerade die Handschellen angelegt wurden. Das werde jemand von den anderen Aktivisten und Aktivistinnen getan haben,
mutmasste schliesslich ein Polizist.

Der letzte Beschwerdefuehrer erzaehlte, wie er, als die Gruppe von der Polizei in die Nische gedraengt wurde, mit erhobene Haenden um Hilfe
schrie. Er wurde getreten und als er sich umsah, sah er nur Polizisten. Jetzt erst fragte ihn ein Beamter nach dem Ausweis, den er sofort herzeigte.

Auch ZeugInnen, die die Beschwerdefuehrer beantragt hatten, wurden einvernommen: 15-jaehrige Schueler berichteten von der Angst, die sie
inmitten der Polizei und der aggressiven Menge empfunden hatten, wie sie versucht hatten den Kessel zu verlassen und nicht mehr gehen
durften, wie Polizisten das Transparent herunterrissen, wie einer von ihnen getreten wurde und hinter sich "nur Polizisten gesehen" hatte...
Andere ZeugInnen hatten Misshandlungen beobachtet, hatten vergeblich versucht zu protestieren, hatten die ebenso erfolglosen Bemuehungen
wahrgenommen, die Vorgaenge zumindest aufzuzeichnen, berichteten von Beschimpfungen und Angriffen durch die Menge der OEVP-SympathisantInnen, und immer wieder: der Schock ueber das, was passierte, die massive Anzahl von Polizisten, das Chaos, weil niemand
wusste, worum es ueberhaupt ging, und als einzige Reaktion der AktivistInnen ihre Hilferufe und die Versuche, sich aneinander
festzuhalten...

Draussen vor dem Verhandlungssaal vergassen die Polizeibeamten ihr korrektes Auftreten wieder, um das sie sich bei ihren Aussagen so bemuehten, da gings dann so weiter: "Das naechste Mal sind die gleich wegen Widerstand dran und dann sind wir unten beim Landesgericht, dann
geht das nicht so..." Ausser sie waren gerade damit beschaeftigt, sich gegenseitig ueber ihre Aussagen zu informieren, und das taten sie
sogar in schoenster Offenheit: Der letzte Zeuge war ein Zuhoerer, der berichtete, wie er zufaellig mitbekommen hatte, wie ein Polizist Kollegen, die kurz vor ihrer Zeugeneinvernahme standen, ueber Details seiner Befragung unterrichtetet hatte.

Die Verhandlung vor dem UVS wird am 3. April um 8 Uhr 30 fortgesetzt (Salzamtsgasse 3, Saal B). Wir bitten wieder alle, die Zeit haben, hinzukommen, die Verhandlung ist oeffentlich!


PS ZeugInnen: Sollte es noch Leute geben, die den Polizeeinsatz am 6.10. beobachtet oder irgendetwas gesehen haben, das damit in
Zusammenhang steht, oder solltet Ihr solche Leute kennen, dann bitten wir Euch ganz dringend, sich bei uns zu melden. Wir brauchen ganz dringend noch ZeugInnenaussagen! Das, was die Beamten am 6.10. getan haben, soll nicht auch noch fuer legitim erklaert werden, nur weil sie erfolgreich waren bei der Verhinderung von Dokumentationen und es uns einfach an Beweismitteln und Aussagen fehlt.


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26.03.2001
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