Berlin: Gewalt-Veranstaltung der AAB am 6.Mai
GEWALT!
Joschka Fischer, der 1. Mai und das Kapitalverhältnis
Die Besonderheiten und Widersprüche der bürgerlichen Gewaltwahrnehmung sind
das Thema dieser
Veranstaltung. Welchen Ort nimmt Gewalt in kapitalistischen Gesellschaften
ein und wie kommt es dazu,
dass sie – trotz ihrer alltäglichen Gegenwart – als ein der
bürgerlichen
Gesellschaft völlig äußerliches
Moment aufgefasst wird? Und was bedeutet dies für die Bedingungen von Kritik
und Widerstand?
Diskussionsveranstaltung mit:
Johannes Agnoli
Hermann L. Gremliza
Christoph Türcke
Sonntag 6. 5. 2001, 18.00 Uhr
Kinosaal der Humboldtuniversität zu Berlin, Unter den Linden 6
S/U BHF. Friedrichstrasse (Berlin-Mitte)
Der ohnehin omnipräsente Gewaltdiskurs der bürgerlichen Öffentlichkeit hat
in diesen Tagen um den 1.
Mai Hochkonjunktur. Schon im Vorfeld künden seitenfüllende Vorabberichte
über "deeskalierende"
Polizeistrategien, präventive Verhaftungen von "Rädelsführern" und
dergleichen davon, dass das
allbekannte Lamentieren über angereiste Chaoten, jugendliche Gewalttäter und
sinnlose Zerstörung auch
in diesem Jahr eine Neuauflage erlebt.
Neben moralischer Entrüstung, die sich gelegentlich zu solch amüsanten
Vorschlägen versteigt, in Zukunft
dem 1. Mai mit Lichterketten entgegenzuwirken, steht unvermeidlich das
selbst verliehene Lob des
souveränen und angemessenen Polizeieinsatzes. Und mit ein wenig Glück finden
sogar die Veranstalter
Gehör, die eben diesen Einsatz wegen seiner Brutalität kritisieren.
Weil sie anders gar nicht zu Wort kommen, zwängen sich auch die radikalen
Linken in das Korsett der
bürgerlichen Gewaltdebatte: Indem sie die Gewalttätigkeit der Polizei
anklagen, versuchen sie, die von
den Demonstranten ausgehende Militanz zu legitimieren, ohne sich davon
distanzieren zu müssen. Das
Dilemma besteht aber darin, wegen der spektakulären Bilder des Abends zwar
wahrgenommen zu
werden, das Thema und das Muster der folgenden Diskussion jedoch bereits
vorgezeichnet zu haben. Über
Gewalt wird geredet, und zwar nach den Regeln von Zuweisung und
Legitimation. Das Anliegen der
Demonstration hingegen interessiert nur am Rande, da sie nur durch den
Tabubruch Aufmerksamkeit
erregt, dessen Bewältigung seinen eigenen Regeln folgt.
Was die Regeln des bürgerlichen Gewaltfetischismus sind, zeigt beispielhaft
die Debatte um 25 Jahre alte
Bagatelldelikte der 68er-Generation, personalisiert durch Joschka Fischer.
Ein paar Steinwürfe als linker
Demonstrant und eine Rangelei mit einem Polizisten stoßen den Außenminister
an den Rande des
Rücktritts, während seine ungleich schwerer wiegende Rolle beim
Angriffskrieg gegen Jugoslawien ihm
nicht den Ruf eines Kriegsverbrechers, sondern den eines
verantwortungsvollen Politikers einbringt. Der
ideologische Gehalt des absurden Spektakels um Fischer und seine militante
Vergangenheit – jenseits
politischer Kampagnen der konservativen Rechten - liegt offen zu Tage: Er
besteht in der Diffamierung
jeglicher Kritik am staatlichen Gewaltmonopol und der Rehabilitierung bzw.
Aktualisierung der
Extremismustheorie.
Sowohl die Argumentation zum Ausschluss von nicht staatlich verübter Gewalt
als auch die undifferenzierte
Bannung "politisch motivierter Gewalt" ins Extreme lohnen näherer
Betrachtung. Im Rahmen einer
Diskussionsveranstaltung bietet sich die Freiheit, Gewalt als
gesellschaftliches und staatliches Problem
jenseits des eingefahrenen Wechselspiels von Verurteilung und Legitimation
kritisieren zu können.
Notwendig ist, den Schein der Gewaltfreiheit von Demokratie, Recht und Moral
zu zerstören, und den
Begriff von Gewalt im Spannungsfeld von Tabu und Spektakel näher zu
bestimmen.
Kapitalistischer Betrieb bedarf nicht des - ständig eingeforderten -
Verzichts auf "jede Gewalt". Er verträgt
lediglich jene Formen von Gewalt nicht, die seine Verkehrsformen
beeinträchtigten, während er sich
notwendig auf andere stützt. Dem Selbstverständnis der bürgerlichen
Gesellschaft entsprechend erscheint
Gewalt als ausgeschlossen, zivilisationsfeindlich und ordnungszerstörend.
Diese Gegenüberstellung der
Gewalt als das Andere der demokratischen Gesellschaft versucht, Gewalt in
einen vermeintlichen
Naturzustand zu projizieren, auf einen "Krieg Aller gegen Alle" auszulagern,
der von der bürgerlichen
Rechtsformen zu bändigen sei, obwohl in Wirklichkeit diese doch erst den
marktliberalen Kampf "Aller
gegen Alle" ermöglichen. Die Gewaltfreiheit des demokratischen Bürgers ist
daher nicht die reflektierte
Gewaltlosigkeit einer emanzipierten Gesellschaft, sondern konstitutives
Element der Rechtsform des
Warenbesitzers
In der kapitalistischen Gesellschaft erscheint Gewaltverzicht nur deshalb
vernünftig und moralisch
zwingend, weil er der Vernunft und Moral der Marktwirtschaft und des freien
und gleichen Warenverkehrs
entspricht. Der Gewaltverzicht kann dem Individuum abverlangt werden, ohne
dass er Wesensmerkmal
der Gesellschaft zu sein bräuchte. Im Gegenteil: die Gewaltlosigkeit richtet
sich genau nach jenen
Kategorien kapitalistischer Vergesellschaftung aus, in denen Gewalt an
anderer Stelle notwendig und
alltäglich bleibt. So garantiert das Gewaltmonopol des Staates nicht das
Ende der Gewalt, sondern
bestimmt lediglich deren Grenzen und sanktioniert dysfunktionales und
destruktives Verhalten gegenüber
der kapitalistischen Warenproduktion und ihren notwendigen Rechtsformen.
Die radikale Linke hat in der Vergangenheit immer wieder diese konstitutive
Verwiesenheit von Kapital und
Gewalt zum Ausgangspunkt ihrer Praxis gemacht. Sie hat versucht, der
kritisierten bürgerlichen Gewalt
eine eigene, emanzipative Form der Gewalt entgegenzustellen, die künftig das
Ende der Gewalt bescheren
sollte. Teile von ihr haben dabei jedoch den bürgerlichen Gewaltdiskurs
reproduziert und die Frage nach
einer Kritik der herrschenden Verhältnisse einseitig zu einer Kritik ihrer
Gewaltsamkeit aufgelöst.
Neben den Besonderheiten und Widersprüchen der bürgerlichen
Gewaltwahrnehmung werden Türcke,
Gremliza und Agnoli diskutieren, wie der bürgerliche Gewaltbegriff zu
kritisieren ist. Gestritten wird also
darum, wie es um die permanent versicherte Gewaltlosigkeit der bürgerlichen
Verkehrsformen bestellt ist,
welchen Ort Gewalt in kapitalistischen Gesellschaften einnimmt und wie es
–
trotz ihrer strukturellen und
alltäglichen Gegenwart – dazu kommt, dass sie als ein der
kapitalistischen
Gesellschaft völlig äußerliches
Moment aufgefasst wird. Dies berührt die Frage nach den Bedingungen von
Widerstand und die Frage nach
dem Wesen von Kritik, die der Diskussion der Gewaltfrage nicht äußerlich
bleiben sollten.
Hermann L. Gremliza ist Herausgeber der Zeitschrift "konkret", und Autor
mehrerer Kolumnen, seine
jüngste Veröffentlichung: "Gegen Deutschland. 48 Nestbeschmutzungen" Konkret
Literatur Verlag.
Johannes Agnoli ist emeritierter Professor für Politik am Otto Suhr Institut
der Freien Universität Berlin,
u.a. Autor von "Die Transformation der Demokratie" und "Der Staat des
Kapitals" beide im ça ira Verlag
erschienen.
Christoph Türcke ist Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik
und Buchkunst Leipzig, u.a.
Autor von "Gewalt und Tabu. Philosophische Grenzgänge" und "Vermittlung als
Gott. Methaphysische
Grillen und theologische Mucken didaktisierter Wissenschaft" beide im zu
Klampen Verlag erschienen.
Antifaschistische Aktion Berlin
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