Berlin: Prozessbericht & Presseerklärung der Verteidigung vom 15.06.01
15 Juni 2001: 7. Prozesstag
Uninformierte Richterin trifft auf präparierten Kronzeugen
Am 7. Verhandlungstag war es soweit. Der Zeuge der Anklage Tarek Mousli hatte
seinen ersten Auftritt. Nach Angaben zu seinem Lebenslauf wurde er zu seinem
politischen Werdegang und zu seiner Entscheidung vernommen, sich den
Ermittlungsbehörden als Kronzeuge zur Verfügung zu stellen. Der Prozesstag endete
in einem heftigen Disput zwischen Verteidigung und Gericht über die Frage, ob und
in welchen Fällen Mousli ein Aussageverweigerungsrecht zustünde.
Der lang erwartete Auftritt von Mousli fand gegen 10 Uhr statt. Zuvor verlas RA Euler
eine schriftliche Stellungnahme seines Kollegen Dr. König, in der er das Gericht
erneut zu größt möglicher Sorgsamkeit bei seiner Entscheidung über die
Rechtswidrigkeit der Aktenweitergabe an den Kronzeugen und seinen
Zeugenbeistand durch die Bundesanwaltschaft (BAW) aufforderte. Strafprozessual
wurde mit dieser Entscheidung Neuland betreten, da sich in den letzten Jahren die
Beurteilung des Zeugenstatus geändert habe, insofern käme einer Entscheidung
eines Kammergerichts rechtspflegerische Bedeutung zu. Er wiederholte seine
Auffassung, dass die Aktenweitergabe nicht rechtlich gedeckt sei.
BAW unterbreitet Gesprächsangebot
Bundesanwalt Mägerle unterbreitet im Anschluss daran ein "Gesprächsangebot" der
BAW zum weiteren Prozedere der Hauptverhandlung. Es solle ein "Grundkonsens"
zwischen allen Verfahrensbeteiligten über die praktische Ausgestaltung der
Vernehmung des Kronzeugen erzielt werden, die sich voraussichtlich über Monate
hinwegziehen werde. Ziel des Angebots sei keineswegs eine "schonungsvolle
Behandlung" des Kronzeugen, einer "kritischen Befragung werden wir keine Steine in
den Weg legen". Gleichwohl - so fügte er hinzu - würden die BAW eine "Demontage"
des Zeugen nicht hinnehmen. Der Vorschlag der BAW umfasste drei Punkte:
Befragung des Zeugen zu einzelnen Ermittlungskomplexen, Zwischenfragen dazu
sollten jeweils am Ende eines Verhandlungstag abgearbeitet werden, Erklärungen
sollten nur jeweils nach Abschluss der Vernehmungen zu einem Ermittlungskomplex
abgegeben werden können.
Nach Beratung lehnte die Verteidigung den Vorschlag der BAW ab.
"Sonderspielregelungen brauchen wir nicht", so RA Euler im Namen aller Anwälte.
Die Vernehmung könne durchaus nach der geltenden Gesetzeslage durchgeführt
werden. Explizit sprach er sich gegen die Gewährung eines Sonderfragerechts für
die BAW am Ende jedes Prozesstages aus.
Zuvor hatte der Senat verkündet, dass eine Entscheidung über die Rechtswidrigkeit
der Aktenweitergabe vor der Vernehmung des Kronzeugen "sachlich nicht geboten"
sei. Der Auftritt Tarek Mouslis konnte beginnen.
Ein Zeuge, vier Personenschützer
Zusammen mit vier BKA-Beamten des Zeugenschutzes und seinem Zeugenbeistand
betrat Mousli den Gerichtssaal. Nach der Zeugenbelehrung begann die Befragung zu
seinem Lebenslauf. Der 42-jährige Mousli wurde im Libanon geboren, wo er bis zum
Tod seines Vaters die ersten fünf Lebensjahre verbrachte. Danach siedelte er
zusammen mit seiner Mutter nach Deutschland über. Nach seinem Abitur in einem
Internat in Sankt Peter-Ording, studierte er zuerst in Kiel (Geschichte), dann in
Hamburg (Mathematik). Seit 1982 lebte er fest in Berlin, wo er als Informatikstudent
an der Universität eingeschrieben war.
Ab 1983 arbeitet er im Kollektiv "Gegensatz", zwei Jahre später gründete er seine
eigene Firma "Alpha Text". 1987 wechselte er zu "Jäger Fotosatz", danach zur Firma
Werner Boisch. Ab 1990 betreute er einen Schwerbehinderten. Vier Jahre später
stieg er als Mitteilhaber in ein Fitness-Studio ein, daneben arbeitet er als
Verbandstrainer für den Berliner und den Deutschen Karateverband.
Bereits in Sankt Peter-Ording engagierte Mousli sich in einer mit dem
Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) sympathisierende Schülergruppe.
Danach bewegte er sich in der Anti-AKW- und der Hausbesetzerbewegung. In Kiel
arbeitete er in einer Gruppe mit, die sich mit Radiotechnik und dem Abhören des
Polizeifunks beschäftigte. Über die Freundschaft mit einer Redakteurin der Zeitschrift
"radikal" kam er 1982 nach Westberlin, wo er schnell Kontakt zum Umfeld der
"radikal" bekam und in die Redaktion aufgenommen wurde, der er bis zum Verbot der
Zeitschrift 1987 angehörte.
Über den Karatesport sei er zudem in Kampfsportverein "Tung Dojo" im Mehringhof
verkehrt. In diesem Zusammenhang habe er unter anderem die Angeklagten Axel H.
und Harald G. kennen gelernt.
Zusammen mit Lothar E. und anderen habe er ab 1983 eine von ihm so genannte
Funkgruppe aufgebaut, die den Funkverkehr von Polizei und Verfassungsschutz
abgehört habe. Finanziert habe sich die Gruppe durch Zuwendungen einer
"Koordinierungsausschusses" (O-Ton Mousli), der Geld aus dem Vermächtnis des
"Apothekers" an legale und illegale linke Projekte verteilt habe. Zwischen 1984 und
1991 habe die "Funkgruppe" von dort an die 70.000 DM für technischen Equipment
erhalten.
Mein Name ist Hase
Die Befragung wurde zu Beginn vor allem von der Vorsitzenden Richterin Gisela
Hennig geleitet. Souverän und präzise war ihr Vorgehen dabei nicht. Immer wieder
forderte sie den Kronzeugen auf, Dinge auszuführen, die er bereits vorher
geschildert hatte. Diese Nachfragen waren aber kein kritisches Nachhacken, sondern
schienen er dem Umstand geschuldet zu sein, dass sie wenig aufmerksam der
Befragung folgte. Die Qualität ihrer Fragen lassen zudem vermuten, dass sie sich
nicht sehr intensiv mit den vorliegenden Akten auseinandergesetzt hat. Dagegen war
Mousli erkennbar gut auf seine Vernehmung vorbereitet worden. Erst als der
berichterstattende Beisitzer in die Vernehmung eingriff, änderte sich die Art der
Befragung.
Unter Verweis auf Aussagen des Bundesanwaltes Rainer Griesbaum am 8. Juni
wurde Mousli nach der Teilnahme an gewalttätigen Demonstrationen befragt. Bis
1986 - so Mousli - habe er an solchen Demonstrationen teilgenommen und
unterstützende Tätigkeiten geleistet, womit er vermutlich auf das Abhören des
Polizeifunks während solcher Demonstrationen anspielte. Auf die Frage, ob er
Polizeibeamte angegriffen hätte, antwortete er vehement: "Nein! Ganz im Gegenteil,
es gab Situationen, wo ich versucht habe, Heißsporne abzuhalten."
Erinnerungslücken und Ausreden
"Bis zum 23. November 1999 kam das für mich überhaupt nicht in Frage", so Mousli
auf Fragen, warum er zum Kronzeuge wurde. War bis dahin gegen ihn nur wegen
Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ermittelt worden, wurde ihm nun
"Rädelsfüherschaft" vorgeworfen. "Ich war partout nicht bereit, meinen Kopf für
Sachen hinzuhalten, die ich nicht gemacht hatte, die ich nicht zu verantworten hatte",
deshalb sei er auf das Angebot der BAW eingegangen.
Obwohl er zuerst einen anderen Eindruck vermitteln wollte, musste er nach
Verlesung von Vermerken und Protokollen der Telefonüberwachung zugeben, dass
er von Anfang an vom Bundeskriminalamt und BAW unter Druck gesetzt wurde,
substanzielle Aussagen zu machen. "Die BAW wollte schon Erkenntnisse über
weitere beteiligte Personen und Strukturen wissen." Der Eindruck entstand, dass
Mousli von BKA-Beamten gezielt eingeschüchtert wurde. In einem Telefongespräch
mit seiner damaligen Freundin im April 1999 schilderte er die Ermittlungsmethoden
des BKA. "Das hat Methode mich einzuschüchtern, mich weich zu kochen, um
Aussagen zu machen." Das habe System, so Mousli bei diesem Gespräch. "Wir
lassen sie laufen und so. Sie sind gar nicht wichtig", so haben ihn die Beamten zu
verstehen gegeben, er solle doch an seine Zukunft denken und Prioritäten setzen.
Obwohl er sich angeblich oft nicht erinnern könnte - was gang im Gegensatz zu
seinem übrigen Auftreten stand, als er flüssig erzählte, als habe er die
Ermittlungsakten ausgiebig studiert - zeichnete sich so ein Bild ab, dass BAW und
BKA nichts unterließen, sich Mousli gefügig zu machen. So wurde bekannt, dass
Bundesanwalt Greisbaum im Mai 1999 Mousli über Ermittlungsbeamte des BKA
Grüße bestellen ließ und ihn aufforderte, sich doch eingehend Gedanken über die
Kronzeugenregelung zu machen.
Dass Mousli nur zögerlich über die Art und Weise wie er Kronzeuge wurde reden will,
wurde an mehreren Stellen der Vernehmung deutlich. So schilderte er zwar, dass der
Deal mit dem BKA am 24. November 1999 bei einem kurzen Gespräch auf dem Flur
festgemacht wurde, was er aber mit seiner damaligen Lebensgefährtin bei einem
Telefongespräch besprochen hatte, das er kurz zuvor führte, darüber wollte er keine
Angaben machen. "Das darf ich nicht erläutern", so Mousli, hier würden Belange des
Zeugenschutzprogramms tangiert.
Warum über ein Gespräch, das geraume Zeit vor dem ersten Kontakt des
Kronzeugen mit BKA-Beamten des Zeugenschutzes geführt wurde, nicht berichtet
werden kann, war der Verteidigung allerdings nicht einsichtig. Am Ende des
Verhandlungstages entspannte sich deshalb eine heftiger Disput zwischen ihr und
Gericht über die Zulässigkeit dieser Frage. Die Vorsitzende Richterin folgte dem
Kronzeugen, hier seien Belange des Zeugenschutzes berührt, insofern dürfe der
Kronzeuge die Aussage verweigern. Abschließend soll über diese Frage am
nächsten Verhandlungstag entschieden werden.
Der Prozess wird am 21. Juni um 9.15 Uhr mit der Vernehmung des Kronzeugen
fortgesetzt.
Presseerklärung der Verteidigung im Berliner RZ-Verfahren :
Kronzeuge Tarek Mousli in der Hauptverhandlung am 15.6.2001
Am insgesamt elften Verhandlungstag im Berliner RZ-Verfahren vor dem 1. Strafsenat des
Berliner Kammergerichts soll der Kronzeuge Tarek Mousli erstmals vernommen werden. Die
fünf Angeklagten in diesem Verfahren wurden praktisch ausschließlich aufgrund der
Aussagen des Kronzeugen unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung angeklagt. Sie befinden sich seit Dezember 1999 bzw. April 2000 in
Untersuchungshaft. Mousli selbst war wegen seiner Aussagebereitschaft nach kurzer
Untersuchungshaft von 23.11.1999 bis 27.04.2000 vorzeitig entlassen und am 18.12.2000
vor dem 2. Strafsenat des Kammergerichts zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren
verurteilt worden.
Ohne irgendeine Beteiligung der Verteidigung war Mousli von Bundesanwaltschaft und
Bundeskriminalamt allein zwischen seiner Festnahme am 23.11.1999 und dem 24.01.2001
nach Aktenlage 44 Mal vernommen worden. Daneben fanden zahlreiche Vorgespräche,
Gespräche, Besprechungen mit den Staatsschutzbeamten statt, von denen die Verteidigung
weiß, die aber inhaltlich aktenmäßig nicht nachvollziehbar sind. In diesen Gesprächen ging
es um die Kronzeugenregelung, Vergünstigungen für Mousli in der Haftfrage, das
Zeugenschutzprogramm, inklusive der monatlichen Alimentierung von DM 2.400,00 plus
Miete, Krankenversicherung, Mietwagen und Telefongrundgebühren, sowie nicht zuletzt um
die Inhalte von Mouslis Aussagen.
Die Verteidigung ist sich mit zahlreichen Bürgerrechtsorganisationen und auch einem Teil
der Bundestag vertretenen Parteien in der Ablehnung der Kronzeugenregelung einig. Der
Zeugenbeweis ist ohnehin der Unsicherste im Strafprozess. Der Kronzeuge hat alle
Möglichkeiten und viele gute Gründe zur Falschaussage. Auch wenn er nach eigenen
Angaben in bestimmte Geschehensabläufe verwickelt war, spricht dies gerade nicht für
wahrheitsgemäße Aussagen. Er kann nach eigenem Belieben, den eigenen Tatbeitrag
schmälern und andere Personen, aus welchen Gründen auch immer, ent- bzw. belasten. Vor
allem im angloamerikanischen Rechtsraum wird daher eine Verurteilung allein aufgrund der
Aussage eines Kronzeugen für mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar erachtet. Im
Falle von Mousli kommt dazu, dass in den Akten eine Vielzahl von Hinweisen enthalten sind,
wonach der Kronzeuge nach allen Regeln der Kunst für seine Vernehmung präpariert wurde.
Ihm wurden zahlreiche Aktenbestandteile, Zusammenfassungen von Zeugenaussagen und
Urkunden während des Verlaufes seiner Aussage zur Verfügung gestellt. Mehrfach gaben
ihm die Beamten die Möglichkeit, seine mit objektiven Feststellungen nicht in Einklang zu
bringende Aussage noch während der laufenden Vernehmungen zu berichtigen.
Die Verteidigung hatte daher während der zahlreichen Haftprüfungen immer wieder ihre
grundsätzlichen Bedenken gegen den Einsatz des Kronzeugen vorgebracht. Schon zu
Beginn des Verfahrens war ein Antrag auf Einstellung des Verfahrens gestellt worden, weil
der Einsatz des Kronzeugen Mousli gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstößt.
Die Vorbehalte der Verteidigung wurden durch den bisherigen Verhandlungsverlauf noch
verstärkt. Zunächst wurde bekannt, dass der Zeugenbeistand und Mousli selbst, unter
Umgehung des Kammergerichts, von der Bundesanwaltschaft Teilakteneinsicht erhielten.
Die entsprechenden Auskunftsanträge der Verteidigung sind bis zum jetzigen Zeitpunkt von
der Bundesanwaltschaft unbeantwortet geblieben. Bisher sind zwei der
Vernehmungsbeamten Mouslis in der Hauptverhandlung vernommen worden. Am
07.06.2001 berichtete der pensionierte KHK Schulzke aus dem Bundeskriminalamt über die
Vernehmungen mit Mousli. Obwohl er der hauptsächlich mit Mousli befasste Beamte war,
konnte er sich bezeichnenderweise an Einzelheiten von Absprachen zur
Kronzeugenregelung selbst nach Vorhalt entsprechender Hinweise aus den Akten nicht
erinnern. Er wusste allerdings zu berichteten, dass Mousli sich nach erfolgter Verurteilung
durch das Kammergericht mit dem inzwischen schon pensionierten Beamten im
Bundeskriminalamt traf, um sich bei diesem dafür zu bedanken, dass das Verfahren so
"rechtsstaatlich" ablief. Der am 08.06.2001 vernommene Bundesanwalt Griesbaum musste
zugeben, dass er über den Akteninhalt hinaus Gespräche mir dem Kronzeugen geführt
hatte, über die keine schriftlichen Vermerke angefertigt wurden. Er habe dies für nicht
notwendig gehalten, ohne dass er irgendeine plausible Begründung hierfür geben konnte.
Hierdurch wurde die notwendige Aufklärung und damit die Kontrolle der Gesprächsinhalte
erheblich erschwert.
Aus diesen Gründen hält die Verteidigung das Beweismittel Mousli bereits vor seiner Ausage
für entwertet. Da sich aber das Gericht dieser Auffassung bisher noch nicht anschließen
konnte, wird die Verteidigung alles daran setzen, im einzelnen die Fragwürdigkeit der
Kronzeugenaussage nachzuweisen.
Für die Verteidigung
Wolfgang Kaleck, Rechtsanwalt Edith Lunnebach, Rechtsanwältin
Hans Wolfgang Euler, Rechtsanwalt Jasper von Schlieffen, Rechtsanwalt
Silke Studzinsky, Rechtsanwältin Andrea Würdinger, Rechtsanwältin
Nicolas Becker, Rechtsanwalt
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