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Hamburg: VA: "Antirassistische Praxis & die neue Mitte"

Falaffel, Ricki Martin, Zen-Buddhismus. Kulturelle Differenz ist allgegenwärtig. Doch hinter der scheinbaren Vielfalt steht ein einfältiges Prinzip: Kulturelle Differenz wird bejaht, solange sie konsumiert werden kann. Rassistische Stereotype über „kriminelle Ausländer„ und das Feindbild Islam bleiben weiter bestehen. Oder wie Kanak Attak in ihrem Manifesto schreibt: „Man selbst ist ja so offen, demokratisch, hybrid, ironisch. Aber die ‚Anderen’! Verschlossen, traditionalistisch, sexistisch, humorlos, fanatisch - mit einem Wort: fundamentalistisch.„ In ihrer vordergründigen Weltoffenheit entspricht die Neue Mitte dieser „Neuen Hybridität„. Während die rot-grüne Regierung das Bild des toleranten, weltoffenen Deutschen verbreitet, sind rassistische Polizeikontrollen, Sondergesetze für Flüchtlinge und Abschiebungen in Folterländer weiter an der Tagesordnung. Diese widersprüchliche Verbindung von rassistischer Kontinuität und kultureller Vielfalt verweist auf das Spannungsfeld kultureller, ökonomischer und rechtlicher Faktoren.

Die Ende der 50er Jahre einsetzende Anwerbung von ArbeitsmigrantInnen war nicht die Stunde Null der deutschen Ausländerbeschäftigung. Trotz aller Brüche steht sie in der Kontinuität der Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus. Ohne die verdrängte Geschichte der Zwangsarbeit ist die Geschichte der „Gastarbeiter„ nicht zu verstehen.
Nachdem durch den Mauerbau der Zustrom von ArbeiterInnen aus der DDR abrupt ein Ende nahm, gewann die Arbeitmigration aus Italien, Spanien und der Türkei schnell an Bedeutung. Aufgrund des kontinuierlichen Wirtschaftswachstums war der Bedarf an Arbeitskräften groß. Wie auch bei der Zwangsarbeit waren die Interessen des Kapitals Ausgangspunkt dieser Entwicklung. Die ArbeitsmigrantInnen mussten vor allem Hilfsarbeiten in den Fabriken, in Gaststätten und auf dem Bau verrichten. Ein Großteil wohnte in Sammelunterkünften und Baracken. Die Anwerbung von „Gastarbeitern„ wurde von dem deutschen Staat und Kapital als zeitlich begrenzt konzipiert. Dabei standen Kostenüberlegungen im Mittelpunkt. Durch befristete Anwerbung sollte Geld für die Ausbildung und die Altersversorgung gespart werden, deren Kosten von den Herkunftsländern getragen werden sollten. Nicht zuletzt sollte auch dem Entstehen von sozialen Spannungen in Krisenzeiten entgegengewirkt werden. So mussten während der Rezession 1966/67 300.000 ausländische ArbeiterInnen Deutschland verlassen.
Die Geschichte der „GastarbeiterInnen„ lässt sich jedoch nicht nur durch ökonomische Faktoren erklären. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die zentrale Stellung des Nationalstaats im Fordismus. Der keynesianische Staat nimmt eine zentrale Rolle bei der Regulation der Migration ein. In direktem Zusammenhang mit dem Nationalstaat steht die in diesem Kontext nicht zu unterschätzende Bedeutung des deutschen Nationalismus. Dieser gründet sich auf die Fiktion der gemeinsamen Abstammung, Sprache und Kultur. Der völkische Nationalismus in Deutschland hat dazu beigetragen, den ArbeitsmigrantInnen nur einen vorübergehenden Aufenthaltsstatus zuzubilligen. Die Kontinuität des völkischen Nationalismus schlägt sich auch in dem Rassismus nieder, der den MigrantInnen von der deutschen Bevölkerung entgegenschlägt.
Die Anwerbung von ArbeitsmigrantInnen findet mit dem Anwerbestopp von 1973 ein vorläufiges Ende. Dieses Ende ist nicht nur durch die einsetzende Rezession zu erklären. Es ist auch eine Folge der Widerstands der ArbeitsmigranntInnen. Die Bereitschaft, in ihr Herkunftsland zurückzukehren nahm ab. Die Familiezusammenführung wurde für weitere Zuwanderung genutzt. Dieses Umgehen des Anwerbestopps hat maßgeblich zum Scheitern des Konzepts der zeitlich begrenzten Zuwanderung beigetragen.
Zudem beginnt 1973 ein Welle von wilden Streiks bei Ford. An diesen Kämpfen waren vor allem Migrantinnen beschäftigt. In dem Maß, in dem der wirtschaftliche Nutzen von ArbeitsmigrantInnen für das Kapital abnimmt, gewinnt die öffentliche Wahrnehmung von Migration als Problem an Bedeutung. Dabei spielen rassistische Stereotype über kriminelle Ausländer eine wesentliche Rolle.

Migration im Postfordismus
Die Greencard- und Zuwanderungsdebatte der vergangenen Monate verweist auf eine Verschiebung im Diskurs über Migration. Zuwanderung wird nicht mehr in erster Linie als Bedrohung thematisiert. Wieder spielt der Bedarf an Arbeitskräften die entscheidende Rolle. Vor allem die Wirtschaftsverbände sind die treibende Kraft.
Die Veränderungen im Vergleich zur Anwerbung von „Gastarbeitern„ sind jedoch nicht zu übersehen. Nicht mehr ungelernte Arbeiter sondern hochqualifizierte Computerfachkräfte sollen angeworben werden. Dies ist unter anderem Ausdruck des Übergangs vom Fordismus zum Postfordismus. Der Dienstleistungsbereich tritt an die Stelle der Fließbandarbeit. Die neue Migrationspolitik muss aber auch als Ausdruck des Wandels des Nationalstaats gesehen werden. Im Zuge der Globalisierung, der weltweiten Ströme von Waren und Kapital, wird der Handlungsspielraum des Staates zunehmend kleiner. Die nationalen Wettbewerbsstaaten konkurrieren untereinander um die Gunst der multinationalen Konzerne. Deren Interessen werden auch bei der Entscheidung über Zuwanderung immer dominanter. Der Bedarf des Kapitals an Arbeitskräften gewinnt gegenüber der Notwendigkeit durch Nationalismus die Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation abzusichern an Bedeutung.
Die Transformation des Nationalstaats und die ökonomische Veränderungen geht einher mit kulturellen Verschiebungen.
Die globale Zirkulation von Zeichen macht die Vorstellung einer statischen und homogenen Kultur zunehmend fragwürdig. In diesem gesellschaftlichen Kontext wird die nationale Identität in Deutschland neu ausgehandelt. Dies schlägt sich unter anderem in der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts nieder, die mit der uneingeschränkten Gültigkeit des Rechts des Blutes bricht. Diese Reform ist Ausdruck eines neuen nationalen Selbstverständnisses, für das Rot-Grün steht. Das Bild des toleranten und weltoffenen Deutschen verdeckt jedoch kaum die grundlegende Kontinuität in der deutschen Migrationspolitik. Zuwanderung ist nur erwünscht, wenn sie deutschen Interessen nützt. Dieselben Politiker, die die Anwerbung von IT-Spezialisten begrüßen, setzen sich für weitere Verschärfungen des Asylrechts ein.
Die aktuelle Debatte über Zuwanderung wird nicht nur durch den Bedarf an Arbeitskräften geprägt. Die Notwendigkeit, durch Nationalismus einen symbolischen Zusammenhang zu stiften, bestimmt maßgeblich die gegenwärtigen Diskussionen. Um die durch Konkurrenz und Klassengegensatz gespaltene kapitalistische Gesellschaft aufrechtzuerhalten, ist dies unerlässlich. Aus diesem Grund wird die aktuelle Debatte über Zuwanderung auch durch die Auseinandersetzungen über Nationalstolz, Leitkultur und zwangsweise Deutschkurse für Migrantinnen und Flüchtlinge geprägt. Auch wenn die völkische Konzeption im Augenblick nicht hegemonial ist, bleibt sie weiterhin bestehen.


Zum (postkolonialen) Konzept der Hybridität: Verteidigung & Kritik

Ursprünglich wurde der Begriff der „Hybridität“ von postkolonialen Theoretikern aufgegriffen und im Rahmen einer allgemeinen Kulturtheorie positiv gewendet. Besondere Bedeutung erlangte das Hybriditätskonzept von Homi K. Bhabha, dessen Kulturbegriff sowohl puristische als auch multikulturalistische Vorstellungen von Kultur herausfordert.

Bhabha vertritt ein semiotisches Modell, das Kultur als Produktion von Bedeutung und Prozess der Interpretation begreift. In seinem Konzept ist Kultur fließend, ohne feste Grenzen.
"Die Betonung des Dazwischen-Seins, des In-Between aller Subjektpositionen als unauslöschbares Prinzip des Vermischten und Dialogischen jenseits festgefügter oder "reiner" (ethnisch-kultureller) Identitäten ist wichtigster Inhalt des postkolonialen Begriffes der Hybridität."(1)
Anknüpfend an Derridas Konzept der differance, und im Gegensatz zum multikulturalistischen Differenzdiskurs, der zwar kulturelle Vielfalt anerkennt, jedoch kulturelle Differenz kontrolliert und ethnisch-kulturelle Identitäten festschreibt, wird bei Bhabha die Differenz selbst ins Zentrum gerückt.
Kultur ist offen für Interpretation und damit auch für "Übersetzung", Bedeutung wird ausgehandelt und ist umkämpft, so dass schließlich alle Formen von Kultur andauernd in einem Prozess der Hybridität sind. Das "Originäre" ist stets offen für Übersetzung, die Annahme eines totalisierten vorherigen Inhalts - einer Essenz - wird folglich haltlos. Wobei Hybridität für Bhabha gleichzeitig „ein zukünftig Herzustellendes wie auch ein immer schon Dagewesenes“(2) ist. Hybridität ist also einerseits als Kulturtheorie, andererseits – beim Bezug auf hybride Identitätswechsel und Maskeraden - als kulturelle Subversionsstrategie zu verstehen.

Zentraler Kritikpunkt bleibt die systematische Ausblendung politisch-ökonomischer Verhältnisse und einer daraus abgeleiteten Kritik der Nationen-Form. Die Konstitution von Subjektivität wird hier rein über diskursive Prozesse, ohne jeden Bezug auf materielle Verhältnisse, hergestellt. So kann der Hybriditätsdiskurs auch nicht klären, warum unter den Bedingungen des globalen Warenkapitalismus`, ein massiver Rückgriff auf ausgrenzende, ethnisierte und essentialistische Identitätskonstruktionen, statt einer Bewusstwerdung der eigenen Hybridität zu verzeichnen ist.
Es fehlt eine Analyse unterschiedlicher gesellschaftlicher Machtpositionen und damit auch der Möglichkeit hegemonialer Gruppen, Hybridität erneut als kulturelle „Reinheit“ zu normalisieren.
So scheint daher besonders in der deutschen Rezeption von Hybridität „etwa die dunkle Hautfarbe nicht mehr mit mannigfaltigen Zuschreibungen und Ausgrenzungen verbunden zu sein, sondern wirkt wie eine schiere Option – etwa wie ein Ohrring.“ (3)

Schließlich läuft das Konzept der Hybridität unter dem Verzicht einer staatstheoretischen Kritik der Nation (und der Ausblendung von deren Funktion zur Stiftung eines symbolischen Zusammenhangs der atomisierten Warensubjekte) Gefahr, für eine „hybride“ Neudefinition der Nation, bei erneuter Festschreibung des „Fremden“ (Islamismus, Kriminelle Ausländer etc...)
herhalten zu müssen.

Wertvoll an Bhabhas Konzept ist vor allem die grundlegende Dekonstruktion der Nationalisierung und Homogenisierung von Kultur und die Kritik an essentialistischen Formen von Identitätspolitik, die durch die Konstruktion einer vermeintlich homogenen ethnisch-kulturellen Identität andere Widersprüche verschleiert.


Antirassistische Praxis

Angesichts der Kontinuität von Ausgrenzung und Ausbeutung bleibt antirassistische Praxis notwendig. Nur durch kollektive Kämpfe sind gesellschaftliche Veränderungen möglich. So nahmen im Mai diesen Jahres mehrere Tausend Menschen an einer von der Flüchtlingsorganisation The Voice organsierten Demonstration gegen die Residenzpflicht teil. Die Residenzpflicht schreibt fest, dass AsylbewerberInnen den Landkreis, dem sie zugewiesen worden sind, nicht verlassen dürfen. Es kann jedoch nicht darum gehen, Praxis und Theorie gegeneinander auszuspielen In einem Interview mit der Jungle World äußert sich Manuela Bojadzijev von Kanak Attak folgendermaßen: „In den neunziger Jahren blieb der Antirassismus oft abstrakt und stark auf Aufklärung beschränkt. Er verband sich nicht mit sozialen Kämpfen.(..) In den siebziger Jahren hat dagegen das begriffliche Bewusstsein von der Eigenständigkeit des rassistischen Herrschaftsverhältnisses gefehlt.„ Die Isolierung des Antirassismus von sozialen Kämpfen in den neunziger Jahren gilt in besonderem Maße für den universitären Diskurs. Auf der einen Seite finden die Postcolonial Studies große Aufmerksamkeit. Auf der anderen Seite findet jedoch kaum eine Verkoppelung mit politischen Auseinandersetzungen statt. Gerade in ihrer Ablehnung essentialistischer Identitätspolitik („Kanak Attak will die Zuweisung von ethnischen Identitäten und Rollen, das „Wir„ und „Die„ durchbrechen.„) zeigt Kanak Attak, wie die Verbindung von Theorie und Praxis umgesetzt werden kann. Mit unserer Veranstaltung wollen wir einen Beitrag zu dieser notwendigen Verbindung leisten.

gruppe 5

"Salsa, Greencard, Abschiebeknast"
antirassistische Praxis & die neue Mitte
Veranstaltung mit manuela bojadzijev (kanak attak)
Montag 02.07.01
19°°, HWP, von Melle park, Hamburg


 

25.06.2001
Gruppe 5   [Aktuelles zum Thema: Antirassismus]  Zurück zur Übersicht

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