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München: Meldepflicht und Passentzug gegen jugendliche Aktivistin

Pressemitteilung
30. Juni 2001

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Jugendlichen Tanja H. wurde am vergangenen Donnerstag, dem 29.06.01,
per Polizeikurier ein Beschluss des Kreisverwaltungsreferates München
(KVR) zugestellt, wonach sie sich täglich zweimal bis zum 03.07.01 bei
einer Polizeidienststelle melden müsse, außerdem wurden Pass und
Personalausweis eingezogen und die Ausreise nach Österreich untersagt.
Begründet wurde diese massive Einschränkung der Freizügigkeit, der
Reisefreiheit und des Demonstrationsrechts mit angeblichen, sehr vagen
Anhaltspunkten, die politisch engagierte Tanja H. könnte sich an
Protesten gegen das am kommenden Sonntag stattfindende Treffen des WEF
in Salzburg beteiligen. Die Rote Hilfe e.V. protestiert in aller
Deutlichkeit gegen diese Einschränkung elementarer Bürgerrechte. Das
bayerische Innenministerium leistet Amtshilfe für die
Wirtschaftsstrategen des World Economic Forum (WEF), die um jeden Preis
öffentliche Proteste und Kritik an ihren neoliberalen
Globalisierungsplänen verhindern wollen.

Am Donnerstag, den 29.06.01, klingelt es bei Tanja H. an der Tür. Zwei
Polizeibeamte überbringen ihr eine Anordnung des
Kreisverwaltungsreferates, wonach sie sich täglich zweimal zwischen 9
Uhr und 11 Uhr und zwischen 16 Uhr und 18 Uhr, bei einer
Polizeidienststelle zu melden habe. Daneben werden sowohl Pass als auch
Personalausweis eingezogen, eine Ausreise nach Österreich wird per
Strafandrohung untersagt.

Das bayerische Innenministerium hatte das Polizeipräsidium Oberbayern
damit beauftragt, alle Personen ausfindig zu machen, die per Anordnung
zu solchen Maßnahmen verpflichtet werden können. Die Begründungen im
Fall Tanja H. sind dabei mehr als fragwürdig. Angeführt wurde eine Liste
von angeblichen 7 Straftaten, von denen lediglich zwei zu
rechtskräftigen Verurteilungen geführt haben. Ob mehrere eingeleitete
Ermittlungsverfahren ohne gerichtliche Verurteilung als Grundlage für
eine so einschränkende Maßnahme wie Meldepflicht und Ausreiseverbot
dienen kann, steht in Frage. Zudem bleibt zu prüfen, ob nicht bestimmte
Daten aus polizeilichen Ermittlungsverfahren, die zum Teil mehr als fünf
Jahre zurückliegen, nicht längst hätten gelöscht werden müssen, und
damit die Verwendung in dem jetzigen Beschluss des KVR rechtswidrig
wäre.

Begründet wird die Meldeauflage und Einschränkung der Reisefreiheit zum
einen mit der "Beeinträchtigung der auswärtigen Beziehungen der BRD",
wobei zu berücksichtigen wäre, "dass [...] im Hinblick auf das belastete
historische Erbe der Bundesrepublik radikalen Umtrieben von Personen
[...] im Ausland ein besonderes Gewicht beigemessen wird." Damit setzt
das KVR die Verbrechen der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS im Ausland
gleich mit Demonstrationen und Protesten von MenschenrechtsaktivistInnen
und GlobalisierungsgegnerInnen! Eine massive Einschränkung von
individuellen Freiheits- und Bürgerrechten wird begründet mit der
Nazidiktatur-Vergangenheit der BRD. Dass in dieser Zeit die massive
Einschränkung von Persönlichkeitsrechten zum Wohle des gesamten
"deutschen Volkes" an der Tagesordnung waren, diese Parallele scheint
das KVR in seinem Beschluss zu ignorieren. Die deutsche
Nazi-Vergangenheit gilt als Rechtfertigung, um auch heute wieder
oppositionelle, staatskritische Proteste zu behindern.

Dazu Frank Mayer, Sprecher der Roten Hilfe München: "Die Medienhetze und
Äußerungen von law-and-order-Politikern nach den Ereignissen in Göteborg
haben vorbereitet, was jetzt wohl Tagesordnung werden soll: Bekannte
politische AktivistInnen sollen im Vorfeld von Demonstrationen mit einem
quasi-Hausarrest festgesetzt werden, um oppositionelle Protestbewegungen
zu behindern. Die angeblichen Erkenntnisse über Straftaten sind wie im
jetzigen Fall oft an den Haaren herbeigezogen. Den Behörden reicht oft
die angebliche Zugehörigkeit zur 'linken Szene', um solche
polizeistaatlichen Maßnahmen zu rechtfertigen. Diese
Bürgerrechtseinschränkung ist nur ein weiterer Schritt auf dem Weg in
den Überwachungsstaat! Nach bundesweiter 'Gewalttäter-Datei',
DNS-Speicherungen, bayernweiter Kameraüberwachung öffentlicher Plätze
sollen jetzt Meldeauflagen und Reiseverbot zum Standardrepertoire
staatlicher Repression gehören. Die Rote Hilfe bittet alle
demokratischen Kräfte, diese weiteren Einschränkungen des Rechtsstaats
nicht tatenlos hinzunehmen!"

Für weitere Informationen und Rückfragen stehe ich Ihnen am Sonntag, den
01.07.01 von 12 Uhr bis 14 Uhr unter der Telefonnummer 0162-403 72 37
zur Verfügung.


Mit herzlichen Grüßen,

Frank Mayer
Pressesprecher Rote Hilfe e.V. Ortsgruppe München

--

Aus der Satzung der Roten Hilfe e.V.:
"Die ROTE HILFE ist eine parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke
Schutz- und Solidaritätsorganisation. Die Rote Hilfe organisiert nach
ihren Möglichkeiten die Solidarität für alle, unabhängig von
Parteizugehörigkeit und Weltanschauung, die in der Bundesrepublik
Deutschland aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt werden.

Politische Betätigung in diesem Sinne ist z.B. das Eintreten für die
Ziele der Arbeiterbewegung, der antifaschistische, antisexistische,
antirassistische, demokratische oder gewerkschaftliche Kampf und der
Kampf gegen die Kriegsgefahr."

-------------------------------------------------

Rote Hilfe e.V. - Ortsgruppe München
Schwanthalerstr. 139, 80339 München
 muenchen@rote-hilfe.de

Rechtshilfe jeden Mittwoch von 18-19 Uhr
im Infoladen München, Breisacherstr. 12, 81667 München, Tel. 089-448 96 38

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01.07.2001
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