Berlin-Hohenschönhausen: Antirassistisches Aktionswochenende
Antirassistisches Aktionswochenende 2001 – vom 6.7. bis 8.7. in Berlin-Lichtenberg-Hohenschönhausen
„Dies ist das Land, in dem man nicht versteht – Daß FREMD kein Wort für FEINDLICH ist – In dem Besucher nur geduldet sind – Wenn sie versprechen, daß sie bald wieder gehn.“ (Willkommen in Deutschland – Die Toten Hosen)
Bereits 1999 riet der Reiseführer „Lonely Planet“ zur Vorsicht in den Ostberliner Bezirken wie Marzahn, Hohenschönhausen und Lichtenberg. Andersaussehende Menschen sollten diese aufgrund der starken neonazistischen Szene vor Ort lieber meiden.
Nun im Jahr 2001 haben sich zwei dieser Risikobezirke zu Lichtenberg-Hohenschönhausen zusammengeschlossen und dieser Einschätzung ist leider kaum was entgegenzusetzen. Noch immer ist diese Menschengruppe der Brutalität von Neonazis auf der Straße ausgesetzt. Wie ein Vorfall Ende Januar am Hansacenter in Neu-Hohenschönhausen bewies, sind viele Gebiete in diesem Bezirk No-go-areas, Orte, die aufgrund der dortigen Vorherrschaft von Neonazis lieber von MigrantInnen und Andersdenkenden gemieden werden sollten. So wurden am Abend des 27. Januar zwei Mosambikaner von vier jugendlichen Neonazis angegriffen und verletzt. Glücklicherweise konnte Schlimmeres durch neun junge HohenschönhausenerInnen verhindert werden. Solche Vorfälle zeigen nicht zuletzt, wie gefährlich die Rechte in diesem Bezirk ist. Zudem kommt eine weitverbreitete rassistische Grundstimmung innerhalb der deutschen Bevölkerung. Diese wurde auch bei den BewohnerInnen Hohenschönhausens durch die Studie des Zentrum Demokratischer Kultur (ZDK) bestätigt, wobei festgestellt worden ist, daß nationalistische und rassistische Tendenzen in allen Altersgruppen und Milieus vorhanden sind. So wurde es von Teilen dieser Gruppen „als legitim und normal angesehen, Migranten direkt oder verschämt abzulehnen...“. Auf diesem Denken können braune Schläger und Mörder aufbauen. So setzen sie nur das auf der Straße um, was viele „normale“ Menschen denken. Zu welcher gefährlicher Mischung dies führen kann, zeigen nicht zuletzt die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda, bei denen Neonazis mit einem großen Mob Bürger Immigrantenwohnheime volksfestartig angriffen.
Die dazu nötigen Nazistrukturen sind ja in Lichtenberg-Hohenschönhausen schon vorhanden. Jugendliche Neonazis artikulieren die verdeckten rassistischen Gedanken der Bevölkerung öffentlich wie Mitte März mit einer Flugblattaktion gegen die „Aktion Noteingang“. Es wurde mit Falschauslegungen von Verfassungsschutzdaten versucht, die Aktion zu diffamieren und von rechten und rassistischen Gewalttätern abzulenken. Auch am Einkaufszentrum „Storchenhof“ wurde schon mit Plakaten gegen die Migranten des naheliegenden Immigrantentenheims Gehrenseestrasse gehetzt. Auf diesem Plakat wurde dazu aufgerufen, die Ausländer von den umliegenden Sportplätzen zu verjagen. Auch wenn die offiziellen Gewalttaten in Lichtenberg-Hohenschönhausen einen eher geringen Teil der rechten Aktivitäten ausmachen, ist dagegen der Effekt der psychisch ausgeübten Gewalt und die zur Schau gestellte Gewaltbereitschaft nicht zu unterschätzen.
Die Konzentration der ihre Ideologie offen darstellenden Neonazis und Rassisten ist in solchen Bezirken wie unserem so stark ausgeprägt, dass es für bestimmte Bevölkerungsgruppen, wie MigrantInnen und Andersdenkende immer noch gefährlich ist, bestimmte Gebiete zu betreten, was auch so bleiben wird, wenn sich nicht endlich eine wirkungsvolle Gegenwehr organisiert.
„Ihr sollt wissen, daß kein Mensch illegal ist. Das ist ein Widerspruch in sich. Menschen können schön sein oder noch schöner. Sie können gerecht sein oder ungerecht. Aber illegal? Wie kann ein Mensch illegal sein?“ (Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel)
Neben diesem seit Jahren erstarkenden Naziterror gibt es auch andere Bespiele, die zeigen, daß der Umgang mit Flüchtlingen und MigrantInnen in Deutschland zunehmend unmenschlicher und skrupelloser wird. Dafür sprechen zahlreiche Gesetzesverschärfungen, wie die faktische Abschaffung des Asylrechtes oder das Asylbewerberleistungsgesetz. Diesen Aspekt bezeichnet mensch als staatlichen Rassismus, weil die BRD immer stärker die Rechte von Flüchtlingen einschränkt, gleichzeitig aber für viele Fluchtursachen in der Welt verantwortlich ist. Infolge dessen werden Menschen, die für den deutschen Staat nicht verwertbar sind, nicht ins Land gelassen und wenn dies nicht verhindert werden konnte, sozial, politisch und kulturell ausgegrenzt. Nur die MigrantInnen bekommen die Genehmigung hier zu bleiben und werden gesellschaftlich integriert, die von Wirtschaft und Konzernen benötigt werden.
Viele PolitikerInnen sprachen in der letzten Zeit, speziell in der Sommerlochdebatte des vergangenen Jahres, oftmals von einem „Aufstand der Anständigen“, der gegen Rechtsextremismus und den damit verbundenen Übergriffen gegen ausländische Mitbürger, durch das Land gehen sollte. Doch sollte mensch sich nicht fragen, wer diese Anständigen sind, und inwieweit sie nicht dieses Handeln der Neonazis, die Grundstimmung innerhalb der Bevölkerung beeinflussen oder in ähnlich rassistischer Art agieren. Denn die Regierenden waren es, die nach den rassistischen Pogromen Anfang der 90er Jahre das Asylrecht verschärften. Sie sind es, die Parolen wie „Jetzt schwappt eine Welle von Verbrechern aus dem Osten nach Deutschland über.“ (Gerhard Schröder zu Sicherung der deutsch-polnischen Grenzen) oder „Die Grenze der Belastbarkeit durch Zuwanderung ist überschritten“ (Otto Schily) verbreiten und somit den Tätern auf der Straße das Gefühl geben, legitim und im Volkswillen zu handeln. Und sie sorgen für Militärexporte wie z.B. in die Türkei, mit denen Menschen getötet und zur Flucht gezwungen werden. Diese Anständigen sind verantwortlich für Abschiebeknäste, in denen Menschen, nur weil sie keine Aufenthaltsgenehmigung haben, eingesperrt und erniedrigt werden. Dies hat in den letzten Jahren zu mehr als 75 Selbstmorden geführt. Sie sind verantwortlich für jährlich 35.000 Abschiebungen, die oft mit Elend, Folter und Tod enden.
Der Staat sorgt für die diskriminierende Normalität. So bekommen Asylsuchende nur 80% der regulären Sozialhilfe und diese in vielen Fällen in unbaren Mitteln wie Wertgutscheinen oder gleich Lebensmitteln. Finanzielle Hilfe bei chronischen Krankheiten wird durch das Asylbewerberleistungsgesetz gestrichen. Die Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge und MigrantInnen wird durch die sogenannte „Residenzpflicht“ eingeschränkt, durch die sie den ihnen als Wohnort zugewiesenen Landkreis nicht verlassen dürfen. Arbeitsverbot gehört zu dieser Normalität. Eine politische Betätigung ist so gut wie nicht möglich und wird sie dennoch praktiziert, drohen Verbote von Organisationen, Bestrafung der AktivistInnen und sogar Abschiebungen. Hinzu kommt der Ausbau der „Festung Europa“, wodurch das Einreisen von Flüchtlingen erschwert bzw. verhindert werden soll. Verstärkte Grenzkontrollen und -befestigungen sollen dies gewährleisten. Nicht umsonst wurde der Bundesgrenzschutz in den letzten Jahren in seinen rechtlichen Mitteln erweitert und in technischer Hinsicht hochgerüstet. Bei Versuchen, trotz dieser Erschwernisse nach Europa einzureisen, kamen seit 1999 mindestens 115 Menschen an den deutschen und seit 1993 über 2000 an den europäischen Grenzen um Leben.
Folglich sollten Ursachen klar benannt werden, um Rassismus in der Gesellschaft erfolgreich bekämpfen zu können. Zu diesem gehören eben nicht nur Naziterror auf der Straße sondern auch obiger Institutioneller Rassismus. Beides ist unmittelbar miteinander verbunden und kann folglich nicht unabhängig voneinander gelöst werden.
Deshalb werden wir vom 6.-8. Juli 2001 ein antirassistisches Aktionswochenende in Lichtenberg-Hohenschönhausen veranstalten. Damit wollen wir unsere Abneigung zu Verhältnissen zum Ausdruck bringen, die Menschen als illegal diffamieren, sonstwie aus der Gesellschaft ausschließen und geistigen Nährboden für rassistische Übergriffe durch Neonazis liefern. Mit vielfältigen Aktionen wollen wir unter anderem auf die Situation von Flüchtlingen aufmerksam machen und zeigen, daß antirassistische und antifaschistische Gegenwehr gerade in unserem Bezirk notwendig ist.
Termine:
Freitag, den 6.7.
Immigrantenheim Gehrenseestraße [Tram 5,13,15,26,28 bis Gehrenseestraße]:
Ab 15 Uhr Infos zur Arbeit von Flüchtlingsinis, Tischtennis und Streetball im Hof, ab 17 Uhr Infoveranstaltungen zum Leben von ehemaligen Vertragsarbeitern und Bürgerkriegsflüchtlingen mit Filmen, ab 19 Uhr Grillen im Hof, chillen, Musik
Samstag, den 7.7.
Stadtpark Parkaue / Lichtenberg [Tram 17,23 bis Rathaus Lichtenberg oder S-,U-Bhf Frankfurter Allee]:
Ab 11 Uhr Streetball-, Fußballturnier, Infostände, Zeugs für Kinder, Essen + Trinken, Sprühwände, ab 16 Uhr DJ-Bühne mit Reimeid, Conquering Lions, M-Trick, RA-LA, Konzert mit Comuvnics, The Cube of Reminiscence, No Exit, Sunday Mothers Little Helpers und andere Kultureinlagen wie Trommler- und Theatergruppen
Sonntag, den 8.7.
Oberseepark [Tram 5,15 bis Oberseestraße]:
Ab 11 Uhr Antira-Picknick
Storchenhof [Tram 5,13,15,18 bis Hauptstr./Rhinstr.]:
13 Uhr Antira-Antifa-Demo durch Hohenschönhausen
weitere Infos unter: www.aktionswochenende.de.vu oder 0177/6299784
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