Schweden: Göteborg fast zwei Monate später...
Göteborg fast zwei Monate später...
Die Aktionen während des Göteborgers EU-Gipfel sind jetzt fast zwei
Monate her und während allerorten Solidaritätsaktionen mit den
Gefangenen in Genua organisiert werden, zeigt die Schwedische Justiz,
dass jede Form von Unterstützung für die Inhaftierten bitter notwendig
ist. In einer Art Abrechnung nach Göteborg verurteilen Schwedische
Gerichte Aktivisten aufgrund zweifelhafter Indizien, dubioser
Zeugenaussagen und gesetzlich legitimierter Gedankenleserei zu
drakonischen Haftstrafen.
Die Ermittlungen gegen die Polizisten, die in Göteborg auf Demonstranten
geschossen haben kommen dagegen nicht so gut voran. Man sei da noch im
Vorstadium der Ermittlungen, erklärte ein Justizsprecher. Auch über die
mehr als 100 Strafanzeigen von Demonstranten wegen der von
Polizeibeambten verübten Gewalt konnte der Sprecher nichts sagen. Der
durch Polizeischüsse lebensgefährlich verletzte Hannes Westberg ist
mittlerweile aus dem Krankenhaus entlassen worden, ihm geht es relativ
gut, er vermisst jetzt eine Niere und seine Milz. Auch ihm wird
voraussichtlich der Prozess gemacht werden.
Der 19-jährige Deutsche, der am Bein angeschossen worden war, ist
mittlerweile zu einer Haftstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung
verurteilt worden. Der Aktivist aus Bad-Münstereifel hatte im Prozess
zugegeben, Steine auf einen Polizisten geworfen zu haben. Schon vor der
Urteilsverkündung, nachdem alle Plädoyers bereits gehalten worden waren,
hatte sich die Staatsanwaltschaft zu einem ungewöhnlichen Schritt
entschlossen: Noch bevor das Urteil verkündet werden konnte, wollte der
Staatsanwalt den Prozess aufgrund kurzfristig aufgetauchter neuer
Beweise noch einmal eröffnen und die Anklage erweitern. Und zwar diesmal
wegen Unruhestiftung und Rädelsführerschaft, worauf mehrjährige
Haftstrafen stehen. Das Gericht verurteilte den Abiturienten zunächst
zu der sechsmonatigen Haftstrafe, das weitere Verfahren wurde abgetrennt
und ist am Freitag, 3. August, aufgenommen worden. Angeklagt ist der
Deutsche nun wegen Unruhestiftung. Die Staatsanwaltschaft fordert eine
dreijährige Haftstrafe und ein zehnjähriges Einreiseverbot nach
Schweden. Das Urteil wird in einer Woche erwartet.
Am Donnerstag, 2. August, war zuvor schon eine 14-monatige Haftstrafe
und eine fünfjähriges Einreiseverbot gegen ein Berliner Mitglied der
Dienstleistungsgewerkschaft Verdi verhängt worden. Begründung: Er sei
besonders aktiv gewesen und habe Mitdemonstranten angestiftet,
Polizisten anzugreifen.
Ein 20-jähriger Schwede wurde wegen Rädelsführerschaft, Planung und
Anstiftung zu gewaltätigen Ausschreitungen zu 2 ½ Jahren Haft
verurteilt. Die Schwedische Geheimpolizei hatte ihn mit 5 bis 10 Mann
einen Monat lang beschattet, nachdem er während der Proteste in Prag
festgenommen worden war. Die Gründe für die Beschattung wurden nicht
genannt, die Polizisten beriefen sich auf nicht spezifizierte Befehle.
Festgenommen wurde der Schwede, der Mitglied der Schwedischen White
Overalls (Globalisering Underifran) ist, etwa einen Kilometer entfernt
von jedem Krawall. In der Urteilsbegründung heißt es, er habe während
eines Krawalls mit den Armen gewunken, wodurch klar geworden sei, dass
er den Aufruhr gesteuert habe. Ein Polizist bezeugte, dass daran keine
Zweifel bestünde.
Viele dieser Urteile haben nicht nur nach Meinung einer Reihe von
Juristen mit Rechtssprechung nicht viel zu tun. Vor allem nicht mit der
üblichen schwedischen Rechtspraxis, die für ihre Liberalität bekannt ist
oder vielmehr war. Die harten Urteile, bei denen Haftstrafen auch gegen
nicht vorbestrafte verhängt wurden, sollen abschrecken, das geben
Staatsanwaltschaft und Richter offen zu. Um sich in Schweden des
"gewalttätigen Aufruhrs" schuldig zu machen, muss man nicht an konkreten
Krawallen beteiligt sein. Es reicht sich in einer Gruppe aufzuhalten,
die Gewalt gegen Sachen oder Menschen ausübt. Offensichtlich lässt sich
dieses Gesetz auch dahingehend anwenden, dass eine Absicht zur Gewalt
genügt, um dieses Verbrechen zu begehen. Ein Gericht muss also
Vermutungen darüber anstellen, was in den Köpfen der Leute so vorgeht.
Zur Haftstrafe langt es dann schon, wenn ein Aktivist noch nicht einemal
einen Stein in die Hand genommen hat: "Mit der Gewalt zu sympatisieren"
reicht aus.
Laut der "Gothenburg Prisoner Info" ist bereits gegen 29 Demonstranten
ein Verfahren eröffnet worden. 12 Inhaftierte warten immer noch auf
ihren Prozess. 14 Demonstranten erwarten ihren Prozess im Zusammenhang
mit einem Appartment, von dem die Anklage behauptet, dass es die
Kommandozentrale während der Krawalle war. Die Ermittlungen dazu sind
geheim und damit der Kontrolle der Öffentlichkeit entzogen.
19 Angeklagte sind bislang zu Haftstrafen verurteilt worden.
Ein 24-jähriger Schwede wurde wegen Sabotage zu 14 Monaten verurteilt.
Er soll den Polizeifunk während der Krawalle gestört haben. Er beteuert
seine Unschuld und geht in Berufung
Zwei 19-jährige Schweden wurden zu jeweils 8 Monaten wegen "gewaltätigem
Aufruhr" verurteilt.
Wegen des gleichen Deliktes erhielt ein 30-jähriger Schwede 10 Monate.
Sieben Dänen wurden wegen "gewalttätigem Aufruhr" in der Gruppe zu
Haftstrafen zwischen einem und acht Monaten verurteilt. Sie wurden
aufgrund der Zeugenaussage eines Undercover-Polizisten verurteilt, der
ihnen in ein Cafe gefolgt war, wo sie ihre Masken abgenommen hatten.
Ein 38-jähriger Schwede wurde wegen gewalttätigem Aufruhr und Anstiftung
zu Krawallen zu 9 Monaten verurteilt.
Ein 24-jähriger Deutscher erhielt wegen gewalttätigem Aufruhr und
versuchter Körperverletzung zu 15 Monaten und einem zehnjährigem
Einreiseverbot verurteilt.
Ein 33-jähriger Londoner Bibliothekar erhielt ein Jahr Haft und
Einreiseverbot für gewalttätigen Aufruhr.
Ein 43-jähriger Italiener erhielt 2 ½ Jahre und ein zehnjähriges
Einreiseverbot wegen gewalttätigem Aufruhr in zwei Fällen.
Ein 20-jähriger Deutscher erhielt als Anführer einer fünfköpfigen Gruppe
wegen gewalttätigem Aufruhr eine Haftstrafe von einem Jahr und zwei
Monaten sowie ein Einreiseverbot. In der Urteilsbegründung heißt es, er
sei gut vorbereitet gewesen und habe vorgehabt an Krawallen
teilzunehmen, da er eine Ski-Maske, Handschuhe und eine Schutzbrille
trug.
Ein 21-jähriger Finne wurde wegen Körperverletzung, Diebstahl und Gewalt
gegen einen öffentlich Bediensteten zu einer achtmonatigen Haftstrafe
verurteilt. Dazu kommen 5 Jahre Einreiseverbot.
Laufende Prozesse (soweit bekannt)
Ein 24-jähriger nicht gewalttätiger Schwede wird bezichtigt, die
Krawalle bei der Polizei-Belagerung der Hvitfeldska-Schule angezettelt
zu haben. Er sei in der Schule gewesen und habe an einem Plenum
teilgenommen. Bei diesem Treffen wurde über das Verhalten angesichts der
Belagerung beraten. Man entschied sich für einen gewaltlosen
Ausbruchsversuch mit den schwedischen "Weißen Overalls" in der
vordersten Reihe. Ihm droht nun eine langjährige Gefängnisstrafe. Eine
wirklich nette Geste der Regierung Bemühungen um gewaltlosen,
unmaskierten Widerstand zu honorieren. Eine Reihe von Leuten bezeugen,
dass er niemanden zur Gewalt aufgerufen habe. Zeugen, die das Gegenteil
behaupten, gibt es nicht. Die Staatsanwaltschaft fordert eine
Gefängnisstrafe zwischen 3 und 5 Jahren. Der Verteidiger des Schweden,
Per Rudbäck, sagte, es sehe so aus, als ob die Staatsanwaltschaft bei
jedem neuen Verfahren eine höhre Strafe fordere. Dies sei nicht normal.
Das Urteil wird am 6. August gesprochen.
Ein 25-jähriger Schwede ist des gewaltsamen Aufruhrs, des Diebstahls -
er hat eine Tasche aus einem Polizeiauto genommen - und der arglistigen
Täuschung (die nichts mit den Krawallen zu tun hat) angeklagt Er hat
zugegeben einige Steine auf Polizisten geworfen zu haben, nachdem der
Staatsanwalt Fotos und Videos gezeigt hatte, auf denen dies zu sehen
ist. Da er Mitglied der Anti-Fascist-Action Sweden ist, die in Schweden
allgemein als die Urheber der Krawalle angesehen werden, muss er mit
einer langen Haftstrafe rechnen. Er war bereits in den 90ern wegen
gewalttätigen Aufruhrs verurteilt worden.
Ein 19-jähriger Schwede ist wegen Sachbeschädigung und gewalttätigem
Aufruhr angeklagt.
Freigesprochen wurden ein 26-järiger Schwede, der des gewalttätigen
Aufruhrs angeklagt war. Die Staatsanwaltschaft geht in Berufung.
Fünf Dänen, denen schon im Vorfeld des Gipfels die Planung von
Anschlägen nachgesagt worden war, sind von der Aklage, die auf geplante
Körperverletzung und Sachbeschädigung lautete, ebenfalls freigesprochen
worden. Die Verhaftung der dänischen Aktivisten bei der Razzia in einem
Göteborger Appartment war schon vor dem Gipfel zur Stimmungsmache gegen
die Demonstrationen benutzt worden.
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