Farben, die nicht vergehen
aus:[Jungle-World, Nr.33 2001]
Total normal
Farben, die nicht vergehen
Die Entschädigung für NS-Opfer ist ein Teil der deutschen Normalisierungspolitik. Das Beispiel der IG Farben. Von Rolf Surmann
Deutschland, einig Wartezimmer: Nur 56 Jahre mussten die NS-Zwangsarbeiter warten, um endlich von den Deutschen entschädigt zu werden. Jetzt aber: Wer noch lebt, allen Anforderungen entspricht und alle notwendigen Papiere vorweisen kann, bekommt unter Umständen, in diesem, vielleicht auch erst im nächsten Jahr einen Bruchteil dessen, was ihm zusteht.
In diesen Wochen sollte eigentlich wieder die Aktionärsversammlung der IG Farben stattfinden. Da die Stadtverwaltung Frankfurt/Main aber noch keine Halle bereitgestellt hat, muss das Treffen wohl verschoben werden, vielleicht fällt es in diesem Jahr sogar aus. Tagen wird die Versammlung aber auf jeden Fall, denn wie gewohnt müssen die Unternehmensleitungen den Shareholdern Rechenschaft darüber ablegen, ob sie gut gewirtschaftet und das Geld vermehrt haben. Wie im letzten Jahr werden die Liquidatoren der IG Farben jedoch Schwierigkeiten mit der Durchführung der Versammlung haben. Trotz vieler Anstrengungen seit Ende der achtziger Jahre, Proteste und andere Widrigkeiten zu unterbinden, wird wohl auch diesmal geltendem Recht Genüge getan werden. Schließlich tagen die IG-Farben-Aktionäre seit über 50 Jahren, ein Ende der jährlichen Treffen zeichnet sich nicht ab. (1)
Diese Veranstaltungen sind ein Teil des deutschen Alltags, an dem sich nur wenige stören. Denn die Aufteilung der IG Farben in die Nachfolgegesellschaften Bayer, Hoechst und BASF sowie die Festlegung, der Rest des Konzerns sei aufzulösen, gilt durchweg als eine unangemessene Entscheidung. Die IG Farben i.A. (in Auflösung) ist insofern ein doppeltes Relikt: Sie ist ein genuines Symbol für die Rolle der Konzerne bei den deutschen Verbrechen gegen die Menschheit und gleichzeitig für den halbherzigen und gescheiterten Versuch der Alliierten, die deutsche Wirtschaft mit strukturellen Konsequenzen zu konfrontieren. (2)
Viele bedeutende Personen des politischen und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland haben nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie die Maßnahmen gegen den Konzern für untragbar halten. Es kümmerte sie nicht, dass dessen Wissenschaftler Häftlinge für »Versuche im Dienst der Wissenschaft« bei vollem Bewusstsein zu Tode gequält hatten, die zusammen mit der Degussa betriebene Degesch das berüchtigte Zyklon B für den Mord in den Gaskammern geliefert hatte oder 25 000 der 35 000 Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, für das IG Farbenwerk Monowitz aus Auschwitz abgestellt, der »Vernichtung durch Arbeit« zum Opfer gefallen waren.
Damit beschäftigt, das Wirtschaftssystem aus der Zeit des Nationalsozialismus in die Nachkriegsordnung zu transformieren, waren sie allein bestrebt, das deutsche Wirtschaftsvolumen zu erhalten und sich für das Personal einzusetzen, das die Verbrechen begangen und die Profite gesteigert hatte. So äußerte der spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard die Ansicht, die »leitenden Herren der IG« seien wegen ihrer fachlichen Qualifikation die »besten Männer« für die Leitung der Nachfolgekonzerne.
Mit dieser Haltung setzte er sich durch. Als im Dezember 1951 die erste Aufsichtsratssitzung des Nachfolgekonzerns Farbwerke Hoechst stattfand, konnte festgestellt werden, dass zwar für eine Übergangszeit die Leitungsaufgaben noch von Treuhändern übernommen werden müssten, der Vorstand aber so handeln könne, als ob er die Geschäfte schon vollständig führe. Auch gegen die Aufspaltungspläne hatte sich die Bundesregierung entschieden eingesetzt. So wurde wiederum Erhard mit dem Satz zitiert: »Die Verantwortung für das Gesetz Nr. 35 - auch vor der Geschichte - könne die Bundesregierung nicht übernehmen.« Sie brauchte es auch nicht. Denn die Besitzverhältnisse wurden nicht verändert, sondern »maßstabsgetreu auf die Neugründungen übertragen«. Die Nachfolgekonzerne machten in der Zeit des so genannten Wirtschaftswunders größere Profite als sie die IG Farben je zuvor erreichen konnte. (3)
Eine Randexistenz führte allerdings die IG Farben i.A., die als Rest des Altkonzerns verblieb. Ihr wurden vor allem zwei Aufgaben zugewiesen. Zum einen sollte sie die Nachfolgegesellschaften von den Altlasten befreien, die sich aus ihrer Herkunft ergaben. Wie in dieser Hinsicht die Gewichte verteilt waren, zeigt sich an dem Umstand, dass sie von 1948 bis 1957 jährlich 30 Millionen Mark an Pensionen für leitende Angestellte aufbrachte, während sie nach langen gerichtlichen Auseinandersetzungen erst 1957 veranlasst werden konnte, in einem Vergleich 27 Millionen Mark zur Abgeltung aller Ansprüche ihrer jüdischen Opfer zu zahlen. (4)
Zum anderen war sie eine Hoffnungsträgerin in der Zeit des Kalten Krieges. Denn das enteignete IG-Vermögen in der DDR, darunter auch »arisierter« Besitz, wurde in Erwartung künftigen Landgewinns und daraus resultierender Mehrung des Profits symbolisch mit einer Mark veranschlagt. Sie war damit ein Teil der politischen Normalität dieser Zeit - ebenso wie der Wehrmachtsverbrecher und Bundesminister Theodor Oberländer, die gemeinnützige SS-Veteranenorganisation HIAG oder Kurt-Georg Kiesinger, ein ehemaliges NSDAP-Mitglied und Kanzler der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD.
Die von den Glücksrittern des Kalten Krieges in sie gesetzten Erwartungen konnte die IG Farben allerdings nicht erfüllen. Denn trotz juristischer Anstrengungen bis hin zum Bundesverfassungsgericht war sie nach 1989 nicht mehr erste Wahl bei der vermögenspolitischen Aufteilung der DDR. Auch der Versuch, ehemaligen IG Farben-Tarnbesitz in der Schweiz zu reklamieren, schlug fehl. Die mit dieser Gesellschaft verbundene Hoffnung auf die großen Profite ist damit weitgehend überholt.
Wie geschichtsvergessen sich die Berliner Republik aber selbst jetzt noch gegenüber dieser wirtschaftlichen Schaltzentrale für Nazi-Verbrechen verhält, machen die Reaktionen auf die Äußerung des US-Anwaltes Ed Fagan deutlich, das Vermögen der IG Farben-Partnerin Degussa den NS-Opfern zur Verfügung zu stellen. Die Schuld der Degussa - von ihrer Beteiligung an den Nazi-Verbrechen z.B. durch Einschmelzen herausgebrochenen Zahngoldes bis zur Teilhaberschaft an der Degesch - macht eine solche Forderung durchaus plausibel. Doch es erhob sich ein Sturm der Entrüstung, wie es ihn gegenüber der IG Farben nie gegeben hat.
Deshalb überrascht es nicht, dass der Forderung des Auschwitz-Komitees und des 1999 verstorbenen Auschwitz-Häftlings und IG Farben-Zwangsarbeiters Hans Frankenthal, diese Gesellschaft des Todes unverzüglich aufzulösen und das Restvermögen für die Erhaltung von Auschwitz als Gedenkstätte sowie zu Entschädigungszwecken bereitzustellen, bis heute nicht nachgekommen wurde. Die IG Farben bleiben weiterhin ein Symbol für die Fortexistenz von Strukturen der NS-Verbrechen in der Gegenwart.
Anmerkungen
(1) Aktuelle Informationen hierzu und zu geplanten Gegenaktionen können z.B. unter http://ourworld.compuserve.com/homepages/Critical_Shareholders abgerufen werden.
(2) Zur Geschichte der IG Farben siehe: Coordination gegen Bayer-Gefahren (Hg.): IG Farben - Von Anilin bis Zwangsarbeit - Zur Geschichte von BASF, Bayer, Hoechst und anderen deutschen Chemie-Konzernen, Stuttgart 1995; Hans Frankenthal: Verweigerte Rückkehr. Erfahrungen nach dem Judenmord, Frankfurt/M. 1999; Otto Köhler: ... und heute die ganze Welt. Die Geschichte der IG Farben, Bayer, BASF und Hoechst, Köln 1990.
(3) Siehe Klaus Trouet: Der Hoechst-Konzern entsteht. Die Verhandlungen über die Auflösung von IG Farben und die Gründung der Farbwerke Hoechst AG 1945 bis 1953, Teil I, Frankfurt/M. 1978 sowie den historischen Aufriss von Janis Schmelzer: In zwei Etappen zum Sieg. Wie Bayer & Co die Nachkriegsgeschichte bestimmen, Homepage Critical Shareholders.
(4) Siehe Wolfgang Benz: Der Wollheim-Prozeß. Zwangsarbeit für I.G. Farben in Auschwitz, in: Ludolf Herbst und Constantin Goschler (Hg.): Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, München 1989, S.303-326.
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aus:[Jungle-World, Nr.35 2000]
Alles zu seiner Zeit
Die jährliche Hauptversammlung der I.G. Farben in Abwicklung wird wie üblich verlaufen: Konsolidierung vor Abwicklung und Entschädigungen. von hans freiberg
Während weite Teile der Öffentlichkeit auf die Entschädigungsverhandlungen starren, zeigen die Überreste des größten Konzerns der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft, wie die Reichsmark rollen soll. »Wir haben unser Versprechen gehalten. Die Liquidation des I.G. Farbenkonzerns befindet sich wieder in geordnetem Fahrwasser. Die Finanzen sind konsolidiert«, erklärten die beiden Liquidatoren Otto Bernhardt und Volker Pollehn bereits vor der letzten Hauptversammlung. Auf diesem Weg ist das Unternehmen weiter vorangekommen.
Ein Blick zurück: 1925 änderte die Badische Anilin und Soda Fabrik (BASF) ihren Namen in I.G. Farbenindustrie AG und schloss sich mit fünf anderen führenden deutschen Chemiekonzernen zum damals größten Industrieunternehmen Deutschlands zusammen. Nur wenige Jahre später wurde der Konzern zu einem wichtigen Baustein der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft. Die wertvollsten Produkte waren synthetisches Benzin und Gummi (Buna), ohne die kein Krieg zu führen war, da es keine natürlichen Vorkommen dieser Rohstoffe in Deutschland gab. Aber die Rolle der I.G. Farben ging weit über die eines durchschnittlichen Kriegsgewinnlers hinaus. In enger Abstimmung mit den NS-Behörden und der SS baute sie ein eigenes Konzentrationslager in Monowitz bei Auschwitz - Auschwitz III. Dort wurden ZwangsarbeiterInnen zum Bau eines Buna-Werks gezwungen, mindestens 30 000 Menschen starben. Zudem sorgte die industrielle Vernichtung fast aller europäischen Juden und Jüdinnen in den Gaskammern der KZ für schwarze Zahlen in den Büchern, denn das Giftgas Zyklon B wurde von der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung (Degesch), einer Tochterfirma der I.G. Farben, geliefert.
»Die I.G. Farben ist Deutschlands mächtigstes Industrieunternehmen. Ohne die riesigen Produktionsstätten der I.G. Farben, ohne ihre weitgespannte Forschung, ohne ihre reichliche technische Erfahrung und ohne die wirtschaftliche Macht, die in ihren Händen konzentriert war, wäre Deutschland nicht in der Lage gewesen, im September 1939 seinen Angriffskrieg zu beginnen.« Diesen Schluss zieht das Office of Military Government for Germany in seinem im September 1945 vorgelegten Bericht. Sieger und Besiegte sind sich in dieser Bewertung einig: »Aber erst im Kriege vermochte die deutsche Chemie die große Probe auf ihre Bewährung zu liefern. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass ein moderner Krieg ohne die Ergebnisse, die die deutsche chemische Industrie unter dem Vierjahresplan erzielte, unvorstellbar wäre«, so die Einschätzung Georg von Schnitzlers, der im Zentralausschuss der I.G. Farben saß.
Von August 1947 bis Juli 1948 mussten sich der Konzern und 23 seiner führenden Mitarbeiter vor dem Alliierten Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg verantworten. Erstmals wurde ein Unternehmen wegen Verbrechen gegen die Menschheit angeklagt. Es wurden Haftstrafen bis zu acht Jahren ausgesprochen. Anfang 1952 kamen alle Verurteilten vorzeitig wieder frei. Der Konzern, so hatte der Alliierte Kontrollrat bereits 1945 beschlossen, sollte enteignet werden. Dieser Beschluss wurde in der Sowjetischen Besatzungszone auch durchgeführt, in den drei Westzonen kam es dagegen zu so genannten Entflechtungsverhandlungen. Aus diesen Neuordnungs- und Rationalisierungsmaßnahmen gingen die Chemiemultis Bayer, BASF und Hoechst hervor. Jedes der Unternehmen machte bereits nach wenigen Jahren mehr Umsatz als der bisherige Großkonzern.
Im Zuge dieser Entflechtungsmaßnahmen wurde die heute noch bestehende I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft in Abwicklung als aktienrechtliche und juristische Nachfolgerin des Konzerns gegründet. Ihre Aufgabe sollte in der möglichst raschen Abwicklung unklarer Vermögensfragen und Auslandsverpflichtungen, der Zahlung von Pensionen an die ehemaligen KZ-Direktoren und der Entschädigung für die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen bestehen. Man setzte Prioritäten: Von 1948 bis 1957 wurden jährlich 30 Millionen Mark für Pensionen an ehemalige leitende Angestellte gezahlt, darunter die Angeklagten des Nürnberger Prozesses.
Ansonsten beschäftigte sich der Rest-Konzern intensiv mit der Rückgewinnung ehemaligen Vermögens in Deutschland oder im europäischen Ausland, nicht jedoch mit seiner Auflösung. Nach dem Wegfall der Blockkonfrontation und der damit verbundenen diplomatischen und juristischen Hindernisse ging man nun daran, sich um verlorenes Ost-Vermögen zu bemühen. Vornehmlich auf die in der SBZ enteigneten Immobilien und Grundstücke, darunter riesige Flächen wie die ehemaligen Buna-Werke, hatte das Unternehmen ein Auge geworfen. »Sprechen wir doch von Auschwitz einmal andersherum. Welche Vermögenswerte haben wir eigentlich in Polen?« fragte ein Aktionär auf der Hauptversammlung (HV) 1991.
1997 war erstmals kein Hotel in Frankfurt bereit, Konferenzräume zu vermieten. Die Durchführung der HV in einem leer stehenden Bürogebäude wurde von zahlreichen Demonstranten beinahe verhindert. Im folgenden Jahr konnte wegen des Raumproblems überhaupt keine HV stattfinden. Dafür kam es zu einem Wechsel im Vorstand der I.G. Farben. Unter den beiden neuen Liquidatoren Pollehn und Bernhardt suchte der bisher äußerst medienscheue Konzern auf zwei Pressekonferenzen 1999 das Licht der Öffentlichkeit und kündigte die Einrichtung einer eigenen Stiftung an, die mit drei Millionen Mark ausgestattet werden sollte. Die jährlich zu erwartende Rendite von etwa 300 000 Mark solle an überlebende ZwangsarbeiterInnen ausgeschüttet werden, so wurde es auf der letzten HV im August 1999 beschlossen.
Schon im Juli desselben Jahres hatten Pollehn und Bernhardt erklärt: »Vielleicht ist es uns möglich, bereits in der ersten Hälfte des kommenden Jahres erste Entschädigungsgelder auszuzahlen. Die von uns angestrebte nachhaltige Liquidierung des Konzerns konnten wir wegen der zahlreichen gegen uns angestrengten und noch zu erwartenden Verfahren allerdings noch nicht erreichen.« Knapp eine Woche vor der diesjährigen HV, die am 23. August in Frankfurt-Bergen stattfindet, erklärte Pollehn gegenüber Jungle World, dass der Stand der Dinge unverändert sei. Zu ersten Auszahlungen werde es im zweiten Halbjahr 2000 kommen, aber nur vielleicht. An Flüssigem mangelt es nicht: Der Geschäftsbericht für das Jahr 1999 weist ein Abwicklungskapital von über 24 Millionen Mark aus. Damit nicht genug, schließlich gibt es noch den so genannten Interhandel-Komplex, in dem das Unternehmen in Abwicklung 4,4 Milliarden Mark von einer Schweizer Bank fordert, da es sich bei der Summe um ehemaliges I.G. Farben-Vermögen handele.
Pollehn freut sich über die wirtschaftliche Gesundung der Töchterunternehmen der IG Farben, wie die Ammoniakwerke Merseburg, die überwiegend Immobiliengeschäfte tätigen. Diese Gewinne seien angesichts der Klagen und befürchteter Entschädigungszahlungen an ehemalige ZwangsarbeiterInnen notwendig. Die bisher immer noch nicht zu Stande gebrachte Entschädigung dient der I.G. Farben wieder und wieder als Begründung, weiter zu existieren. Hatte Bernhardt im Februar 1999 noch von einem Zeitrahmen von drei Jahren für die endgültige Liquidierung gesprochen, spricht Pollehn mittlerweile von drei bis fünf Jahren, womit sicher sein dürfte: Die I.G. Farben wird auch noch die letzten ihrer Opfer überleben.
Überlebende ZwangsarbeiterInnen und Angehörige begannen vor mehr als zehn Jahren den Protest gegen die jährliche Aktionärsversammlung. Einer von ihnen war Hans Frankenthal, der über zwei Jahre für die I.G. Farben in Auschwitz schuften musste.Er trat unermüdlich für das Bündnis gegen I.G. Farben und dessen Forderungen ein: für die endgültige Abwicklung der Nazi-Nachfolgefirma und die Verwendung des Restvermögens für Zahlungen an noch lebende I.G.-Farben-ZwangsarbeiterInnen sowie für eine Gedenkstätte in Monowitz. Bei der letzten Aktionärsversammlung im August 1999 wurde er als Kritischer Aktionär niedergebrüllt und auf Anweisung der Versammlungsleitung von Saalschützern hinausgeworfen. Hans Frankenthal starb im Dezember 1999 nach kurzer schwerer Krankheit.
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aus:[Jungle-World, Nr.35/36 1999]
IG-Farben i. A. beschließt
Entschädigungsleistungen Angeschindlert
Von Katja Leyrer
Am 18. August meldeten die Agenturen: "IG Farben gründet Stiftung für Zwangsarbeiter". Diese Aussage ist weder ganz richtig noch ganz falsch, auf jeden Fall aber eine hervorragende Werbung, die sich besser wohl auch keine teuer bezahlte Agentur hätte einfallen lassen können. Über "Entschädigungswillen" gegenüber NS-Opfern zu schwätzen, ist derzeit angesagt, und die eleganteste Version ist immer noch die, die nichts kostet. Wen interessiert es - außer den wenigen Überlebenden selbst - was sich in der Realität hinter solchen Absichtserklärungen und Stiftungsgefasel verbirgt?
Der Frankfurter Liquidationsfirma IG Farben in Abwicklung - juristische Erbin des NS-Konzerns IG-Farben - ist es 1999 erstmals seit vielen Jahren gelungen, positive Schlagzeilen zu erhalten. Das ist viel wert für die kleine Aktiengesellschaft, deren alljährliche Hauptversammlung auch internationale Presse anlockt und die schon beinahe traditionell von Aktionen der "Kritischen Aktionäre" und den Forderungen ehemaliger IG-Farben-Zwangsarbeiter begleitet wird. "IG Farben sofort auflösen!" hieß es am 18. August wie auch in den Jahren zuvor auf den Plakaten der Kritikerinnen und Kritiker. Davon ist, wie auch von einer sofortigen Entschädigung der noch lebenden IG-Opfer, in den Beschlüssen der Wertpapierinhaber auch 1999 selbstverständlich keine Rede.
Statt dessen hat man sich auf der Versammlung der Aktionäre nun einen offiziellen Status zugelegt, der ein weiteres Bestehen der Gesellschaft absichert: Eine Stiftung wird gegründet, die anhängige Entschädigungsforderungen bearbeiten soll. Das kann lange dauern, denn immerhin liegen zur Zeit 450 Klagen ehemaliger IG-Zwangsarbeiter vor.
Mit der Stiftungsarbeit begonnen werden soll bereits im kommenden Jahr. Das klingt nach Eile aus Einsicht - ist aber in Wirklichkeit nur ein Beleg dafür, daß IG Farben i.A. keine Zeit verlieren will, den Ruf der Firma aufzupolieren. Nicht mehr nur Auschwitz, Zyklon B, Zwangsarbeit auf der Buna-Baustelle und das IG-KZ in Auschwitz-Monowitz sollen künftig die Presseberichterstattung um die IG-Abwickler bestimmen, sondern das Zauberwort "Entschädigung".
Dieser Sprung in die Gemeinschaft der scheinbar einsichtigen und "guten" Entschädigerfirmen, scheint IG-Farben i.A. nun gelungen zu sein. Daß in der Realität nicht die großspurig verkündete Summe von "drei Millionen Mark für die Stiftung" (wenig genug wäre es immer noch), sondern nur deren Zinserträge für wirkliche Entschädigungsleistungen eingeplant sind, wird in der Presseberichterstattung kaum erwähnt. Es handelt sich um ganze zwei- bis dreihunderttausend Mark im Jahr, die von der beschlossenen Entschädigungs-Stiftung ausgegeben werden können.
Beinahe einmütig haben die IG-Aktionäre diesen sauberen Beschluß gefaßt. Genauso einmütig einen anderen: IG Farben i.A. will in den nächsten Jahren juristisch gegen die Schweizer Bankgesellschaft (SBG) vorgehen und wohl auch die Schweizer Regierung auf Öffnung einiger Archive verklagen. 4,4 Milliarden Mark fordert man zurück - ursprünglich vor den Alliierten verstecktes Vermögen. Die Dreistigkeit der IG-Aktionäre ist nicht zu überbieten: Selbstverständlich habe man in den vierziger Jahren Kapital verschoben! Sonst wäre es doch enteignet worden! - Wie ein Lausbubenstreich werden die Transaktionen heute eingestanden und gleichzeitig sorgfältig vermieden, die damaligen Profitquellen zu erwähnen. Wen interessiert's noch außer jenen, die in Auschwitz III Zwangsarbeit leisten mußten und noch leben? Gerade für die, so die Sprecher der heutigen Liquidationsgesellschaft, wolle man doch aber die Milliarden auch zurück! Um eine schöne große Stiftung aufzubauen ...
Es ist zumindest nicht auszuschließen, daß IG Farben i. A. mit diesem Trick einen Teil ihres "verschweizerten" Kapitals erfolgreich einklagt und in die Geschichte eingehen wird als eine Vereinigung, die nicht nur das Erbe von Zyklon B und Buna verwaltete, sondern zu jenen gehörte, die den paar noch lebenden NS-Opfern später ein paar Mark zusteckten. So kommt man heute noch auf die stetig anwachsende Liste der Schindlerdeutschen. Wen interessiert denn, wie es wirklich war?
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