Berlin: Prozessbericht vom 23.08.01
17. Prozesstag 23.August 2001
Eine Belastungszeugin, die sich irrt, und Einlassung, die sich als äußert praktisch erweisen
könnten
Zum ersten Mal nach der Sommerpause waren am heutigen 17. Verhandlungstag wieder alle Verfahrensbeteiligte anwesend.
Im Zentrum der heutigen Befragung Tarek Mouslis stand der Anschlag auf den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr.
Günter Korbmacher vom September 1987. Nach Angaben von Mousli sei innerhalb der Gruppe, der er angehört haben will,
die Aktion "Korbi" über einen längeren Zeitraum diskutiert worden. Die Idee zu dem Attentat sei von "Jon" und "Judith"
in die Gruppe hereingetragen worden und hätte "heftige Diskussionen" ausgelöst. Insbesondere er selbst, "Sebastian" und "Sigi"
hätten sich gegen die Aktion ausgesprochen. Vom "Hörensagen" sei ihm bekannt, dass "Heiner", "Malte" und "Judith" die
Erklärung zu dem Anschlag verfasst hätten, die bereits im Sommer 1987 auf einem überregionalen Treffen diskutiert worden
sei. Weiter wisse er von "Jon", dass "Heiner" Hintergrundinformationen zu Korbmacher gesammelt hätte. Allerdings glaube er
auch, dass "Judith" an der Informationsbeschaffung beteiligt gewesen sei.
Die Vorsitzende Richterin Hennig bestand auf die Verlesung der RZ-Erklärung zum Anschlag auf Korbmacher, obwohl sich
Rechtsanwalt Becker vehement dagegen ausgesprochen hatte, "Teile der Beweiserhebung in die Zeugenbefragung hinein zu
streuen".
Detailverliebt am falschen Ort
Bei der weiteren Befragung durch Frau Hennig, insbesondere zur Vorbereitung der Aktion Korbmacher, gab Mousli an, vom
"Hörensagen" zu wissen, dass "Sigi" und "Heiner" ein Motorrad aus Nordrhein-Westfalen besorgt und dies in einem VW Bus
nach Berlin gebracht hätten. Das Motorrad vom Typ Yamaha, von dem er sicher wisse, dass es blau gewesen sei und eine
schwarze Sitzbank gehabt habe, sei zunächst in einem Hinterhof in der Oranienstraße in Kreuzberg abgestellt worden.
Dort hätten er und "Sebastian" versucht ein "Typenschild" zu entfernen. Was genau sie dort gemacht hätten, sei ihm
jedoch entfallen. Das Motorrad sei dann bei einer Bekannten von "Heiner" untergestellt worden. Später hätten dann
"Sebastian" und er in Schöneberg eine Probefahrt unternommen. Dazu hätten sie sich mit "Sigi" getroffen, der das
Motorrad zu einem vereinbarten Ort in Berlin-Schöneberg gebracht habe.
Desweiteren berichtete Mousli, dass er zusammen mit "Sigi" und "Sebastian" im Bezirk Schöneberg, in der Nähe der
Grunewaldstraße, in einer Nacht einen VW-Passat entwendet habe. "Sigi" hätte das Auto dann an einen ihm nicht bekannten
Ort gebracht. Er könne sich allerdings weder an die Farbe des Wagens erinnern, noch an den Kilometerstand oder daran, ob
der Tank voll oder leer gewesen sei. Er selbst habe das Auto aufgebrochen. Bei früheren polizeilichen Vernehmungen hatte
Mousli angegeben, den Wagen an der Fahrertür geöffnet zu haben. Nach Vorhalten, die ihm im Laufe dieser polizeilichen
Vernehmungen gemacht worden seien, so räumte er heute ein, wäre ihm jedoch klar geworden, dass es sich dabei um die
Beifahrertür gehandelt habe.
Auf den Vorhalt von Frau Hennig, dass Mousli bei früheren Aussagen angegeben habe, das Fahrzeug sei in Zehlendorf gestohlen
worden, gab der Zeuge heute an, dass er dies "damals mit der Aktion Hollenberg verwechselt" habe.
Vom Hörensagen, weil Funkaufklärung
Weiter führte Mousli heute aus, gemeinsam mit "Sebastian" den Wohnort von Herrn Korbmacher über einen längeren Zeitraum
ausgekundschaftet zu haben. Er gehe allerdings auch davon aus, dass sich die "andere Gruppe" an dieser "Aufklärung"
beteiligt habe. Die gewonnenen Informationen wären später von "Jon" zusammengetragen worden.
Bezogen auf die konkrete Tatausführung erklärte Mousli, "sicher zu wissen", dass "Jon", "Sebastian" und er selbst
beteiligt gewesen wären, "bei allen anderen" könne er "nur Vermutungen anstellen". Er und "Sebastian" hätten sich
in einer Wohnung in Kreuzberg aufgehalten, um den Polizeifunk abzuhören und für eine spätere Auswertung aufzuzeichnen.
Der Tathergang wäre eine Woche später bei einem gemeinsamen Treffen von "Jon" ausführlich beschrieben worden. Dieser
habe dabei erzählt, wie er geschossen habe. Der Beisitzende Richter Hanschke hielt Mousli in diesem Zusammenhang vor,
dass er bei einer Vernehmung am 9.12.99 zunächst angegeben hatte, das "Nachbereitungstreffen" habe zwei Tage nach dem
Anschlag in einem Café gegenüber der Mensa der Technischen Universität stattgefunden. In einer handschriftlichen
Aufzeichnung Mouslis vom Februar 2000 gab Mousli jedoch an, das Treffen hätte eine Woche später stattgefunden.
An den genauen Ort des Treffens könne er sich allerdings nicht mehr erinnern. Auch heute sagte Mousli, dass er sich
bei der Örtlichkeit nicht mehr festlegen könne. Was die zeitliche Angabe beträfe, so hätten Nachbereitungstreffen
tatsächlich immer eine Woche nach einer Aktion stattgefunden.
Eine Ex-Freundin, die nur an einer Stelle unglaubwürdig ist
Mehrere Male wurde heute die Frage aufgeworfen, was Mousli seiner früheren Lebensgefährtin Karmen T., mit der er von
Juni 1994 bis August 1996 zusammen war, über seine Beteiligung am Anschlag auf Korbmacher erzählt habe. Frau T. hatte
in einer polizeilichen Vernehmung unter anderem ausgesagt, Mousli hätte ihr gegenüber zugegeben, selbst auf Korbmacher
geschossen zu haben. Diese Aussage führte im Verlauf des Ermittlungsverfahrens gegen Mousli zu einer Erweiterung des
Haftbefehls und seiner erneuten Inhaftierung im November 1999.
Mousli gab an, mit Frau T. im Zusammenhang mit dem im März 1995 im Keller ihrer gemeinsamen Wohnung entwendeten Sprengstoff
über seine Beteiligung an RZ-Aktionen gesprochen zu haben. Dabei hätte er auch von den "Knieschussattentaten" berichtet.
Er könne sich allerdings "nicht mehr erinnern", wie diese Gespräche genau verlaufen seien.
Im weiteren Verlauf des heutigen Verhandlungstages setzten die Anwälte die Befragung Mouslis fort. Rechtsanwalt Becker
wies Mousli zunächst darauf hin, dass eine Falschaussage dazu führen könne, dass seine Bewährungsstrafe ausgesetzt würde,
Mousli also den Rest seiner Strafe in Haft verbringen müsse. Danach versuchte er noch einmal zu ergründen, wie bei Frau T.
der Eindruck hatte entstehen können, Mousli habe ihr gesagt, er sei der Schütze bei Korbmacher-Attentat gewesen. Auf
mehrmaliges Nachfragen führte Mousli aus, dass es zwischen ihm und Frau T. mehrere längere Gespräche über seine Zeit
in der RZ gegeben habe. Insbesondere die "Knieschussattentate", so Mousli, hätte Frau T. als "ungeheuerlich empfunden".
Er hätte ihr detailliert über den Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) und über die Aktion
Korbmacher berichtet, weil er da "stärker eingebunden" gewesen sei. Die Aktion Hollenberg habe er nicht geschildert.
Völlig unklar blieb am Ende, warum Frau T. ausgerechnet das Detail, wer der Schütze im Falle Korbmacher gewesen sei,
falsch verstanden haben soll, während sie andere, weniger wichtige Details entsprechend den späteren Aussagen Mouslis
wiedergeben könne.
Die Frage, ob Mousli mit Frau T. in Kontakt getreten sei, nachdem sie ihn belastet hatte, verneinte Mousli.
Eine äußerst praktische Idee
Mousli konnte nach eigenem Bekunden auch keine Angaben mehr dazu machen, was er bei der Probefahrt des Motorrads
festgestellt habe. Er führte jedoch auf Nachfrage aus, dass er die Fahrt nicht in seiner eigenen Motorradkleidung unternommen
habe, sondern dass ihm Helm und Anzug von "Sigi" gegeben worden seien. Man habe grundsätzlich vermieden, bei Aktionen
oder in deren Vorfeld "mit eigenen Sachen zu hantieren". Er führte jedoch aus, dass die Tat möglicherweise mit der
Motorradkleidung, die er bei der Probefahrt getragen habe, durchgeführt worden sei. Die Einlassung Mouslis, "Tests ja,
aber keine Teilnahme an Aktionen", bewertete RA Becker als "praktisch" hinsichtlich möglicher Spurenfunde, die den
Kronzeugen belasten könnten.
Rechtsanwalt Euler hatte sich schon am frühen Nachmittag darüber gewundert, dass das Gericht kein Interesse daran zeige,
wer das Motorrad während der Tat gefahren habe. Nun wollte er von Mousli wissen, ob er das, was er auf der Probefahrt
herausgefunden habe, jemandem mitgeteilt hätte. Mousli gab an, dies nicht mehr zu wissen. Auch die Frage, wer in der Gruppe
neben ihm und "Sebastian" einen Motorradführerschein gehabt habe, konnte Mousli nicht mehr beantworten. Ebenso wenig sei ihm
erinnerlich, wer denn alles als Fahrer für die Aktion in Betracht gekommen sei. Es könne sein, so Mousli, dass jemand aus
der "anderen Gruppe" gefahren sei. "Ich hatte mit Funkaufklärung zu tun".
Die Verhandlung wird am Freitag, den 24.8. um 9.15 Uhr fortgesetzt.
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