Bayer und seine IG-Farben
--------------------------------------------------------------------------------
04.12.1998 "junge-Welt"
Vergangenheitsbewältigung à la Bayer
Wie der Chemiekonzern mit der IG-Farben-Geschichte umgeht (*)
Vorabdruck aus »Stichwort Bayer« 4/98/Zeitschrift der Coordination gegen Bayer-Gefahren
Im Bayer-Casino hängt der monumentale Ölschinken »Der Rat der Götter«, auf dem der damalige Bayer-Chef Carl Duisberg zusammen mit Carl Bosch und anderen Industriebossen kurz nach der Gründungssitzung der IG Farben verewigt ist. In Firmenpublikationen hat Bayer kein Problem damit, sich mit Entdeckungen aus der IG-Zeit zu schmücken.
Aber wenn ehemalige Zwangsarbeiter vom Chemie-Multi Entschädigungen fordern, heißt es aus der Konzernzentrale lapidar: »Wir sind nicht der Rechtsnachfolger der IG Farben.« »Die Formel des Erfolgs ... Sechs Jahrzehnte Polyurethan- Chemie«, mit diesen Worten feiert der Bayer-Report eine Entdeckung aus den IG-Farben-Labors, die »die Welt verändern sollte«. Ähnlich unbefangen begeht man zur Zeit in Leverkusen den Geburtstag von »60 Jahre Perlon«, 1938 vom IG-Forscher Paul Schlack entwickelt. Diese Mischung aus Ignoranz und unverfrorener Traditionspflege prägt auch »Meilensteine«, den firmenoffiziellen Rückblick auf die Bayer-Geschichte. Von 1863 bis 1988 widmet sich jeweils ein längerer Beitrag dem herausragenden Ereignis eines Jahres: »1898 - Mehr Werksärzte, als das Gesetz verlangt«; »1906 - Der dornenvolle Weg vom Indigo zum Indanthren«; »1910 - Synthetischer Kautschuk: Der Kaiser ist zufrieden«.
1924 ist dann die Entstehung der IG Farben Thema. Die Fusion von Bayer, BASF etc. wird dabei einfach als eine naheliegende Reaktion auf Preisverfall, hohe Löhne, explodierende Verwaltungskosten und die allgemeine Weltwirtschaftslage dargestellt. »Schließlich rauft man sich doch zusammen«, lautet die Überschrift des entsprechenden Artikels, um, wie es später heißt, »die große gemeinsame Aufgabe anzupacken«.
Eine Zäsur markiert dieses Ereignis für die Firmenhistoriker nicht. 1933 halten sie als das Jahr, in dem das Bayer-Kreuz mit den Glühbirnen erstmals erstrahlt, in Erinnerung. So geht es immer weiter, bis es so beim besten Willen nicht mehr weitergeht. 1939 hält man inne und unterbricht die Chronologie mit Abhandlungen über »Die I.G. im Dritten Reich« und »Die I.G. im Zweiten Weltkrieg«. Wer hier eine schonungslose Aufarbeitung der Bayer- Vergangenheit erwartet, wird herb enttäuscht. Statt dessen wird Geschichtsklitterung betrieben.
Die IG-Manager werden als »nicht sonderlich politisch engagiert« beschrieben. Irgendein Verhältnis scheint aber auch zu den nationalen Parteigrößen bestanden zu haben, sonst hätte Hitler zum Tode Carl Duisbergs bestimmt nicht so kondoliert: »Die deutsche Chemie verliert in ihm einen ihrer ersten Pioniere und einen erfolgreichen Führer, die deutsche Wirtschaft einen ihrer großen Organisatoren. Sein Name wird in Deutschland in Ehren weiterleben.« Einige Jahre vorher hatte Carl Duisberg bei einer Feier anläßlich seiner Pensionierung frohlockt: »Ich freue mich auf einen Lebensabend unter unserem Führer Adolf Hitler.«
Die »Meilensteine« dagegen kennzeichnen den faschistischen Terror verharmlosend als die »zwei Gesichter der >deutschen Revolution<«: gemeint sind einerseits Autobahnen und Arbeitsplätze, andererseits Terror und Verfolgung. Daß Beschäftigung und Repression zwei Seiten der gleichen Medaille sind, kommt der Bayer-Historie dabei nicht in den Sinn. Die IG-Oberen hatten selbstredend nur mit dem angeblich freundlicheren Gesicht zu tun. Denn rein zufällig entsprachen ihre während der Wirtschaftskrise erhobenen Forderungen nach Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und einer aktiven Konjunkturpolitik genau den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Nazis. Darum haben die Firmengeschichtler auch keinerlei Scheu, die belebende Wirkung des Machtwechsels auf die IG-Geschäfte herauszustreichen.
Im nüchtern-sachlichen Stil von Aktionärsbriefen berichten sie von generösen Darlehen sowie Garantieverträgen zur Abnahme bestimmter Kontingente und stellen die positiven Effekte der faschistischen Autarkie-Politik heraus. Sie führte nämlich Produktionszweige, die wegen zu hoher Endpreise auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig waren, wieder aus der Talsohle. Der Tonfall ändert sich nicht einmal, als die Willfährigkeit des Konzerns gegenüber den Wünschen der Nazis beschrieben wird, die sich »im inzwischen ausgebrochenen Zweiten Weltkrieg« nicht mehr für Borsten aus Polyurethan interessierten: »Sie wollten besseren Kautschuk haben, und deshalb erforschte ein weiteres Team die Möglichkeit elastischer Polyurethan-Giessmassen.«
Wenn es dann lakonisch heißt »Zu einem besonderen Problem im Verlauf des Krieges wurde die Arbeitskräfteversorgung«, ahnt der leidgeprüfte Leser schon, daß man diese Sentenz allen Ernstes für angemessen hält, den Komplex »Zwangsarbeiter« einzuleiten. Natürlich befolgte die IG Farben dabei nur die Rechtsvorschriften staatlicher Behörden, die bis ins kleinste Detail alles festlegten. Das hauseigene Regime, wie es das IG-Vorstandsmitglied Christian Schneider festlegte, kommt daher nicht zur Sprache: »Oberster Grundsatz bleibt es, aus den Kriegsgefangenen so viel Arbeitsleistung herauszuholen, als nur irgend möglich. Alle diese Menschen müssen so ernährt, untergebracht und behandelt werden, daß sie bei denkbar sparsamstem Aufwand die größtmögliche Leistung vollbringen.«
Wo jede Einsicht in Schuld fehlt, muß auch Strafe als ungerecht empfunden werden. Noch die sehr milden Urteile im Nürnberger IG-Farben-Prozeß sieht die Bayer- Firmengeschichte als zu hoch an. Sich schnell noch des Beistandes der gesamten Innung versichernd, kommentiert sie die siebenjährige Haftstrafe für Fritz ter Meer so: »In der Industrie war man bestürzt über dieses Urteil. Man wußte, daß ter Meer kein Nazi gewesen war.« Dieser hatte bei den Nürnberger Prozessen ausgesagt, den Zwangsarbeitern sei kein besonderes Leid zugefügt worden, »da man sie ohnedies getötet hätte«.
Aber die »Meilensteine« üben nicht nur Kritik am Urteil des amerikanischen Militärgerichts. Mit mehr als nur klammheimlicher Freude berichten sie, wie Werksangehörige sich geradezu einen Spaß daraus machten, der Besatzungsmacht gegenüber »passiven Widerstand« zu leisten und wie die IG-Forscher zumeist »ein erstaunlich schlechtes Gedächtnis« zeigten, wenn es darum ging, den »Interrogation teams« der Briten Rede und Antwort zu stehen.
Als die Alliierten den Konzern nach dem Krieg schließlich entflechteten, war Bayer Hauptprofiteur, denn dem Chemie- Unternehmen wurde mit Agfa und Weiler-ter Meer die gesamte ehemalige Niederrheingruppe der IG Farben zugeschlagen. Die von der IG in der Region gebildeten Schwerpunkt-Produktionen »Pharma« und »Agrochemikalien« boten der neugegründeten Farbenfabrik Bayer »gute Startbedingungen«, wie die »Meilensteine« unumwunden zugeben. Aus den Erfindungen, Entdeckungen und neu entwickelten Verfahren der IG-Ära wie Perlon, Synthesekautschuk, Lackrohstoffen, Sulfonamiden, synthetischen Gerbstoffen und der Silbersalzdiffusion schlägt Bayer bis heute Profit. So war eines der dunkelsten Kapitel der Menschheit ein lukratives für Bayer.
Udo Hörster
(*) Vorabdruck aus »Stichwort Bayer« 4/98/Zeitschrift der Coordination gegen Bayer-Gefahren
--------------------------------------------------------------------------------
Aus der Wochenend-Beilage der "jungen-Welt" vom 17.03.2001
*** Valentina Maria Stefanski: Zwangsarbeit in Leverkusen. Polnische Jugendliche im I.G. Farbenwerk (Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau 2). fibre Verlag, Osnabrück 2000, 585 Seiten, DM 48
Bereits zwei Tage nach dem Überfall auf Polen, am 3. September 1939, richtete die Arbeitsverwaltung des »Dritten Reiches« in Schlesien eine erste Dienststelle ein. Ende September 1939 gab es bereits 70 deutsche Arbeitsämter in dem besetzten Land. Sie arbeiteten mit Polizei, SS und Gestapo zusammen, wenn es darum ging, Arbeitskräfte für Deutschland anzuwerben oder zwangszuverpflichten. Bald gingen sie dazu über, arbeitsfähige Menschen bei Razzien z.B. in Kinos oder Schulen aufzugreifen oder einfach auf der Straße zusammenzutreiben und nach Deutschland zu verschleppen. Nach polnischen Schätzungen haben während des Zweiten Weltkrieges 2,8 Millionen Polinnen und Polen in Deutschland oder den von Deutschland besetzten Gebieten Zwangsarbeit leisten müssen.
In Polen gibt es kaum neuere Forschungen zu diesem Thema, während in der Bundesrepublik immer mehr Lokal- und Regionalstudien über den Einsatz von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern entstehen. Selten allerdings stehen Polen im Mittelpunkt dieser Arbeiten. Jetzt hat die Historikerin und Soziologin Valentina Maria Stefanski ein Buch über »Zwangsarbeit in Leverkusen« veröffentlicht - Ergebnis eines Forschungsprojektes am Deutschen Historischen Institut Warschau. Auf knapp 600 Seiten schildert sie Lebens- und Arbeitsbedingungen junger Polinnen und Polen, die von 1940 bis Kriegsende im I.G. Farbenwerk Leverkusen eingesetzt wurden. Ihr Anteil an den Ausländern in diesem Werk erreichte 1941 gut 70 Prozent und pendelte sich später bei einem knappen Drittel ein. Mehr als 1 600 polnische Frauen und Männer haben hier von 1941 bis 1943 gearbeitet und chemische Grund- und Farbstoffe sowie Medikamente hergestellt.
Stefanskis Arbeit ist nicht die erste über den Einsatz von Zwangsarbeitern in einem I.G.-Farben-Werk. Die meisten Autoren, die sich mit diesem Thema befaßten, konzentrierten sich aber auf das sogenannte Buna-Werk in Monowice/Monowitz bei Auschwitz, wo die I.G. Farben den Bau eines Konzentrationslagers initiiert und finanziert hat.
»Neben den Ungeheuerlichkeiten, die dort passierten, verblassen die Vorgänge, die zu anderen I.G. Farbenwerken dokumentiert sind«, schreibt Stefanski, die bewußt einen ganz »normalen« Industriebetrieb für ihre Studie ausgewählt hat. Und sie geht in ihrer Untersuchung von der Sicht der Opfer aus, während in den meisten anderen Arbeiten über Zwangsarbeit in einer bestimmtem Firma das jeweilige Unternehmen im Mittelpunkt steht - z.B. in den einschlägigen Arbeiten über VW, Daimler-Benz und Ford. Stefanski hat 53 Menschen aus Polen befragt, mit 38 Zeitzeugen hat sie lange lebensgeschichtliche Interviews geführt. Außerdem hat sie umfangreiches schriftliches Quellenmaterial vor allem aus dem Werksarchiv der Bayer AG herangezogen.
Die meisten der Befragten waren zwischen 15 und 21 Jahre alt, als sie verschleppt wurden. »Ihre Erfahrungen waren mit Sicherheit in vielerlei Hinsicht ganz andere als die der älteren ZwangsarbeiterInnen. Ihre Jugend zum Zeitpunkt der Deportation hatte auch Einfluß auf ihre Wahrnehmung, so daß sie über viele Bereiche nicht berichten können (Sabotage, Widerstand, Abtreibung und Schwangerschaftsverhütung). Auf der anderen Seite erklärt das jugendliche Alter ihren Wagemut bei der Organisation von zusätzlichen Lebensmitteln und den unbändigen Lebenshunger.«
Viele von ihnen waren noch Kinder, als sie nach Leverkusen kamen, als sie die Lager verließen, waren sie Erwachsene. Ihre Erfahrungen in Deutschland während des Zweiten Weltkrieges beschreiben sie als alte Menschen, ihr damaliges Leid erscheint vielen im Rückblick auf ein langes Leben »nicht mehr so ungeheuerlich und bedeutsam«, wie sie es als Jugendliche empfunden haben, schreibt Stefanski. Die Passagen, in denen sie die Art des Erinnerns ihrer Gesprächspartner beschreibt, gehören zu den interessantesten des Buches. Stefanski betont die Reflektiertheit und Differenziertheit der Zeitzeugen, beschreibt aber auch, wie die Erinnerung über die Jahre verformt wurde, z.B. durch Fotos aus den Lagern. Für diese Aufnahmen hatten die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter oft eine »heile Welt« inszeniert - gut frisierte Mädchen und elegant gekleidete junge Männer in einer sauberen, freundlichen Baracke. Von ständigem Hunger und zerrissenem Schuhwerk, von Wanzen und dreckigen Strohsäcken ist auf diesen Fotos nichts zu sehen. Diese alten Fotos wurden in den Nachkriegsjahrzehnten immer wieder hervorgeholt, bis sie schließlich die Erinnerung an die Lager verklärten.
Trotz solcher Verklärungen vermitteln die Interviews ein deutliches Bild von der Situation der polnischen Zwangsarbeiter in Leverkusen, von ihren verschiedenen Wegen dorthin, den Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Lagern bzw. im I.G. Farbenwerk und den Beziehungen zur deutschen Bevölkerung. Stefanski schildert die Versorgung mit Lebensmitteln und Kleidung, die hygienischen Verhältnisse und die medizinische Betreuung, Bewachung und Bestrafung und Fluchtversuche. Dabei zitiert sie ausführlich aus den Interviews und konfrontiert sie teilweise mit schriftlichen Quellen, die natürlich oft die NS-Ideologie wiedergeben. In den Kapiteln über Überlebensstrategien geht es um die Beschaffung zusätzlicher Nahrungsmittel und Kleider, aber auch um verbotene Kinobesuche oder heimliche Liebesbeziehungen. Liebe und Sexualität waren auch mehr als 50 Jahre danach oft noch Tabuthemen für die Befragten, die vor allem dann bereit waren, darüber zu sprechen, wenn ihre Liebesbeziehungen den Krieg überdauert hatten und in eine Ehe gemündet waren.
Einen großen Abschnitt hat die Autorin dem Leben in Nachkriegsdeutschland und der Rückkehr nach Polen gewidmet - ein schwieriges Kapitel, denn während die »Ostarbeiter« und die Ukrainer, sofern sie aus der Sowjetunion kamen, auch gegen ihren Willen nach Kriegsende in die UdSSR transportiert wurden und die »Westarbeiter« auf dem schnellsten Wege in ihre Heimatländer zu kommen trachteten, wurden die polnischen »Displaced Persons« ein Opfer der Spaltung Europas. »Sie registrierten die Anwerbung durch die Amerikaner auf der einen Seite und die Ankündigungen von Transporten auf der anderen. Sie hörten von Angeboten, nach Übersee (USA, Kanada und Australien) auszuwandern. Und zwischen all dem wetteiferten Vertreter der Exilregierung in London und der kommunistischen Regierung in Polen um die Köpfe und Herzen der polnischen DPs.«
Stefanski hat nur Menschen interviewt, die nach Polen zurückgekehrt sind. Bei vielen der ersten Heimkehrer war die Sehnsucht nach der Familie ausschlaggebend; über die politischen Verhältnisse in Polen wußten sie oft nichts. Für andere war der Weg in den Westen versperrt, den sie lieber gewählt hätten, weil sie über die neue Regierung oder die Armut in Polen informiert waren. Viele konnten sich aufgrund ihrer Erfahrungen in Leverkusen schnell in der schwierigen Nachkriegssituation in Polen zurechtfinden, andere hat die Zwangsarbeit gebrochen. Heute leben die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter oft in sehr ärmlichen Verhältnissen. Sie müssen noch immer auf eine Entschädigung warten.
Stefanski hat ihr Buch mit einem wissenschaftlichen Apparat ausgestattet. In einem Eingangskapitel geht sie auf den Forschungsstand ein und reflektiert ihre Methoden. Das freut die Historikerzunft, sollte andere Leser aber nicht abschrecken. Die können nämlich die Methodendiskussion und die zahlreichen Fußnoten einfach ignorieren und sich irgendwo festlesen. Die sehr persönlichen und konkreten Erinnerungen der Zeitzeugen ziehen einen schnell in den Bann - wozu auch die etwa 40 Fotos beitragen. Also einfach blättern und lesen. Es lohnt sich.
Angela Martin
Aus der Wochenend-Beilage der "jungen-Welt" vom 17.03.2001
|