Flugzeuge im Bauch
Flugzeuge im Bauch
Der einheitliche Horizont des Empire aktualisiert sich in der Operation »Infinite Justice«. Für Subtropen kommentiert yann moulier boutang die Bedeutung dieser Militarisierung der Herrschaftsordnung
Nach den Ereignissen von Genua begann mit Nachdruck eine Debatte. Denn die Protestbewegung gegen die G 8 war in Prag, Québec und Göteborg auf eine verhärtete Haltung der Staatsapparate gestoßen; die Bedingungen, unter denen eine Ablehnung der Globalisierung artikuliert werden konnte, wurden von Seiten des Staates militarisiert. Mit dem bekannten Ausgang, dass es in Genua einen Toten gab. Wie konnte man dieser erpresserischen Drohung die Stirn bieten, so wurde daraufhin gefragt, wenn nicht durch eine »Militarisierung« des politischen Kampfs? Symmetrisch, doch mit katastrophalen Folgen? Diese Debatte nach und über Genua erfährt nun eine eigenartige Überdeterminierung durch die »Apokalypse New York«.
Doch auf eine militärische Logik zu setzen, ist absurd. Wer das fordert, versteht absolut nichts von der Zusammensetzung der Multitude, vom Zusammenhang der Vielen, die es, ob in Seattle oder in Chiapas, gerade verstehen, Standhaftigkeit und Intelligenz zu verbinden. Das ist auch der Grund, warum es den Analysen über die Wandlungen des neoliberalen Kapitalismus, die sich auf die Militarisierung der imperialen Macht beschränken, schlicht an Scharfsinn mangelt.
Es sei denn, man hängt der ziemlich paranoiden Vorstellung an, die USA, als Statthalter imperialer Macht, hätten das Spektakel des Terrorismus auf der nächsthöheren Eskalationsstufe selbst inszeniert, um militärische Repression und anti-terroristische Maßnahmen gegen die entstehende Bewegung zu rechtfertigen.
Mit der Antiglobalisierungsbewegung ist jedoch eine eigene Struktur am Werk, das gilt es angesichts des real simulierten Kriegs, angesichts des Megaterrorismus gegen die Supermacht zu bedenken.
Welche? Das Neuentstehen einer weltweiten Bewegung gegen die Globalisierung 1999 in Seattle stört zutiefst das neoliberale Konzept einer linearen Absorption der Zweiten und der Dritten Welt nach dem Verschwinden des Realsozialismus. Dabei hat sich diese antikapitalistische Bewegung der Globalisierungsgegner mit sehr hoher Geschwindigkeit unter vollkommener Abwesenheit einer ideologischen und körperlich-sinnlichen Alternative entwickelt - sie ist ein »Körper ohne Organe«. Deshalb ist es auch unmöglich, sie mit einem chirurgischen Schlag gegen ein lebensnotwendiges Organ zu treffen. Einer ökologischen Rationalität folgend, skizziert das »Nein« zur Globalisierung die Konturen eines ernst zu nehmenden Gegenentwurfs, doch dieses »Nein« ist noch stammelnd und bleibt angesichts der Größe der Aufgabe ohne politische Kraft.
Daraus ergibt sich eine bedrohliche Situation. Ähnliche Konstellationen entwickelten sich in Italien und ganz Europa gegen Ende der siebziger Jahre. Gefährlich ist die Situation deshalb, weil die Bewegungen zwar in der Lage sind, den neuen beschleunigten Kapitalismus am Hochschalten in den nächsten Gang zu hindern, es ihnen aber noch nicht gelingt, die Entwicklung einer anderen Art Globalisierung zu beschleunigen.
Die Bewegungen weiten sich aus und gewinnen beständig an Antriebskraft. Sie haben die Fähigkeit erlangt, strategische Ziele des kognitiven Kapitalismus in Frage zu stellen, vor allem die Notwendigkeit neuer Segmentierungen - so bei den erfolgreichen Protesten der Länder des Südens gegen die Patentierung generischer Arzneimittel. Doch die Struktur der Macht versucht, die Bewegungen anzuziehen und aufzusaugen, um sie auf einem Terrain zu fixieren, wo sie geschlagen werden können. »Anziehend« in diesem Sinn ist etwa die Vorstellung, die imperiale Macht sei auf die amerikanische imperialistische Supermacht reduzierbar, ebenso wie die Vorstellung, die Radikalität oder Macht der Bewegungen könne an ihrer Fähigkeit, die kapitalistische Gewalt global zu erwidern, gemessen werden.
In solchen Phasen greift beinahe systematisch die terroristische Überdeterminierung. Jedes Mal, wenn Bewegungen die Macht der Multitude als Möglichkeit ausdrücken - und das Virtuelle ist dabei der Spiegel der Zukunft -, greift das erpresserische Versprechen, die Anwendung unmittelbarer Gewalt würde weiterhelfen. Doch gerade die Gewalt durchkreuzt die Macht der Vielen und hält die Realisierung des Möglichen weiter in der Schwebe.
»Apokalypse New York« bezeichnet einen gewaltigen Gegenschlag, der die imperiale Macht auf katastrophale Art trifft. Die Protestbewegung gegen die Globalisierung, die das World Trade Center und das Pentagon ebenfalls verabscheut, findet sich auf einmal dazu aufgerufen, den Schritt zu diesem Akt der Zerstörung mitzutragen.
Die Bedeutung der Katastrophe zeigt sich nicht nur in den Folgen, die der auf staatlich-imperialer Ebene verübte Terrorismus wahrscheinlich haben wird: Eine militärische Repression gegen die Protestbewegung, die zwischen der Unterwerfung unter den antiterroristischen Konsens (mit den Ritualen von Reue, Abschwören, Kapitulation) und der Möglichkeit, sich auf die Seite des unbedingten, dämonischen und dämonisierten Aufstands zu schlagen, zerrieben werden wird. Es droht darüber hinaus ganz konkret eine Verengung der Freiräume, die die Bewegungen nach den »Jahren des Winters« (wie Félix Guattari sie nannte) erobert haben.
Das Katastrophale liegt vor allem in der Verschiebung der Ebenen, die Herausforderung ist zur Falle geworden. Niemand kann noch wie wie in Genua behaupten, dass nur die Polizei für die Provokationen verantwortlich ist.
»Apokalypse New York« zeigt sich so als mächtige Überdeterminierung der Debatte von und über Genua. Die Anschläge sind ein Angebot an alle »Black Blocks« des Südens und des Nordens, das man so paraphrasieren könnte: Was zählt noch angesichts der Vorstellung, mit dem Hauptquartier und dem Symbol des globalisierten Kapitalismus und seinem bewaffneten Arm, dem Weltpolizisten, physisch Schluss zu machen? Doch diese Frage basiert auf völlig falschen Zuschreibungen. Das World Trade Center und das Pentagon sind viel mehr als bloße Symbole, ohne im Entferntesten wirklich die Hauptquartiere des globalen Kapitalismus zu sein. Dieser kennt keine Abteilungen, er ist abstrakt, er hat keine angreifbare Adresse.
Diese Überdeterminierung ist die eigentliche Provokation, und die Aktionen der Polizei in Genua und des italienischen Staats sind verglichen damit groteske Gesten. Viel furchtbarer ist der Virus, der darauf zielt, die Multitudes zu faken und die Antiglobalisierungsbewegungen zu »Völkern« zu klonen. Und bald werden wir Demonstrationen gegen die Bombardierung von Kabul erleben.
In dieser radikal veränderten Situation können wir uns mit der alten Klage über Provokation und Manipulation nicht zufrieden geben. Die entscheidende Frage ist: Welche Politik können die Multitudes in einer Szenerie finden, die halb Trickfilm und halb Realität ist - mit Special Effects und einem Produktionsaufwand, der »Star Wars« oder dem antiken Rom würdig ist, und mit wirklichen Toten?
Yann Moulier Boutang ist Herausgeber der Zeitschrift Multitudes. Aus dem Französischen von Thomas Atzert
entnommen aus jungle-world Nr. 40, 2001
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