Norderstedt/ Glasmoor-Abschiebeknast: Freispruch für "Routinemißhandlung"
fantifa norderstedt
Freispruch für Routinemißhandlung
Glasmoor-Schließer Hartmut H., der sich vor dem Norderstedter Amtsgericht wegen der Misshandlung eines Gefangenen zu verantworten hatte, wurde am 8. Oktober trotz belastenden Aussagen freigesprochen.
Der Freispruch wurde mit der Begründung "im Zweifel für den Angeklagten" erteilt. Auch der Richter hielt es in seinem Schlusswort nicht für ausgeschlossen, dass es der Corpsgeist der Bediensteten des Abschiebeknastes war, der belastende Aussagen gegen einen Kollegen unmöglich machte und somit über die Wahrheitsfindung siegte.
Schon im Frühjahr dieses Jahres begann der Prozeß gegen Hartmut H. wegen Körperverletzung im Amt. Ein Jahr zuvor wurde der Algerier Emene K. im Abschiebegefängnis Glasmoor in Norderstedt so schwer misshandelt, dass der unter anderem einen Jochbeinbruch erlitt. Dies ist bei weitem nicht der erste Übergriff, den es in Glasmoor gegeben hat. In den wenigen Fällen jedoch, in denen Abschiebegefangene den Mut hatten, Anzeige zu erstatten, wurden unliebsame Prozesse verhindert, indem die Flüchtlinge vor ihrer Zeugenaussage abgeschoben wurden.
Erstmalig sollte nun ein solcher Vorfall gerichtlich verhandelt werden, der erste Prozesstermin dauerte jedoch noch nicht einmal eine halbe Stunde, da die Verteidigung beanstandete, dass der Misshandelte und Nebenkläger Emene K., der inzwischen aus der Abschiebehaft entlassen worden war, nicht persönlich vor Gericht erschien, sondern sich von seiner Anwältin vertreten ließ.
Ein halbes Jahr später, am 27.9. sah die Lage schon anders aus. Emene K., der inzwischen wieder von Abschiebung bedroht ist, sagte gestern gegen H. aus und belastete ihn schwer. Dem nach seiner Suspendierung noch immer beurlaubten Schließer H. wird vorgeworfen, am 1. März 2000 den Gefangenen Emene K. gegen den Türpfosten eines Gittertores geworfen zu haben. Neben der Jochbeinfraktur erlitt der Flüchtling einen Zungenriss, mehrere Schürfwunden und Prellungen.
"Da hat es schon Schlimmeres gegeben", kommentierte Hartmut H. seinen Übergriff auf Emene K. freimütig. Das wäre ein Routinefall gewesen. Drei- bis viermal im Monat käme es vor, dass er "unmittelbaren Zwang" bei einem Häftling anwenden müsse. "Das bring der Beruf mit sich", erklärte H., "da muß man auch mal zupacken." Die nötigen Tricks bekommen die Schließer in Glasmoor von einem Kollegen, der sich mit Kampfsport auskennt.
Nach H´s Version habe sich Emene K. aus seinem Griff befreien wollen. Bei der Versuch, ihn erneut zu fixieren, sei es zu dem Zusammenstoss mit dem Gitter gekommen. Als die Nebenklägerin dazu nähere Angaben vom Angeklagten erfragte, schnitt der Verteidiger seinem Mandanten mit der Bemerkung "Ach was, das müssen sie gar nicht beantworten" unwirsch das Wort ab.
Auch wenn der Angeklagte selbst die Möglichkeit sieht, dass die Kollision mit dem Gitter den Jochbeinbruch verursachte, sagt er über das Geschehene lapidar: "Der Vorfall ging nicht über das Übliche hinaus." Was in Glasmoor üblich ist, dürfte damit geklärt sein.
Emene K. sagte zu dem Übergriff mit Hilfe eines Dolmetschers aus, er sei von dem Angeklagten mehrmals mit der geschlossenen Faust zu Boden geschlagen und wieder aufgehoben worden. "Ich versuchte meinen Kopf mit den Armen zu bedecken. Ich dachte, er würde aufhören, aber er hat nicht aufgehört", beschrieb Emene K. die Misshandlungen. Daraufhin sei er gegen das Gitter gestossen worden.
Auch der am betreffenden Tag diensthabende Krankenpfleger W. unterstrich in seiner Aussage als Augenzeuge deutlich seinen Eindruck, der Schließer H. habe den Gefangenen mutwillig mit voller Wucht aus dem Lauf heraus gegen das Gitter geworfen. "Wir waren beide schockiert", sagt er über sich und seinen Kollegen, mit dem er nach dem Vorfall den Boden um das Gitter nach eventuell ausgeschlagenen Zähnen abgesucht hatte. Zu dem Angeklagten befragt, berichtete er, H. sei "ein Schrank, groß, laut und jähzornig." Schon "verbal äußerst gewaltbereit", drohe er "mit jedem zweiten Satz Ärger an." Der Krankenpfleger bezeichnete H. als Autoritätsperson unter seinen Kollegen, der in der Anstalt auch als "Gott" betitelt werde, und fasste anschließend zusammen: "Wenn der Kollege H. etwas sagt, wird es auch gemacht."
So war es vielleicht auch nicht verwunderlich, dass die vier folgenden als Augenzeugen vernommenen Schließer entweder die Aussage ihres Vorgesetzten H. fast wortgleich bestätigten, oder aber angaben nichts gesehen zu haben. "Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus", beschrieb die Knastpastorin im Zeugenstand den Corpsgeist unter dem Wachpersonal. So wurde ihr zugetragen, dass - nachdem klar wurde, dass den Misshandlungen diesmal disziplinarrechtliche Konsequenzen folgen würden - im Gefängnis ein einligst einberufener Krisenstab unter dem Motto "jetzt wird dichtgehalten" tagte.
Der Verteidiger, der ein Faible dafür hatte, unliebsame ZeugInnen mit skandalösen Beleidigungen zu attackieren, versuchte dem Krankenpfleger W. als Hauptbelastungszeugen die Glaubwürdigkeit zu nehmen, indem er ihm bescheinigte, er sei krankhaft im Bezug auf eine sachliche Wahrnehmung. Er habe Aversionen gegen den Strafvollzug. Der Pastorin hingegen warf er vor: "Sie erzählen doch nur Märchen hier." Bei Nebenkläger Emene K. passierte es ihm gar, diesen einmal als Angeklagten zu betiteln und sagt über dessen Aussage in seinem Abschlußplädoyer: " . . . natürlich weiß man, dass aus diesen Ländern, wie das aus dem der K. kommt, gewisse Übertreibungen eine Rolle spielen. Das berücksichtigen wir ja schon."
Das Emene K. zu keinem Zeitpunkt ernstgenommen wurde, bewies sich nicht nur im Richterspruch. Am Ende des ersten Prozeßtages empfahl Richter Schwarz der Nebenklägerin, ihr Mandant könne doch in Zukunft der Verhandlung fernbleiben, da er sich hier ja doch nur langweile.
Als die Nebenklägerin berichtete, Emene K. sei im UG Holstenglacis, wo er derzeit einsitzt, angedroht worden, in eine Zelle im Keller voller Ratten und Schmutz verlegt zu werden, weil er die Angelegenheit vor Gericht gebracht hat, wußte der Vorsitzende über diese Ungeheuerlichkeit lediglich zu bemerken: "Jetzt kommen Sie ja erst mal nach Neumünster, da gibt es keine Ratten."
Emene K. und alle Flüchtlinge ohne deutschen Paß sind nach den Asylgesetzen innerhalb der Festung Europa ohne Rechte. Sie werden auch weiterhin angegriffen und ihrer Menschenwürde beraubt, nicht nur auf der Straße, sondern von Polizei, Schließern, Grenzbeamten. Dass gewalttätige Beamte von der Justiz nicht bestraft, sondern geschützt werden, ist kein Zufall, sondern Ausdruck des menschenverachtenden Normalzustands dieses rassistischen Systems.
Kein Frieden der Abschiebemaschinerie !
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