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Afghanistan: Öl, Pipelines, Krieg

Ralf Schröder

Kabul Gate


Öl, Pipelines, Krieg: Die Konkurrenz um die Bodenschätze Zentralasiens
haben nicht Verschwörungstheoretiker, sondern Kapitalisten erfunden

Politiker und Medien der westlichen Welt debattieren seit der Ankündigung
des Krieges gegen die Taliban recht munter über die möglichen
geopolitischen Folgen dieses Unternehmens. Dabei geht es nicht zuletzt
um die Schlüsselstellung, die Afghanistan für eine Neuordnung
Zentralasiens und für die Nutzung seiner nicht unbedeutenden
wirtschaftlichen Ressourcen hat. Viele Linke hingegen möchten sich mit
solchen Themen nicht länger beschäftigen. Während die Wertkritiker um
Robert Kurz bekräftigen, die imperiale Konkurrenz um territorial definierte
Einflußzonen sei angesichts der finalen Krise des warenproduzierenden
Systems quasi gegenstandslos geworden, ist das Milieu um die Zeitschrift
"Bahamas" gegen alle Tatsachen resistent, aus denen sich keine
Exklusivanklage gegen den völkischen Furor der Berliner Republik
gewinnen läßt. Den Antideutschen, die fast ausschließlich auf ideologische
Zuschreibungen und Konnotationen zurückgreifen, gilt jeder Versuch, Politik
und Ökonomie der internationalen Beziehungen auf empirischer Grundlage
zu untersuchen, als antiamerikanische Verschwörungstheorie.

Im Kielwasser der Wertkritiker und der Antideutschen, die nicht selten
intellektuell durchaus anspruchsvoll argumentieren, treten seit dem 11.
September auch ausgemachte Dilettanten zur Analyse an. Sie machen
politische Kritik im Stile der Popliteratur, übersehen aber, daß die
Popliteraten das zwanglose Daherreden als Experten betreiben. Von den
Mechanismen internationaler Politik haben sie keine Ahnung, das
großspurige Bekenntnis ersetzt die Kenntnis. Eines der Beispiele für
dieses Blödmanntum war Mitte Oktober in der Wochenzeitung "Jungle
World" zu besichtigen. Garniert mit Sprüchen wie "Sherry statt Scharia" fegte
dort ein Andrea Albertini die richtige These Rainer Tramperts vom Tisch, die
USA nutzten die "Tragödie" von New York "als günstige Gelegenheit", mit
ihrem Krieg gegen Afghanistan auch geopolitische und wirtschaftliche Ziele
in der Großregion zu erreichen: "Wenn dem so wäre", fragt Albertini, "warum
haben die USA das Taliban-Regime nicht schon längst angegriffen,
beseitigt und durch eine amerikafreundliche Regierung ersetzt? Eine
moralische Legitimation dafür zu finden, wäre den USA doch ein Leichtes
gewesen."

In Klartext übersetzt erweist sich dieser weitverbreitete Gedanke als
kompletter Nonsens, der aus Versehen auch noch allerlei Vorurteile über
die amerikanische Politik zum Vorschein bringt: Wenn die USA
rohstoffstrategische Interessen in der Region hätten, hätten sie die
Taliban-Regierung unter irgendeinem moralischen Vorwand längst erledigt,
man kennt das ja. Daß die USA das nicht getan haben, gilt folgerichtig als
Beleg dafür, daß sie keine solchen Ambitionen in der Region haben und
der Angriff auf die Taliban reine "Selbstverteidigung" ist. Der "Verweis auf
angeblich imperialistische US-Interessen im afghanischen Wüstensand",
so Albertini, verdrehe "Ursache und Wirkung der aktuellen Entwicklung" -
ganz so, als habe die politische Geschichte Afghanistans am 11.
September begonnen.

Die Wirklichkeit, das zeigt auch der bisherige Verlauf des Krieges und der
zugehörigen Diplomatie, ist ein wenig komplizierter. Ihre Betrachtung zeigt,
daß ein befriedetes und berechenbares Afghanistan schon länger auf der
Wunschliste der USA und ihrer befreundeten Konkurrenten steht. Daß es
dabei u.a. um Öl, Gas und die zugehörigen Pipelines geht, liegt nicht am
verschwörungstheoretischen Eifer der Analytiker, sondern ist den vielfach
formulierten Ansprüchen und verschiedenen Aktionen der Geostrategen
und Wertverwerter abzulesen.

Die kurze nachsowjetische Geschichte der kaspischen und
zentralasiatischen Staaten ist ein Revival des klassischen Imperialismus.
Das liegt womöglich an der Art der marktwirtschaftlich nutzbaren
Ressourcen, die der Raum in unterschiedlicher Verteilung bietet:
strategische Rohstoffe wie Öl und Gas sowie nennenswerte Vorkommen
unter anderem von Zink, Blei, Chrom, Silber, Gold, Bauxit, Kupfer, Mangan,
Molybdän, Uran und Wolfram. Nachdem in den Jahren nach 1995 die
Schätzungen über den Umfang vor allem der Ölvorräte in geradezu
phantastische Größenordnungen vorstießen, geht man heute davon aus,
daß die kaspischen Reserven mindestens an die der Nordsee
heranreichen und maximal 20 Prozent der Weltreserven ausmachen.
Saudi-Arabien, zum Vergleich, verfügt über 25 Prozent. Die Gasreserven,
bisher vor allem in Turkmenistan geortet, sind noch bedeutender. Der
US-Staatssekretär Eizenstat faßte 1997 vor dem amerikanischen Kongreß
die Perspektiven so zusammen: "Obwohl sich das Kaspische Meer
möglicherweise niemals mit dem Persischen Golf wird messen können,
kann die kaspische Produktion bedeutende Auswirkungen auf die
Konditionen des weltweiten Energieangebotes haben."

Trotz populärer Theorien, die seit zwei Jahrzehnten angesichts der dritten
industriellen Revolution eine sinkende Bedeutung des Rohstoffsektors für
die kapitalistische Ökonomie prognostizieren, unternehmen westliche und
andere Konzerne seit Beginn der neunziger Jahre zunehmend kostspielige
Anstrengungen, die kaspischen und zentralasiatischen Bodenschätze zu
nutzen. Daß es sich bei den Prognosen einer reduzierten Bedeutung des
Energiesektors um ein New-Economy-Märchen handelt, zeigt unter
anderem die überragende Rolle, die eine kalkulierbare und diversifizierte
Energieversorgung in allen militärischen und politisch-strategischen
Planszenarien industrialisierter Staaten oder Staatengruppen spielt. Die
bereits 1992 verabschiedete und bisher von 52 Ländern, nicht aber von
Rußland und den USA unterzeichnete Europäische Energiecharta etwa
fordert alle Staaten auf, den ungehinderten Durchtransport von Energie zu
ermöglichen. Zudem gehen Fachleute davon aus, daß der globale
Energiebedarf bis 2020 um 50 Prozent steigen wird, wobei ein Großteil des
Zuwachses auf China und südasiatische Staaten wie Indien entfallen soll.

Die Nutzung der kaspischen und zentralasiatischen Öl- und
Gasvorkommen lief bis zum aktuellen Krieg gegen Afghanistan unter
folgenden Bedingungen: Erstens werden die betreffenden Staaten, etwa
Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan und Aserbeidschan von Diktatoren
regiert, die weder an offiziellen westlichen Menschenrechtsstandards noch
an der katastrophalen sozialen Zerrüttung ihrer Herrschaftsgebiete
sonderliches Interesse zeigen (vgl. KONKRET 10/99). Die Rolle der
politischen Opposition haben, zuvorderst in Usbekistan und Tadschikistan,
bewaffnete islamistische Terrorbanden übernommen, die von den Taliban
unterstützt werden. Zweitens sind beim Wettbewerb auch beachtliche
Regionalmächte wie die Türkei, der Iran und Pakistan dabei, die
bekanntlich ganz unterschiedlich gelagerte Beziehungen zu den beteiligten
Großmächten (USA, China, EU) pflegen. Rußland agiert in dem Wettbewerb
aus der Defensive und will von seinem ehemaligen Einflußmonopol in der
Region möglichst viel retten sowie möglichst wenig Konkurrenz beim Export
der eigenen Ressourcen aufkommen lassen.

Der dritte Punkt betrifft den Transport der Rohstoffe: Wer hierzulande in
diesem Zusammenhang das Stichwort "Pipelines" verwendet, wird von den
selbstbewußten Analphabeten der politischen Ökonomie augenblicklich
bezichtigt, Opfer eines psychopathologisch bedingten Ticks zu sein.
Tatsache ist allerdings, daß die Fachleute aus dem Öl- und Gashandel
während der vergangenen Jahre ihren Regierungen zahllose Expertisen
vorgelegt haben, die eine profitable Verwertung der getätigten oder
beabsichtigten Investitionen von einem sicheren und erschwinglichen
Leitungssystem abhängig machen. Schuld daran ist schlicht die
geographische Gegebenheit, die Zentralasien und die kaspische Gegend
von der internationalen Schiffahrt fernhält. Die Staatsmänner haben das
verstanden und das Transportproblem zu einer politischen Frage gemacht.
Deshalb freundete man sich mit den Diktatoren an und stellte ihnen in
Aussicht, zum Schutz gegen russischen Druck könnten sie irgendwann
gerne Mitglied der Nato werden. Auch entdeckte man, vor allem in
europäischen Hauptstädten, daß die Region sich für eine Reaktivierung der
Landverbindung zur aufstrebenden Wirtschaftsmacht China eigne ("Neue
Seidenstraße"), und so flossen allein 1998/99 für Transport- und sonstige
Infrastrukturprojekte sowie als humanitäre Hilfe zirka 1,6 Milliarden Mark an
EU-Geldern dorthin.

Daß Zentralasien in den Rang einer weltpolitischen Schlüsselregion geriet,
verdankt sich nicht allein der dominanten Stellung der vor Ort tätigen
US-Energiekonzerne. Die Clinton-Regierung verknüpfte deren Interessen
mit dem allgemeineren Ziel, den Einfluß Rußlands und des mit Moskau
kooperierenden Iran einzudämmen. Inspiriert wurde diese Politik durch
Figuren wie Zbginiew Brzezinski, ehemaliger Sicherheitsberater des
Präsidenten Carter, der wie andere Expolitiker seit Jahren als Lobbyist für
verschiedene Ölfirmen im kaspischen Raum tätig ist. Brzezinski, der die
USA gelegentlich zum Kampf um die Vorherrschaft auf der "eurasischen
Landmasse" aufruft, bezeichnet die kaspisch-zentralasiatische Region als
"eurasischen Balkan" - eine Formulierung, die die Pflicht zur Intervention
einschließt. Bereits 1995 wurde in den USA eine Arbeitsgruppe gebildet, die
eine Studie über US-Rohstoffinteressen in der kaspischen Region
anfertigen sollte. Mit dabei waren der Nationale Sicherheitsrat, das
US-Außenministerium und die CIA.

Konkretisiert wurde die Einhegung des russischen und des iranischen
Einflusses anhand der Pipeline-Frage: In der Absicht, das russische
Beinahe-Monopol auf den Öl- und Gastransport zu brechen und eine sich
anbahnende Kooperation zwischen Turkmenistan und dem Iran zu
verhindern, unterstützte die US-Regierung zwischen 1995 und 1998
nachdrücklich das Projekt der Energiefirma Unocal, eine Pipeline durch
Afghanistan an die pakistanische Küste zu bauen. Dieses Vorhaben war mit
vielfältigen, durch den pakistanischen Geheimdienst ISI unterstützten
Bemühungen verbunden, den Bürgerkrieg in Afghanistan zu beenden oder
zumindest einzufrieren. Dabei gab es eine Anzahl diskreter Kontakte
zwischen der US-Administration und Taliban-Vertretern.

Die Situation, die 1996 nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban
entstanden war, faßt der pakistanische Journalist Ahmed Rashid, dessen
Buch "Taliban. Islam, Oil and the New Great Game in Central Asia" frisch
ins Deutsche übersetzt ist, so zusammen: "Und was war der Anlaß für
diese massive regionale Polarisation zwischen den USA, Saudi-Arabien,
Pakistan und Taliban auf der einen Seite und dem Iran, Rußland, den
Staaten Zentralasiens und der Anti-Taliban-Allianz auf der anderen Seite?
Während einige sich darauf konzentrierten, herauszufinden, ob es eine
Wiederbelebung der alten CIA-ISI-Verbindungen aus der Zeit des
afghanischen Djihad gab, wurde es für mich immer offensichtlicher, daß die
Pipeline-Strategie zur treibenden Kraft hinter dem Interesse Washingtons
an den Taliban geworden war, was der Reihe nach Gegenreaktionen
Rußlands und des Iran auslöste."

Washington ließ das Projekt einer Rohstoffleitung durch Afghanistan 1998
vorläufig fallen, nachdem feministische Gruppierungen scharfe Kritik am
engen Verhältnis zu den Taliban artikuliert und die Bin-Laden-Leute zwei
US-Botschaften in Ostfafrika in die Luft gesprengt hatten. Zum Ersatz setzte
die Clinton-Regierung, erneut Rußland und den Iran umgehend, 1999 eine
Pipeline-Route von Aserbeidschan über Georgien in den türkischen
Mittelmeerhafen Ceyhan durch. Diese Lösung wurde von den
US-Energieunternehmen wegen der komplizierten Streckenführung und der
hohen Kosten wenig begeistert aufgenommen. Die Zeitschrift "Middle East
Policy" (Nr. 3/2000) berichtete, in der US-Ölindustrie werde darüber geklagt,
"daß kommerzielle Überlegungen sekundär geworden sind, während die
US-Regierung diese geostrategische Agenda weiterverfolgt, und daß
Unternehmen die finanziellen Lasten, die diese Strategie mit sich bringt, auf
die eigenen Schultern nehmen sollen". Das war vor dem Amtsantritt der
Regierung Bush.

Bevor die USA einsehen mußten, daß mit den fundamentalistischen Ultras
keine Stabilität zu haben ist, hatten lediglich die im
Shanghai-Sicherheitsabkommen zusammengeschlossenen Staaten
Rußland, China, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan sowie der Iran,
Indien und Usbekistan das Taliban-Regime als Gefahr für die Stabilität der
Region eingestuft. Nach dem Bruch zwischen Washington und Kabul gaben
auch die westlichen Verbündeten der USA ihre Indifferenz auf, und als
einzige Freunde der Taliban blieben Pakistan und Saudi-Arabien übrig, die
ebenfalls traditionell eng mit den USA liiert sind. Wo immer danach über die
Zukunft der Großregion nachgedacht wurde, fehlte nie der Hinweis auf die
Hauptgefahr für deren Stabilität. Achim Schmillen, Leiter des
Planungsstabs im Berliner Auswärtigen Amt, erörterte im vergangenen Mai
in einem längeren "FAZ"-Aufsatz die europäischen Interessen in
Zentralasien und hielt dabei knapp fest: "Der mit Abstand gefährlichste
Krisenherd ist Afghanistan - ein Land, das seit mehr als zwanzig Jahren im
Krieg lebt. Der Konflikt wirkt zunehmend destabilisierend in die
zentralasiatischen Nachbarstaaten hinein." Man kann also feststellen, daß
die Beseitigung des Taliban-Regimes allmählich so etwas wie ein
imperialistisches Gemeininteresse wurde.

Dankenswerterweise ist kürzlich das vor dem 11. September
fertiggestellte quasi-amtliche Büchlein "Der Kaspische Raum vor den
Herausforderungen der Globalisierung" erschienen. Es handelt sich um
einen Bericht an die Trilaterale Kommission, eine offiziöse und prominent
besetzte Einrichtung, deren Mitglieder seit 1973 die informelle
Koordinierung der amerikanischen, europäischen und japanischen
Expansion betreiben. Während Einleitung und Schlußwort gemeinsam
verfaßt sind, äußern sich die Autoren in ausführlichen eigenen Beiträgen zu
den Interessen ihrer jeweiligen Staaten. Als Gesamtwerk zeigt die Studie
nicht nur, daß in der Region tatsächlich ein ordinärer imperialistischer
Konkurrenzkampf tobt, sondern auch, daß die Befriedung Afghanistans in
diesem Kontext das einzige gemeinsame Ziel von handfester Qualität ist.

Wird bereits im Vorwort darauf hingewiesen, daß es sich bei Afghanistan
um einen "scheiternden" Staat handeln könnte, schreibt der US-Autor
Sherman W. Garnett mit Blick auf die oben beschriebenen Kontakte
zwischen Washington und Kabul, nur "Wirtschaftsinteressen" könnten den
"Flirt mit Regimen erfordern, die unzuverlässig sind und wohl nicht lange
bestehen". Der deutsche Autor Alexander Rahr, Mitarbeiter der Deutschen
Gesellschaft für Auswärtige Politik, deren Forschungsinstitut die Studie in
Deutschland auch veröffentlichte, stellt fest: "Eine Voraussetzung für
Stabilität in der Region ist die Beendigung des afghanischen Bürgerkrieges
... Zumindest solange Afghanistan eine eiternde Wunde bleibt, sprechen
maßgebliche Quellen in Zentralasien offen von der Unvermeidlichkeit eines
künftigen Krieges gegen islamistische Kräfte." Im gemeinsamen
Schlußabschnitt heißt es: "Die trilateralen Länder müssen eine integrierte,
ernsthaftere Strategie entwickeln, um die Lage in Afghanistan und ihre
regionalen Auswirkungen zu behandeln." Die USA waren dabei aus
gegebenem Anlaß schon mal vorangegangen, und in der Etappe bastelten
Schröder und Chirac an ihren "Wiederaufbauplänen".

Was die marktwirtschaftliche Erschließung des Raumes angeht, sind
sich die Autoren in einer wichtigen Frage einig: "Es war die Frage der
Pipelines, an der sich die politische Natur von Öl und Gas in der
kaspischen Region besonders deutlich erwiesen hat." Anknüpfend an
diese wirklich schöne Formulierung kritisiert der deutsche Autor Rahr in
seinem Beitrag, die übrigen EU-Länder würden in der Pipeline-Sache statt
"geopolitischer Überlegungen" zu stark rein wirtschaftliche Erwägungen
betonen. "Soll aber die EU weiterhin bloß einen wirtschaftlichen Beitrag zur
regionalen Stabilität leisten und es hinnehmen, daß ihre wirtschaftliche
Macht von anderen Akteuren politisch ausgeschlachtet wird?" Gemeint sind
natürlich die USA, und es spricht wieder einmal der ambitionierte
Zaunkönig des "Great Game".

Dementsprechend geraten Rahrs Vorschläge für die politische Strategie
Europas zu einer recht schnörkellosen Anklage gegen die Amerikaner.
"Europa stimmt mit den Vereinigten Staaten nicht überein in bezug auf die
Eindämmung des Iran." Zweitens "legen die Europäer mehr Wert als die
Amerikaner darauf, Rußland eine wichtige Rolle in dem Rohrleitungsnetz
um das Kaspische Becken zuzugestehen sowie russischen
Erdöl-Unternehmen eine größere Präsenz" in den betreffenden Konsortien
zu verschaffen - schließlich ist Deutschland Hauptgläubiger Rußlands und
in dessen Energiewirtschaft stark engagiert. Drittens: "Im Unterschied zu
den USA möchten die EU-Staaten, daß Rußland seine Rolle bei der
Friedenssicherung in diesem Raum stärkt." Viertens: "Die EU teilt auch
nicht die amerikanische Faszination für die Türkei als Hauptanker in
Zentralasien und im Kaukasus. Die Europäer sehen die Gefahr, daß die
Türkei sich zu sehr daran gewöhnt, Rußland und Iran einzudämmen." Hinzu
kommt unter anderem noch Kritik an der egoistischen
US-"Pipeline-Diplomatie" sowie die Warnung vor einer "dominierenden
US-Politik in der Region". Und Rahr versäumt es natürlich nicht, gegen die
globale US-Hegemonie die mittlerweile als Kampfbegriff etablierte Vision
der "multipolaren Welt" aufzurufen: "Hier nähern sich russische Anliegen
den chinesischen und zunehmend auch westeuropäischen Anliegen an."

Um dies zu bekräftigen, war Gerhard Schröder kürzlich in Pakistan, Indien
und Shanghai. Er hatte nach Angaben der ARD-"Tagesthemen" "die größte
Wirtschaftsdelegation aller Zeiten" dabei. Zur gleichen Zeit bombardierten
die Amerikaner Kandahar. Natürlich hat das eine mit dem anderen nichts
tun. Einer der Albertinis wird das bezeugen.


Ralf Schröder schrieb in KONKRET 11/01 über Terroristen gegen Terror

 

15.12.2001
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