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Hamburg: Stellungnahme des AHOI zum Polizeieinsatz am 13.12. 2001

Was geschah:
Gegen 23.15 Uhr wollten zwei Bullen in Zivil einen Gast, den sie angeblich zuvor beim Dealen beobachtet hatten, im AHOI festnehmen. Dies scheiterte allerdings zunächst an der Gästeschaft, die entschlossen aber zugleich gewaltlos ihren Unmut über diese Maßnahme äußerte. Schließlich hatte sich ja schon am Tag zuvor anhand der Nachricht vom Tod Achidi J.?s gezeigt, was einen mutmaßlichen Dealer nach der Festnahme erwarten kann. Die sichtlich nervösen Bullen riefen daraufhin Verstärkung, die auch sogleich anrückte und unter Einsatz von Pfefferspray, sowie bei gezogener Waffe des Einsatzleiters das AHOI stürmte. Nachdem sich die Bullen den Weg freigeschubst hatten, nahmen sie nicht nur den mutmaßlichen Dealer fest, sondern griffen auch noch wahllos zwei weitere Gäste auf, um ihnen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung vorzuwerfen. Einer der beiden wurde erst am nächsten Tag um neun Uhr entlassen, nachdem man ihn nicht nur einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen, sondern ihm auch Blut abgenommen hatte.

Was heißt das?

Zunächst einige grundsätzliche Aussagen um Behauptungen der Presse und Spekulationen zu dementieren:

Das AHOI ist keine öffentliche Kneipe, sondern wir führen den Laden als Versammlungsraum der Hafenstraßengenossenschaft, also als offenes Wohnzimmer der BewohnerInnen und derer FreundInnen. Es ist klar, dass wir in der Ausrichtung des entsprechenden Programmes auch auf die Ideen unserer GenossInnen und FreundInnen von außerhalb des Hafens eingehen, denn als Teil der Gesellschaft wollen wir auch in diese intervenieren; Diskussionen, die in der Stadt, in der linken Szene oder sonstwo laufen, werden auch bei uns geführt.
Wir führen den Laden als Raum des gepflegten, nachbarschaftlichen Treffens und gemütlichen Austausches. Wir führen ihn nicht als Drogenhölle, nicht als Versteck für Drogen oder Dealer. Das wissen auch die Bullen!

Es ist wenig ratsam bei Verfolgung ins Ahoi zu flüchten. Das gefährdet die BesucherInnen, die Tresenschichten und bringt auch nichts, da es sich um eine Mausefalle handelt. Die Gewährung eines Schutzraumes für Dealer ist für uns weder möglich noch gewollt, solch eine Funktion würde mit unseren Ansprüchen an einen preiswerten, unkommerziellen und für (fast) alle Menschen offenen Laden kollidieren. Das wissen in der Regel auch die Dealer!

In Hamburg gibt es viele Orte wo öffentlich gedealt wird. Auf Ablehnung stößt das häufig, wenn diese Orte in Wohngegenden liegen. Dies ist z.T. auch bei uns der Fall, einige von uns stehen dem Drogenhandel im Umfeld des Hafens kritisch gegenüber.

Die Losung des neuen Senats ?"Alle Hilfe für Süchtige, alle Härte gegen Dealer?" zeigt wohin die Reise geht. Konsumentinnen werden als Kranke dargestellt, die nur als reuige BüßerInnen Anspruch auf Überlebenshilfe haben, Dealern wird unter Zuhilfenahme von rassistischen Klischees die Verursachung des Elends angekreidet. Wir als AHOI sehen die derzeitigen Diskussionen als politische Katastrophe an.

Außer Acht gelassen wird...

dass die repressive Drogenpolitik gründlich gescheitert ist. Selbst die Bullen wissen mittlerweile, dass Vertreibung das Drogenproblem nicht löst. Bestenfalls gelingt es die Szene auf Trab zu halten, mit dem Erfolg, dass kurze Zeit nach der Auflösung einer Szene das gleiche Problem woanders wieder auftaucht.

dass es unsinnig ist, alle Drogen in einen Pott zu schmeißen. Bei ?"Dealer?" denkt NormalbürgerIn fast immer an harte Drogen, niemals an Schnapshändler, obwohl Alk immer noch die tödlichste aller Drogen ist (Bundesdrogenbericht). Bei uns vor der Tür wird (seit ca. 8 Jahren) fast nur Haschisch gedealt, ein bekannterweise ziemlich unbedenklicher Stoff. An den Wochenenden steigt die Nachfrage nach Koks (Daum, Wecker, Wepper, Sie wissen schon...). Die Heroin und Crack- Szenen befinden sich vor allem in St. Georg, in der Schanze und Altona. Da die Szene sich allerdings jederzeit hierhin verlagern könnte, nehmen wir die Diskussion über harte Drogen genauso ernst.

dass sich kein Dealer seinen Job ausgesucht hat. Viele der "schwarzen?" Straßendealer (ja, es gibt auch weiße!) sind hochtraumatisierte Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern, die hier mit offenem Asylantrag kein Recht auf Arbeit haben, aber horrende Schulden bei ihren Schleppern begleichen müssen und entsprechend erpresst werden.

dass die medienwirksame, repressive Vertreibungsstrategie sowieso immer nur den ?"kleinen Fischen?" gilt. Doch genau die sind nicht die Hauptverdienenden des Handels. Vielmehr besteht auf der untersten Verteilungsebene überhaupt kein Personalmangel. Wird der eine abgeschoben steht dort sofort der nächste. Das Geschäft wird also nicht von der fehlenden Moral des einzelnen Dealers, sondern von der immensen Gewinnspanne (Resultat der Schwarzmarktbedingung, also der Verbotspolitik ) und von der steigenden Nachfrage (gesamtgesellschaftliche Ursachen) bestimmt.

dass nur durch die Verbotspolitik die Verdienstspanne für Dealer hoch und die Qualität der harten Drogen miserabel gehalten wird. Dies sorgt zum großen Teil erst für den sozialen und gesundheitlichen Verfall der Süchtigen von harten Drogen.

Die tödlichen Gefahren von Brechmitteleinsätzen sind bekannt. Da bei bisherigen Gerichtsverfahren sowieso schon verurteilt wurde, wenn ein Zeuge/ Fahnder "Schluckbewegungen?" bei der Festnahme beobachtet hatte, ist diese Behandlung als reine Schikane und seit neuestem auch als versuchter Totschlag zu bewerten. Es handelt sich hierbei um eine Form symbolischer Politik. Das Brechmittel erscheint nicht als Instrument der Beweissicherung, sondern als vorgezogene Strafe. Der Senat (ob neu oder alt spielt bekanntlich keine Rolle) will seine unerbittlich- durchgreifende Hemdsärmeligkeit öffentlich unter Beweis stellen. Dafür bedarf es medienwirksamer, also populistischer Maßnahmen. Die realen Zahlen sind unbedeutend: es wird durch den derzeitigen Brutalisierungsschub der Staatsgewalt nicht einen einzigen Drogentoten weniger geben.
Diese menschenverachtende "Scheinpolitik?" wird gedeckt und gebilligt durch einen rassistischen und zynischen öffentlichen Diskurs. Menschenwürde soll denjenigen vorenthalten werden, ?"die am Elend anderer verdienen?" Und damit sind nicht die Makler gemeint, nicht die Rüstungsindustriellen und erst recht nicht die NutznießerInnen imperialistischer Wirtschaftspolitik (welche ja erst weltweiten Hunger und Vertreibung, also gute Fluchtgründe verursacht).

Wir reden also nicht der Dealerei das Wort. Aus obigen Gründen wenden wir uns aber eindeutig gegen die herrschende Form der rassistischen Stigmatisierung von Dealern (als kalt- berechnende Mörder) sowie gegen die schikanösen Brechmitteleinsätze, also insgesamt gegen eine Drogenpolitik, die hauptsächlich auf Kriminalisierung und Vertreibung setzt.
Infolge des grundsätzlich antagonistischen Verhältnisses diesem Staat und seinen Repressionsorganen gegenüber, haben Polizisten in unserem Laden nach wie vor nichts zu suchen, egal unter welchem Vorwand.
Wir rufen deshalb NachbarInnen, FreundInnen und solidarische Menschen dazu auf, uns in dieser Haltung zu unterstützen.

Ahoi, 19.12.2001

 

02.01.2002
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