Europe: Koordination Repression in der EU gegen Linke - Verhaftung in Amsterdam
aus: Jungle-World
06. Februar 2002, Ausgabe 07/2002
Alles Eta oder was?
Weil er die Adresse eines bekannten Rechtsextremisten weitergegeben haben soll, wurde ein Spanier in den Niederlanden verhaftet. Er wird des Terrorismus bezichtigt.
von gaston kirsche
Die niederländische Polizei hatte eine Anti-Terrorspezialeinheit aufgeboten: Zugriff im Supermarkt, danach ging es zur Amsterdamer Hauptpolizeiwache. Und am nächsten Tag wurde der Festgenommene ins Hochsicherheitsgefängnis Vught gebracht.
Während des Transports hatte er die ganze Zeit einen Sack auf dem Kopf, in Vught kam er sofort in Isolationshaft. Denn gegen den am 16. Januar in Amsterdam festgenommenen Juan Ramón Rodríguez Fernández liegt ein internationaler Haftbefehl vor, ausgestellt von der spanischen Justiz. Der Vorwurf gegen ihn lautet, eine terroristische Vereinigung unterstützt zu haben, nämlich das Eta-Kommando Gorbea, das in Barcelona operierte, wo Rodríguez bis zu seiner Flucht aus Spanien im August des vergangenen Jahres lebte.
Bis zum 5. Februar müssen die spanischen Behörden nun die Auslieferung des mittlerweile in den Normalvollzug verlegten Rodríguez beantragen. Die Staatsanwaltschaft des spanischen Staatsgerichtshofes Audiencia Nacional hat damit den Untersuchungsrichter Baltasar Garzón beauftragt. Er hat im letzten Jahr durch das Verbot mehrerer vermeintlicher Vorfeldorganisationen der Eta wesentlich dafür gesorgt, dass es über 140 Festnahmen angeblicher Eta-Mitglieder gab und so ein neuer Rekord aufgestellt wurde.
Die Anschläge der Eta gehen zwar unvermindert weiter, aber die Vorstände mehrerer baskischer Verbände könnten mittlerweile in Untersuchungsgefängnissen tagen, wären sie nicht getrennt voneinander inhaftiert. Neben der linksnationalistischen baskischen Bewegung wurden im letzten Jahr auch AktivistInnen der linksradikalen Szene in Madrid und Barcelona als vermeintliche Eta-UnterstützerInnen kriminalisiert, unter ihnen auch Rodríguez.
Nach der Verhaftung mutmaßlicher Aktivisten des Kommandos Gorbea am 24. August des letzten Jahren sei in einer Wohnung des Kommandos ein Zettel mit der Adresse eines Nazis gefunden worden. Der Verfasser des Beweisstückes soll Rodríguez gewesen sein. Obwohl auch die spanische Justiz davon ausgeht, dass der 35jährige jegliche weitere Tätigkeit für die baskischen Separatisten ablehnte, stellte Garzón am 31. Dezember einen internationalen Haftbefehl aus. Rodríguez habe Kontakt mit drei am 24. August verhafteten mutmaßlichen Etarras gehabt.
Nach einem Artikel der niederländischen Tageszeitung NRC Handelsblad vom 20. Januar ist die spanische Polizei Rodríguez auf die Spur gekommen, als sie einigen Leuten aus Barcelona Anfang Januar nach Amsterdam folgte. Sobald sein Aufenthaltsort bekannt war, wurde um seine Festnahme ersucht. Der Zugriff kam ungewöhnlich schnell und ist nach Angaben der NRC ein Verdienst des am 1. Januar in Kraft getretenen europäischen Zusammenschlusses Eurojust.
»Kern von Eurojust ist die Koordination. Die Staatsanwaltschaften sprechen über laufende Ermittlungen in den Mitgliedsstaaten, um zu klären, ob eine koordiniertere Aktion möglich und notwendig ist«, sagt Jelle van Buren von der holländischen Stiftung Eurowatch. »Wenn zum Beispiel der spanische Eurojuster seinen niederländischen Kollegen davon überzeugt, dass ein wichtiger Fall vorliegt, der keinen Aufschub duldet, sorgt der niederländische Eurojuster dafür, dass Personal, Zeit und Material für eine gute und schnelle Zusammenarbeit in dieser Angelegenheit freigesetzt werden.«
Die Einrichtung von Eurojust wurde im Dezember auf dem letzten EU-Gipfel im Brüsseler Vorort Laeken beschlossen. In der Zentrale in Den Haag sitzen für jeden EU-Staat ein Staatsanwalt und Spezialisten für Terrorismus. Falls erforderlich, soll das Personal aufgestockt werden.
Auf dem EU-Gipfel ging es nicht nur um Eurojust. Zudem gibt es jetzt eine offizielle Liste mit »terroristischen Organisationen«. Auf ihr fehlt zwar al-Qaida, dafür aber finden sich fünf im letzten Jahr verbotene Organisationen linksnationalistischer BaskInnen - etwa Gestoras pro Amnestia, die Komitees der Angehörigen von Eta-Gefangenen oder die Jugendorganisation Segi, deren Vorläuferorganisationen Haika und Jarrai auch verboten wurden. Die ebenfalls auf dem EU-Gipfel verabschiedete Terrorismusdefinition ist derart ungenau, dass sich damit jeder militante Protest gegen eben diese Gipfel als terroristisch kriminalisieren ließe.
Der konservativen spanischen Regierung kommen die Aktivitäten der EU gegen alles, was als Terror gilt, sehr gelegen. Während der turnusmäßigen EU-Präsidentschaft Spaniens im ersten Halbjahr 2002 will Ministerpräsident José María Aznar die staatliche Repression weiter verschärfen. Der Kampf gegen den Terror habe »die Priorität aller Prioritäten«, erklärte er. Aznar erhofft sich die Unterstützung der EU für die verstärkte Bekämpfung der Eta. Damit verbindet die spanische Regierung auch die Verfolgung aller Linksradikalen in Spanien. Und noch mehr, wie die Verhaftung von Rodríguez in Amsterdam zeigt.
Ein mutmaßliches Mitglied des Kommandos Barcelona der Eta soll erklärt haben, dass »ein Typ von 35 Jahren, lang, mager, intelligent und mit blonden Haaren, irgendwo zwischen Barcelona und Girona wohnend«, dem Eta-Kommando Informationen über die Nazi-Organisation Cedade (Spanischer Kreis der Freunde Europas) geliefert habe.
Die angeblich geheimen Informationen sind in Spanien allgemein bekannt. Es geht um die Adresse von Pedro Varela. Er ist Vorsitzender von Cedade und Inhaber der Buchhandlung Europa, in der Nazi-Devotionalien verkauft werden, unter anderem Hakenkreuze und Adolf Hitlers »Mein Kampf«. Trotz der dünnen Beweise gegen den in der Besetzerszene aktiven Rodríguez will die Polizei offenbar gleich die ganze Bewegung in ein schlechtes Licht rücken und sie als »terroristisch« abstempeln.
In den letzten Monaten sind die Behörden verstärkt gegen die BesetzerInnen-, Antiglobalisierungs-, Antimilitarismus- und Antifa-Bewegung vorgegangen. Damit der EU-Gipfel im März in Barcelona reibungslos verlaufen kann, sollen bereits vorher die potenziellen Protestierenden an den Rand gedrängt und kriminalisiert werden. »Das Innenministerium fürchtet, dass mehr als 4 000 Linksradikale nach Spanien kommen«, titelte El Mundo am 25. Januar.
Bereits seit sechs Monaten trainieren die Sondereinheiten der Nationalpolizei für »mögliche Zusammenstöße mit Radikalen« während der wichtigsten Gipfeltreffen der nächsten sechs Monate. Im Zentrum der Vorbereitungen stehen die »heißen Punkte«, das sind der EU-Gipfel im März in Barcelona und die EU-Ministertreffen in Madrid und Sevilla. »Die Polizeifunktionäre weisen darauf hin, dass an den radikalsten Antisystembewegungen auch linksnationale baskische Jugendliche teilnehmen«, heißt es in El Mundo.
Mit den so genannten Antisystembewegungen sind Hausbesetzer und Globalisierungsgegner gemeint, die so kurzerhand zum »Eta-Umfeld« erklärt werden. Wer beispielsweise im Baskenland mit einen Molotow-Cocktail erwischt wird, muss mit mehreren Jahren Haft rechnen, wegen »Unterstützung der bewaffneten Bande«. Was die Repression angeht, will die Regierung offensichtlich während der EU-Präsidentschaft ganz Spanien zum Baskenland machen.
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