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Hamburg: Land in Sicht !

Auch in den wahrlich barbarischen Zeiten nach dem bislang immer noch nicht
ganz begriffenen 11. September gilt für uns nach wie vor: Einfach gegen
die in globalem Maßstab ungerechten und unfreien Verhältnisse. Da wir aber
nicht beabsichtigen diese von außerordentlich vielen Menschen auf der Welt
geteilte Einsicht in einem hier durch den Staat durchaus erwünschten
privatem Rahmen zu belassen, beabsichtigen wir sie zu gegebener Zeit und
an gegebenen Ort zu veröffentlichen. Dafür scheint uns das schöne Hamburg
an der Elbe kurz vor den Bundestagswahlen im Hochsommer ein ganz
ausgezeichneter Ort sein. In Hamburg gibt es fast alles, was es sonst auf
der Welt auch gibt: Armut, Reichtum, Rassismus, Glück, alternative Nischen,
Drogen, Sex, Linke antirassistische Gruppen, Kapitalismus, Abschiebeknäste
und jede Menge Leute die das alles auch noch so gut und richtig finden. Da
ist es höchste Zeit uns auch da öffentlich einzumischen! Wir laden dazu
ein, mit uns gemeinsam für den Hochsommer 2002 in Hamburg die
antirassistischen Schill- Y -out days inhaltlich zu gestalten,
vorzubereiten und durchzuführen.
Als aktuellen Anlaß wollen wir uns dabei in besonderer Weise mit der
Bedeutung und den Wirkungen des grauenhaften Wahlerfolges des
zwischenzeitlich zum Innensenator in dieser Stadt aufgestiegenen Roland
Schill konfrontieren. Er und seine neugegründete Partei können als
"Extremisten der Mitte" par excellence gelten. Bislang konnten in der
Geschichte der BRD in die Institutionen des bürgerlichen Staates gelangte
rechtsextremistische Parteien unter Hinweis auf den Nazifaschismus bislang
erfolgreich stigmatisiert werden. Doch der Schill-Partei ist es aber nun
gelungen , den Rechtsextremismus unter dem schillernden
Anti-Kriminalitätsdiskurs absolut ungeteilte Anerkennung und Reputation zu
verschaffen. Ist für die bürgerlichen Demokraten zumindest gedanklich noch
klar, keine politischen Formationen zu befördern, die eine erneute
Niederlage und Zusammenbruch dieses Staatswesens provozieren , so glauben
sie sich mit den Extremisten der Mitte einen Anti-Kriminalitätswettlauf
liefern zu müssen. Verloren geht dabei die ganz selbstverständliche
Einsicht , daß zu einer wirklich freien Gesellschaft auch ein Mindestmaß
an Kriminalität gehören muß, an der sie sich reproduziert. Auch wenn wir
nicht verkennen, das die aktuelle Politik eines Schily von der faktischen
Wirkung aktuell noch verheerender ist, warnen wir davor, die Bedeutung des
individuell betrachtet sicher mehr idiotisch-pathologisch denn strategisch
wirkenden neuen Hamburger Innensenator Schill zu unterschätzen. In seiner
bislang durch Instiutionsbarrieren kaum gehemmten, rücksichtslosen Gestalt
macht er einen Diskurs hoffähig, mit dem noch erheblich mehr Menschen als
jetzt im wahrsten Sinne des Wortes nicht nur der Strick gedreht, sondern
genau das auch noch gefeiert werden wird. Das alles ist nicht "irgendwie so
ähnlich schlimm" wie überall, sondern macht die weit über Hamburg
reichende überregionale exemplarische Bedeutung des in Schill
personifizierten barbarischen Diskurses aus. Und das so etwas seine
eigenen bedrohlichen Anschlußflächen zu der aktuell vom derzeitig noch
amtierende Bundesinnenminister Otto Schily betrieben Politik besitzt, ist
ganz offenkundig. Sich dem nicht notwendigerweise auch trickreich entgegen
zu stellen, ist schlimmer als jedes gedankenlose Arrangement damit . Und
jeder nicht geführte Kampf für etwas besseres wird schlimmer sein, als jede
direkte Niederlage in der von uns angestrebten offenen Auseinandersetzung.
So oder so: In dem Ausruf "LAND IN SICHT!" spiegelt sich unsere eigene
Situation. So überraschend wie dieses Motto wird auch die Antwort auf die
sich sofort daran anschließende Frage: "Wo ?" sein So wird es für jeden
von uns Zeit selbst an die Reling zu stürzen, um den Horizont abzusuchen,
eine unruhige Stimmung wird sich an Bord ausbreiten: "Was hat der Ausguck
gesehen ?" Stellen wir uns diesem Motto!

Woher wir kommen, was wir uns vorstellen und welche Fragen uns beunruhigen
Mit unseren antirassistischen Land in Sicht! - Schill-Y - out days wollen
wir uns sowohl vom Inhalt als auch der praktischen Organisierung in die
besten Momente der vorangegangenen vier Grenzcamps stellen. Dabei lag der
heimliche Fokus dieser Camps in dem selten eingelösten, aber viel
versprochenen Antirassismus, der häufig nur ein flüchtlingspolitischer oder
gar ein paternalistisch-karitativer war. Dennoch verdanken wir gerade
diesem von uns ansonsten heftig kritisierten Flügel den antirassistischen
Zugriff. Er wurde im Zusammenhang mit Aktionen und Diskussionen zum Anker
in einer Positionssuche , die langsam, aber sicher aus der fast
grenzenlosen Beliebigkeit wieder Parteinahme, Politik; Kritik und Analyse
in Bezug auf rassistische Ausgrenzungs- und Ausbeutungsformen in einer
Linken anschiebt, der all das immer fremder zu werden schien.
Allerdings teilen wir die mit dem fünften, diesmal in Thüringen geplanten
Grenzcamp in Thüringen geplante Reduktion auf bloßen Antirassismus nicht.
Das ist uns nicht nur praktisch wie theoretisch zu eng. Wir halten sie
gerade im Sinne eines Kampfes für ein ganz anderes, besseres und
glücklicheres Leben für falsch. Genausowenig wie man Antifa sein muß, um
gegen Nazis zu sein, muß man Antirassist sein, um den Rassismus abzulehnen.
Möglicherweise kann der Antirassismus den Rassismus für bestimmte Zeiten in
Schach halten, überwinden wird diesen jedoch erst der Kampf für eine ganz
andere Gesellschaft. In diesem und eben nicht auf Antirassismus
eingeschränkten Sinne verstehen wir auch die antirassistischen
Schill-Y-out-days in Hamburg.
Dabei wird sich der antirassistische Fokus der von uns angedachten Land in
Sicht-Tage an einer ganzen Reihe von außerordentlich kniffligen Problemen
beweisen müssen: Wird es uns in Hamburg gelingen, die tatsächliche
Bedeutung des während des letzten Grenzcamps in Frankfurt im Verhältnis
zwischen einer linken Antiragesellschaft und ihren zumeist nicht-deutschen
Gästen, die in der Regel Flüchtlinge waren, zu beobachtenden sprachlosen
Multikulturalismus in unsere eigene Diskussion zu zerren? Wird es uns
gelingen, den derzeit scheinbar ausschließlich MigrantInen bedrohenden
Begriff der staatlicherseits herbei organisierten "Integration" als
Kontrollmodus eines flexibel gehandhabten Ausgrenzungsregimes kenntlich zu
machen; ein Kontrollmodus der übrigens auch für uns selbst seine
heimtückischen Fallstricke birgt? Wenn die Worte von Hohlkammerkanzler
Schröder stimmen, daß wir derzeit in Afghanistan die Art und Weise wie wir
hier leben verteidigen" (sollen), müssen wir uns dann nicht mit der Frage
konfrontieren, in was wir uns selbst und andere eigentlich politisch
auffordern sich integrieren zu sollen, wenn wir viele Formen von in der Tat
lebensbedohlichen Ausgrenzungen beklagen? Und allemal steht mit den
Schill-Y-out days an, die von der Flüchtlingsorganisation The Voice in den
letzten Jahren erfolgreich angestoßene und wesentlich getragene Kampagne
gegen die Residenzpflicht auch in dem Sinne aufzunehmen und politisch
weiter zu führen, indem wir dabei auch die Ursachen unser bislang
eigentümlich sprachlosen Zustimmung reflektieren.
Ansonsten sollen die Land in Sicht Schill-Y- out days ganz
selbstverständlich durch eine ganze Reihe von bei der Polizei angemeldeter
Aktionen eine außenpolitische Dimension besitzen. In der aller besten
Tradition der bisherigen Grenzcamps wollen wir eine ganze Reihe von
"Grenzen" sowohl in der Stadt, zwischen uns, dem Staat, dem Kapital, und
natürlich auch zwischen den Geschlechtern ins Visier nehmen. Dabei gehen
wir gehen nicht nach Hamburg, um uns für Dealer, Flüchtlinge, Arme, Andere,
Frauen, autonome Szene oder sonstwen einzusetzen. So selbstlos sind wir
nicht und wollen es auch gar nicht sein. Wir gehen nach Hamburg um gegen
ungerechte und unfreie Verhältnisse zu demonstrieren, in die wir tagtäglich
sogar selbst und das zuweilen mit aller Dummheit verstrickt sind.

Wir haben einen Traum
Mit den antirassistischen Schill-Y-out-days wollen wir überall Unruhe zu
stiften, um mindestens eins zu lernen wie zu praktizieren: den Vorgriff auf
eine glückliche und befreite Gesellschaft. Ganz in diesem Sinne wollen wir
uns dann auch absolut an der Frage abarbeiten, wie das Camp nach innen
politisiert werden kann. Unser eigenes verzagtes und viel zu oft
autoritäres Denken soll mit den Schill - Y- out days aufgemischt werden.
Und dann müssen wir auch noch unbedingt sehen, wie sich eine Woche lang ein
Leben mit vielleicht mehr als 100 Leuten gemeinsam organisieren lässt; wie
der bösen Welt ein kleines Stück Ferien-Kommunismus mit Perspektive auf
mehr abzutrotzen ist. Nach unserem Traum sollen die Schill-Y-out-days eine
Coproduktion von Menschen aus einem relativ breiten politischen Spektrum
sein. Zu den bisherigen Grenzcamps kamen: AntirassistInnen,
FlüchtlingspolitikerInnen, Autonome, Antifas, Rest- Antiimps,
Wagenplätzler, Musiker on politics und PolitikerInnen under music,
Anti-AKW-Bewegte, InnenstadtaktivistInnen und Kunst- und
KulturaktivistInnen, Lebenslaute-Klassik-MusikerInnen und nicht zu
vergessen die "radikalen MenschenrechtlerInen", die selbst über den ihnen
zuteil gewordenen Titel etwas lächeln mußten. KampagnenspezalistInnen sind
uns dabei genauso herzlich willkommen wie Antifas, die diese Tage dafür
benutzen wollen ihre Recherchen zu Öffentlichkeitsarbeit zu machen und ihre
eigenen Ansätze auf die Frage überprüfen wollen, ob Antifa ohne Antira
heute eigentlich noch richtig ist.
Mit den Schill-Y-out days träumen wir von einem symbolisch mächtigen
Angriff auf Schill und Schilly, die ihr Schlachtfeld in der Bundestagswahl
2002 schon ausgelotet haben. Für einen Hafen, dessen industrieromantische
Pracht die stählerne Fassade eines europäischen (Post-)Kolonialismus
darstellt und der als Inbegriff eines immer wieder leicht verdrängten
Grenzregimes immer noch für Flüchtlinge nur die Nähe zum offenen Meer
kennt. Für eine bundesweiten Blick auf die Symbolik der Flüchtlingsschiffe,
für eine gemeinsame Suche nach den Grenzen und Möglichkeiten der Vernetzung
mit MigrantInnen und Flüchtlingen, jenseits von Paternalismus und
instrumenteller Zusammenarbeit.
Für Schrecken und Lust an interner Provokation und Vorläufigkeit, für einen
Versuch den komplexen städtischen innen- und außenpolitischen Fragen nicht
in Schwarz-Weiß-Logiken auszuweichen. Für mutige, und manchmal ruhig auch
heherzte Schritte in Richtung Glück und Befreiung im 21. Jahrhundert. Wo
sich die Menschen finden würden, wenn man sie ließe, steht noch dahin.....

Was wir erwarten
Von einer Teilnahme an den Schill-Y-out days erwarten wir von den Leuten
im Grunde genommen nur, daß sie nicht einfach nur vorbehaltlos das Maul
aufmachen, sondern, - und dann wird es sowohl schwierig als auch spannend -
genau das auch bereit sind in die Diskussion und den Widerspruch zu
überführen. Wem das alles zu kompliziert oder zu anstrengend ist, der
braucht gar nicht erst zu kommen. Den anderen versprechen wir eine fast
ölig anmutende Aufgeschlossenheit, Neugier in der aufdringlichsten Art und
Weise und bohrende Nachfragen ohne Ende. Wer dabei nicht die Nerven
verliert, wird nicht nur für den Rest unseres Lebens unser Freund oder
Freundin sein, sondern auch eine ganze neue Welt gewinnen. Wir wollen das
in Hamburg im Verlauf der antirassistischen Schill-Y-out-days ganz einfach
die Musik spielt". Wenn das klappt, dann bekommen wir auch wieder "Land
in Sicht". Und das bedeutet mindestens die alten liegen gebliebenen
Diskussionen mit einer ganz anderen Perspektive ohne Zwangsharmonie und
auseinander sprengen zu etwas ganz anderem und damit besserem zu führen.

Was nun als erstes zu tun ist!
Über die Ausrichtung, und inhaltliche Bestimmung möglicher
antirassistischer Schill-Y-out-days im August 2002 in Hamburg wollen wir
bei einem Treffen

am Sonntag, den 17. Februar 2002 ab 12. 00 Uhr in der GWA,
Hein-Köllisch-Platz 12, 20359 Hamburg, Tel: 040- 319 36 23

sehr öffentlich und intensiv sprechen, diskutieren und ruhig auch streiten.
Der Entschluß mit der praktischen und arbeitsintensiven Vorbereitung und
Durchführung dieses Projektes zu beginnen, muß sich dabei aus dem Reichtum
unserer eigenen Diskussion an diesem Tag ergeben. Das heißt: Wenn wir am
Ende dieser Diskussion nicht sehen, das wir tatsächlich den herrschenden
Verhältnissen etwas substantielles entgegen zu setzen haben, sprich auch zu
sagen haben, dann ist es richtig auf die Organisierung von
Schill-Y-out-days zu verzichten. Schill-Y-out-days als ein beliebiges
Auffüllunternehmen für eine ansonsten tote Zeit verdienen niemandes
Engagement. Wir wissen sehr wohl, das das auch für uns ein ungewohnter
hoher Maßstab ist. Aber anders ist nun mal eine ganze Welt - und um die
geht es mindestens - nicht zu gewinnen. So steht alles - selbst diese
Zeilen - auf dem Treffen in Hamburg zur Diskussion.
Energisch gegen den Normalzustand!

Ein paar Ex-Noch- Jung- Alt-Post-Autonome, Ex- und noch-GrenzcamperInnen,
Antrias aus der ganzen Welt, und von allen denen sogar noch ein paar aus
Hamburg selbst

 

12.02.2002
anonym zugesandt    [Schwerpunkt: Schill-Out]  Zurück zur Übersicht

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