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Berlin: Prozessbericht vom 28.02.2002

Axel H. auf freiem Fuß - Aussageerzwingungshaft für Harald G. geht weiter


Und 'raus bist du

Gespannte Erwartung herrschte heute morgen auf den gut gefüllten Zuschauerbänken im Saal 500 und sie wurde nicht enttäuscht. Axel H. ließ heute als dritter Angeklagter eine persönliche Erklärung von seiner Verteidigung verlesen. Diese Einlassung hatte zur Folge, dass er sich bereits mittags in der Gerichtskantine gemeinsam mit zahlreichen FreundInnen einen ersten Freiheitstrunk genehmigen konnte.

Für die geduldigen ProzessbeobachterInnen bedeutete das hingegen das harte Brot stundenlanger und zäher Vorhaltungen gegenüber dem Kronzeugen Tarek Mousli. Durch die beiden nun vorliegenden Aussagen der Angeklagten sind einerseits immer mehr Widersprüchlichkeiten zu den bisherigen Angaben des Kronzeugen deutlich geworden. Andererseits erhöht sich der Druck auf den letzten Inhaftierten Harald G. gewaltig ebenfalls eine Einlassung zumachen, will er in absehbarer Zeit entlassen werden.

Axel H. und die RZ

Verteidiger v. Schlieffen hatte das Wort und verlaß die neunseitige Erklärung seines Mandanten Axel H.: Die Prozessentwicklung nach der Einlassung der Mitangeklagten Rudolf Sch. hätte ihn zu diesem Schritt gedrängt, während die in Aussicht gestellte Haftverschonung lediglich den Zeitpunkt mitbestimmt hätte. Er bestätigte Mitglied der RZ gewesen zu sein, dies aber nur im Jahr 1986. Ab Oktober 1984 hätte es über ein zukünftiges Mitwirken - mit Unterbrechungen - zwar Diskussionen gegeben, doch wäre sein Eintritt erst im Frühjahr 1986 erfolgt.
Sein Tätigkeitsfeld hätte sich in der Versorgung zweier untergetauchter GenossInnen erschöpft. Im Herbst desselben Jahres hätte er dann bereits alle Kontakte zur RZ wieder abgebrochen, da er als Zeuge in einem Verfahren nach § 129a StGB aufgefallen war. Er hätte zeitweilig unter polizeilicher Beobachtung gestanden, was mit dem Sicherheitskonzept der RZ nicht vereinbar gewesen wäre. Ab dem Frühsommer 1987 hätten dann wieder vorsichtige Kontakte zur RZ bestanden, aber seit dieser Zeit seien diese auf sozialer und freundschaftlicher Basis reduziert geblieben. Lediglich logistische Hilfe bei der Versorgung zweier 'Illegaler' will er gelegentlich weiter geleistet haben. Eine wie auch immer geartete Beteiligung an den Anschlägen auf Harald Hollenberg, die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA), den Richter Korbmacher oder die Siegessäule wäre niemals auch nur erwogen worden. Alle entsprechenden Behauptungen des Kronzeugen wären absurd.

Zum angeblichen von ihm 'betreuten' Sprengstoffdepot im Mehringhof (MH) führte er detailliert aus, dass der von Mousli für das Depot bestimmte Ort (Elektro-Raum) für ein Sprengstoffdepot gänzlich ungeeignet sei: alle MitarbeiterInnen und jedes der 25 Projekte im MH hätten Schlüssel für diesen Raum besessen, durch die darin sich befindlichen starkstromführenden Haupt-Zuleitungskabel hätte eine ständig erhöhte Feuergefahr bestanden und schließlich würde u.a. eine alle Etagen verbindende Wendeltreppe ausgerechnet dort enden. Er selbst habe nie etwas mit einem solchen Depot zu tun gehabt.

Abschließend betonte er in seinen Ausführungen, dass es sich bei der in seiner Wohnung beschlagnahmten Pistole um eine 'Schreckschusswaffe' handeln würde. Er habe sie geschenkt bekommen und bei Sylvesterfeiern als Böller-Ersatz benutzt, jedenfalls so lange noch brauchbare Munition in seinem Besitz gewesen wäre.

Im Vorfeld des Anschlages auf die Siegessäule, ca. Anfang Oktober bis Mitte November 1990, wäre er durch eine Knieverletzung mit sich anschließender Operation bis ins Frühjahr 1991 stark gehbehindert
gewesen. Seine von Mousli behauptete Beteiligung an diesem Anschlag schlösse sich bereits dadurch aus.

Was sagen sie denn dazu?

Nach einer 15minütigen Atempause begann die Vorsitzende Richterin - in ihrer unnachahmlich desinteressierten Befragungsmethode - dem Kronzeugen die Aussagen des Angeklagten Axel H. vorzuhalten.
Mousli blieb ungerührt bei seinen bereits bekannten Aussagen: 'Sebastian' hätte ihm die Identität von 'Anton' als Axel H. offenbart, er hätte bereits vor 1985 zum 'Verein' gehört und wäre es bis in die 90iger Jahre hinein auch geblieben, von zwischenzeitlichen Unterbrechungen der Mitgliedschaft oder gar einem Ausstieg des Angeklagten will er nichts mitbekommen haben und auch von der mehrmonatigen Gehbehinderung seines angeblichen Genossen will er nichts bemerkt haben.
Der Kronzeuge bestätigte die angebliche Teilnahme von Axel H. bei dem angeblichen 'Familienausflug' der RZ an den Wannsee im Sommer 1989. Er bekräftigte frühere Aussagen vom Hören-Sagen zur Mitwirkung von Axel H. bei den genannten Anschlägen. Besonders die Teilnahme bei der Aktion an der Siegessäule wäre ihm von 'Sebastian' berichtet worden.

Das Kammergericht nahm alle diese Widersprüche ohne sichtbares Aufklärungsinteresse zur Kenntnis. Der Kronzeuge wurde nicht ein einziges Mal von der Richterin dazu aufgefordert, mögliche Hintergründe für die sich widersprechenden Angaben zu erhellen. Er steht sichtbar und zweifellos nicht nur unter dem Schutz der Bundesanwaltschaft.

Allein die Vorhaltungen zum vermuteten Sprengstofflager im MH bargen zumindest ein etwas grotesk anmutendes Szenario. Die VerteidigerInnen begann an diesem Punkt mit intensiven Nachfragen, besonders die Wahrscheinlichkeit betreffend, ob der bezeichnete 'Elektro-Raum' tatsächlich als Depot benutzt worden sein könnte. Durch die Einlassung des Angeklagten, wie auch nach den Ermittlungsergebnissen des BKA, aber auch den Angaben des Kronzeugen selber, ergab sich heute für die aufmerksamen ProzessbesucherInnen folgendes Bild: die Sprengmittel und Waffen hätten demnach in einem Raum gelagert werden müssen, der von allen NutzerInnen und KollegInnen des MH mittels eines 'Halb-General-Schlüssels' regelmäßig benutzt wurde, sei es durch das Abstellen von Fahrrädern, dem Sammeln des Plastikmülls oder zum Bewässern der Außenanlagen (Wasseranschluss).
Weiterhin hätte das Depot einen Notausgang in Form einer Wendeltreppe besessen, die von allen Stockwerken kommend ausgerechnet in diesem Raum endet. Der dort installierte Starkstrom-Hausanschluss hätte für den passenden Funkenflug gesorgt, z.B. beim Wechseln der Sicherungen. Letztlich wäre der Sprengstoff in einem mit Wasser gefüllten Schacht gelagert gewesen, der mit einer - nur mittels einer Flex zu entfernenden - Stahlplatte abgedeckt gewesen sein soll.
Alles in allem die nahezu vollkommene Lagerstätte für Sprengstoffe... findet nach wie vor der Kronzeuge. Das hätte ihm Sebastian so erzählt und vorab gezeigt, er selbst hätte ja dort nie etwas gesehen, obwohl er zeitweise einen Schlüssel dafür gehabt hätte.

Hilft mir denn niemand?

Gelegentlich fühlte sich der Kronzeugen heute durch die bohrenden Fragen der Verteidigung doch etwas bedrängt. So mußte er sich drei Mal hilfesuchend an die Richterin wenden. Ob er sich den auf diese beleidigende Art und Weise befragen lassen und ob er die Antworten überhaupt geben müsse, so hoffte die gequälte Seele Trost am Richtertisch zu finden. Sein Bitten wurde erhört, der mütterliche Schutz wurde ohne zu zögern von Fr. Hennig gewährt, heute assistiert durch den Zeugenbeistand, Fr. Möller.
Auch bei der Befragung zu einer Zeichnung der angeblichen Beziehungen der angeblichen RZ-Mitglieder untereinander, die der Kronzeuge in fleißiger Heimarbeit erstellt haben will, war gelegentlicher Zuspruch nötig. In dieser Tabelle hatte Mousli vermerkt, wer angebliche Kontakt zu wem unterhielt oder sich unter Decknamen bzw. Klarnamen kannte. Ein 'W' sollte dabei sein bezeugtes Wissen symbolisieren, ein 'G' seine Vermutung (Glaube), so zunächst seine Aussage. Nachdem die VerteidigerInnen ergründen wollten, warum er die Buchstaben nachträglich mehrfach überschrieben hatte, wollte der Zeuge seine Tabelle nicht mehr so ganz in den richtigen 'HIntergrund' einordnen können. Später leugnete er sogar die Bedeutung der von ihm verwendeten Buchstaben sicher benennen zu können. Besonders die genaue Art und Weise der Identifizierung von 'Anton', wie auch die zeitliche Einordnung des Vorganges verschwommen mit der Genauigkeit der Fragen seitens der Verteidigung. RA Eisenberg, seit Prozessbeginn sonst alleinverantwortlich für den Unterhaltungswert der Kammerspiele, hakte diesmal inhaltlich unverdrossen nach. Aber Rettung nahte, diesmal aus der Ecke der schweigenden Kolosse von der schwergewichtig besetzten Bank der Bundesanwaltschaft (BAW). Er hätte die Fragen doch nun schon mehrfach beantwortet, ließ es sich von dort vernehmen und wörtlich "Was soll sich der Zeuge denn noch alles einfallen lassen...?" Der Satz kam aus tiefsten Herzen des Bundesanwaltes Bruns. Leider verkannten die ZuschauerInnen den einzigen wahren Satz an diesem Gerichtstag und reagierten, gewohnt ignorant, mit dem größten Lacherfolg seit sehr vielen Prozesstagen.

Für Spannung ist gesorgt

Einen sehr spannenden Tagesabschluss bescherte Rechtsanwalt Euler dem noch hartnäckig ausharrenden Publikum. Er hielt über eine Stunde dem Kronzeugen 20 Textpassagen aus diversen Vernehmungen in der Zeit vom 30.11.99 bis 10.01.2000 vor. Diese bezogen sich auf die unterschiedlichsten Verfahrenskomplexe und brauchten von Mousli nur mit einer einfachen Bestätigung der Richtigkeit beantwortet zu werden. Als die Richterin kurz vor 15:00 Uhr sichtlich ermattet die Verhandlung unterbrach, deutete RA Euler an, dass er aber noch lange nicht fertig sei. Die Auflösung des Rätsels wohin diese neue Art der Befragung des Kronzeugen führen wird, erfolgt aber leider erst morgen, gleiche Stelle, gleiche Welle.

 

01.03.2002
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