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Antiimps gegen Antiemps

Antiimps gegen Antiemps

Schon immer war der »Imperialismus« mehr ein politischer Kampfbegriff als eine analytische Kategorie. Und er bleibt es auch jetzt, da eine neue Form kriegerischer Konflikte eintritt. von alexander schudy

Was nun? Taugt der Begriff des Imperialismus noch für eine aktuelle Kritik des globlisierten Kapitalismus? Wer heute die Erschließung des Weltmarktes erklären will, kann sich jedenfalls nicht mehr auf Lenins Thesen berufen, meint Martin Krauss (13/02). Die Reihe wird fortgesetzt.


Viele wollten bis 1989 nicht wahr haben, dass die Grundaussagen der klassischen Imperialismustheorien fehlerhaft waren. Das betraf nicht nur Rudolf Hilferdings Prognose in seinem Buch »Das Finanzkapital« von 1906, im letzten Stadium des Kapitalismus würden Industrie- und Geldkapital verschmelzen. Auch Rosa Luxemburgs These, das Kapital müsse über die Mehrwerterzeugung im Kapital-Lohnverhältnis hinaus in »nichtkapitalistische Milieus« der Kleinproduzenten und der bäuerlichen Produktion in den Kolonien vorstoßen, greift zu kurz. Denn demzufolge kommt die kapitalistische Expansion an ein notwendiges berechenbares Ende, der Imperialismus ist lediglich eine »Methode der Existenzverlängerung des Kapitals«.

Lenin schließlich trieb das Prinzip, den Begriff des Imperialismus aus dem Wunsch nach einer starken antiimperialistischen Bewegung abzuleiten, auf die Spitze: Der Imperialismus sei demnach die Epoche des »reifen und überreifen Kapitalismus, der vor dem Zusammenbruch steht, der reif ist, dem Sozialismus Platz zu machen«, also der Diktatur des Proletariats.

Gegen das Prinzip, den Imperialismus zu einem Kampfbegriff zu machen, auch wenn er die Wirklichkeit nicht oder fehlerhaft beschreibt, mag erst mal nichts sprechen. Zumal die historisch berechtigte Hoffnung bestand, eine sozialistische Gesellschaftsordnung etablieren zu können. Doch handelte es sich nicht nur um strategische Vereinfachungen, wie der Untertitel »Gemeinverständlicher Abriss« von Lenins Imperialismusanalyse vermuten lässt.

Das binäre abendländische Denkmuster von Selbst und Anderem, von Zivilisiert und Eingeboren, Gut und Böse usw. kam Lenin dabei zupass. Er verband das aufkommende Nationalbewusstsein in den Kolonien mit der Idee politischer Emanzipation. Eine wichtige Rolle spielte dabei das so genannte Selbstbestimmungsrecht der Nationen. Es wurde aber von Fall zu Fall unterschiedlich interpretiert. Der deutsche Krieg gegen Frankreich und Großbritannien nach dem Hitler-Stalin-Pakt konnte beispielsweise als imperialistisch bezeichnet werden; als Deutschland die Sowjetunion überfiel, wurde der Verteidigungskampf zu einem antifaschistischen vaterländischen Volkskrieg erklärt. Der vom Marxismus-Leninismus diktierte Antiimperialismus wurde zu einer der einflussreichsten linken Positionen bis in die neunziger Jahre.

Spätestens seit dem Vietnam-Krieg ist Antiamerikanismus Bestandteil vieler - auch linker - Imperialismusanalysen; erinnert seit nur an die Parole »USA-SA-SS«. Che Guevara propagierte »eine Kriegsansage gegen den Imperialismus und einen Ruf nach der Einheit der Völker gegen den großen Feind des Menschengeschlechts, die Vereinigten Staaten von Amerika«. Die antiimperialistische Handlungsanleitung lautete: »Schafft ein, zwei, viele Vietnam!«

Doch was einmal richtig war, führte bald zur Unterstützung wenig emanzipatorischer Politikformen und Regime im Dienste der nationalen Befreiung. Erst als der Sozialismus als Gegenmodell entfallen war und die USA als einzige Weltmacht übrig blieben, begannen Linke, diese Positionen, und damit ihre eigene Geschichte, kritisch zu hinterfragen und antinational zu analysieren. Zwei Herangehensweisen stehen seither im linken Diskurs in Konkurrenz zueinander.

Auf der eine Seite steht der Begriff des Imperialismus. Der Kapitalismus entwickelt sich demzufolge auf der Basis einer Machtstruktur weltumspannender Ausbeutungs-, Ungleichheits- und Abhängigkeitsverhältnisse. Zentrale Akteure im Konkurrenzkampf der Kapitale sind die Staaten, die einst territoriale Expansion, mittlerweile die Durchsetzung von Freihandel, Marktwirtschaft und der sie garantierenden politischen Bedingungen gewährleisten sollen. Kriege als Mittel der Sicherung der Kapitalexpansion und ihrer politischen Rahmenbedingungen sind »imperialistisch«, besser noch »US-imperialistisch« oder »deutsch-imperialistisch« Im Krieg lässt sich die Gewaltförmigkeit und Dominanz-Abhängigkeitsstruktur des Kapitalismus eindeutig benennen. Die nicht kriegerischen Phasen sind aber keineswegs friedlich, wie es Euphemismen wie »Weltordnung« und »Globalisierung« unterstellen, sondern von struktureller Gewalt geprägt, wie es die Dependencia-Theorien lateinamerikanischer Autoren schon in den siebziger Jahren behaupteten.

Wenn aber das traditionelle Verhältnis von Zentrum und Peripherie, von Abhängigkeit und Unabhängigkeit in Auflösung begriffen sei, so die zweite, neuere Position, dann ende auch die imperialistische Stufe des Kapitalismus. Dann also, wenn Macht nicht mehr nationalstaatlich zu verorten, sondern räumlich entgrenzt ist und in Netzwerken aufgeht, schreiben Antonio Negri und Michael Hardt in ihrem Buch »Empire«, beginne die »imperiale« Stufe.

Waren der Kolonialismus und der Imperialismus der Moderne noch auf das nicht kapitalistische Außen angewiesen, so ist im entstehenden neuen Reich, dem Empire der Postmoderne, der Weltmarkt verwirklicht. »Der Imperialismus ist vorbei«, behaupten Negri und Hardt. Das Empire hat kein Machtzentrum und keine statischen Grenzen. Es ist ein deterritorialisierter und dezentralisierter Herrschaftsapparat, in dem die USA zwar eine privilegierte, aber nicht mehr die Position eines world leader in dem Sinne, wie es die modernen europäischen Staaten waren, einnehmen.

Also hat das Empire keinen klar definierbaren Gegner mehr. Die neuen Kämpfe können überall auf der Welt stattfinden, und weil das Empire dezentral ist, stellt jede Revolte eine Konfrontation mit dem ganzen Reich dar. Die Proteste der Globalisierungsgegner in Genua und anderswo seien »Experimente« neuer politischer Ausdrucksformen gegen den »neuen Feind«, das Empire-Netzwerk.

Das Projekt des »Gegen-Empire«, das die Antiemps Negri und Hardt fordern, könnte in einem möglichen Krieg gegen den Irak die Spaltung der Linken bestätigen. Antiimps dürften darauf bestehen, dass ein von den USA angezettelter Krieg, auch als ein Krieg der USA und nicht eines dezentralisierten Machtzentrums bezeichnet wird. Kolumbianer werden ebenfalls keinen Anlass sehen, ihre Situation nicht auf die »interventionistische und imperialistische Politik der USA« zurückzuführen. Denn mindestens zwei Drittel der Menschheit betrachten den 11. September mit zumindest klammheimlicher Freude. »Ein Indikator dafür mag der bescheuerte Vergleich zwischen den Toten von Hiroshima und denen der Anschläge sein«, erläutert die Argentinierin Veronica Gago den auch in der sich als zivilisiert bezeichnenden Welt üblichen Hang zum Aufrechnen von Toten.

»Die amerikanischen Pläne zur Errichtung eines totalitären Regimes über die internationale Staatenwelt schließen den nuklearen Genozid mit ein«, heizt Werner Pirker in der Tageszeitung junge Welt die antiamerikanische Front mit apokalyptischen Szenarien und Allmachtsphantasien an; bald dürfte die Projektion eines nuklearen Holocaust wieder auferstehen. Der Einsatz von Atomwaffen erfolge »überall dort, wo amerikanische Bürokraten und Generäle ihre als natürlich vorausgesetzte Ordnung bedroht sehen«. In einer personalisierenden, binären und die gesellschaftlichen Verhältnisse verdinglichenden Argumentation erfinden die Antiimperialisten eine Clique von Herrschenden, die die Beherrschten unterdrücken.

Hardt und Negri betonen im Unterschied dazu einen Anti-Antiamerikanismus und die Bedeutung der vom machiavellistischen Geist geprägten US-Verfassung für den Übergang vom Imperialismus der europäischen Nationalstaaten zur weltumspannenden Souveränität des Empire. Im amerikanischen Traum gelten die Grenzen als offen, auch wenn die Praxis anders aussieht: »The frontier is a frontier of liberty.« Mit dieser Provokation des europäischen Selbstverständnisses bleiben die USA »europäische Gegenwelt - komplementärer Kontinent der abendländischen Zivilisation, Projektionsfläche all jener Bilder und Metaphern, die der Entgegensetzung zu Europa entspringen; eine Projektionsfläche abgespaltener Anteile des Selbsthasses, die vornehmlich der Moderne geschuldet sind, aber der Neuen Welt allein aufgelastet werden. Amerika trägt das Stigma einer weltumspannenden Zivilisation«, schrieb Dan Diner 1993 in »Verkehrte Welten - Antiamerikanismus in Deutschland«.

Immerhin stellte Lenin die richtige Frage: Was tun? Wichtig ist, dass die Gegnerschaft gegen Staat und Kapital sich nicht vereinfachender, personalisierender Argumente bedient und Gesellschaft nicht als eine von einem monolithischen Block aus Kapital und Staat gesteuerte Kategorie verstanden wird. Die bürgerlich-kapitalistische Ökonomie ist als Ensemble gesellschaftlicher Beziehungen, der Staat als Ausdruck dieser gesellschaftlichen Verhältnisse zu analysieren.

Ob die Anti-Globalisierungsbewegung einen besseren Namen verdient hat, wird sich daran zeigen, ob sie solch eine Analyse vertiefen und ihre Praxis radikalisieren kann. Dies könnte zu einer neuen Form des Internationalismus führen, die das Verhältnis zwischen dem Globalen und dem Lokalen neu definiert, ohne sich auf Nation, »Volk«, Ethnie oder Folklore zu beziehen. Nur so lässt sich eine Neuauflage der Debatte um die von der imperialistischen Weltordnung »unterdrückten Völker« verhindern.


Mit der Aktualität des Imperialismus-Begriffs befasst sich auch der 25. Kongress der Bundeskoordination Internationalismus (Buko), der vom 9. bis zum 12. Mai in Frankfurt/Main stattfindet. Weitere Informationen unter www.buko.info.

 

27.03.2002
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