Prozessbericht vom 28. März 2002: Verliebt, verlobt, verheiratet - bangen, bibbern, beißen
Durch zahlreiche Prozesspausen unterbrochen spielte der Kronzeuge in Persona nur an einem
Teil des Tages (s)eine Rolle. Bei seiner Befragung, die heute ihr vorläufiges Ende fand, ging es -
wie in den letzen Verhandlungstagen auch - vor allem um das angebliche RZ- Waffen-
und Sprengstoffdepot im MehringHof und den Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für
Asylbewerber. Am Ende dann griff die Bundesanwaltschaft noch einmal tief in die Kiste der
Freund- Feind- Justiz: Sie regte an, die Anklage gegen Sabine E. und Matthias B. um
"Rädelsführerschaft" nach § 129a Abs. 2 zu erweitern.
Verliebtes Bangen
Bevor das Gericht ankündigte, den Kronzeugen am heutigen Tag aus dem Zeugenstand zu
entlassen, wurde Tarek Mousli zum wiederholten Male mit seinen widersprüchlichen
Aussagen zum angeblichen RZ- Depot im MehringHof konfrontiert. Was folgte, war eine
erneute Darbietung dessen, was das Aussageverhalten des Kronzeugen generell kennzeichnet.
In den polizeilichen Vernehmungen belastete er die Mitangeklagten schwer, dabei behauptet
er, er könne sich mit 100% Sicherheit an Einzelheiten erinnern. Zug um Zug gibt er diese
Position dann auf, um schließlich in der Hauptverhandlung bei einem "Ich kann mich nicht
mehr erinnern" oder Einschränkungen, wie: er könne nur vom Hörensagen berichten, zu
landen.
So hatte Mousli etwa in der Hauptverhandlung angegeben, er habe das Sprengstoffdepot nie
selbst gesehen, sondern habe dessen Lage nur erzählt bekommen. Wie aus den
Vernehmungsprotokollen bekannt ist, hat er das damals aber ganz anders dargestellt:
"Sebastian" (laut Mousli Lothar E.) soll ihm demnach einmal die Stelle gezeigt habe, die als
Depot genutzt werden sollte. Dabei habe es sich um einen unter Wasser stehenden Schacht,
der mit einem Metalldeckel abgedeckt war, gehandelt. Heute wollte er diese Örtlichkeiten
niemals gesehen haben.
In einer richterlichen Vernehmung vom 7.4.2000 gab er an: "Ich erinnere mich, dass ich blaue
Pakete gesehen habe. Es hieß, darin sei Sprengstoff". Heute will er sich an diese Aussage
nicht mehr erinnern. Hatte er doch kurz zuvor angegeben, die Verpackung des Sprengstoffes
erst nach dem Einbruch in seinem Keller 1995 gesehen zu haben.
Auch bei den Nachfragen nach seinen Kontakten zu Palästinensern und palästinensischen
Gruppen flüchtete sich der Kronzeuge in Ausflüchte und offensichtliche Halbwahrheiten. Er
räumte zwar Kontakte zu Vertretern des PFLP in Berlin ein, gefragt nach seinen Motiven,
Anfang der 80er Jahre mit dem Gedanken gespielt zu haben nach Beirut zu gehen, fabulierte
er jedoch etwas von "Wiederaufbaugeschichten". Zuvor war allerdings zu Tage getreten, dass
er an Gesprächen teilgenommen hatte, bei denen es um eine strukturelle Zusammenarbeit
zwischen linksradikalen Gruppen aus Deutschland und der PFLP ging.
Weit von sich wies Mousli, etwas mit dem Anschlag auf das "Maison de France" in Berlin
1983 zu tun gehabt zu haben. Der Anschlag war von der so genannten Carlos- Gruppe verübt
worden. Maßgeblich daran beteiligt war Johannes Weinrich, der aus der RZ kam und sich
Mitte der 70er Jahre der Gruppe um "Carlos" anschloss. Mousli hielt sich 1983 regelmäßig
(zwei oder drei Mal in der Woche) in einer Wohnung in der Uhlandstraße in unmittelbarer
Nähe zum "Maison de France" auf. Diese Wohnung gehörte einem Mitglied der Funkgruppe
und wurde im Rahmen der Funkaufklärung dieser Gruppe genutzt. Wie Mousli auf Nachfrage
zugeben musste, war Gerd Albartus seine Tätigkeit bei der Funkgruppe en detail bekannt,
auch das sie den VS- Funkverkehr abhören konnten. Das RZ- Mitglied Albartus, der
entscheidenden Anteil an der Rekrutierung Mousli für die RZ gehabt haben soll, stand bis zu
seiner Hinrichtung im Nahen Osten im Kontakt zu Weinrich und der "Carlos- Gruppe".
Eine Aufklärung blieb Mousli heute auch darüber schuldig, warum Rudolf Sch. nach seinen
Angaben als Illegaler Unkraut- Ex in Frankreich beschafft und nach Berlin gebracht haben
soll, obwohl Mousli selbst, wie er in der Hauptverhandlung zugegeben hatte, in Berlin
Unkraut- Ex besorgt hat. Wortkarg beschied der Kronzeuge die Fragen, welche Art der
Unterstützung er nach seinem Austritt aus der RZ 1990 geleistet haben will (lediglich
Sprengstoffverwahrung und Geldbeschaffung) und ob er auch noch nach seinem Ausstieg als
RZ- Mitglied aufgetreten sei (Nein).
Verlobte bibbern
Ganz verschwiegen gab sich Mousli dann bei der Frage der Vorsitzenden Richterin zu seinem
Verhältnis zu Janette O. Die Freundin Mouslis befindet sich ebenso wie er im BKA-
Zeugenschutzprogramm. Nun beabsichtigt Frau Hennig, Janette O. als Zeugin zu laden.
Deshalb wollte sie wissen, ob beide verlobt oder eventuell verheiratet seien. Doch Mousli
wollte dazu nichts sagen, und verwies dabei auf seine Verpflichtungserklärung, die ihm
verbieten würde, über Dinge zu reden, die im Zusammenhang mit dem Zeugenschutzprogramm
stünden. Unterstützt von seinem Zeugenbeistand, angefeindet von
Rechtsanwalt Eisenberg und mit einem Gerichtsbeschluss im Rücken,
der das Ansinnen der Vorsitzenden Richterin zurückwies, konnte Mousli sich durchsetzen. Der anwesende
Zeugenschutz nahm das zufrieden mit Kopfnicken zur Kenntnis.
Was folgte war der Vorhalt widersprüchlicher Aussagen des Kronzeugen zum angeblichen
RZ-Depot im MehringHof durch das Gericht. Am Ende immer wieder gefragt, ob er
das so gesagt habe, antwortete Mousli im Verlauf immer flüssiger und nur auf
das wesentliche Detail beschränkt: "Ja, ich erinnere mich." Nachdem die
Verteidigung von Axel H. einen Antrag auf Verlesung weiterer Teile
der polizeilichen Vernehmungen des Kronzeugen zum angeblichen RZ-Depot im
MehringHof gestellt hatte, kündigte die Vorsitzende Richterin an,
sie wolle nun die Befragung des Kronzeugen beenden. Nach der Erörterung juristischer Einzelheiten und
unter Ablehnung durch die Verteidigung wurde der Kronzeuge nach einigen
Prozessunterbrechungen aus dem Zeugenstand entlassen.
Was folgte waren drei Beweisanträge, die von der Verteidigung von Axel H. und Harald G.
gestellt wurden. Rechtsanwalt v. Schliefen beantragte, eine Hausmeisterkollegin von Axel H.
als Zeugin zu laden. Sie werde bestätigen, dass sein Mandant erst ab August 1989
Hausmeister im MehringHof war. Darüber hinaus könne sie Auskunft geben über die
allgemeine Zugänglichkeit der Örtlichkeiten, die Mousli als geeignet für ein Sprengstoffdepot
hinstellen will, was sie dafür jedoch gänzlich ungeeignet macht.
Die Ladung eines BKA-Sachverständigen und eines führenden Mitarbeiters der Firma Gardé,
ehemals Firma Ruhla beantragt im Anschluss daran Rechtsanwältin Studzinsky. Die
Ausführungen der beiden würden beweisen, dass die Angaben Mouslis zum Bau des
Sprengsatzes, der beim Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA)
1987 zur Verwendung kam, falsch sind. Der von Mousli
beschriebene Aufbau des Sprengsatzes und die verwendeten Mittel hätten weder zu der tatsächlichen Explosionskraft
und -wirkung geführt, noch stimme sie mit den Tatmitteluntersuchungen überein. Laut Mousli
soll mittels eines Quarzweckers der Marke Ruhla, der auf den Sprengsatz geklebt war, am
Tatort die Zündzeit eingestellt worden sein. Allerdings waren bei allen Ausführungen dieser
Wecker die Einstellrädchen für Weck- und Uhrzeit sowie die Klappe für die Batterie auf der
Rückseite der Wecker angebracht. Der zweite Beweisantrag der Verteidigung von Harald G.
stand ebenfalls im Zusammenhang mit diesem Anschlag. Rechtsanwältin Würdinger
beantragte, die Angaben Mouslis über den Zeitpunkt seines Entfernens vom Tatort mit den U-
Bahn-Fahrplänen der BVG aus dieser Zeit zu vergleichen. Außerdem regte sie an " den
Zeugen Mousli, der sicherlich in Begleitung des Zeugenschutzes als Aufklärungsgehilfe zur
Mithilfe bereit ist, den Weg zu Fuß zurücklegen zulassen." Dadurch würde bewiesen, dass die
Zeitangaben Mouslis nicht mit seiner Behauptung, nach dem Anschlag mit der U-Bahn nach
Hause gefahren zu sein, in Einklang zu bringen sind.
Verheiratete beißen
Die BAW ihrerseits nahm heute zu zwei bereits gestellten Beweisanträgen der Verteidigung
Stellung: Den Antrag zur Untersuchung eines Klebebandes lehnte sie ab, dem Antrag, ein
Gutachten über die Grundwasserstände unter dem MehringHof einzuholen, stimmte sie zu.
Um ja keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen, schoben die Sitzungsvertreter des
Generalbundesanwaltes allerdings noch einen "rechtlichen Hinweis" nach: Die in der
Hauptverhandlung zu Tage getretenen Erkenntnisse ließen ihrer Ansicht nach eine
Ausweitung der Anklage gegen Sabine E. und Matthias B. nach § 129b Abs. 2 in
Frage kommen. Von "Führungswirken" und "intellektuellen Triebfedern"
war da die Rede und davon, dass es auf "das objektive Heraustreten solcher Kräfte" ankäme.
Wo, wie und wann die BAW dieses
"objektive Heraustreten" in der Hauptverhandlung erkannt haben will,
müsste allerdings noch geklärt werden. Weder die glaubhafte Einlassung von Rudolf Sch.,
noch das Wissen vom Hörensagen des Kronzeugen geben für diese Behauptungen etwas her.
Klar ist nur, was die BAW mit diesem "Hinweis" bezweckt: Sie schafft die juristische
Voraussetzung, um gegebenenfalls die beiden als "Rädelsführer" anklagen und aburteilen zu
können.
Diese Drohgebärde der BAW, so war auf den Gerichtsfluren von Moabit zu vernehmen, war
bereits für den Fall angekündigt, dass ihnen die Felle wegschwimmen würden. Mann/frau darf
auf den weiteren Verlauf des Prozesses gespannt sein.
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