Zornige Belegschaften
»Zornige Belegschaften«
Ein Gespräch mit tom adler, Betriebsrat bei DaimlerChrysler in Untertürkheim und Mitglied der Tarifkommission der IG Metall in Nordwürttemberg
Wieso streikt die IG Metall erst jetzt? Schließlich steigt die Produktivität seit langem, während die Lohnentwicklung stagniert.
Tatsächlich haben die Gewerkschaften in den letzten Jahren eine sehr moderate Lohnpolitik durchgeführt. Sie haben auf Lohnerhöhungen verzichtet und erwartet, dass dadurch neue Jobs entstehen. Doch diese Rechnung war von Anfang an falsch und konnte deshalb nicht aufgehen. Statt auf die Unternehmer und die Regierung Rücksicht zu nehmen, müssen wir uns an den Interessen der Beschäftigten und der Gewerkschaftsmitglieder orientieren. Der aktuelle Streik ist somit eine direkte Folge der schlechten Abschlüsse in den vergangenen Tarifrunden. Trotz steigender Gewinne für Unternehmer mussten die Kollegen deutliche Reallohnverluste hinnehmen. Das hat zu erheblichem Druck aus den Belegschaften geführt, die nun enttäuscht und zornig sind. »Jetzt muss endlich wieder mehr herausgeholt werden«, das ist die Stimmung in den Betrieben.
Vor vier Jahren haben die Gewerkschaften eine Pro-SPD-Kampagne initiiert. Dass sie nun kurz vor den Bundestagswahlen streiken, wird Bundeskanzler Gerhard Schröder überhaupt nicht gefallen.
Schröder oder der SPD zu gefallen ist nicht Aufgabe der Gewerkschaften. Gerade die Einbindung in das Bündnis für Arbeit hat die Gewerkschaften für Jahre in die Defensive gebracht, die zu den schlechten Abschlüssen führte. Eines der zentralen Projekte von Schröder besteht darin, die Gewerkschaften in einen Wettbewerbspakt für den Standort Deutschland einzubinden. Gleichzeitig hat die Regierung, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keines ihrer Versprechen gehalten. Die Bilanz der rot-grünen Koalition wird in keinem Fall den gewerkschaftlichen Anforderungen gerecht. Symbolisch dafür steht der so genannte Anti-Streikparagraf, der Anfang der achtziger Jahre eingeführt wurde. Die SPD hat ihr Versprechen, ihn abzuschaffen, gebrochen.
Hinzu kommt, dass sich die Arbeitsbedingungen in den Betrieben deutlich verschlechtert haben. Vom Fließbandarbeiter bis zum Angestellten nimmt die Leistungsverdichtung zu, überall werden die Arbeitszeiten ausgedehnt. Die Einbindung ins »Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit« hat nicht gerade dazu beigetragen, dass sich gegen diese Entwicklung massenhafter Widerstand entwickeln konnte, ganz im Gegenteil.
Den Gewerkschaften laufen seit Jahren die Mitglieder davon. Ist der Streik jetzt ein letzter Versuch, diese Entwicklung aufzuhalten?
Ein Streik hat immer auch eine Binnenwirkung. Die Mitglieder erfahren, dass sie etwas durchsetzen können und dass ihre Gewerkschaft noch kämpfen kann. Wenn wir zeigen, dass wir bereit sind zu kämpfen, auf die Straße zu gehen und uns nicht alles bieten lassen, nimmt das Vertrauen in die Attraktivität der Gewerkschaften zu. Das ist die Erfahrung in der IG Metall, zum Beispiel aus der Bewegung gegen die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall 1996. Oder auch der ehemaligen HBV in Stuttgart, die jetzt in Verdi aufgegangen ist. Sie hat unter schwierigen Bedingungen immer versucht, Bewegungen in den Betrieben zu organisieren. Und im Gegensatz zu anderen Gewerkschaften wurden ständig neue Mitglieder gewonnen.
Außerdem resultieren die großen Mitgliederverluste nicht primär aus Austritten. Die traditionellen Industrien sind rückläufig, Ostdeutschland wurde quasi deindustrialisiert. In den neuen Strukturen, in den ausgegliederten Kleinunternehmen, ist es hingegen wesentlich schwieriger, Beschäftigte zu organisieren.
Die IG Metall setzt auf ein neues Konzept der flexiblen Streiks. Wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten?
Wir wollen den Unternehmern möglichst wenig Anlass für kalte Aussperrungen, also für Betriebsstillegungen, liefern und gleichzeitig einen möglichst hohen ökonomischen und politischen Effekt erzielen. Daher ist das Konzept der Kurzstreiks für den Anfang durchaus sinnvoll. Wenn die Unternehmer die Situation jedoch eskalieren lassen, ist mit diesen Nadelstichen nicht mehr viel auszurichten. Dann muss die Auseinandersetzung zu einem gesamtgesellschaftlichen Konflikt ausgeweitet werden. Und dazu müssten Betriebsbesetzungen, Straßenblockaden und ähnliches gehören.
Die Arbeitsabläufe gerade in der Automobilindustrie wurden in den vergangenen Jahren in einem hohen Maße flexibilisiert. Wie wirkt sich diese Entwicklung auf den Arbeitskampf aus?
Die neuen Organisationsformen in den Großbetrieben, wie etwa die »Just in time«-Produktion, sind sehr sensible Abläufe. Vor 20 Jahren dauerte es noch ungefähr zwei Wochen, bis ein Streik die gesamte Branche lahmlegen konnte. Heute sind vielleicht zwei Tage dafür notwendig. Die Unternehmen sind durch die modernen Produktionsabläufe viel verletzlicher geworden, es gibt insofern einen potenziellen Machtzuwachs für die Arbeitenden und die Gewerkschaften.
Ist es für einen weltweit agierenden Konzern wie DaimlerChrysler möglich, durch eine Verlagerung der Produktion einen Streik auszubremsen?
Der Schwerpunkt der Produktion liegt nach wie vor in Deutschland. Mit der Drohung, die Standorte nach Südafrika oder Brasilien auszulagern, wenn es hier zu ungemütlich wird, haben wir bereits Erfahrungen gemacht. Als die südafrikanischen Metallarbeiter vergangenes Jahr streikten, wurde ihnen gedroht, die Produktion nach Europa auszulagern. Die Betriebsräte in Deutschland haben daraufhin erklärt, dass sie nicht als Streikbrecher dienen werden. Die südafrikanischen Kollegen konnten damals nicht in die Knie gezwungen werden. Jetzt haben die brasilianischen Kollegen uns ihre Unterstützung angeboten. In dieser Woche gehen sie für einen Solidaritätsstreik vor die Werkstore.
Höhere Löhne schaffen mehr Wachstum, argumentiert die IG Metall. Gleichzeitig soll nun die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt werden. Wie reagieren die Gewerkschaften darauf?
Es reicht sicherlich nicht aus, sich auf Tarifpolitik zu beschränken. Aber der Auftrag der Gewerkschaft lautet zunächst einmal, den Verkauf der Ware Arbeitskraft zu den bestmöglichen Bedingungen zu organisieren. Wenn das wieder erfolgreich geschieht, wird auch die Voraussetzung geschaffen, in gesellschaftlichen Konflikten, wie etwa im Gesundheitswesen oder der Arbeitslosenhilfe, mit Macht eingreifen zu können. Auch dazu nützt der aktuelle Tarifkonflikt.
Worin unterscheidet sich der Konflikt von den Arbeitskämpfen der vergangenen Jahre?
Bei diesem Streik werden Forderungen gestellt, die nach Meinung von Unternehmen und Wirtschaftswissenschaftlern völlig unvernünftig sind, weil man doch in der Rezession sei. Zudem stellt er die Gewerkschaftsführung vor ein Dilemma. Sie wollen kurz vor den Wahlen dem Kanzler der Neuen Mitte nicht schaden, andererseits müssen sie aber den Erwartungen der Mitglieder gerecht werden.
interview: anton landgraf
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