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Völlig abgedreht

Mit dem inszenierten Eklat im Bundestag ist es Ronald Schill gelungen, wieder in die Schlagzeilen zu kommen. von andreas speit


Der Skandal war kalkuliert. Kaum hatte die Bundestagsvizepräsidentin Anke Fuchs (SPD) das Mikrofon abgeschaltet und damit den ersten Auftritt des Hamburger Innensenators im Parlament wegen Überziehens der Redezeit beendet, war der Ärger groß. Ronald Schills Ansprache im Bundestag hat ihre Wirkung nicht verfehlt.

Der Bundesvorsitzende der Partei Rechtsstaatliche Offensive (Schill-Partei) hat am 29. August nicht nur um die Gunst der Wähler geworben, sondern auch auf die Aufmerksamkeit der Medien spekuliert. Denn es war in den Wochen zuvor deutlich ruhiger geworden um die Rechtspartei aus Hamburg. Da kam die Rede in Berlin gelegen, um mal wieder kräftig auf die Pauke zu hauen.

So zog der Rechtspopulist mit ausländerfeindlichen Sprüchen vom Leder. Die etablierten Politiker seien »mit dem Kelch der Barmherzigkeit, gefüllt mit deutschen Steuergeldern, durch die ganze Welt« gezogen, tönte Schill, und hätten bei »irgendwelchen Katastrophen weltweit die Menschen« ins Land geholt. »Sie haben das Geld in der Vergangenheit verfrühstückt«, das nun zur Behebung »dieser nationalen Katastrophe« fehle, appellierte Schill an das rassistische Ressentiment. Kein Wunder, dass es bei der 20minütigen Wahlrede laut Protokoll mehrfach »lebhaften Beifall« von der CDU gegeben hat.

Dennoch kritisierten auch Unionspolitiker die Rede. »Dieser Auftritt darf nicht ohne Konsequenzen bleiben«, fordert der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Volker Rühe. Und Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust beteuerte: »Für eine Rede dieses Inhalts hatte Schill nicht das Mandat des Senats.« Zugleich bekräftigte er jedoch, an seinem Koalitionspartner festhalten zu wollen. »Er macht ja seine Arbeit als Innensenator hervorragend.« Von Beust braucht Schill. Ohne die Unterstützung des Zweiten Bürgermeisters müsste Hamburgs Erster Bürgermeister wohl zurücktreten.

So beschränkten sich die verärgerten Regierungspartner auf die Änderung der Geschäftsordnung. Nach vier Tagen Schill-Krise beschloss der Senat, dass im Bundestag oder im Bundesrat nur noch die offiziellen Meinungen der Regierung des Stadtstaates vorgetragen werden dürfen. Alle Senatoren verpflichteten sich zudem, die Präambel des Koalitionsvertrags, in der die »hanseatischen Tugenden Weltoffenheit und Toleranz« zitiert werden, ernst zu nehmen. Schill beteuerte überdies, die von ihm angekündigte Verfassungsklage wegen der Unterbrechung seiner Rede nun doch nicht anzustreben.

»Ein Senat, eine Stimme«, erklärte Beust. Und so lehnte dann auch die Regierungsmehrheit geschlossen einen Antrag der SPD ab, den Innensenator sofort zu entlassen. Schließlich sei »die Arbeit der Koalition so erfolgreich«, dass sie fortgesetzt werden müsse. Warnend erklärte jedoch der Fraktionsvorsitzende der FDP, Burkhardt Müller-Sönksen: »Wenn Herr Schill noch einmal gegen Ausländer hetzt, steigen wir sofort aus der Koalition aus.«

Ein Bekenntnis ohne Folgen. Denn seit Wochen verkündet Schill bei Wahlkampfauftritten die rassistische Law-and-Order-Politik, die in den programmatischen Leitlinien zur Bundestagswahl noch deutlicher als im Bundesprogramm der Schill-Partei formuliert wird. Seine Feststellung, dass durch die »unkontrollierte Zuwanderung unser Wohlstand verfrühstückt« wird, findet sich sinngemäß in den Leitlinien wieder, ebenso wie Wolfgang Barth-Völkels Forderung nach einem »Gesundheitstest bei allen Zuwanderern«, um die deutsche Bevölkerung vor »HIV, Tuberkulose oder Hepatitis« zu schützen.

Ohnehin sind die meisten Forderungen mit rassistischer Ideologie durchsetzt. So betont die Partei, eine »sichere Ausländerpolitik« sei nur mit der »Streichung des Rechts auf Asyl aus dem Grundgesetz« möglich, und bei »internationalen Krisen« solle in den »Herkunftsregionen humanitäre Hilfe« geleistet werden. Schließlich möchte man verhindern, dass es Flüchtlinge überhaupt gibt. Da aber nun schon alle Altparteien die Zuwanderung gefördert hätten, müsse jetzt die »Integration mit dem Ziel der Assimilation« verstärkt werden.

Dafür wolle man die »Besserstellung von Wirtschaftsflüchtlingen« beenden. Und um den »Terror in Deutschland« zu bekämpfen, sollen »Ausländer bei Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« ausgewiesen und die Daten »extremistischer Ausländer ab dem 13. Lebensjahr« erfasst werden. Damit die Festung Europa auch wirklich zu einer Insel der Glückseligkeit für die »rechtschaffenen Bürger« wird, strebt die Schill-Partei auch in der Politik der EU die »Verhinderung von unkontrollierter Einwanderung« an.

Nach dem inszenierten Eklat ist Schill gelungen, was seine Partei seit dem Beginn des Wahlkampfs kaum geschafft hat - wieder in die Schlagzeilen zu kommen. Allein die rechtsextreme Junge Freiheit (JF) berichtet länger schon wohlwollend über die Partei. Seit Schill die politische Bühne betrat, träumt die Redaktion von einer »vierten Partei«. Der alte Wunsch mancher rechter Strategen, die neben den Unionsparteien eine in der Öffentlichkeit akzeptierte rechte Partei etablieren wollen, wird in der JF neu formuliert.

Um diesen Traum zu verwirklichen, unterstützt die Zeitung die Schill-Partei nicht nur mit wohlwollenden Berichten. So finden sich im Blatt auch häufig Hinweise auf Parteiveranstaltungen. Und wer nach einer Kontaktadresse der Schill-Partei sucht, wird dort ebenfalls fündig. Um die Stimmen der rechten Leserschaft bemüht, schaltet die Schill-Partei auch ganzseitige Anzeigen in der JF, und ihre Funktionäre stehen der Redaktion regelmäßig Rede und Antwort.

Auch in der Zeitschrift Nation & Europa wirbt die Partei. So findet sich in der aktuellen Ausgabe ein vierseitiges Interview mit Ronald Schill. Der Parteivorsitzende streitet allerdings ab, dem rechtsextremen Monatsheft ein Interview gegeben zu haben. Einer der Herausgeber, Harald Neubauer, versichert jedoch: »Schill hat das Interview persönlich abgesegnet.«


 

11.09.2002
andreas speit / JungleWorld    [Schwerpunkt: Schill-Out]  Zurück zur Übersicht

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