Berlin: 120. Prozesstag | Schmuddelkinder in roten Roben und gemeine Kollegen
120. Prozesstag: Schmuddelkinder in roten Roben und gemeine Kollegen
Da muss der Vorsitzenden Richterin eine dicke Laus über die Leber gelaufen sein. Wie sonst ist ihr Ausfall zu Beginn der heutigen Hauptverhandlung zu erklären, als sie eine Verteidigerin anfuhr, sie habe mit ihrem letzten Beweisantrag den "falschen Eindruck erweckt", dass ihr Akten vorenthalten würden, obwohl sie diese Akten seit einem Jahr in ihrem Büro liegen habe. Dass dort lediglich unvollständige Ermittlungsakten liegen, der Antrag aber die auf die Übermittlung der vollständigen Akte abziele, insofern der Vorwurf direkt auf den Senat selbst zurückfalle, konterte die so Gescholtene gelassen. Der falsche Vorwurf, der allemal einen Befangenheitsantrag wert gewesen wäre, wurde also gelassen zurückgewiesen. Damit war das Thema aber nicht von Tisch. In weiteren Beweisanträgen, aber auch in einer Stellungnahme der Schmuddelkinder in roter Robe ging es immer wieder um die Zurückhaltung von Aktenbestandteilen und Ermittlungsergebnissen. Fündig wird die Verteidigung dabei immer wieder in den unlängst übersandten geschwärzten VS-Akten, die zahlreiche Hinweise auf Ermittlungen beinhalten, die dem Senat und der Verteidigung bislang vorenthalten wurden.
Diese VS-Akten dürften auch der Anlass gewesen sein, warum die Vorsitzende Richterin so ungehalten war. Hatten doch deren Kollegen vom Verwaltungsgericht Berlin mit einem Beschluss, der am Mittwoch bekannt geworden war, den Senat gehörig in Bredouille gebracht. Harald G. hatte vor dem Verwaltungsgericht auf die ungeschwärzter Herausgabe dieser VS-Akten geklagt. In ihrem Beschluss stellen die Verwaltungsrichter nun fest, dass diese Klage Aussicht auf Erfolg habe. Das Verwaltungsgericht lehnte es zwar ab, im Eilverfahren das Innenministerium zur Herausgabe der ungeschwärzten Vernehmungsprotokolle zu verpflichten. Vielmehr sei für eine Entscheidung in der Sache das Hauptsacheverfahren abzuwarten, so die Richter. Dabei habe Harald G. jedoch "Anspruch auf Aussetzung der Hauptverhandlung vor dem Strafgericht". Nun dauert so ein Verwaltungsgerichtsverfahren Jahre, das Strafverfahren kann aber längstens für 30 Tage unterbrochen werden. Wird das Verfahren ausgesetzt, ist der Prozess also geplatzt. Was tun? Rechtsanwältin Studzinsky forderte jedenfalls das Kammergericht auf, von sich aus das Verfahren auszusetzen. Und kündigte vorsorglich bereits jetzt an, am nächsten Verhandlungstag entsprechende Aussetzungsanträge zu stellen, falls der Senat bis dahin nicht gehandelt habe.
Wie sich der Senat entscheidet, kann frühestens am nächsten Freitag, 28.3., erfahren werden. Der Verhandlungstag am 27.3. wurde nämlich schon wieder aufgehoben.
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