Frankreich: Streik gegen Renten"reform" in Frankreich
STREIK GEGEN DIE "REFORM" DER RENTEN - und die verallgemeinerte neoliberale Offensive
3 Teile:
* Die "Reform" der Renten
* Gewerkschaftliche Reaktionen auf die Regierungspläne
* Sektorale Arbeitskämpfe vor dem 13. Mai: Post, Schulen...
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Selten ging ich mit Freude zum Finanzamt, auch wenn ich nie Anhänger neoliberaler Steuersenkungen war. In der letzten Aprilwoche dieses Jahres verließ ich es aber zum ersten Mal mit einem gewissen Hochgefühl. Kein Büro, in dem mein Blick nicht auf Streikrufe oder gewerkschaftliche Flugblätter gefallen wäre!
Es brodelt derzeit in der Mehrzahl der öffentlichen Dienste, auch wenn das Ausmaß der Mobilisierung bisher schwer abzuschätzen ist. Der Karikaturist der Pariser Abendzeitung Le Monde, "Plantu", zeichnet den amtierenden Premierminister Jean-Pierre Raffarin derzeit täglich mit einer kleinen Figur, die geflügelt über ihm schwebt. Was wie ein Schutzengel aussieht, trägt aber die Gesichtszüge des - während seiner (relativ) kurzen Amtszeit auf der ganzen Linie gescheiterten - früheren Premierministers Alain Juppé. Der konservative Politiker hatte von Mitte 1995 bis Anfang 1997 die Regierungsgeschäfte unter Präsident Jacques Chirac geführt. Sein Versuch, neoliberale Reformen mit der Brechstange durchzusetzen, hatte zu den massiven Herbststreiks in allen öffentlichen Diensten vom November und Dezember 1995 geführt, in deren Folge eine Vielzahl gesellschaftlicher Protestbewegungen aktiviert wurden. Zur Erklärung tragen die derzeitigen Karikaturen von Plantu die Aufschrift le spectre de 1995 - das Gespenst von 1995.
Ob es wirklich so weit kommt, wird sich in den nächsten Wochen erweisen müssen. Gründe dafür gäbe es genug. Denn nach einem Jahr erhöhter Vorsicht in sozial- und wirtschaftspolitischen Belangen - das "Gespenst von 1995" winkt - hat die Regierung Raffarin nunmehr einige der neoliberalen Folterinstrumente enthüllt, mit denen sie in Bälde an1s Werk gehen und den noch vorhandenen sozialen Errungenschaften der Nachkriegszeit zusetzen möchte.
Ein Papier des Wirtschaftsministeriums unter Francis Mer vom 24. April beispielsweise schlägt vor, schon ab 2004 nur noch jeden zweiten öffentlich Bediensteten, der auf1s Altenteil geht, durch eine Neueinstellung zu ersetzen, sprich 50 % der so frei werdenden Stellen abzubauen. Regierungschef Raffarin, der gerade auf dem Flugzeug nach Peking saß, als die Presse darüber berichtete, reagierte leicht verärgert auf das vorschnelle Publikmachen ("Im Ministerium glauben sie, es genüge, das aufzuschreiben"). Gleichzeitig erklärte er jedoch, es handele sich um eine "Arbeitshypothese", wozu er auch noch hinzu setzte, diese sei "statistisch fundiert". Beruhigend - so glaubte er jedenfalls - setzte er hinzu, diese müsse nun noch "Ministerium für Ministerium, öffentlichen Dienst für öffentlichen Dienst konkretisiert und den Gegebenheiten angepasst" werden.
Diese Pläne betreffen freilich mitnichten den staatlichen Repressionsbereich, denn zum derzeitigen Regierungsprogramm (das 2002 verkündet wurde) gehört für die laufende Legislaturperiode die Neueinstellung von 13.500 zusätzlichen Polizisten, 10.100 Justizbediensteten und die Schaffung von 11.000 zusätzlichen Gefängnisplätzen. Haftplätze statt Schulen und Krankenhäuser - das ist auch ein Programm!
Die "Reform" der Renten
Das zentrale Mobilsierungselement aber bildet auf jeden Fall die seit längerem im Raum schwebende "Reform" der Rentensysteme. Seit Monaten war sie angekündigt, seit Anfang Februar dieses Jahres hatte der neogaullistische Arbeits- und Sozialminister François Fillon die Gewerkschaftsorganisationen nacheinander "konsultiert". Doch genutzt hat das nichts - den Gewerkschaften jedenfalls nicht. Denn jene Grundzüge der "Reform", die Fillon am Abend des 24. April in der Prominentensendung 100 minutes pour convaincre im öffentlichen Fernsehkanal France 2 verkündete ließ selbst die so genannt "gemäßigten" Gewerkschaften ihren Unmut ausdrücken. Im Fernsehen hatte der Minister an jenem Abend CGT-Generalsekretär Bernard Thilbault und Arbeitgeber-Vertreter Guillaume Sarkozy als Gegenüber, so dass er versuchte, gegenüber der öffentlichen Meinung als Vertreter eines "vernünftigen Mittelwegs, der über den widerstreitenden Interessen schwebt und zwischen den Extremforderungen beider Seiten hindurch führt" zu erscheinen.
Die Kernpunkte der "Reform", laut der Ankündigung vom 24. April, haben folgenden Inhalt:
1. - Die erwartete Angleichung der Beitragsdauer zwischen privatem Wirtschaftssektor (für den die Verschlechterung, in Form der Verlängerung der Beitragszeiten, bereits 1993 unter der neokonservativen Regierung Balladur durchgezogen wurde) und öffentlich Bediensteten findet bis 2008 statt. Derzeit zahlen die öffentlich Bediensteten noch - wie vor 1993 alle Lohnabhängigen - 37,5 Jahre in die Rentenkasse ein, um eine Rente in voller Höhe beziehen zu können, die abhängig Beschäftigten im Privatsektor dagegen 40 Jahre. Eine regressive Angleichung "nach unten" war im Zuge der Herbststreiks 1995 zunächst erfolgreich abgewehrt worden.
Ein Teil der Gewerkschaften (manche Strukturen der CGT und ein bedeutender Teil der CGT-Basis, die populistische Gewerkschaft FO, die linkeren Organisationen SUD und FSU) mobilisierten bisher offensiv für eine Rückkehr zu den 37,5 Beitragsjahren für alle, also eine Angleichung "nach unten". Doch auf diesem Feld befinden sich die Gewerkschaften mittlerweile in der Defensive, weil die Regierung erfolgreich den Neid angeheizt hat ("Warum die, wenn wir nicht davon profitieren können ?"), während viele nicht mehr daran glauben, die Regression von 1993 könne jetzt noch zurückgekämpft werden. Laut letzten Umfragen von Ende April sollen 79 Prozent der Privatbeschäftigten für eine solche Angleichung "nach oben" sein. Aber auch die öffentlich Bediensteten selbst sind, glaubt man den Zahlen, demnach gespalten - mit je 50 Prozent AnhängerInnen und GegnerInnen einer solchen Angleichung der Situationen durch eine Verallgemeinerung der Regression. An diesem Punkt hat die Rechtsregierung also bereits eine Länge an Vorsprung gewonnen, doch der übrige Inhalt ihres "Reform"programms sorgt dafür, dass die Widerstände dennoch aufflammen.
2. - Denn damit nicht genug. War die Erhöhung der Beitragsdauer auf 40 Jahre für alle allgemein erwartet worden (die nun ab 2008 eintritt) , so gilt das nicht für die Ausdehnung der Rückwärts-"Reform", die Fillon an jenem Donnerstag im April verkündete. Denn ab 2012 soll die Anzahl der Beitragsjahre auf 41 Jahre für alle Beschäftigten, ab 2020 dann auf 42 Jahre angehoben werden. (Im Hintergrund fordert der Arbeitgeberverband MEDEF bereits 45 Jahre für alle...)
Das bleibt natürlich theoretisch, denn aufgrund der heute verlängerten Schul-, Studien- und Ausbildungszeiten (sowie der Unterbrechungen des Erwerbslebens durch Prekarität und Arbeitslosigkeit) wird die Verlängerung der Beitragsdauer vor allem Auswirkungen auf die Rentenhöhe haben. Denn bis mit 75 wird ohnehin niemand im Erwerbsleben bleiben.
3. - Tatsächlich liegt die eigentliche Crux bei der Höhe der Renten. Alle Gewerkschaften hatten im Prinzip die Garantie gefordert, niemand solle mit einer Pension auf1s Altenteil gehen, die geringer als der gesetzliche Mindestlohn SMIC sei. Der garantierte Mindestlohn SMIC beträgt derzeit zwischen 900 und 1.000 Euro - tatsächlich kann man ihn derzeit nicht präziser angeben, denn im Zusammenhang mit der Verkürzung der gesetzlichen Arbeitszeit der Jahre 2000 - 02 (mit stufenweiser Umsetzung) bestehen derzeit fünf verschiedene SMIC-Niveaus nebeneinander.
Aber die durch Sozialminister Fillon verkündete "Reform" bleibt weit hinter diesen Forderung nach einer Mindestabsicherung im Alter zurück. Zwar kündigte er an, einen Mindestsatz der Renten - etwa für jene Beschäftigten, deren Lohn bereits nur in SMIC-Höhe liegt - garantieren zu wollen. Allerdings liegt der garantierte Mindestsatz, der heute für SMIC-Empfänger bei 83 Prozent des Mindestlohns liegt, nach Fillons Ankündigung künftig nur bei 75 Prozent. Ein glatter Rückschritt.
Generell kündigte Fillon für die übrigen Rentenempfänger(innen) an, ihnen solle einen Pensionshöhe mit dem Richtwert von zwei Dritteln des letzten Gehalts garantiert werden. Heute beträgt die durchschnittliche Höhe der Renten, gemessen am letzten Lohn, aber real 78 Prozent. Damit bedeutet der Plan François Fillons eine Absenkung um über 10 Prozent, auf nurmehr 66 bis 67 Prozent.
Nach Berechnungen der CGT sinken die künftigen Altersrenten um insgesamt 20 bis 30 Prozent gegenüber dem jetzigen Zustand, berücksichtigt man ferner, dass die Pensionsempfänger für jedes fehlende Beitragsjahr - aufgrund heute immer später werdenden Eintritts ins Erwerbsleben, Fehlperioden aufgrund von Arbeitslosigkeit... - Fehlbeträge angerechnet bekommen. Im Gespräch sind derzeit Abstriche in Höhe von 3 Prozent oder 5 Prozent, genau sind die Regierungspläne noch nicht ausgegoren.
Die Position des sozialliberalen Gewerkschaftsbunds CFDT, der den Haupt-Ansprechpartner der Regierung im gewerkschaftlichen Bereich darstellt(e), blieb indes am Punkt der Mindestgarantien teilweise "offen". Denn neben der allgemeinen Forderung (im Prinzip: keine Renten unterhalb des SMIC-Niveaus) stellte die CFDT Nebenforderungen, wobei klar war, dass die CFDT sich gegebenfalls auch mit deren Erfüllung zufrieden geben würde. Eine dieser Forderungen besteht darin, dass ein Mindestsatz festgelegt wird, der auch für Personen mit unvollständiger Erwerbsbiographie - etwa Frauen, die nur einen Teil ihres Lebens gearbeitet hatten - gelten soll, die derzeit ohnehin aus dem Sozialhilfetopf alimentiert werden müssen. Die andere läuft darauf hinaus, jenen Personen, die heute die vollständige Anzahl der geforderten Beitragsjahre erreicht haben, aber gleichzeitig noch unter dem gesetzlichen Mindestalter für den Renteneintritt (derzeit 60 Jahre) liegen, den Gang auf1s Altenteil zu ermöglichen. Das gilt namentlich für jene Personen, die seinerzeit mit 15 zu arbeiten anfingen und heute bereits ihre 40 Beitragsjahre auf dem Buckel haben. Vor allem gegenüber letzterer Forderung hat die Regierung Entgegenkommen bekundet.
Im Hintergrund des Regierungsprogramms, dessen Umsetzung eine gewisse Verarmung der RentenempängerInnen zur Folge haben würde bzw. wird, steht der Wunsch danach, die Beschäftigten (wünschen sie eine minimale Garantierung ihres Lebensniveau im Alter) dazu zu zwingen, sich nebenher privat abzusichern. Denn darin besteht der Kern des gesellschaftlichen Modells, das die neobürgerliche Regierung um jeden Preis umzusetzen sucht: Der Transfer von möglichst vielen "sozialen Risiken" auf das Inviduum, das dadurch "verantwortlich" für sein Schicksal gemacht werden soll. Und dem entsprechend das Interesse und die Lust an kollektiver Aktion genommen werden soll - weil jeder sich wie ein Aktionär verhalten soll, wenn erst ein Pensionsfonds seine Rentenanteile an der Börse einsetzt, oder (das ist die derzeit im offiziellen Diskurs favorisierte, angeblich "softere" Variante) ein "betrieblicher Sparfonds" seine private Absicherung von den Betriebsergebnissen des Unternehmens abhängen lässt.
Verkauft wird die angebliche "Notwendigkeit" der Reform mit einem Diskurs, der auf Panikmache und das Schüren sozialer Ängste setzt. Das jetzige Solidarsystem, das auf die Umverteilung zwischen der aktiven Generation und den RentenempängerInnen setzt, sei sonst nicht mehr zu retten und sei unmittelbar bedroht, tönte François Fillon. Bereits "in zwei oder drei Jahren" könne es anders nicht mehr finanziert weden, ferner drohe "den künftigen Generationen" eine "Bombe". Den im sozialen Raum schwebenden Gedanken an die Herbststreiks 1995 versuchte der Minister mit diesem Argument zu vertreiben: "Wir sind nicht i 1995, denn (jetzt) haben wir keine Zeit mehr".
Die Gewerkschaften merkten dazu an, es sei bemerkenswert, dass an keinerlei Erhöhung der Arbeitgeberanteile gedacht sei. Die "Reform" solle vielmehr zum vorwiegenden Teil durch die abhängig Beschäftigten allein finanziert werden, zu zwei Dritteln etwa durch die de facto angekündigte Senkung des Rentenniveaus. In seiner Fernsehansprache hatte Minister Fillon den Arbeitgebern lediglich mit Konsequenzen gedroht, für den Fall, dass sie die Verlängerung der Beitragszeiten erschwere durch die Weigerung, ältere Beschäftigte ab 50 überhaupt noch zu beschäftigen. Denn darin liegt einer der zentralen Widersprüche in der derzeitigen Kapitaloffensive - der freilich wohl in der Praxis dadurch gelöst werden wird, dass das Risiko überwiegend auf die Lohnabhängigen abgewälzt wird, und von diesen durch eine private Absicherung aufgefangen werden muss.
Gewerkschaftliche Reaktionen auf die Regierungspläne
Der Fernsehauftritt François Fillons vom 24. April hat zu Unmutsbekundungen seitens aller Gewerkschaftsorganisationen geführt. Am vorvergangen Tag, am 22. April, hatte der Minister seine "Konsultationsrunden" mit den Gewerkschaften offiziell für beendet erklärt und daraufhin sein Programm in 38 Punkten verkündet. Dieses soll nunmehr am 28. Mai vom Kabinett verabschiedet und im Anschluss der Nationalversammlung - dem parlamentarischen "Unterhaus" - vorgelegt werden. Dort hat die bürgerliche Rechte eine Mehrheit von über 60 Prozent der Sitze inne (dank dem Mehrheitswahlrecht), so dass die "Reform" dort kaum gefärhrdet ist. Allenfalls ist damit zu rechnen, dass der noch stärker wirtschaftsliberal orientierte Flügel des Regierungslagers zu Wort meldet. Dieser wirft Fillon bereits vor, "zu viele Konzessionen an die Gewerkschaften" gemacht zu haben.
Am Abend des 23. April traten alle größeren Gewerkschaftsorganisationen zu einer Beratungsrunde zusammen. Mit Ausnahme der Gewerkschaft der höheren und leitenden Angestellten CFE-CGC (die sich ihre Antwort bis zum 30. April, nach Zusammentritt ihrer Führungsgremien, offen hielt) stimmten alle anwesenden Organisationen einem gemeinsamen Aktions- und Streiktag gegen die Renten"reform" zu. Und so gibt es nunmehr einen gemeinsamen Aufruf von sechs Gewerkschaftsverbänden - der drei größeren Dachverbände CGT, CFDT, FO zuzüglich der christlichen CFTC (die sich jedoch in ihren Äußerungen zurückhält), der eher CGT-nahen Lehrergewerkschaft FSU und des Bündnisses unpolitsch-sektoraler Gewerkschaften UNSA - für den 13. Mai, einen Dienstag. An diesem Tag sind die Beschäftigten im öffentlichen und privaten Sektor zur Teilnahme an Demonstrationen und zum Streiken aufgerufen.
Ein Teil der Beteiligten versteht dies als Aufruf zum Generalstreik, da der gemeinsame Appel an die Beschäftigten allgemein ausgerichtet ist. Dagegen bremste der CFDT-Sprecher Jean-Marie Toulisse sofort: Sein Dachverband rufe zu einem Aktionstag auf, aber ob (über das Abhalten von Demonstrationen hinaus) auch an allgemeine Arbeitsniederlegungen gedacht sei, das überlasse er lieber "seinen gewerkschaftlichen Strukturen vor Ort".
Auch inhaltlich wollte Toulisse zu weit gehende Interpretationen der Aufrufe und Aktionen sogleich ausgeschlossen wissen. Wörtliches Zitat aus �Le Monde1 (vom 23. April): "Wir sind nicht gegen den Fillon-Plan. Jene, die für die Rückkehr zu den 37,5 Jahren (Beitragsdauer) demonstrieren, verdammen mittelfristig das Solidarsystem zum Untergang. Die CFDT wird nicht die Zweideutigkeit der letzten Demonstrationen aufrecht erhalten" - damit sind jene gegen die "Reform" vom 1. Februar sowie vom 3. April in ganz Frankreich gemeint. An letzterem Datum hatte die CFDT nicht teilgenommen, wobei allerdings die Mobilisierungen vom 3. April größer waren als jene von Anfang Februar, zu denen die CFDT formell aufrief. Das Hauptaugenmerk der CFDT ist derzeit darauf gerichtet, das Regierungsprojekt noch zu "verbessern" - was sie für gut möglich erachtet -, bevor dies vermutlich im Sommerpausenmonat Juli definitiv vom Parlament verabschiedet werden wird.
Der populistische Gewerkschaftsverband FO ruft bereits zu einer "Generalisierung von Streiks" und zu ihrer möglichen Aufrechterhaltung über den 13. Mai hinaus auf. Allerdings ist es charakteristisch für diese Organisation, dass sie einerseits auf der verbalen Ebene am radikalsten aufzutrumpfen versucht, andererseits oftmals zu den Unterzeichnern der übelsten, regressivsten Abkommen mit Regierung oder Arbeitgeberlagern gehört. Allein auf diesen (auch politisch) schillernden Verband sollte man jedenfalls nicht vertrauen.
Die CGT und die ihr, von den gewerkschaftlichen Positionen her nahe stehende, Lehrergewerkschaft FSU schlugen ihrerseits bei der Beratungsrunde vor, zu einem erneuten Aktions- und Demonstrationstag am Sonntag, den 25. Mai aufzurufen. Angesichts der eher verhaltenen Reaktion der anderen Teilnehmer an der Runde vom 23. April bleibt dieser Vorschlag derzeit in der Schwebe. Die CGT will nunmehr die Auswertung und den Erfolg des Aktionstags vom 13. Mai abwarten, um danach eventuell zu einer erneuten Aktion am 25. aufzurufen.
Das gewählte Datum, der 13. Mai, dürfte ein Augenzwinkern an die Älteren darstellen (oder sollte es wirklich Zufall sein?). Denn 35 Jahre davor - am 13. Mai 1968 - fand jene von den Gewerkschaftsverbänden CGT und CFDT mit organisierte Demonstration statt, die den Auftakt zum französischen Mai 1968 gab. Auf dessen Höhepunkt streikten 8 Millionen Lohnabhängige. Allerdings dürfte es extrem verwegen sein, in den kommenden Wochen auf eine Wiederholung zu hoffen - allein schon, weil die jetzigen Kämpfe viel zu defensiv sind. Im Hinterkopf behalten sollte man den 35. Jahrestag, um zu wissen, was möglich ist.
Sektorale Arbeitskämpfe vor dem 13. Mai: Post, Schulen...
Bereits seit Montag, 28. April befinden sich rund 40 Prozent der Pariser Postbeschäftigten im Ausstand. Auch wenn im Verlauf der Woche ein leichtes Abbröckeln der Streikbeteiligung zu beobachten war, nahm zugleich die Teilnahme an Vollversammlungen - und Demos - zu. Der "harte Kern" des Streiks, dem vor allem die linke Basisgewerkschaft SUD (sie ist bei der Post stark verankert und bei Wahlen ungefähr gleichauf mit der CGT, neben der sie dort die stärkste Organisation bildet) angehört, plädiert dafür, bis zum 13. Mai durchzuhalten. Auf diese Weise sollen Arbeitskampf bei der Post, und allgemeine Mobilisierung gegen den neoliberale "Reform" der Renten ineinander fließen.
Unmittelbare Ursache für den Arbeitskampf ist die Automatisierung der Briefsortierung, die ab dem 16. Juni dieses Jahres probeweise im 6. Pariser Bezirk eingeführt und im Anschluss - ab 2004/05 - auf den Pariser Norden und dann die gesamte Hauptstadtregion ausgedehnt werden soll. Die Umstellung auf Automatisierung soll einerseits den Service noch verbessern; derzeit werden 77 Prozent der Briefsendungen in Frankreich binnen 24 Stunden zugestellt, in Deutschland sollen es dagegen 95 Prozent sein. Und dies erklärtermaßen vor allem im Hinblick auf die Belieferung von Unternehmen und im Vorgriff auf die Öffnung des Postsektors für (auch private) Konkurrenz, die auf europäischer Eben für 2009 vorgesehen ist.
Andererseits aber beinhaltet die Rationalisierung den Wegfall von Arbeitsplätzen - rund 25 bis 30 Prozent der Beschäftigten ist gedacht, dabei sollen vor allem die derzeit gut 25 Prozent mit privatrechtlichem Vertrag eingestellten Postbeschäftigten dran glauben müssen. (Die vor circa 1990 eingestellten haben meistens noch den Beamtenstatus und sind dadurch geschützt.) Vor allem aber soll eine weitere Verdichtung und Intensivierung der Arbeit erfolgen. Statt zwei Runden pro Tag mit dem am frühen Morgen sortierten Material, sollen die Briefträger nur noch eine Runde laufen. Das aber wird voraussichtlich zu einer Verschlechterung der Dienstleistung für viele private Haushalte führen, da diese erst am Ende einer Runde an die Reihe kommen werden, die sich verlängern wird - weil zu viel Material auf einmal mitgeschleppt werden muss und die Brieftäger schneller ermüden. Hingegen werden Unternehmen und Banken dafür bezahlen können, dass sie den Service garantiert bekommen, bereits früh am Morgen beliefert zu werden. Dagegen - und natürlich nicht aus genereller Ablehnung des maschinellen Fortschritts heraus - streiken nun die Postbeschäfigten.
Auch in einigen Schulen brodelt es, derzeit vor allem im Département Seine-Saint-Denis, einem der Pariser Vorstadtbezirke. Anlass ist das Dezentralisierungs-Programm der Regierung, das viele Beschäftigten des Schulwesens nunmehr - statt wie bisher auf den Zentralstaat - auf die Regionen zuteilt. Diese antijakobinische und neoliberal (im Namen des "Subsidiaritätsprinzips") inspirierte Maßnahme dient vor allem dazu, die sozialen Widerstände im Schulsektor durch die Regionalisierung zu zerstreuen. Zugleich wird damit einer größeren Ungleichheit, aufgrund der stark unterschiedlichen Finanzkraft der einzelnen französischen Regionen, Tür und Tor geöffnet.
Die Gewerkschaften opponieren daher gegen diese Maßnahmen. Vor allem aber sind die LehrerInnen im Département Seine-Saint-Denis besonders aufgebracht und mobilisiert, denn ihr Bezirk - ein ehemaliges Arbeiter-Département, das durch die Desindustrialisierung stark betroffen ist - ist materiell stark benachteiligt und befürchtet mehr denn je, nun vom allgemeinen Zug abgekoppelt zu werden. Im Frühjahr 1998 hatten die LehrerInnen des Départements durch einen mehrwöchigen Streik erzwungen, dass 3.000 zusätzliche Lehrkräfte eingestellt wurden und ein "Aufholprogramm" für das Département aufgelegt wurde. Von der Dezentralisierung befürchten sie nun, erneut in1s Hintertreffen zu geraten, und sehen das einmal Erreichte gefährdet.
Seit dem 27. März sind daher einige Schulen des Bezirks nacheinander in den Streik getreten. Am 24. April verzeichnete die Schul-Aufsichtsbehörde von Créteil (bei Paris) insgesamt 48 Schulen im Ausstand, davon der Großteil im Déparatement Seine-Saint-Denis. Angeführt wird der Ausstand durch ein bemerkenswertes Bündnis aus der größten Lehrergewerkschaft FSU, der CGT und FO, der linken Basisgewerkschaft SUD sowie der anarcho-syndikalistischen CNT.
Am 6. Mai sollen nun auch landesweit die Schulen in den Ausstand treten. Auf landesweiter Eben ist das Lehrpersonal bisher (noch) nicht direkt von der Dezentralisierungs-Verordnung betroffen. Diese betrifft derzeit rund 100.000 Angestellte: Schulärzte und -ärztinne, pychologische BetreuerInnen, Krankenschwestern, pädagogische Orientierungsberater, Aufsichtspersonen, Techniker und Wartungsarbeiter. Sie werden bereits auf die Regionen verteilt. Ihnen sollen nach Angaben des Bildungsministeriums alsbald die Verwaltungsbeschäftigten nachfolgen, die mit ihrer "Verwaltung" betreut sind.
Der geplante Ausstand vom 6. Mai soll sich ebenfalls gegen die Renten"reform" richten, und seinerseits eine Brücke zur Mobilisierung eine Woche später schlagen.
Bernhard Schmid, Paris
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