Hamburg: Argentinien-Aktions- und Informationstage 12.- 21. Mai 2003
Solidarität mit dem Widerstand in Argentinien!
Aktions- und Informationstage in Hamburg vom 12. bis 21. Mai 2003
Aufruf als Flugblatt-PDF unter
http://www.nadir.org/nadir/kampagnen/regierung-stuerzen/downloads/Flugi_Arg_aktionswoche.pdf
Montag, 12. Mai, 20 Uhr
Montags-Vokü, Rote Flora (Achidi-John-Platz 1)
Berichte vom argentinischem Widerstand Leute, die bei der Räumung von
Brukman dabei waren, erzählen von den Ereignissen. Sie berichten über den
Widerstand der piqueter@s. Neue Filme aus Argentinien werden gezeigt.
Dienstag, 13. Mai, 18 Uhr
T-Stube (Pferdestall 1. Stock, Allende-Platz 1, Uni)
Veranstaltung mit Maro von Indymedia Buenos Aires Maro ist Aktivistin in
Buenos Aires und wird über die aktuelle Situation sprechen. Dazu zeigt sie eine
Fotoausstellung und Filme.
Mittwoch, 14. Mai, 15 Uhr
Argentinisches Generalkonsulat (Mittelweg 141/Milchstraße)
“Cacerolazo” mit Kundgebung "Gegen die Repression gegen den Widerstand"
in Argentinien Bringt Kochtöpfe, -löffel und anderes zum Lärmmachen mit!
Mittwoch, 21. Mai, 19 Uhr
Ölmühlenplatz (Marktstraße, Karoviertel)
Asamblea auf öffentlichem Platz mit Diskussion der Wahlergebnisse der
argentinischen Präsidentschaftswahl vom 18. Mai. und der aktuellen Situation nach
der Wahl.
Vom Schwellenland zum Wirtschaftlichen Kollaps
In dem einstmals wohlhabenden Argentinien leben heutzutage 60% der 37
Millionen EinwohnerInnen in Armut. Die Hälfte von ihnen hat keinen Zugang zu
Trinkwasser, Strom und sanitären Anlagen. In den nördlichen Provinzen übersteigt
die Kindersterblichkeit 30%. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei circa
25%, wobei die tatsächliche Arbeitslosigkeit um ein Vielfaches höher liegen
dürfte.
Zu den Wahlen am 27. April 2003 hatten sich 21 PräsidentschaftskandidatInnen
aufstellen lassen. Doch das Vertrauen in die etablierte Politik ist äußerst
gering. Unter anderem haben die wirtschaftliche Misere und
Korruptionsskandale die Glaubwürdigkeit der politischen Klasse generell in Frage gestellt, was
sich in der immer wieder ausgerufenen Parole: Que se vayan todos (Alle sollen
gehen) ausdrückt. Die Diskussionen vor den Wahlen drehten sich hauptsächlich
um die Frage, ob mensch wählen solle oder nicht, jedoch nicht, wer der oder
die richtige KandidatIn sei. Das ist vielleicht auch der Grund, dass es zum
ersten Mal in der argentinischen Geschichte zu einer zweiten Wahlrunde kommen
wird. Die dennoch sehr hohe Wahlbeteiligung lässt sich einerseits auf die
Wahlpflicht Argentiniens und andererseits auf die hohen Wahlprognosen für den
ehemaligen Präsidenten Carlos Menem zurückführen. Obwohl Menem sein Amt 1999
nach 10 Jahren mit hohen Staatsschulden, einem dramatischen Anstieg der
Arbeitslosigkeit, mit Vetternwirtschaft und Korruptionsskandalen verließ, erreichte
er beim ersten Wahlgang 24 % der Stimmen, gegenüber Nestor Kirchner mit 22 %,
beide vertreten unterschiedliche Flügel der peronistischen Partei. Menem hat
bereits angekündigt, nach seiner Wiederwahl das Militär zur
“Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung” gegen die sozialen Bewegungen einzusetzen.
Soziale Bewegungen in Argentinien
Seit dem “Argentinazo”, dem Aufstand weiter Teile der Bevölkerung am 19. und
20. Dezember 2001 nach dem Zusammenbruch des argentinischen Finanzwesens,
haben sich zahlreiche Menschen unterschiedlicher Bevölkerungsschichten nicht
mehr mit ihrem Schicksal abgefunden und angefangen sich vielfältig zu
organisieren. Die Arbeitslosen- bewegungen (piqueter@s) haben einen enormen Zulauf
erhalten und in besetzten Gebäuden Volksküchen und eigene Produktionsstätten
eingerichtet, um eine minimale Versorgung zu sichern und Arbeit zu schaffen. Die
dazu benötigten Materialen, Nahrungsmittel und Gelder werden durch
Straßenblockaden erkämpft. ArbeiterInnen setzten die von den Besitzern verlassenen
Arbeitsstätten wieder in Stand und nahmen den Betrieb in Selbstverwaltung erneut
auf. Außerdem gründeten sich hunderte “asambleas barriales”,
Stadtteilversammlungen, die teilweise ebenfalls leerstehende Gebäude besetzten und
Volksküchen einrichteten.
Räumungen und Repression
Repression gegen organisierte oder einfach arme Menschen ist in Argentinien
leider an der Tagesordnung. Letztes Jahr wurden in Argentinien 179 Menschen
von der Polizei ermordet. Seit 1995 wurden 50 weitere bei politischen
Protesten umgebracht. Das Rechtssystem Argentiniens “zeichnet” sich durch ständige
Festnahmen und polizeiliche Ent- führungen von politischen AktivistInnen aus.
Ende Februar dieses Jahres begann eine Welle der Räumungen besetzter und
selbstverwalteter Räume in Buenos Aires. Erstes Ziel war das Gebäude “El
Padelai” im Touri-Stadtteil San Telmo, in dem seit 20 Jahren etwa 500 Menschen
zusammen lebten. Im Zuge der Räumung solidarisierten sich piqueter@s und
NachbarInnen und es kam zu Straßenschlachten, 86 Menschen wurden verhaftet und mehr
als 40 verletzt. Nach weiteren Räumungen wurde am Montag, dem 14. April, die
ehemalige “Banco Mayo” gewaltsam geräumt. Dieses Bankgebäude war nach
jahrelangem Leerstand vor etwa einem Jahr von der Stadtteilversammlung “Asamblea
Lezama Sur” besetzt worden und in ein Kulturzentrum verwandelt worden, in dem auch
Indymedia Argentinien Räume zum Arbeiten fand. Die Räumung der Bank war
somit auch ein Angriff auf alternative, autonome Kommunikationsstrukturen und auf
das Fenster der restlichen Welt zu den argentinischen Bewegungen.
Außerdem befinden sich zur Zeit die 3 Piqueteros “Pepino” Fernandez,
“Piquete” Ruiz und Juan Nievas in Haft. Sie stammen aus der autonom regierten und
daher landesweit bekannten Stadt Mosconi aus der Provinz Salta, im Norden
Argentiniens.
Besetzte Fabriken: Brukman und Zanon
Nach dem erfolgreich verhinderten Räumungsversuch der Keramikfabrik Zanon
anfang April, wurde in der Nacht zum Karfreitag ohne jegliche Ankündigung und
mit großem Polizeiaufgebot, die seit dem 18. Dezember 2001 besetzte und in
Eigenverwaltung betriebene Textilfabrik Brukman geräumt.
Brukman und Zanon sind die beiden bekanntesten der über 100 besetzten
Arbeitsstätten und ein Symbol für den antikapitalistischen Widerstand. Im letzten
Jahr fanden bereits zwei Räumungsversuche gegen Brukman statt, bei denen
Einrichtungsgegenstände mitgenommen bzw. zerstört wurden. Jedoch gelang es den
ArbeiterInnen die Stellung zu halten und den Betrieb wieder aufzunehmen. Dieses
Mal erhielten die Einsatzkräfte allerdings die Anordnung, eine
Wiederbesetzung der Fabrik zu verhindern, um sie den “Besitzern”, die damals die Fabrik
verschuldet hinterlassen hatten, zurückzugeben. Die 56 ArbeiterInnen von Brukman
erfahren eine große Solidarität auch der anderen sozialen Bewegungen. Seit
Beginn der Räumung versammelten sich tausende Menschen vor den Absperrungen,
um die ArbeiterInnen zu unterstützen, die währenddessen versuchten mit
Anwälten zu einer politischen Lösung zu gelangen, aber auch Pläne der Rückeroberung
der Fabrik vorbereiteten.
Bei dem Versuch, sich nach drei vergeblichen Verhandlungstagen friedlich
Zugang zu der Fabrik zu verschaffen, ging die Polizei mit Tränengas, Knüppeln,
Gummi- und sogar Bleigeschossen auf die rund 7.000 DemonstrantInnen los,
verletzte über 30 Menschen und verhaftete etwa 120 Personen, darunter Journalisten
und Abgeordnete. ZeugInnen ziehen Vergleiche zur letzten Militärdiktatur.
Neue Räumungsbefehle gegen soziale Zentren
Zahlreiche weitere soziale Projekte sind räumungsbedroht. Inzwischen wurden
zwei weitere Räumungsbefehle unterzeichnet. Am 7. Mai soll das soziale
Zentrum “Abriendo Caminos” im Vorort Haedo im Westen von Buenos Aires geschlossen
werden. Dieses Gebäude, in dem sich bis vor 10 Jahren eine Klinik befand,
wurde letztes Jahr von der Asamblea Popular de Haedo und der Ortsgruppe von
H.I.J.O.S., einer Organisation von Kindern Verschwundener, besetzt und öffnete am
8. September als soziales Zentrum.
Ab dem 12. Mai soll das soziale Kulturzentrum und besetzte Haus “Tierra del
Sur” im Stadtteil Barracas im Süden von Buenos Aires geräumt werden. Auch
dieses Gebäude stand seit mehr als 10 Jahren leer, bevor es am 14. Dezember
2001 von StadtteilaktivistInnen instandbesetzt wurde. Inzwischen wohnen in
“Tierra del Sur” 200 Menschen, der angeschlossene Kinderspeisesaal “La Riviera”
versorgt täglich mehr als 50 Kinder und es finden eine Vielzahl von Aktivitäten
statt, z. B. mehr als 30 Kunst- und Berufswerkstätten, 5
Arbeitskooperativen, eine öffentliche Bibliothek, Hausaufgabenhilfe, Rechtsberatung,
Gesundheitsvorsorge und diverse Kulturangebote. Beide Projekte haben beschlossen,
Widerstand gegen die drohenden Räumungen zu leisten.
Der Kampf ist international
Es ist zu erwarten, dass in den kommenden Monaten die Repressionen gegen die
sozialen Bewegungen verschärft werden – wer auch immer am 18. Mai die zweite
Runde der Präsidentschaftswahlen gewinnen wird. Für den argentinischen
Widerstand ist daher die internationale Solidarität von entscheidender Bedeutung.
Darüber hinaus lassen sich Verknüpfungen zu den hiesigen Kämpfen, z. B.
gegen Räumung und Vertreibung von Bauwagenplätzen, Sozialabbau und autoritäre
Formierung, feststellen. Die neuen argentinischen Bewegungen haben Formen
entwickelt, die auch für die Entwicklung von Widerstand hier bedeutsam sind: die
Selbstorganisation von unten, die Aneignung sozialer und ökonomischer Räume und
darin die Entwicklung solidarischer Beziehungen und nicht zuletzt ein
Nebeneinander vielfältiger Formen von Widerstand.
Um dem argentinischen Widerstand unsere Solidarität zu zeigen, rufen wir zu
einer Kundgebung vor dem argentinischen Konsulat auf.
Wir fordern:
die sofortige Freilassung von "Pepino" Fernandez und den anderen Gefangenen
aus Salta,
die Zurückgabe der Textilfabrik Brukman an die ArbeiterInnen sowie der
»Banco Mayo« an die Asamblea Lezama Sur und Indymedia,
die Aufhebung der Räumungsbefehle gegen die sozialen Zentren »Tierra del
Sur« und »Abriendo Caminos«
den sofortigen Stopp weiterer Räumungen und das Ende der alltäglichen
Repression gegen die sozialen Bewegungen
Kontakt: argentiniensoli.hh@gmx.de
Infos zu Aktivitäten in Hamburg:
http://www.nadir.org/nadir/kampagnen/regierung-stuerzen/diskussion_argentinia_soli.html
Weitere ausführliche Infos zur Situation in Argentinien:
www.de.indymedia.org und www.argentina.indymedia.org
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