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Berlin: Wildwest am Bau

Her mit dem Lohn!« Diese Forderung stellten am vergangenen Mittwoch knapp 100 Menschen an die Geschäftsführung der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM). Anlass war eine Kundgebung, die sich gegen Lohnbetrug richtete und Mindestrechte für alle ArbeiterInnen verlangte, »unabhängig vom Aufenthaltsstatus auf Großbaustellen«.

»Wir sind hergekommen, um die Lage von prekarisierten Arbeitsverhältnissen von MigrantInnen in die Öffentlichkeit zu bringen«, erzählt Andreas Lorenz von der antirassistischen Gruppe Elexira, die zusammen mit der Berliner Antirassistischen Initiative und der Flüchtlingsinitiative Brandenburg die Kundgebung organisiert hat.

Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft stärkt nach eigenen Angaben »wesentlich die Hauptstadtfunktion Berlins, indem sie innovativ und engagiert Wohn- und Gewerbestandorte sowie gesamte Quartiere im Regierungs- und Parlamentsbezirk Mitte betreut und entwickelt«. Eines dieser »innovativen« Projekte der WBM ist seit dem Beginn des vergangenen Jahres die Sanierung der Rathauspassagen in unmittelbarer Nähe zum Roten Rathaus am Alexanderplatz.

In dem Plattenbau sollen die üblichen Shoppinglandschaften, Büros und Veranstaltungsflächen entstehen. Die Entkernung und die Abrissarbeiten in den beiden unteren Etagen des Gebäudekomplexes wurden von der WBM an die CPM Baugesellschaft mbH abgegeben, die wiederum mehrere kleine Subunternehmer mit der Ausführung betraute. Darunter die AK-ER Hochbau GmbH in Gründung, ein Unternehmen, das faktisch nur auf dem Papier existiert und seinen Profit damit erwirtschaftet, illegale Arbeiter afrikanischer Herkunft einzustellen. Im konkreten Fall handelte es sich um 19 Personen, die im August und September 2002 auf der Großbaustelle arbeiteten, aber dafür keinen Cent zu sehen bekamen, obwohl die Arbeitsstunden regulär abgerechnet wurden. Insgesamt standen nach dem Abschluss der Arbeiten 13 500 Euro aus.

Die Arbeiter beschlossen, sich zu wehren und drohten mit der Hilfe einer Anwältin rechtliche Schritte an. Außerdem wandten sie sich an die Flüchtlingsinitiative Brandenburg. »Wir haben uns bemüht, die Sache auf informellem Wege und im direkten Gespräch mit den Unternehmern zu klären. Damit haben wir nichts erreicht. Deshalb haben wir uns entschlossen, an die Öffentlichkeit zu treten«, berichtet Chu Eben, der sich bei der Flüchtlingsinitiative Brandenburg mit prekären Arbeitsverhältnissen und so genannter Schwarzarbeit beschäftigt. Tatsächlich wurde von den Initiativen über Monate hinweg mit diversen Schreiben versucht, Druck auf die beteiligten Unternehmen auszuüben. In ihren Antworten lehnten sowohl die WBM als auch die CPM Baugesellschaft mbH ihre Verantwortung für die Lohnbetrügereien ab und verwiesen auf die Zahlungen an das jeweilige Subunternehmen. »Im Übrigen dürfen wir darauf verweisen, dass wir kein Auskunftsbüro sind. Eine weitere Korrespondenz erübrigt sich insofern«, heißt es in einem Brief der CPM.

Dabei scheint es sich offensichtlich nicht um einen Einzelfall zu handeln. Zwei weitere Personen schilderten der Jungle World ihre Erfahrungen mit Kleinunternehmen, die sich wie die AK-ER verhalten und keine Löhne ausgezahlt hätten. Auch in diesen Fällen sei das Subunternehmen CPM Auftraggeber gewesen, obwohl es nach Angabe der WBM nicht dazu berechtigt war, andere Unternehmen anzustellen.

»Der Subunternehmer hat uns immer damit hingehalten, dass der Hauptunternehmer nicht bezahlt«, erzählt Vincent Ashime, der zwei Monate am Alexanderplatz arbeitete. »Nach zwei Monaten sagte der Chef aus Jugoslawien einfach: Wir hören auf und ihr bekommt kein Geld.« Seitdem wartet Ashime auf seinen Lohn und weiß nicht, wie er die Wohnung bezahlen soll, die er extra für den Job angemietet hat. Sein Kollege George Mason*, ein Flüchtling aus Brandenburg, sagt: »Was auf den Baustellen passiert, ist doch Korruption in Reinform.« Er musste bei seinem Einsatz in der Rathauspassage härteste körperliche Arbeiten verrichten. »Es war alles voller Asbest und Staub. Wir haben nicht einmal Schutzkleidung bekommen und trotzdem ohne Murren Überstunden gemacht«, berichtet er. Im Anschluss an den Job drohte sein Arbeitgeber, wenn er weiterhin Forderungen stelle, würde er ihn verpfeifen. »Nur weil ich keine Papiere besitze, bin ich trotzdem ein ganz normaler Arbeiter, oder nicht?« Mason hofft weiterhin auf die ihm zustehenden 1 000 Euro Lohn. Schließlich gelte doch der Grundsatz »gleicher Lohn für gleiche Arbeit«, und außerdem »habe ich meine Arbeit so perfekt wie möglich gemacht«.

Dass derartige Fälle von Lohnbetrügereien eher die Regel als die Ausnahme sind, bestätigt Jan Cyankiewicz von der Zentralen integrierten Anlaufstelle für PendlerInnen aus Osteuropa (Zapo), die SaisonarbeiterInnen sowie vom Menschenhandel betroffenen Frauen, Jugendlichen und anderen MigrantInnen aus Polen Hilfe anbietet: »Da melden sich bei uns ganze Gruppen von Bauarbeitern, die um ihren Lohn geprellt wurden.« Neben dem Bauwesen seien besonders die Arbeitsbereiche Landwirtschaft und Haushalt, aber auch das Schaustellerwesen betroffen. »Die AufbauarbeiterInnen im Zirkus und auf dem Rummel werden teilweise wie Leibeigene behandelt und auch geschlagen, wenn sie nicht richtig spuren«, weiß eine andere Mitarbeiterin der Zapo, die Ende des Jahres wahrscheinlich aus finanziellen Gründen ihre Beratungen nach sechs Jahren einstellen muss.

Zahlen und Daten zu Fällen von Lohnraub und Arbeitsmissbrauch gibt es nach Angaben des Abteilungsleiters Internationales bei der IG Bau, Frank Schmidt-Hullmann, zwar nicht, aber es lasse sich durchaus von einem »System des Wildwest« am Bau sprechen. Ganz unten im System stünden die in die Illegalität gezwungenen ArbeitnehmerInnen, die von unseriösen Subunternehmern beschäftigt würden, deren Firmen eigentlich nicht existierten. In Extremfällen beschäftigten diese Firmen die ArbeiterInnen über Monate, um sie am Ende bei der Polizei zu denunzieren. »Dass allerdings gar nichts gezahlt wird, passiert eher selten«, sagt Schmidt-Ullmann, »meistens werden Teilbeträge ausgezahlt.«

Der Protest der Arbeiter und ihrer UnterstützerInnen hat sich gelohnt. Angesichts des öffentlichen Drucks gestand die Berliner Wohnungsbaugesellschaft nach der Demonstration »die kriminellen Verhaltensweisen« ihres Subunternehmens ein. Die WBM erklärte sich bereit, dafür zu sorgen, dass die ausstehenden 13 500 Euro innerhalb von zehn Tagen an die 19 Arbeiter überwiesen werden. Sollten weitere Fälle unbezahlter Arbeiter auf der Baustelle am Alexanderplatz bekannt werden, würden auch diese ihren Lohn erhalten.

»Endlich ein Erfolg«, heißt es bei den antirassistischen Gruppen und der Flüchtlingsinitiative Brandenburg. Und Erfolg macht bekanntlich hungrig. »Wir wollen eine politische Kampagne starten, die sich mit der Lage auf Baustellen und an prekären Arbeitsplätzen beschäftigt, damit die Ausbeutung und die Sklavenarbeit endlich ein Ende haben«, kündigt Chu Eben an.


* Name von der Redaktion geändert

 

19.06.2003
Martin Kröger / Jungle World [homepage]   [Email] [Aktuelles zum Thema: Antirassismus]  Zurück zur Übersicht

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