Berlin: 135. Prozesstag | Tabula rasa – Gericht zieht durch
Zwanzig Minuten, die es in sich hatten - länger dauerte die heutige Hauptverhandlung nicht. Mit den vier verkündeten Beschlüssen dokumentierte das Kammergericht nicht nur, dass sich die VerteidigerInnen von Matthias B. ihre heute präsentierten Stellungnahmen zu den Erklärungen der Bundesanwaltschaft (BAW) vom letzten Verhandlungstag hätten sparen können. Es macht auch klar, dass es nicht weiter gewillt ist, irgendwelchen Beweisanträgen überhaupt noch nach zu gehen.
Zu Beginn der Verhandlung hatten Rechtsanwältin Lunnebach und ihr Kollege Kaleck auf Stellungnahmen der BAW vom letzten Verhandlungstag reagiert. Der Sitzungsvertreter des Generalbundesanwalts hatte damals sowohl den Nachbau des angeblich von dem Kronzeugen Tarek Mousli 1995 in einem Seegraben im Norden Berlins versenkten Sprengstoffpakets abgelehnt, wie auch die Zeugenbefragung des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) zu einem Spitzel innerhalb der RZ sowie der Einbindung von Mousli in operative Maßnahmen des Dienstes. Die beiden Anwälte zeigten sich von den Ausführungen der BAW wenig überzeugt. Ein Nachbau des Sprengstoffpakets sei durchaus möglich, so Frau Lunnebach, existierten doch Fotos des Pakets, die nach dem Fund im August 2000 aufgenommen worden seien. Der Interpretation der BAW, die Hauptverhandlung habe "keinen auch noch so entfernten Anhaltspunkt für eine bewusste, gesteuerte Verzögerung" der Ermittlungen nach dem Sprengstofffund bei Daniel S. ergeben, hielt RA Kaleck entgegen, dass die Beweisaufnahme durchaus "eine Vielzahl von Merkwürdigkeiten" ergeben habe, wie etwa ein Vergleich der eingeleiteten Ermittlungen des Bundeskriminalamts (BKA) beim Fund eines angeblichen RZ-Depots bei Bielefeld gezeigt habe. Ohnehin gebiete es Rechtstaatlichkeit und Sachaufklärungspflicht jeglichem Hinweis auf Geheimdienst-Operationen nachzugehen.
Unbeeindruckt von diesen Ausführungen zeigte sich das Kammergericht. Weder der bislang verheimlichte Sprengstofffund von angeblichem RZ-Sprengstoff im Mai 1998 in Kempen, noch der Nachbau des im Seegraben geborgenen Sprengstoffpakets, geschweige denn die Zeugenvernehmung des BfV-Präsidenten oder die Ladung von drei Zeugen, von denen sich Aufklärung versprochen wurde, warum ein Magdeburger Polizist im Zuge der Ermittlungen nach dem Fund von Gelamon 40 bei Daniel S. seine Berliner Kollegen darüber informierte, dass der im Seegraben gefundene Sprengstoff aus der ehemaligen DDR nicht nach Westdeutschland exportiert worden war, sondern an so genannte Sonderbedarfsträger (Nationale Volksarmee bzw. Ministerium für Staatssicherheit) gegangen sei, – all diesen ungeklärten Fragen meinte das Gericht – unterständigem Verweis auf die BAW-Stellungnahmen vom letzten Prozesstag – nicht nachgehen zu müssen; alle Anträge wurden abgelehnt.
Und damit auch dem letzten klar wurde, dass das Gericht diesen Prozess bald zu beenden gedenkt, erklärte die Vorsitzende Richterin Gisela Hennig, dass ab sofort alle Beweisanträge noch am gleichen Tag währende der Hauptverhandlung entschieden würden. Insofern sollten sich die Prozessbeteiligten darauf einstellen, fügte die Vorsitzende Richterin hinzu, dass es nach der Sommerpause zu längeren Verhandlungstagen kommen könnte. Zwar hat dieser Verhandlungstag genug Beispiele gegeben, wie diese Beschlüsse ausfallen werden, doch glauben wir Frau Hennig gerne, dass nun ein hartes Stück Arbeit auf sie und ihre Kollegen zukommt - muss doch das Gericht nun selbst, ohne Hilfe und schriftliche Vorarbeiten der BAW seine Beschlüsse formulieren.
Die anscheinend letzte Etappe in diesem Verfahren vor dem 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin beginnt am Donnerstag, 7. August, zur gewohnten Zeit um 9.15 Uhr im Saal 500 des Kriminalgerichts Berlin-Moabit. Ein ausführlicher Bericht entfällt.
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