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Gipfelinfo: Genua

Gipfelinfo - Meldungen über globalisierte Solidarität
und die Proteste gegen unsolidarische Globalisierung
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Neues zu den Ermittlungen und Verfahren wegen des G8 in Genua

Stand: Juli 2003

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Die Verfahren zur Diaz-Schule
Es gibt wegen der Diaz-Schule Verfahren gegen Polizei/ Carabinieri und gegen
AktivistInnen. Für beide Ermittlungsstränge gilt, dass sie bis spätestens Juli
abgeschlossen sein müssen. Dies sieht das Gesetz vor; Ermittlungen in Italien
müssen 2 Jahre nach Identifizierung einer verdächtigen Person beendet werden
(gegen alle Nichtidentifizierten müssen sie dann eingestellt werden, können aber
bei späterer Identifizierung neu aufgenommen werden). Danach kann Anklage
erhoben werden.

Ermittlungen gegen AktivistInnen
Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Waffenbesitz und Bildung einer
kriminellen Vereinigung. Die Ermittlungen wegen Waffenbesitz sind nunmehr
eingestellt; es wurde auch offenkundig, dass die durch die Polizei vorgelegten
Beweise gefälscht wurden (die Begründung der Einstellung können wir euch auf
deutsch zusenden). Vermutlich werden auch die Ermittlungen wegen Bildung einer
kriminellen Vereinigung eingestellt.
Nicht berücksichtigt sind dabei allerdings Ermittlungen gegen Betroffene der
Diaz-Schule, die sich auf Handlungen auf den Demonstrationen beziehen. Dies
könnte Personen betreffen, die bei Videoauswertungen identifiziert wurden.
Genauere Informationen hierzu liegen nicht vor. Allerdings kann mensch davon
ausgehen, dass es schon lange bekannt wäre, wenn Personen aus der Scuola Diaz
bei Straftaten während Demonstrationen identifiziert worden wären, da hieran
seitens der Polizei großes Interesse bestanden hätte.

Ermittlungen gegen Polizei und Carabinieri
Es werden noch weitere ZeugInnen gehört, dann werden auch diese Ermittlungen
beendet. Es sieht so aus, dass die Staatsanwaltschaft Anklage erheben wird.
Angeklagt werden vor allem die Leiter der Einsatzgruppen (wegen
Nichtverhinderung von Straftaten) und die identifizierten beteiligten
Polizeikräfte (wegen Körperverletzung, Falschaussage, falschen Verdächtigungen,
Freiheitsberaubung im Amt). Ermittelt wird auch gegen Polizeiangehörige, die am
späten Nachmittag an der Diaz-Schule vorbeifuhren und behaupteten, sie seien vor
der Schule angegriffen worden (dies wurde als Legitimation für die Razzia
angeführt. ZeugInnen sollten sich melden!).

Es gibt wegen des Übergriffs in der Diaz-Schule politische Konflikte. Bei der
Razzia waren verschiedene Polizeieinheiten eingesetzt: SCO (Servizio Centrale
Operativo), Riparto Mobile Anti Somoza 7. Nucleo (die vor Genua spezielle
Aufstandsbekämpfungstrainings durchliefen), Anti-Mafia-Einheiten der Polizei und
Beamte der DIGOS. Alle Einsatzgruppen stehen unterschiedlichen politischen
Parteien nahe.
Mittlerweile gibt es ein Angehörigen-/Elternkomitee, das die Aufklärung fordert.

Auch wegen der Razzia in der Pascoli-Schule (gegenüber der Diaz-Schule) gibt es
Ermittlungen gegen Polizeikräfte wegen Körperverletzung, illegaler Durchsuchung
und Diebstahl/ Raub. Hierfür werden ebenso ZeugInnen gesucht!

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Ermittlungen zur Polizeikaserne in Bolzaneto
Die Ermittlungen gegen die Leiter der Abteilungen werden ebenso im Sommer enden.
Betroffen sind verantwortliche Einsatzleiter der Carabinieri, Polizei und
Guardia Finanzia wegen Körperverletzung und Mißhandlung. Ebenso ermittelt wird
gegen wiedererkannte Polizeikräfte bzw. Personal.

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Zu den anderen Verfahren/ „Bildung einer internationalen kriminellen
Vereinigung ‚Black Bloc’“
Es gab insgesamt etwa 350 Festnahmen in Genua während der Proteste. Dabei ist
eine Unterscheidung in vor Samstag, 14.00 Uhr und danach wichtig.
Am Samstag, 14.00 Uhr wechselten die verantwortlichen Polizeieinheiten. Bis
dahin wurden etwa 120 Personen festgenommen, denen Widerstand, Verwüstungen und
unzulässiger Waffenbesitz angelastet wird. Dies betrifft hauptsächlich
ItalienerInnen. Ab Samstag 14.00 Uhr gab es erste Massenfestnahmen (z.B. 23
Leute der COBAS); die Vorwürfe lauten fortan auf Plünderung, Verwüstung und vor
allem „Bildung einer internationalen kriminellen Vereinigung ‚Black Bloc’ mit
dem Ziel, Verwüstungen anzurichten“.
Es gibt im Hinblick auf die Frage der Untersuchungshaft ein Urteil des Corte
Cassazione (etwa: Bundesgerichtshof), das besagt, dass unter Umständen bereits
das Tragen von schwarzer Kleidung in einer Gruppe während der Demonstrationen
zusammen mit wenigen anderen Indizien die Mitgliedschaft im ‚Black Bloc’
bedeuten könne. Die Carabinieri haben 1.900 Seiten Material zum ‚Black
Bloc’-Konstrukt zusammengetragen. Behauptet wird die Existenz einer
international organisierten Gruppe, die auch bei anderen Gipfelereignissen
operiert und per Internet kommuniziert. Die Carabinieri wollen die
Staatsanwaltschaft von der Existenz des ‚Black Bloc’ überzeugen und
AktivistInnen verurteilen lassen.
Allerdings spielt dies für die im Raum stehenden Strafen keine Rolle: Das
Strafgesetzbuch sieht auch für Verwüstung 8-15 Jahre Haft vor. Die muss
allerdings bewiesen werden.

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Über die Ermittlungen und Verfahren
Nach dem G8-Gipfel hat die Polizei umfangreiche Ermittlungen angestrengt. Erstes
offensichtliches Resultat der Ermittlungen war die Festnahme von 23 Personen (21
ItalienerInnen, 1 Schweizer, 1 Grieche) am 4.12.2002. Ihnen wird Plünderung und
Verwüstung zur Last gelegt (im Februar 2002 gab es allerdings schon eine Razzia
u.a. bei Indymedia Italien, wo Videos beschlagnahmt wurden). Unter den
Festgenommen waren 3 Personen, denen Mordversuch bei dem Vorfall auf der Piazza
Alimonda vorgeworfen wird. Haftgrund war Fluchtgefahr, Vernichtung von
Beweismitteln und Wiederholungsgefahr. Eine Person befindet sich weiter in Haft,
ein Antrag auf Hafterleichterung wurde kürzlich abgelehnt. 4 weitere sind in
Hausarrest, andere haben Meldeauflagen.
Auf einer Pressekonferenz am Tag nach der Verhaftung meldete die DIGOS, dass 400
weitere Personen identifiziert worden seien. Darüber ist seitdem nichts Neues
bekannt geworden.

Die ermittelnden Polizeikräfte haben Fotos und Videos an ausländische Polizei
zur weiteren Identifizierung weitergegeben. Möglicherweise gibt es auch
Ermittlungsverfahren im Ausland.

Es gibt schon laufende Verfahren in Genua bzw. erste Verurteilungen. Zunächst
werden die „einfacheren“ Fälle verhandelt. Diejenigen, die zu einer Verurteilung
führten, endeten mit verhältnismäßig hohen Strafen (1 Jahr, 6 Monate; 1 Jahr/ 8
Monate; beide allerdings zur Bewährung ausgesetzt). Ein Verfahren gegen einen
Iren wegen schwerem Widerstand wurde eingestellt, da der Polizei scheinbar die
Fälschung der Aussage vorgeworfen wird.

Nach dem Abschluß der Ermittlungen schreibt die Staatsanwaltschaft einen
Abschlußbericht, der einige Tage später an die Betroffenen (bzw. wenn bekannt an
die AnwältInnen) geschickt wird (das sollte jedenfalls so sein!). Dann läuft
eine Widerspruchsfrist, innerhalb derer neue Beweismittel benannt werden können.
Bis Anfang Oktober sind Gerichtsferien, bis dahin wird scheinbar nicht viel
passieren. Außerdem muss nicht sofort Anklage erhoben werden. Theoretisch hat
die Staatsanwaltschaft dafür 15 Jahre Zeit. Mit mündlichen Hauptverhandlungen
wird nicht vor nächstem Jahr gerechnet.

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Klagen auf Schadensersatz
Schadensersatz kann auf 2 Arten geltend gemacht werden:

1. Entschädigung für ungerechtfertigte Freiheitsentziehung. Dieser Antrag wird
beim Corte d’Appello (etwa: Oberlandesgericht) gestellt. Der Staat muß eine
Entschädigungszahlung leisten, deren Höhe aber unklar ist. Wahrscheinlich wird
sie in den bekannten Fällen 3.000 € nicht überschreiten. Der Antrag wird erst
nach Einstellung etwaiger Ermittlungen gegen betroffene AktivistInnen
bearbeitet. Verdienstausfall wegen der Freiheitsentziehung kann ebenso geltend
gemacht werden; Nachweise müssen allerdings erbracht werden.

2. Schadensersatz für Körperverletzung und Misshandlung. Hier können die
Betroffenen zu NebenklägerInnen in den Strafverfahren gegen die Polizeikräfte
werden. Sie werden dann als ZeugInnen gehört.
Auch für die Einforderung von Schadensersatz braucht es Nachweise: Atteste,
Berichte, ZeugInnenaussagen. Die Höhe des gezahlten Schmerzensgeldes hängt von
der Art der Verletzung ab und wird nach Tabellen errechnet. Auch aus den
Verletzungen resultierende Arbeitsunfähigkeit kann geltend gemacht werden.
Insoweit sind auch stets nachweise erforderlich. Die Betroffenen sollten sich
die Folgen der Verletzungen daher regelmäßig von Neuem attestieren lassen.

Wenn die angeklagten Polizeikräfte wegen der Diaz-Schule und Bolzaneto
verurteilt werden, gilt die Zahlung von Schadensersatz als sicher. Aber auch
wenn einzelne freigesprochen werden, da ihnen eine Straftat nicht zugeordnet
werden kann, sind Ansprüche möglich.
Schadensersatz kann auch für Misshandlungen auf den Demonstrationen eingeklagt
werden! In diesem Fall muss ein Zivilverfahren nach einer Strafanzeige gegen
Unbekannt (oder Bekannt, so sie identifiziert sind) angestrengt werden.

Für die Verfahren kann Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt werden. Die Gewährung
wird nach dem Einkommen berechnet. Das Jahreseinkommen darf dabei nicht über
9.002 € liegen; pro Familienmitglied werden weitere 1.000 € angerechnet, soweit
zusammen gelebt wird. Die PKH wird nicht zurückgefordert. Veränderungen der
Einkommensverhältnisse während der Verfahren müssen allerdings mitgeteilt werden.

Zivilprozesse (z.B. auf Schadensersatz) in Italien sind gekennzeichnet von sehr
langer Dauer. 3-4 Jahre sind die unterste Grenze.

Bei Gerichten in Genua stehen noch 12 Kisten mit beschlagnahmten Material aus
der Diaz-Schule. Dort können Anträge auf Herausgabe gestellt werden, wobei aber
die Gegenstände so genau beschrieben werden müssen, dass sie identifizierbar sind.

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Einreiseverbote
Fast alle festgenommen AusländerInnen bekamen ein 5jähriges Einreiseverbot. Alle
Klagen, die EU-BürgerInnen dagegen angestrengt haben, wurden gewonnen, soweit
die Fristen nicht verpasst wurden. Dies ist auf einen Formfehler zurückzuführen:
Die zuständigen Behörden haben vergessen, das Komitee für nationale Sicherheit
zu konsultieren um die Einreiseverbote auszusprechen. Die Verhängung ohne
Konsultierung dieser Behörde ist nur bei Nicht-EU-Angehörigen rechtmäßig.
Allerdings wurden auch von Nicht-EU-Angehörigen Klagen gewonnen.
Auch für den Fall, dass Personen mit Einreiseverbot im Land kontrolliert werden,
werden diese anscheinend nicht verhaftet. Sie bekommen eine Aufforderung, das
Land innerhalb 5 Tagen zu verlassen. Dennoch sollten alle, die eine Reise
planen, Kontakt mit italienischen AnwältInnen aufnehmen, denn einige Betroffene,
die Verfahren gewonnenen haben, sind im SIS nicht gelöscht worden (dies
geschieht nur auf Antrag). Besser ist auch, nicht über die Schweiz einzureisen,
da es „EU-Ausland“ ist.

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11.07.2003
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