Gipfelinfo: 2. Jahrestag von Genua: Demonstration in Berlin, Aktionen in Genua
- VON GÖTEBORG NACH GENUA ... Demo in Berlin
Das Plakat der Demo in Berlin sowie ein Mobilisierungsjingle in mp3-Format für Radios, Demos und Veranstaltungen gibt es unter http://www.de.indymedia.org/2003/07/56641.shtml.
- Programm für die Aktionstage in Genua rund um den 20. Juli 2003
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VON GÖTEBORG NACH GENUA ...Nach Genua ist vor Göteborg
Demonstration gegen die Kriminalisierung emanzipatorischer Bewegungen am 20. Juli 2003
Die Proteste in Göteborg gegen den EU-Gipfel und darauffolgend gegen den G8-Gipfel in Genua sind zu einem Symbol der globalisierungskritischen und antikapitalistischen Bewegungen geworden. Dies liegt nicht zuletzt an dem einschneidenden Ereignis der Ermordung Carlo Giulianis, deren Jahrestag Anlass für diese Demonstration ist. Menschen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen und politischen Spektren von Gewerkschaften bis hin zu linksradikalen Gruppen gerieten in Bewegung. Doch am Ende des "Summer of Resistance 2001" sahen sich die AktivistInnen auch mit einer neuen Dimension der staatlichen Repression konfrontiert. Immer noch stehen Prozesse aus und einigen Personen drohen langjährige Haftstrafen.
repression
Zum ersten Mal (zumindest was Europa anbelangt) wurde im Kontext von Gipfelprotesten in Göteborg auf DemoteilnehmerInnen geschossen, was drei Schwerverletzte zur Folge hatte. In Genua wurde Carlo Guiliani erschossen. Die Brutalität der italienischen Polizei, die einen weiteren Höhepunkt im Überfall auf die Diaz-Schule am 21. Juli fand, hatte eine Dimension, die in Europa keinEr erwartet hätte. Sowohl in Göteborg als auch in Genua wurden an den Tagen nach den Gipfeln noch wahllos Menschen verhaftet. In Genua kam es zu Misshandlungen der Festgenommenen in Polizeigewahrsam oder im Gefängnis. Die Traumatisierung von AktivistInnen ist dabei politisches Kalkül.
Zunehmend werden Repressions- und Kontrollmaßnahmen in das Vorfeld von Protesten verlagert. So wurde für die Dauer des G8-Gipfels das "Schengener Abkommen" in Italien außer Kraft gesetzt, Grenzkontrollen für EU-BürgerInnen wieder eingeführt und Meldeauflagen und Ausreiseverbote für die sogenannten "ReisechaotInnen" in den Herkunftsländern ausgesprochen. Trotz der vorangegangenen Einschüchterungsversuche beteiligten sich an den Demonstrationen in Göteborg und Genua insgesamt über 350.000 Menschen aus aller Welt.
Der Ermittlungsaufwand, der v.a. nach Göteborg an den Tag gelegt wurde ist immens. Zahlreiche schwedische Polizeibeamte waren über ein Jahr mit der Auswertung von Video- und Fotomaterial beschäftigt. Die Ermittlungsergebnisse wurden an die Polizeien in fünf anderen Staaten weitergeleitet, was Anfang diesen Jahres neue Verhaftungen und Verfahren zur Folge hatte, u.a. in Bremen und Berlin. Die schwedische Polizei musste mittlerweile einräumen, dass in Prozessen eingesetzte Videos manipuliert waren. Auch in Genua ist die Manipulation von Beweismaterial inzwischen gerichtlich bestätigt.
Im Anschluss an Göteborg kam es zu einer beispiellosen juristischen Verfolgung, bei der von 56 Verurteilungen 42 Haftstrafen ausgesprochen wurden. Die durchschnittliche Dauer der Haftstrafen liegt bei über einem Jahr. Die extrem hohen Haftstrafen haben die Funktion, von jeglicher politischer Aktivität abzuschrecken.
In Genua gab es bisher erst wenige Verurteilungen, die Masse der Anklageerhebungen ist im Herbst diesen Jahres zu erwarten. Während des Gipfels wurden knapp 400 Leute festgenommen, vielen drohen nun Haftstrafen bis zu 15 Jahren.
innenpolitische aufrüstung
Um die Spielräume oppositioneller Bewegungen zu beschränken und die neue kritische Öffentlichkeit zum Verstummen zu bringen, wurden neue Gesetze auf den Weg gebracht. Das "Schengener Abkommen" kann aufgehoben werden, um bei Gipfelveranstaltungen Grenzkontrollen innerhalb Europas durchzuführen. Ergänzt wurde dies durch das sogenannte "Hooligan-Gesetz", das Meldeauflagen sowie Eintragungen in den Reisepass ermöglicht, die dessen Gültigkeit für bestimmte Länder zeitweise aufheben. Missachtungen der Beschränkung können mit Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr geahndet werden. Die zunehmende Zentralisierung von Datenbanken im europäischen "Schengen Informations System" (SIS) erweitert die Möglichkeiten der Überwachung. Im SIS werden Daten von "Gruppen und Personen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Gefahr der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" darstellen gespeichert. Diese Definition ist bewusst äußerst vage gehalten. Einmal gespeichert werden die Daten keinesfalls gelöscht, selbst wenn ein Verfahren eingestellt oder mensch freigesprochen wurde.
Der europäische Haftbefehl, der ab 2004 in Kraft treten soll, vereinfacht bisher komplizierte Auslieferungsverfahren und ermöglicht die EU-weite Fahndung. Abgesehen davon existiert aber bereits eine weitgehende europäische Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung. So haben u.a. die deutschen Behörden der schwedischen Staatsanwaltschaft auf der Grundlage des "Europäischen Übereinkommens über Rechtshilfe in Strafverfahren" gerne Amtshilfe geleistet. Dieses Vorgehen ermöglichte nun - zwei Jahre später - eine Verurteilung von bisher drei im Zusammenhang mit dem EU-Gipfel in Göteborg angeklagten Personen in der BRD. Weitere Verfahren sind noch anhängig. Die neue Qualität der europäischen Zusammenarbeit wurde auch aktuell bewiesen, als 1000 deutsche Polizisten während des G8-Gipfels in Evian eingesetzt wurden.
terror
Nach dem 11. September 2001 wurde die Verschärfung von sogenannten Sicherheitsgesetzten in einem Tempo durchgesetzt, vom dem SicherheitspolitikerInnen bisher nur träumen konnten. Die Grenzen zwischen Militär und Polizei, zwischen Innerer und Äußerer Sicherheit verschwimmen. Die europäische Terrorismusdefinition in der Terrorismusgesetzgebung, die auch das sogenannte "rioting" umfasst, soll nach und nach auch auf nationaler Ebene umgesetzt werden. Der Verweis auf Terror legitimierte ebenfalls eine Verschärfung des rassistischen Kontrollregimes gegen MigrantInnen, die damit ein weiteres Mal als "gefährlich fremd" stigmatisiert werden konnten. Das "Ausländerzentralregister" (AZR) in Köln speichert die Daten sämtlicher in Deutschland lebender Menschen ohne deutschen Pass. Diese rassistische Sondererfassung soll eine möglichst lückenlose Überwachung herstellen und ist deshalb auch mit dem "Schengener Informations System" (SIS) kurzgeschlossen. Die Kontrolle von Migration gipfelt in der Entziehung von jeglichen Grundrechten in den neuen "Ausreiselagern". Flüchtlinge werden während des gesamten Asylverfahrens in Lagern untergebracht, um so die Abschiebung zu erleichtern.
spaltung
Mit der Durchsetzung der Terror-Gesetze wurden auch Teile der Linken unter diesen Begriff subsumiert. Dies gehört zu einer Strategie der Spaltung des Protestes. In Göteborg und gerade auch in Genua wurde die Bewegung auf ein Feindbild reduziert: Das Konstrukt vom "black bloc". Mit Hilfe diverser Verschwörungstheorien wurde eine "international operierende Terrorganisation" fingiert, wodurch auch die europäische Linke mit der Formel "Bekämpfung des internationalen Terrorismus" kriminalisiert werden kann.
Solche Spaltungsversuche sind auch in der Linken nicht ganz ohne Folgen geblieben. Größere NGOs wie z.B. "Attac" haben sich immer wieder vom militanten Widerstand distanziert. Durch die Konstruktion des "black bloc" wurde eine Atmosphäre geschaffen, in der verschiedene Widerstandsformen in gut und böse polarisiert und gegeneinander ausgespielt werden konnten.
damals
Aber es gab nicht nur Repression im Sommer 2001, sondern auch eine neuartige Form des Protestes. Göteborg und Genua haben den verschiedensten Protestformen Raum geben können. 300.000 DemonstrantInnen in Genua, heftige Auseinandersetzungen und ein beträchtlicher Sachschaden haben für ein enormes Ausmaß medialer Thematisierung gesorgt. Die globale Vernetzung hat praktisch bewiesen, dass es eine emanzipatorische Form der ‚Globalisierung' gibt. Die Kritik an der globalen kapitalistischen Totalisierung muss also nicht notwendig in eine Besinnung auf das Nationale zurückfallen.
Doch es geht nicht darum, sentimental den "guten alten Zeiten" nachzuhängen, sondern Geschichte mit ihren Möglichkeiten zu konfrontieren.
- Einstellung aller Verfahren im Zusammenhang mit Gipfelprotesten!
- Freiheit für alle Gefangenen von Göteborg und Genua!
- Keine Entsolidarisierung mit kriminalisierten AktivistInnen!
- Gegen die Aufrüstung der inneren Sicherheit!
- Abschaffung aller polizeilichen Datenbanken!
- Gegen kapitalistische Verwertungslogik! Für globale Umverteilung!
- Für globale Bewegungsfreiheit! Grenzen auf für alle Flüchtlinge!
- Ricordiamo di Carlo!
20. Juli, 14.30 Uhr; Schwedische Botschaft Berlin, Rauchstraße 1
[Zwischen Grosser Stern und U-Bhf. Nollendorfplatz]
Die Demo endet am Auftakt der Gelöbnix-Demo [16.00 Uhr, Brandenburger Tor]
Infoveranstaltungen in Berlin zu Göteborg, Genua und der Kriminalisierung globalisierungskritischen Protests:
Der "europäische Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" gilt nicht für alle. Durch Instrumente wie z.B. nationale Ausreiseverbote, den neuen § 129 a und den europäischen Haftbefehl werden Handlungs- und Bewegungsspielräume immer mehr beschränkt. Infos zum Stand der Verfahren und der "Harmonisierung" europäischen Rechts:
7. Juli, 20.00 Uhr, Mehringhof (mit RA Silke Studzinsky und AktivistInnen aus der Soliarbeit)
12. Juli, 16.30 Uhr, Liebigstraße 14 (mit AktivistInnen aus der Soliarbeit)
Kontaktadressen:
Für Göteborg solitreffengbg@gmx.net, für Genua genova.libera@gmx.net, für beide gipfelsoli@nadir.org
Spendenkonten:
Göteborg: Rote Hilfe e.V.; Berliner Bank; BLZ 100 200 00; Kto.-Nr.: 718 959 06 00; Stichwort: Göteborg
Genua: EA- Berlin, Sonderkonto Klaus Schmidt, Postgiro Berlin, BLZ 100 100 00, Kto.-Nr.: 206 10-106; Stichwort: Genua
[Ermittlungsausschuß Berlin/ Bundeskoordination Internationalismus/ F.e.l.S./ Solitreffen Göteborg Berlin/ Gipfelsturm/ Autopool/ Gipfelsoli Infogruppe/ Subcutan/ Genova Libera/ Il Casolare/ Il due Forni/ Rote Hilfe OG Berlin/ BesetzerInnen des Willy-Brandt-Hauses/ Antifaschistisches Bündnis Marzahn-Hellersdorf/ Treptower Antifa Gruppe]
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Programm für die Aktionstage in Genua rund um den 20. Juli 2003
Samstag, 12. Juli,
10.00-16.00 Uhr Workshop zum World Social Forum (organisiert vom Forum Mondiale Alternative). Zugesagt haben bisher Riccardo Petrella (contratto mondiale dell'acqua), Francois Houtart (Cons. Intern. Fsm), Jayan Nayar (Peoples' Law Programme, Fondazione Lelio Basso, Malesia), Francisco Del Rojo (Cons. Intern. FSM, Brasilien)
17.00-20.00 Uhr Die Gerechtigkeit ist auch unsere Sache - Das Komitee gegen das Schweigen und die Straflosigkeit (organisiert vom Comitato Verita' e Giustizia) mit dem Comitati di Piazza Fontana, Bologna, Ustica etc.
Sonntag, 13. Juli
10.00-16.00 Uhr Konferenz gegen die WTO (organisiert von der Kampagne Questo mondo non e' in vendita)
Dienstag, 15. Juli bis Sonntag, 20. Juli
Vorführungen und Filme im Sala Munizioniere Palazzo Ducale
Mittwoch, 16. Juli
18.00 Uhr Schweigestunde für den Frieden vor dem Palazzo Ducale
19.00 Uhr Präsentation des Buches "Eine andere Welt ist nötig"von Carla Ravaioli (Atrio Ducale, organisiert vom Forum Ambientalista)
Donnerstag, 17. Juli bis Freitag, 18. Juli
Seminar zum Social Forum in der ex facolta' economia e commercio occupata, via Bertani 1 (von Disobbedienti neu besetztes Haus)
Freitag, 18. Juli bis Sonntag, 20. Juli
Workshop an der LOGGIA DI BANCHI (organisiert von der Zeitschrift Altraeconomia, Forum Sociale Genovese und anderen zur "Reflektion des Forums über das Forum")
Freitag, 18. Juli bis Sonntag, 20. Juli
Vorbereitungstreffen für das Social Forum in Paris (organisiert vom Coordinamento del Social Forum Europeo)
Freitag, 18. Juli
10.00-13.00 Uhr Konferenz zu unabhängiger Information (organisiert von Indymedia)
15.00-17.00 Uhr Konferenz europäischer JuristInnen über neue europäische Normen und repressive Gesetze (organisert vom Legal Team)
18.00-20.00 Uhr Diskussion "Zwei Jahre Bewegung" (organisert von Attac, R, Puntorosso) mit Mimmo Porcaro, Sansonetti etc.
Samstag, 21. Juli
10.00-13.00 Uhr Konferenz zu Europa (vorgeschlagen vom comitato piazza Carlo Giuliani). An der Konferenz hat vor allem das Forum per la democrazia europea Interesse; Vorschlag ist über repräsentative und partizipative Demokratie, Bürgerrechte und universale Rechte zu reflektieren.
17.00-20.00 Uhr Erinnerung an die Fakten von Genua (organisiert vom Comitato verita' e giustizia). Konfrontation der offiziellen Dokumente der "Sicherheitskräfte" /und ihrer Lügen) mit Augenzeugenberichten. AnwältInnen werden juristische Perspektiven beisteuern. Alle, die im Juli 2001 in Genua waren, sind zur Teilnahme aufgerufen.
21.00 Uhr "Der Prozeß den es nicht gibt" (Theater auf der Piazza Alimonda)
Sonntag, 22. Juli
10.00-14.00 Uhr Vollversammlung
10.00-19.00 Uhr Vorführungen und Theater (Piazza Alimonda)
19.00-21.00 Uhr Demonstration zum Ort des Konzertes
21.00 Uhr Konzert auf der Piazzale Kennedy (mit Banda Bassotti etc.)
[antonio bruno, sinistra verde]
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