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Berlin: 25. Verhandlungstag im Weinrich-Prozess | Kleinkrieg um Grundsätzliches

Für RaucherInnen war der heutige Verhandlungstag denkbar ungesund. Ursache waren eine Reihe von Unterbrechungen im Wechselspiel von Anträgen, Rauchpausen und Beschlüssen. Denn (wieder einmal) stand die Verwertbarkeit bzw. Nichtverwertbarkeit der MfS-Akten im Mittelpunkt eines Verhandlungstages. Anlaß hierfür war die Vorlandung des ehemaligen MfS-Offiziers Voigt zur Fortsetzung seiner Zeugenvernehmung vom 02. 07.

Voigt war in den achtziger Jahren Leiter der Unterabteilung XXII/9 (Terrorismusabwehr) der Staatssicherheit und in dieser Funktion zuständig für die "Betreuung" von zeitweise in Ost-Berlin wohnenden Mitgliedern der sogenannten Carlos-Gruppe. Voigt war im Maison de France-Verfahren selbst Angeklagter und wurde dort zu vier Jahren Haft verurteilt.

Bevor es jedoch zur Vernehmung kam, galt es noch, einen Beschluß der Kammer und zwei Widersprüche der Verteidigung abzuarbeiten.

Hintergrund des Beschlusses war ein Befangenheitsantrag der Verteidigung gegen eine Ergänzungsrichterin. Diese hatte beim vorletzten Verhandlungstag während der Vernehmung eines Zeugen in prozeßfremden Akten gelesen. Die Richterin hatte in einer Diensterklärung mitgeteilt, daß sie in den Akten lediglich "geblättert und sortiert" habe.

In ungewöhnlich scharfem Tonfall wies die Kammer den Antrag der Verteidigung zurück. Da war von "MißFachtung", "Diffamierung", "verfahrensfremden Zweck" und einem "inquisitorischen Verhalten" des Verteidigers Häusler die Rede. Es folgte eine halbstündige Pause.

Verteidiger Häusler verwies in seiner Stellungnahme u. a. auf ein Gespräch mit dem Vorsitzenden unter vier Augen, in dem dieser selbst das Fehlverhalten der Richterin indirekt bestätigt hatte.

Im Nachspiel zum vergangenen Verhandlungstag widersprach die Verteidigung sodann der Verwertung der Zeugenaussage des BKA-Beamten Deutesfeld. Dies wurde zu Protokoll genommen.

Der zweite Widerspruch betraf die weitere Vernehmung Voigts. Da nicht klar sei, woher die "Erkenntnisse" in den MfS-Akten schlußendlich stammten, die Methoden zur Erlangung derselben oftmals rechtsstaatlich unhaltbar seien und eine Differenzierung zwischen legal und illegal erworbener Informationen heute nicht mehr möglich sei, unterliege Voigts Aussage einem Verwertungsverbot.

Nach Anordnung des Vorsitzenden, daß die Vernehmung zulässig sei, beantragte die Verteidigung einen Gerichtsbeschluß. Die nächste Pause war fällig.

Der anschließende Beschluß bestätigte die Anordnung.

Voigt bekundete, daß er von Weinrich zu keinem Zeitpunkt ein Tatbekenntnis zu einem Anschlag gehört habe. Er habe im Laufe der Jahre schon soviel gelesen, gehört und ausgesagt, daß er nicht mehr trennen könne zwischen selbst Erlebtem und nachträglich Erfahrenem.

Einer der Nebenklagevertreter wollte wissen, ob Voigt denn auch selbst Berichte über die Carlos-Gruppe geschrieben habe, was dieser bejahte. Die Frage, ob er sich noch erinnern könne, welche Berichte das waren und was darin stand, verneinte der Zeuge. Auch nach Vorhalten aus den Akten konnte er sich nicht mehr erinnern. "Kann sein, kann aber auch nicht sein" war eine gängige Antwort. Als der Nebenkläger aus den Akten vorhielt, widersprach die Verteidigung aus bereits angefüChrten Gründen den Fragen. Es folgte eine Anordnung des Vorsitzenden, daß die Fragen zulässig seien und die Verteidigung beantragte einen weiteren Gerichtsbeschluß. Nächste Pause.

Nach Beschluß durfte die inkriminierte Frage nach der Situation in der Carlos-Gruppe 1982 gestellt werden, konnte von Voigt aber weder bestätigt noch dementiert werden.

Auf den Vorhalt aus den Akten und die anschließende Frage danach, ob die Carlos-Gruppe 1982 Anschläge gegen Frankreich unternommen habe, folgte der nächste Widerspruch der Verteidigung, die nächste Anordnung des Richters, der nächste Antrag auf Gerichtsbeschluß ... und natürlich die nächste Pause.

Nach Beschluß durfte die Frage in umformulierter Form gestellt werden. Aber auch hier mußte Voigt passen und erklärte, daß er dies nicht mehr wisse.

Im Anschluß an die Mittagspause beantragte die Verteidigung die Hinzuziehung der Originalakten, da hier nur aus Kopien vorgehalten werde und so nicht zu klären sei, ob Unterschriften echt seien. Voigt hatte erklärt, daß nur solche Berichte, die auch seine Unterschrift trügen, von ihm verfaßt worden sind. Das Kürzel "Voi" in etlichen Aktenteile habe nichts Relevantes zu bedeuten. "Das kann jeder da reingeschrieben haben". Es könne sein, daß ein Mitarbeiter damit ausdrücken wollte, daß ihm jenes Teil zur Ansicht vorgelegt werde solle. Genausogut könne es auch ein Indiz dafür sein, daß er es zur Kenntnis genommen habe und dies mit dem Kürzel signiert habe.

Eine weitere Unterbrechung, ein weiterer Beschluß, der die Arbeit mit den Kopien bestätigte. Auf die konkrete Frage des Nebenklagevertreters, ob er den Anschlag in der Pariser Rue Marbeuf seinerzeit der Carlos-Gruppe zugeordnet habe, kam die vielsagende Antwort: "Es ist möglich, daß es sein kann". Auf Nachfragen erklärte Voigt, daß er für einen Geheimdienst gearbeitet habe. Dieser sei nicht an der Sicherung von gerichtsverwertbaren Beweisen, sondern vielmehr an der Sammlung von Informationen aus allen möglichen Quellen interessiert gewesen. Die anschließend gefertigten Berichte seien eine komprimierte Wiedergabe der verarbeiteten Informationen. Ob diese durch illegale Methoden oder aus der Zeitung sondiert wurden, wisse er nicht mehr. Es sei also auch gut möglich, daß er seinerzeit eine vermutete Urheberschaft der Gruppe "aus französischen Zeitungen" habe. Diese Haltung kulminierte in dem Satz: "Wenn's dort steht, wird's vielleicht so gewesen sein". In persönlichen Gesprächen mit Weinrich seien nach seiner Erinnerung Gewaltfragen "nicht debattiert" worden.

Einen weiteren Vorhalt über den Zustand der Akten brachte die Verteidigung ein. Sie legte dem Zeugen ein Aktenbeistück vor und bat ihn, sich die Seitennummerirung anzusehen. Diese wies größere Lücken auf. Ob dies denn üblich gewesen sei beim MfS? "Mit Sicherheit nicht" war die klare Antwort. Auch entspreche diese Kopie nicht der Originalakte: "Diese Akte wurde scheinbar nach anderen Gesichtspunkten neu zusammengestellt". Und ob diese Akte vielleicht nach chronologischen Gesichtspunkten neu zusammengestellt sei, beantwortete Voigt: "Nein, da ist ja alles durcheinander". Auch habe es in den MfS-Akten Inhaltsverzeichnisse gegeben, die hier fehlten. Auf die Feststellung der Verteidigung, daß es eine Originalakte bei Gericht gebe, folgt die nächste Pause, um die Akte herbeizuschaffen.

Bei der Inaugenscheinnahme am Richtertisch konstatierte der Zeuge, daß diese Originalakte nicht mehr im Originalzustand sei. "Da sind Dinge drin, die dort gar nicht rein gehören. Dafür gab es Ordner mit anderen Farben."

Da der Verhandlungstag zu diesem Zeitpunkt schon bis spät in den Nachmittag gedauert hatte und der Zeuge Unwohlsein beklagte, wurde die Verhandlung bis Mittwoch unterbrochen.

Nächster Termin: 16. 07., 9.30 Uhr, Turmstr. 91, Saal 500

 

14.07.2003
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Repression]  [Schwerpunkt: Weinrich-Prozess]  Zurück zur Übersicht

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