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Gipfelsoli: Genua --- Genf

Gipfelinfo - Meldungen über globalisierte Solidarität
und die Proteste gegen unsolidarische Globalisierung
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Einige Legal-Infos aus Italien zu Genua 2001
(Juli 2003)

- Zu den Ermittlungen wegen Cosenza (dort waren vor dem ESF in Florenz 2002
Hausdurchsuchungen erfolgt und mehrere Leute festgenommen worden; die Leute
sind wegen Beteiligung an Riots in Genua beschuldigt):
Ermittelt wird auch gegen Luca Casarini (Disobbedienti Nord) und Francesco
Caruso (Rete No Global; wie Casarini auch einer der 19 GSF-Sprecher). Ihnen
wird zur Last gelegt, die Riots in Genua organisiert zu haben. Weil die Polizei
darauf hätte reagieren müssen, hätten die beiden die eigentliche Schuld an den
Auseinandersetzungen.
Gegen Luca Casarini wird allerdings nicht durch die Staatsanwaltschaft Cosenza
ermittelt, sondern in Venedig. Die "Beweismittel", also die zugezogenen Akten,
sind aber die gleichen. Eingang in die Ermittlungen fanden z.B. abgehörte Handy-
Telefongespräche Casarinis aus dem Carligni-Stadion, Video-Aufnahmen aus dem
Stadion und Material einer Pressekonferenz 2 Tage vor der Demo. Ebenso
Bestandteil der Ermittlungen sind Videos und Fotos, die nach dem Gipfel bei
Durchsuchungen von Zeitungen sichergestellt wurden (viele Zeitungen wurden
damals durchsucht und die JournalistInnen genötigt, Material herauszugeben).
Angeblich existiert ein Video von der Nacht vor der Demo das beweist, dass die
Riots dort vorbereitet worden wären.
Die Leute von Cosenza waren nach den Razzien zunächst im Knast und wurden dann
vom Tribunbale de Libertá wieder freigelassen. Der Corte de Cassazione
wiederrief diese Freilassung allerdings später; dennoch sind die Leute noch in
Freiheit.

- Zu den Festgenommenen des 4. Dezember 2002 (23 Leute wurden damals in ganz
Italien festgenommen; ermittelt wird ebenfalls wegen angeblichen Straftaten in
Genua):
Ermittelt wurde insgesamt gegen 27 Personen. Die Untersuchungen sind beendet,
mit einer Anklageerhebung bzw. Verfahren wird ab Oktober gerechnet. Die
Vorwürfe lauten auf devastazione e saccheggio; Plünderung und Verwüstung.
Der 28 jährige Catanier Francesco (Gimmy) ist der einzige, der sich immer noch
im Knast befindet. Anfang Juni befand der Haftrichter, dass Gimmy weiterhin im
Knast bleiben muss. Grund: Wiederholungsgefahr. Im Hausarrest sind Marina in
Milano, Vincenzo in Bergamo und Luca in Pavia. Alberto aus Rom wurde am 9.
April 2003 freigelassen und hat die Auflage, sich wöchentlich bei der Polizei
zu melden. Im ganzen haben 21 Personen Meldeauflagen.

- Zu dem Verfahren gegen einen Iren (er wurde am Sonntag, 22. Juli 2003 unter
dem Vorwurf des Waffenbesitz verhaftet):
Die Polizei behauptete, sie hätte von weitem gesehen dass er ein Messer bei
sich trug, es hätte in der Sonne geblitzt. Als sie ihn durchsuchten wurde
lediglich ein Taschenmesser gefunden. Der Beschuldigte konnte allerdings ebenso
2 Zeugen benennen, die aussagten dass er kein weiteres Messer bei sich trug. Er
wurde freigesprochen.

Am Rande:
- Die Staatsanwaltschaft möchte die Ermittlungen gegen die 93 Personen aus der
Diaz-Schule komplett einstellen (bisher ist lediglich der
Verfahrensstrang "Waffenbesitz" eingestellt, noch offen ist "Bildung einer
kriminellen Vereinigung"). Es ist theoretisch möglich, dass die Polizei dagegen
Berufung einlegt.

- Grateri, der Chef der SCO (Servizio Centrale Operativo; waren bei der Razzia
in der Diaz-Schule beteiligt) ist zum Chef der politischen Polizei UCIGOS
befördert worden (tritt damit die Nachfolge von Barbera an). Das ärgert die
Staatsanwaltschaft, denn gegen Grateri wird wegen der Diaz-Schule ermittelt.

- Colucci, der während des G8 Chef der Questura in Genua (und damit Oberhaupt
aller Genueser Polizeikräfte) war, ist damals, nach massiver Kritik, in eine
kleinere Questura in Pergamo versetzt worden. Nun ist er rehabilitiert und als
Leiter der Questura in Trento berufen worden. Trento ist die Hauptstadt der
Region, in der das WTO/EU-Treffen in Riva del Garda im September stattfinden
wird.

[Gipfelsoli]


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G8: Interview mit Anwalt des Genfer Attac-"Randalierers"
Wochenzeitung WoZ 31.7.2003

Umstrittene Fahndung per Internet

Aktenzeichen G8

Die Genfer Kantonspolizei publiziert Fotos von Verdächtigen auf ihrer Homepage
und ruft die Bevölkerung auf, die "erwiesenen Randalierer" zu identifizieren.
Das Vorgehen ist für die Schweiz einmalig.

Interview: Helen Brügger

WoZ: Jean-Michel Dolivo, unter den auf Internet publizierten Fahndungsfotos
fand man auch das Porträt von Attac-Mitglied Tomaso. Er trat letzten Montag an
die Öffentlichkeit und dementierte jede Beteiligung an den Ausschreitungen im
Umfeld der Genfer G8-Demonstrationen. Am Dienstag soll er im Polizeiverhör eine
Beteiligung an den Unruhen gestanden haben. Sie sind Mitglied der
Demokratischen JuristInnen der Schweiz (DJS) und Tomasos Anwalt, was wird ihm
vorgeworfen?

Jean-Michel Dolivo: Ich weiss nicht genau, was Tomaso gestanden haben soll. Die
Polizei zeigt ihn wegen Unruhestiftung an. Für dieses Delikt genügt es, an
einer öffentlichen Zusammenrottung teilzunehmen, bei der es zu kollektiv
begangenem Sachschaden kommt. Es bedeutet noch nicht, dass der Betroffene
selbst Sachschaden angerichtet hat. Doch selbst wenn er sich etwas hätte
zuschulden kommen lassen, würde das nicht rechtfertigen, ihn auf dem Internet
als Kriminellen und erwiesenen Randalierer in den Schmutz zu ziehen. Die
Unschuldsvermutung ist ein Grundbestandteil jeder Strafverfolgung. Jeder
Verdächtige muss bis zum Urteil als unschuldig betrachtet werden.

Die Polizei behauptet, sie verfüge über unwiderlegbare Beweise, die durch den
Vergleich verschiedener Quellen verschiedenster Dokumente erarbeitet worden
seien. Sie verweigert aber die Auskunft darüber, wie sie vorgegangen ist, um
einen allfälligen Tathergang zu rekonstruieren.

Das ist meiner Meinung nach ein Hinweis darauf, dass die Polizei systematisch
GlobalisierungsgegnerInnen fichiert. Falls das wirklich zutrifft, bedeutete es
einen Angriff auf die Grundrechte aller DemonstrantInnen. Offenbar wurden Fotos
aus verschiedenen Quellen benützt, das heisst auch aus polizeilichen Quellen.

Laut Polizei wurden auch Ausschnitte aus Fernsehberichten verwendet.

Das wäre aus presserechtlicher Sicht problematisch. Wenn solche Quellen im
Nachhinein zur Repression verwendet werden, gibt es den Leuten Auftrieb, die
vermummt demonstrieren. Ich bin gegen jede Vermummung an Demonstrationen. Aber
wenn die Polizei so weitermacht, muss man sich doch die Frage stellen, ob nicht
die Demonstrationsfreiheit tangiert wird.

Sie bezeichneten das Vorgehen der Polizei an einer von Attac einberufenen
Pressekonferenz in Genf als "öffentliche Lynchaktion".

Ich sagte, es gleicht einer öffentlichen Lynchaktion. Die Parallele gilt im
Bezug auf die öffentliche Zurschaustellung und den Appell an die BürgerInnen,
Mitmenschen zu denunzieren. Sie gilt aber auch bezüglich der Folgen. Ein auf
dem Internet als kriminell beschuldigter Mensch erlebt seine gesellschaftliche
Exekution.

Die Genfer Kantonspolizei hat das Wort "Kriminelle" vom Montag auf den Dienstag
von ihrer Homepage entfernt ...

... ja, aber vorher stand es während vier Tagen über Fotos von Menschen, die
als unschuldig gelten müssen. Ich glaube nicht an ein Versehen - der Begriff
entspricht der Geisteshaltung der Polizei und auch derjenigen gewisser
politischer Kreise. Ich erinnere daran, dass in Genf nach dem G8-Gipfel das
Demonstrations- und Versammlungsrecht während mehrerer Tage ausser Kraft
gesetzt wurde. Das mag als übertriebene Reaktion erscheinen, ich aber bin
überzeugt, dass dieses Vorgehen Methode hat. Es geht um eine Versuchsanordnung
mit dem Ziel, die ganze Bewegung zu kriminalisieren. Die Polizei reizt aus, wie
weit sie gehen kann.

Mehr Repression also?

Ich denke, dass das eine qualitativ neue Entwicklung ist. Es handelt sich um
die Ausserkraftsetzung von fundamentalen Rechten, wie in Guantánamo. Ich bin
sicher, dass es sich um gezielte Ausrutscher und bewusste Versuche handelt, mit
denen man neue Fahndungs- und Kriminalisierungsmethoden testet. Es geht um ein
Experiment mit Methoden, die bisher als illegal oder schockierend empfunden
wurden. Betroffen sind ja nicht nur G8-Gegner. Was die Polizei mit Sans-Papiers
und abgewiesenen Asylsuchenden macht, geht in die gleiche Richtung. In
Frankreich wurde José Bové, Symbol des Widerstands gegen die Globalisierung,
wie ein Schwerverbrecher verhaftet und in den Kerker geworfen. Es gibt weltweit
Tendenzen, die bürgerlichen Rechte und Freiheiten im Namen der Sicherheit
ausser Kraft zu setzen.

Sie sind Mitglied der Demokratischen JuristInnen - was können Sie gegen diese
Tendenzen tun?

Darüber berichten, sie kritisieren, protestieren ... Aber man muss sich darüber
im Klaren sein, dass die Angriffe Bestandteil der neoliberalen Dampfwalze sind.
Neoliberalismus ist ja gerade nicht die Respektierung der individuellen und
kollektiven Rechte, sondern das Recht des Stärkeren - im vorliegenden Fall der
Genfer Polizei und der politischen Rechten, die das Ganze absegnet. Es geht ja
auch meist darum, sozial Schwächere durch Kriminalisierung auszugrenzen.

Ist Tomaso ein Einzelfall?

Ich habe den Anruf einer Mutter erhalten. Ihr Sohn wurde erwischt, weil er von
einer zerschlagenen Scheibe profitiert und eine Hose oder ein Hemd hat
mitlaufen lassen. Der Fall Tomaso ist anders gelagert, aber auch im Fall dieses
Jugendlichen lässt es sich nicht rechtfertigen, dass er öffentlich in den
Schmutz gezogen wird.

Wie reagieren andere JuristInnen?

Ich habe in der Presse eine Reihe von Erklärungen gelesen, darunter auch solche
von bürgerlichen und rechtsbürgerlichen Anwälten. Sie bezeichneten die
Fahndungsmethoden als problematisch und zeigten sich schockiert über die
Ausserkraftsetzung von Grundrechten. Ob die Polizei und der verantwortliche
Untersuchungsrichter Stéphane Esposito sich davon beeindrucken lassen,
bezweifle ich allerdings.

[indymedia.ch, copwatch, 01.08.2003 11:45]

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