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Berlin: 138. Prozesstag | Kunsthaar, Konten und Kredite

138. Prozesstag: Kunsthaar, Konten und Kredite

Fast war der Tag herbei gesehnt worden, wo es ein Wiedersehen mit dem Kronzeugen geben würde, um mal allerlei Ungereimtheiten, Verkürzungen und offensichtliche Lügen in seinen Aussagen mit ihm durch zu sprechen. Doch der Auftritt Tarek Mouslis blieb deutlich hinter den Erwartungen der ZuschauerInnen zurück. Ob es an seinem neuen Lebenswandel liegt, fragten sich besorgte Stammgäste. Er sieht nicht gut aus, der Kronzeuge, mit seinem schlecht gescheitelten Kunsthaar-Toupet und scheint auch körperlich deutlich abzubauen. Vorbei die Tage des Kraft strotzenden Kampfsport-Profis und smarten Ex-Revolutionär. Eher blass schlich er mit seinen Bodyguards herein und wo seine diensteifrige Eilfertigkeit schon früher nur schwer erträglich war, wirkte sie jetzt fast schon verbiestert, bitter und verkniffen.
Und zur Sache war kaum mehr aus ihm heraus zu holen als schon bei früheren Vernehmungen - immer wenn’s ernst wird, werden Erinnerungslücken oder Belange des Zeugenschutzes in Anschlag gebracht.
Zunächst sollte Mousli zur Frage der konspirativen Wohnungen (KW) jene Lichtbilder identifizieren, die ihm vom BKA vorgelegt worden waren.
Weiter sollte den - gelinde gesagt -widersprüchlichen Aussagen Mouslis zu seinen finanziellen Verhältnissen vor, während und nach seiner Verhaftung 1999 auf den Grund gegangen werden. Dabei ging es um den Verkauf eines Firmen-Fahrzeugs von Mouslis einstigem Fitnessstudio, aus dessen Erlös er Schulden bezahlt haben will.
Mousli wurde auch mit den Aussagen einer früheren Lebensgefährtin konfrontiert, die vor einer Woche ausgesagt hat. Dabei war unklar, inwieweit sich Mousli über die Hinweise aus dem hiesigen Kurzbericht (136. Prozesstag)und einem knappen Ladungstext hinaus, hatte vorbereiten können. Er stellte in seiner Aussage hierzu in Abrede, dass er je für die Bestrafung verantwortlicher Beamter und Politiker etwa mittels Anschlägen als moralisch gerechtfertigt plädiert habe. Auch habe er nach 1986 an keiner gewalttätigen Demo teilgenommen.
Zum für den Kronzeugen desaströsen Themenkomplex Sprengstoff-Depot im Mehringhof bot Richter Alban Mousli die Version an, dass das Lager mit 20 Kilo Sprengstoff, einer MP und etlichen Pistolen möglicherweise mal verlegt worden sein könnte.
Gerd Albartus, so ging das Themenhopping weiter, sei nie Mitglied einer der Berliner RZ-Zellen gewesen, sondern habe - als "Springer" - an deren Diskussionen etwa über die Flüchtlingskampagne oder den (missglückten, weil tödlichen) Anschlag auf den hessischen Wirtschaftsminister Hans-Herbert Karry teilgenommen, so der Kronzeuge.
Auch dass er mal in den 1970er Jahren über 100.000 Mark geerbt habe, gestand er ein. Er will sich ein Auto gekauft, jedoch auch gespendet und gut gelebt haben. Und er blieb dabei, dass seine psychisch kranke Schwester aus Deutschland ausgewiesen worden sei.
Vorhalte aus den berühmten geschwärzten Verfassungsschutz-Protokollen, die RA Kaleck lancierte, erbrachten kein befriedigendes Ergebnis. (Über die Herausgabe der ungeschwärzten VS-Mitschriften von Mousli-Vernehmungen wird übrigens am kommenden Montag, 18. August 2003, um 11 Uhr vor dem Verwaltungsgericht in der Kirchstraße 7, Berlin-Moabit entschieden).
Und ob Mousli seinem verstorbenen Freund "Roger" um 60.000 Mark erleichtert hat unter Vortäuschung einer finanziellen Notlage des "Vereins" (=RZ), blieb ebenso ungeklärt wie andere brisante Fragen zum Finanzgebaren des Kronzeugen.

Bonmot des Tages
Nachdem BAW und Richter Alban mal wieder respektlose Bemerkungen in die Zeugenbefragung von RA Kaleck gefaucht hatten, entgegnete dieser entnervt: "Ja genau, auf diese Muppet-Show-Einlage habe ich noch gewartet".

Der Prozess wird am kommenden Donnerstag, 21. August 2003, wie stets um 9.15h fortgesetzt.

 

15.08.2003
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