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Berlin: Weinrich-Prozess: 27. Verhandlungstag

"Es gibt immer wieder mal Alarme, aber an diesem Tag war es ruhig"

Der 27. Verhandlungstag im Weinrich-Prozeß

Memette Benamar war 1983 Putzfrau im Toilettenbereich des Bahnhofs von Mars
eille. Am 31. Dezember des Jahres hatte sie wie immer die Nachmittagsschicht, als kurz vor Feierabend in einem Schließfach direkt neben den Toiletten eine Bombe explodierte. Die Zeugin schilderte, wie Teile der Decke herabfielen, Glassplitter umherflogen, eine Glasscheibe auf ihrem Rücken zerbarst. "Zuerst dachte ich, es wäre ein Erdbeben", dann aber habe sie sehr schnell realisiert, daß es sich bei der Explosion wohl um eine Bombe gehandelt haben muß. Besonders an Feiertagen habe es des öfteren Bombenalarme im Bahnhof gegeben, an diesem Tag sei aber vorher nichts Ungewöhnliches geschehen.

Frau Benamar, selbst durch Glassplitter an Kopf und Rücken verletzt, brachte einen Verletzten ins Freie, kehrte dann in das Gebäude zurück, fand einen Mann, der nicht mehr laufen konnte, lud ihn auf ihre Schultern und brachte ihn ebenfalls ins Freie. Daraufhin kehrte sie ein weiteres mal in den Bahnhof zurück. Sie beschrieb die Situation als "ein Horror", überall Blut und Schreie. Sie entdeckte einen jungen Mann, dem die Explosion einen Fuß abgetrennt hatte. Sie versuchte, ihm so gut es ging zu helfen, bis sie schließlich selbst in ein Krankenhaus gebracht wurde. "Niemand hat mir danach geholfen, wir bekamen keinerlei Unterstützung". Und so war die alleinstehende Mutter von fünf Kindern gezwungen, nach der Entlassung aus dem Krankenhaus wieder arbeiten zu gehen.

Da Frau Benamar auch Fremdenlegionäre erwähnte, die sich an jenem Tag dort umgezogen hatten, bevor sie nach Hause fuhren, hakte die Verteidigung an dieser Stelle nach. Hintergrund ist eine französische Aktennotiz, in der ein ehemaliger Fremdenlegionär ein Monat vor dem Anschlag gegenüber der französischen Polizei den Anschlag angekündigt hatte. Die Zeugin konnte in dieser Hinsicht jedoch nichts Erhellendes beitragen und wurde ohne Vereidigung entlassen.

Der Vorsitzende ließ dann noch einen Beschluß verlesen, mit dem ein Antrag der Verteidigung auf Beiziehung sämtlicher Originalakten des MfS in diesem Fall abgelehnt wurde. Die Verteidigung wollte damit die Unvollständigkeit und Manipulation dieses zentralen Materials belegen. Knapp stellte die Kammer in ihrer Ablehnungsbegründung fest, daß eine solche Maßnahme "unnötig" sei, da die Unvollständigkeit der Akten sich im bisherigen Prozeßverlauf "bereits erwiesen" habe.

Nächster Termin: 20. 08., 9.30 Uhr, Turmstr. 91, Saal 500

 

18.08.2003
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Repression]  [Schwerpunkt: Weinrich-Prozess]  Zurück zur Übersicht

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