Berlin: Weinrich-Prozess: 32. Verhandlungstag
Die Metamorphose einer Autofahrerin
32. Verhandlungstag im Weinrich-Prozeß
Christa Fröhlich stand an einem sehr lange dauernden Verhandlungstag im Mittelpunkt der Erörterungen.
Michel Desessard, seines Zeichens Kriminalkommissar i. R. war von 1982 bis zu seiner Pensionierung 1990 Gruppenleiter der Ermittlungsgruppe ,Rue Marbeuf' bei der Pariser Kriminalpolizei und hier als Zeuge geladen.
Er erläuterte, daß Bruno Breguet und Magdalena Kopp einige Wochen vor dem Anschlag in der Rue Marbeuf in Paris im Besitz von Sprengstoff verhaftet wurden. Kopp und Breguet galten als Mitglieder der ,Carlos-Gruppe'. Sanchez alias Carlos habe daraufhin ein Schreiben an den französischen Innenminister gesandt und diesen aufgefordert, die beiden freizulassen. Durch eine Indiskretion auf französischer Seite sei dieses Schreiben an die =D6ffentlichkeit gelangt und damit jegliche Verhandlungsmöglichkeit obsolet gewesen. Daraufhin habe die ,Carlos-Gruppe' eine Anschlagsserie gegen französische Einrichtungen zur Freipressung der beiden Gefangenen eröffnet. Der Anschlag in der Rue Marbeuf am 22. April 1982 um 9 Uhr morgens falle zeitlich exakt mit dem Prozeßbeginn gegen Kopp und Breguet zusammen. Deshalb sei es "verlockend gewesen, Carlos für verantwortlich zu halten", so Desessard wörtlich. Stichhaltige Beweise habe seine Behörde allerdings nicht ermitteln können. Die ,Carlos-Gruppe' habe sich nie zu dem Anschlag bekannt.
Anfangs sei man zwei anderen Bekenneranrufen nachgegangen: Der erste stammte von den "Fedajyin Chomeinis" und der zweite von einer "Libanesischen Bewegung des Clans der Armenier". Beide Spuren seien "sehr schnell" als "Phantasie" verworfen worden, weil Nachforschungen bei einer "Division Special Anti-Terrorist" ergeben hätten, daß solche Gruppennamen dort nicht bekannt seien.
Die Ermittlungsgruppe habe in der Folge eine Reihe von Hinweisen und Informationen in- und ausländischer Geheimdienste erhalten, sich jedoch zuerst auf die Ermittlungen in Sachen Tatfahrzeug fokussiert. Diese Ermittlungen hätten ergeben, daß "eine Frau europäischen Typs mit blonden Haaren" am 19. April bei der Firma ,Hertz' in Lubljana/Jugoslawien das Tatfahrzeug, einen orangeroten Opel Kadett mit österreichischem Kennzeichen, angemietet habe. Ein französischer Autofahrer will dann am 20. April "eine Frau mit blonden Haaren" in einem Auto ("kleines Modell, Typ Ford Fiesta") auf einer südfranzösischen Autobahn von hinten gesehen haben und diese nach der Vorlage einer Fotomappe als Christa Fröhlich identifiziert haben. Durch Hinweise "spezialisierter Abteilungen" und "deutscher Kollegen" habe man erfahren, daß Frau Fröhlich Mitglied der ,Revolutionären Zellen' und der ,Carlos-Gruppe' sei.
Am 22. April habe ein Mann "arabischen Typs mit einem feinzügigen Gesicht" den Kadett in der Rue Marbeuf 33 abgestellt. Der Mann sei in das dort befindliche Restaurant "Chez Bebert" gegangen und habe darum gebeten, ein anderes Fahrzeug, welches eine Parkmöglichkeit blockierte, wegzufahren. Dies sei durch einen Gast des Restaurants auch geschehen und der Mann habe das Tatfahrzeug um kurz nach 0 Uhr dort abgestellt. Der Mann, von dem es auch ein Phantombild gebe, sei "nie identifiziert" worden.
Die Spur ,Christa Fröhlich' hielt Desessard für die wahrscheinlichste, "beweisen konnten wir dies jedoch nicht". Man sei auf Frau Fröhlich nach einer Mitteilung italienischer Kollegen und wegen der =C4hnlichkeit zum angefertigten Phantombild der Autofahrerin gestoßen. Fröhlich war im Sommer 1982 auf dem Flughafen in Rom beim Transport von Sprengstoff festgenommen worden. Bei ihr wurden zwei falsche Pässe auf die Namen ,Zimmermann' und ,Odendahl' gefunden. Anhand der Stempel in diesen Pässen und weiteren Ermittlungen in Jugoslawien, Berlin und Hannover wurde festgestellt, daß Frau Fröhlich am 10. April 1982 in Belgrad einen Fiat 128 angemietet hatte, den sie am 13. April am Flughafen in Rom wieder abgab. Am 17. April sei sie von Rom nach Ost-Berlin geflogen und habe dort am frühen Abend die Grenze nach West-Berlin überquert. Ab hier verliert sich ihre Spur. Desessard dazu: "Es gab Elemente, die uns bestätigten, daß sie (Fröhlich) in West-Berlin war". Auf Nachfragen der Verteidigung, was denn das für "Elemente" waren, reagiert der Kripo-Beamte nervös und kann sich zum ersten mal nicht mehr erinnern. Eine weitere Nachfrage, ob er mit Berliner oder westdeutschen Geheimdiensten in dieser Sache Kontakt hatte, verneint er. Nicht ohne einzuschränken, daß er sich mit "den Strukturen der deutschen Polizei" nicht gut auskenne.
Am 19. April taucht dann wie erwähnt eine "blonde Frau" bei der Autovermietung in Lubljana auf und mietet unter dem falschen Namen ,Stadelmann' das Tatfahrzeug. Christa Fröhlich hatte jedoch bei allen bekannten illegalen Reisen und Aktionen nur Pässe auf die Namen ,Zimmermann' und ,Odendahl' benutzt. Da die Pariser Polizei diese Lücke nicht erklären kann, vermutet sie eine "Metamorphose" (Desessard wörtlich) von Zimmermann/Odendahl in Stadelmann. Seiner Ansicht nach handele es sich dabei um ein und dieselbe Person. Beweisen könne er das nicht, "wir waren aber überzeugt davon". Zumal der Prozeß gegen Kopp und Breguet ursprünglich am 15. April beginnen sollte und dann wegen eines Streiks von Justizangestellten auf den 22. April verschoben wurde. Dies erkläre die Anmietung und Rückgabe des Fiat 128.
Bildvorlagen Fröhlichs bei jugoslawischen Zeugen (Autovermietung und Hotel) hätten "keine eindeutigen Erkenntnisse" ergeben.
Umfangreiche Recherchen von Flugpassagierlisten in Berlin konnten keinen Flug einer Frau "Stadelmann" von Berlin nach Jugoslawien für den besagten Zeitraum ermitteln. Eine Frau Stadelmann läßt sich erst wieder am 18. April in einem Hotel in Zagreb nachweisen.
Für Widersprüche zwischen den kriminalpolizeilichen Ermittlungsberichten und Berichten des französischen Inlands-Geheimdienstes DST (der in die Ermittlungen direkt involviert ist) hat der Zeuge keine Erklärung. So behauptet beispielsweise ein Bericht des DST von 1994, daß Frau ,Stadelmann' als Frau Fröhlich "identifiziert wurde" und diese vom 10. bis zum 20. April 1982 im Tatfahrzeug eine "Rundreise" von Jugoslawien über Berlin und retour über Jugoslawien und Rom nach Frankreich unternommen habe.
Da es am späten Nachmittag noch immer eine Reihe von Fragen der Verteidigung an den Zeugen gab, wurde dieser vorerst entlassen und für einen späteren Termin wieder vorgeladen. Gleichzeitig beantragte die Verteidigung die Hinzuziehung bestimmter französischer Aktenteile, da die Auswahl des Herrn Oberstaatsanwaltes Mehlis in Paris seinerzeit sehr unvollständig gewesen sei. Kurzfristig würde die Verteidigung zumindestens gerne die zweite, wesentlich ausführlichere Vernehmung des bis dato anonymen französischen Autobahn-Fahrers und das Phantombild sehen.
Desessard verwies darauf, daß sich dies schwierig gestalten könnte, da in Frankreich noch Ermittlungen gegen Fröhlich und ,Carlos' in dieser Angelegenheit liefen und es ein "Ermittlungsgeheimnis" im französischen Recht gebe, daß es verbiete, bestimmte Ermittlungsakten herauszugeben.
Stellt sich die Frage, warum in Deutschland ein Prozeß mit unvollständiger Aktenlage geführt wird, während in Frankreich in der gleichen Angelegenheit noch Ermittlungen laufen und noch nicht einmal Anklage erhoben wurde.
Nächster Termin: 15.09., 9.30 Uhr, Turmstr. 91, Saal 500
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