Berlin: Weinrich-Prozeß: 33. Verhandlungstag
Polizeizeuge mit Beschränkung
33. Verhandlungstag im Weinrich-Prozeß
Philippe Gallorini war 1983/84 als Kriminalinspekteur Leiter der Tatortfeststellungen auf dem Hauptbahnhof von Marseille und hier als Zeuge geladen.
Bevor es zu seiner Vernehmung kam, gab es noch ein kleines Durcheinander um einen Nebenklagevertreter, der ein wenig zu spät kam, welches wieder einmal anschaulich die Szenerie der Nebenklagevertretergeschäfte beleuchtete. Als der Vorsitzende ihn fragte, wen er denn hier eigentlich vertrete oder ob er vielleicht in Vertretung eines Kollegen einen Nebenkläger vertrete, wußte der Anwalt dies selbst nicht schlüssig zu beantworten. Zuerst meinte er "in eigener Sache" anwesend zu sein, ohne jedoch erläutern zu können, was genau das heißt. In den Unterlagen konnten auch keinerlei Vollmachten für den Herrn Anwalt gefunden werden. Man einigte sich nach einiger Verwirrung schließlich darauf, daß er einen Nebenkläger vertritt, der am heutigen Tag nicht durch einen Anwalt abgedeckt war.
Gallorini eröffnete seine Aussage mit einer faustdicken Überraschung: Er dürfe laut Anweisungen des französischen Ermittlungsrichters Brugui=E8re nur "zu Fakten der Tatortfeststellungen" aussagen. Jegliche Angaben zu möglichen Täterermittlungen oder -verdächtigungen seien ihm verboten.
Danach befragt, wie es denn dazu gekommen wäre, erläuterte der Zeuge, daß in der deutschen Vorladung angefragt worden war, ob er irgendwelchen Aussagebeschränkungen unterliege und er sich daraufhin an Richter Brugui=E8re gewandt habe. Das ist in diesem Verfahren damit der erste Fall, in dem ein französischer Ermittlungsbeamter einer Aussagebeschränkung hinsichtlich möglicher Täter unterliegt. Der Vorsitzende erklärte dazu, daß solche Anfragen pro forma an alle Zeugen im Ausland gerichtet werden und er auch nicht verstehe, warum ausgerechnet dieser Zeuge einer solchen Beschränkung unterliege.
Zu den Feststellungen am Tatort führte Gallorini aus, daß am 31. 12. 1983 um 20.08 Uhr ein etwa 14-15 kg schwerer Sprengsatz in Schließfach Nr. 611 des Marseiller Hauptbahnhofes explodiert sei. "Der Bahnhof sah wie ein Schlachtfeld aus". Die Explosion tötete zwei Reisende, 34 weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Durch die Wucht der Explosion entstand erheblicher Sachschaden, Teile der Decke stürzten herab und am Explosionsort entstand ein 40 cm tiefer Krater im Betonfußboden. Auch Teile des Untergeschosses seien von der Explosion betroffen gewesen.
Teile des Schließmechanismus' der Schließfächer oder dazu passende Münzen seien seiner Erinnerung nach nicht asserviert worden. Weitere Spuren seien möglicherweise auch durch den Einsatz der Feuerwehr vernichtet worden, die den Tatort mit Wasser abspritzte, um einen eventuellen Brand zu vermeiden. Auf Nachfragen der Verteidigung konnte der Zeuge weder dementieren noch bestätigen, ob der Gendarmerieposten auf dem Bahnhof, der vom Tatort etwa 20 Meter entfernt lag, an diesem Abend mit Beamten besetzt war.
Nach der Entlassung des Zeugen gab Verteidiger Häußler eine Erklärung zur Aussagebeschränkung des Zeugen im Speziellen und zu diesem Verfahren im Allgemeinen ab. Er nannte es "ein absurdes Theater, daß man an einem tatortfremden Gericht meint, die Wahrheit in der Hand zu haben, während an tatortnahen Gerichten noch ermittelt wird" und vor Ort ermittelnde Beamte einer Aussagebeschränkung hinsichtlich möglicher Täterschaften unterliegen. Häußler forderte die Kammer auf, endlich einmal Stellung in dieser Angelegenheit zu beziehen.
Der Vorsitzende versuchte daraufhin, der Staatsanwaltschaft den Schwarzen Peter zuzuschieben, indem er erklärte, daß die Kammer beauftragt - also quasi gezwungen - worden sei, dieses Verfahren zu führen. Fragt sich nur, warum die Kammer dann diese Anklage zur Verhandlung zugelassen hat.
Nächster Termin: 22. 09.. 9.30 Uhr, Turmstr. 91, Saal 500
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